Kapitel 12
Bis zum Mittagessen habe ich mir einen Überblick über meine Verbündeten und ihre Fähigkeiten verschafft, mit dem ich in den nächsten Tagen wohl viel arbeiten werde, um Zusammenhänge zu erfassen und vorauszudenken. Fange ich mal an mit Lizley aus 1: Sie wirft den Speer mit einer Wucht, die selbst den Jungs in meiner Akademie schwerfiel und kämpft ansonsten mit purer Kraft. Sie ist selbstbewusst und einfach zu durchschauen, das klassische Schema. Sie ist stark, gefährlich, was sie sehr sicher in ihrer Sache macht, achtet aber eher wenig auf andere, was zum Nachteil werden könnte. Viele machen den Fehler, sich nicht ausreichend mit ihren Feinden zu beschäftigen und deswegen brachte Großvater mir schon früh bei, Menschen genau zu betrachten. Lizleys Mittribut Tiger ist da ähnlich, bloß etwas überheblicher. Ihm fehlt der nötige Ernst bei den Spielen. Klar, es macht uns allen Spaß, aber Tiger hat wohl nicht begriffen, dass auch er in Lebensgefahr schwebt. Mit dem Schwert kann er gut umgehen, und auch seine Fähigkeiten im Boxen sind sehr ausgeprägt, aber nach jedem Hieb schaut er sich um und sucht nach Anerkennung. Dieses Warten wird ihm besonders am Füllhorn zum Verhängnis werden, wenn wir nicht gut genug aufpassen. Ich befürchte, dass er in der Arena zu sehr mit der Kamera spielen wird und dieses Verhalten werde ich weiterhin beobachten. Und obwohl Lizley sehr stark ist, stellen die beiden aus 1 keine wirkliche Bedrohung für mich dar. Sie sind gute Kämpfer, aber nichts weiter. Weder schlau, noch haben sie viel Grips im Kopf und auch kein außergwöhnliches Talent. Mit Distrikt 4 ist da anders. Vor allem Sita hat mich sehr überrascht: Sie kämpft mit dem Degen, was bei der zierlichen, schmalen Figur echt praktisch ist. Wenn sie ficht, sieht es mehr aus wie ein Tanz als wie ein Kampf, jeden Schlag des Gegners - in diesem Fall der Trainer - pariert sie geschickt und anmutig. Sie lässt sich nicht aus dem Konzept bringen, verliert nie die Ruhe. Es ist, als sei sie dem Gegner immer einen Schritt voraus und das ist es, was sie gefährlich macht: Am Anfang dachten wir, sie sei schüchtern, dabei denkt sie einfach viel nach. Vielleicht mag ich sie sogar mehr als Lizley, die uns alle herumkommandiert. Immer, wenn Sita meinen Blick beim Training aufgefangen hat, hat sie strahlend und offenherzig gelächelt. Sie ist nicht arrogant oder kühl und erst recht nicht so unreif wie der gleichaltrige Tiger. Mental ist sie sogar Lizley um Jahre voraus, aber auch Sita hat eine Schwachstelle: Ihre Freundlichkeit, die an Selbstverleugnung grenzt. Manchmal glaube ich, dass sie eher uns schützen will, anstatt selber zu gewinnen. Paradoxerweise ist ihr Mittribut Donique das perfekte Gegenstück. Stets ein selbstgefälliges Grinsen auf den Lippen ist er heute durch die Halle geschlendert, hat ein bisschen mit dem Dreizack hantiert, den er gut beherrscht, aber auch nicht bewunderndwert, mit seinen Muskeln geprotzt und mich beim Werfen der Messer beobachtet. Generell hält er sich für meinen Geschmack viel zu sehr in meiner Nähe auf und beobachtet mich. Manchmal lächelt er, aber dann wird sein Blick plötzlich abwesend und er bekommt das Aussehen eines hungrigen Raubtieres. Und ich glaube zu wissen, was er vorhat: Er will uns ausnutzen. Natürlich wissen wir alle, dass die freundschsftliche Zeit begrenzt ist und wir uns im Endeffekt eh gegenseitig umbringen würden - vielleicht abgesehen von Sita -, aber bei Donique ist das anders. Er spielt ein Spiel mit uns. Er weiß, dass er gut aussieht, und er weiß, dass sein Lächeln sehr vertrauenswürdig ist, aber im Innern hasst er uns. Wahrscheinlich würde er am liebsten als Einzelkämpfer durch die Arena ziehen, wenn das seine Gewinnchancen nicht ungemein verringern würde. Aber egal jetzt. Denn noch etwas wichtiges: Ich kenne Tobys Waffe. Sie nennt sich Wurfstern und besteht aus vielen schmalen Messerklingen, die im Kreis aneinander hängen. Tatsächlich sieht das Gebilde in etwa aus wie ein Stern, vor allem, wenn die Klingen blitzen. Toby ist extrem kampferfahren. Seine Bewegungen ähneln der einer Katze und seine federnden Schritte sind beinahe lautlos. Trotzdem scheint er sich irgendwie zu fürchten, denn die meiste Zeit verbrachte er an der Pflanzenststion und in dem Miniwäldchen.
"Hunter!", sagt Lizley und boxt mir so fest in die Seite, dass ich bestimmt mit einem Bluterguss rechnen kann. Egal jetzt. Wir sind die Karrieros und wir sind grob. Das zeigen wir einander ebenso sehr wie nach außenhin. Seit die anderem herausgefunden habe, dass ich Hunter mit Nachnamen heiße, ist das mein offizieller Name und nicht Sky. Sky klingt zu sanft. "Ja?", grinse ich und beiße herzhaft in die Fkeischkeule in meinen Händen. Fett tropft von meinem Kinn. Statt zu antworten, nickt Lizley an den Tisch gegenüber. Ich folge ihrem Blick und zucke zusammen. Dort sitzt dieses gruselige kleine Mädchen aus 7. Das mit den verfilzten, roten Haaren, der weißen Haut und den schwarzen, toten Augen. Die jetzt unverwandt auf meine gerichtet sind. Im Anflug eines Schwindels kralle ich mich keuchend an der Tischkante fest. Die Keule gleitet mir dabei mit einem dumpfen Ploppen aus der Hand. Nein, nein, nein. Nein! Wieso reagiere ich denn so? Da vorne sitzt ein winziges Persönchen, das mich ansieht. Wieso kann ich nicht gönnerhaft darüber hinwegsehen, wie bei der Kleinen aus 12? Die jungen Kinder sind doch sowieso zum Tode verurteilt! Trotzdem wird mir eiskalt, als das Mädchen mich anstarrt. Erst, als sie den Blick abwendet, beruhigt sich mein Herzschlag und das Blut, das durch meine Adern fließt, ist wieder warm. Toby zieht fragend eine Augenbraue in die Höhe und auf einmal habe ich das Gefühl, dass er der einzige ist, dem ich meine Panik vor diesem Mädchen anvertrauen kann. Mit dem ich sein will, weil auch er beschädigt ist. Auch er ist schwach. Stattdessen pustet sich Lizley eine weiße Strähne aus der ebenso hellen Stirn und meint:"Die machen wir zu aller erst kalt." Dann nimmt sie die Keule und drückt sie in meine Hand zurück.
Später, als wir aufgegessen haben und uns wieder dem Training widmen, fühle ich mich auf seltsame Weise ausgelaugt. Und leer. Mit schweren Schritten und hängenden Schultern laufe ich zu der Feuerstation, bei der sich zum Glück niemand aufhält, lasse mich in den künstlichen Grasbüscheln nieder und nehme nachdenklich zwei Hölzer in die Hand. Die machen wir zu aller erst kalt. Diese Worte sollten mich wohl aufmuntern, stattdessen ziehen sie mich runter. Dieses Mädchen aus 7 ist meine Gegnerin. Es könnte passieren, dass wir uns in der Arena über den Weg laufen, und wenn mich ihr Blick wieder so hypnotisiert, bin ich ich machtlos. Ein Zittern überkommt mich. Machtlos. Dieses Wort ist gleichbedeutend mit Angst, denn Angst macht machtlos. Und dieses Kind löst - warum auch immer - ein Gefühl der Furcht in mir aus. Das darf nicht sein! Ich darf mich nicht fürchten, vor allem... - "Alles in Ordnung bei dir?" Ich fahre auf. Toby steht zögernd vor mir, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt. Seine Stirn ist besorgt in Falten gelegt und seine Augen sagen dasselbe. Aber warum? Gestern noch hat er mich benutzt, um besser dazustehen. "Was bedeute ich dir, wenn du versuchst, mir Ärger einzuschlauchen und dir gleichzeitig Sorgen machst, wenn ich nicht okay bin?", frage ich ehrlich. Meine Direktheit scheint Toby erst zu verblüffen und dann zu schämen. Schließlich setzt er sich neben mir ins Gras. "Es tut mir lei...-" "Danach habe ich nicht gefragt." Ich verschränke forschend die Arme vor der Brust. "Ich wollte wissen, was ich dir bedeute." Toby schließt die Augen, seine Lider flackern. "Keine Ahnung", sagt er ehrlich. "Irgendwie bist du gefährlich, aber irgendwie glaube ich auch, das bist du gar nicht wirklich." Er unterstellt mir, dass ich mich selbst überschätze? Das wird ja immer besser! "Interessant", schnaube ich, während ich ruckartig aufstehe. "Sky." Toby streckt verzweifelt seine Hand nach mir aus, lässt sie aber im selben Moment wieder sinken. "So war das nicht gemeint", murmelt er traurig. Ich lache trocken. "Ich habe schon verstanden." Dann beuge ich mich so tief herab, dass wir denselben Atem atmen, dass unsere Nasenspitzen sich fast berühren. "Ich sag dir mal was, Mr-Du-Bist-Gar-Nicht-Gefährlich: Ich zeige dir gerne, dass ich gefährlich bin. Toby, ich schwöre bei Gott, du wirst es am eigenen Leib erfahren!" Mit den Worten drehe ich mich um, um einen würdevollen Angang hinzulegen. Wir werden ja sehen, wer hier gefährlich ist! Wenigstens denke ich jetzt nicht mehr an das Mädchen aus 7. Ich sage ja, ein Streit hat nicht nur Nachteile.
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Kommiiiiis? *0*
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