21 - Schuld und Sühne auf der A7

Rose jagte sein Auto mit einer Geschwindigkeit, die nur von seiner Verzweiflung übertroffen wurde, die A7 Richtung Würzburg hinunter. Sein Geist ein tobender Wirbelsturm aus Panik und Selbstvorwürfen, der ihn fast erdrückte und die Luft zum Atmen nahm. Die Landschaft, die an ihm vorbeiflog, war nichts weiter als ein verschwommener Hintergrund zu seinen düsteren Gedanken, die ihn gnadenlos verfolgten. Er konnte sich nicht erklären, wieso er so nachlässig gewesen war. Wegen seiner Privatangelegenheiten schien es nun so, als hätte er Janine direkt in die Arme ihres Peinigers geführt.

Er hatte versagt. Er hatte Janine nicht beschützen können. Lechner, Schöne, Engelhardt, Böhm... wie sollte er sich nur vor ihnen rechtfertigen? Wie sollte er diese Katastrophe überhaupt vor sich selbst rechtfertigen? Die Schuldgefühle nagten an ihm, drohten ihn von innen aufzufressen.

Rose sah ein, dass diese selbstvernichtenden Gedanken jetzt nicht zielführend waren. Sie würden ihn nur weiter in die Verzweiflung treiben und ihm die Kraft rauben, die er jetzt dringend brauchte. Er musste überlegen, wie das alles überhaupt passieren konnte. Er musste einen klaren Kopf bewahren.

Woher konnte der Entführer überhaupt wissen, dass Janine in Fulda war? Es war unwahrscheinlich, dass sie die ganze Zeit über beschattet worden waren und man nur auf die passende Gelegenheit gewartet hatte. Wenn es bei dem Entführer um dieselbe Person wie bei Jessica Meininger handelte, dann schien er allwissend zu sein und stets geduldig zu warten bis die Bedingungen optimal zum Zuschlagen waren. Es schien so, als hätte Janine einen Ortungschip eingepflanzt und der Entführer hätte ganz genau gewusst, wo sie zu finden war.

Rose erinnerte sich an den Tag in Limone, an das Lächeln auf Janines Gesicht, die Art, wie das Sonnenlicht ihr Haar in ein goldenes Meer verwandelte, als sie in ihrem roten Bikini in den Wellen des Gardasees verschwand. Sie war so unbeschwert gewesen, so voller Leben. Und jetzt? Er schüttelte den Kopf, versuchte, die schlimmen Bilder zu vertreiben, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten - Bilder von Janine, irgendwo allein, verängstigt, vielleicht sogar...

Nein! Er durfte nicht daran denken. Er musste stark bleiben, für Janine! Er würde sie finden, egal was es ihn kosten würde.

Er griff den absurden Gedanken, dass Janine einen Peilsender verpflanzt worden sein könnte wieder auf. Der Gedanke war lächerlich! Oder etwa doch nicht? Böhm hätte davon berichtet, wenn die Rechtsmedizin einen Peilsender im Körper von Jessica Meininger gefunden worden wäre. Und wie sollte jemand, unbemerkt einen Ortungschip in jemanden verpflanzen können? Diese Theorie war völlig absurd! Aber wie hätte dieser Entführer sonst den genauen Standort von Janine bestimmen können?

Rose dachte erneut an Janine. Er sah sie bildlich vor sich sitzen mit ihren langen blonden Haaren in dem schönen Sommerkleid, das sie in Limone getragen hatte. Natürlich hielt sie ihr Smartphone in der Hand... Und da fiel es Rose auf: Ihr Handy! Ihr verdammtes Handy! Wie hatte er nur so dumm sein können und sie es benutzen lassen? Das Ding musste verwanzt gewesen sein. Es bot sämtliche technischen Möglichkeiten, einen Menschen zu überwachen. Wahrscheinlich hatte der Entführer sie die ganze Zeit über verfolgt und alles mitbekommen. Wirklich alles! Ihre Flucht ins Ausland, das Spiel mit den Münzwürfen um nicht berechenbar zu sein - alles völlig umsonst!

Rose griff nach seinem eigenen Handy, das stumm neben ihm auf dem Beifahrersitz lag und wählte die Nummer von Gernot Krüger.

Über die Freisprechanlage meldete sich Krüger. Er war nun vermeintlich der Einzige, der Roses Verdacht bestätigen könnte.

„Sag mal Gernot, ist es technisch möglich ein Smartphone zu verwanzen?"

„Na klar ist das möglich! Spyware ist ein großes Problem heutzutage. Aber so fahrlässig wie die meisten Leute mit ihren persönlichen Daten umgehen, ist jedes Gerät eine einzige Wanze ob mit oder ohne Spyware! Wieso fragst du?"

„Stell keine blöden Fragen! Das ist doch jetzt egal! Braucht man ein großes technisches Verständnis für sowas, oder könnte das jeder hinkriegen?"

„Naja, wenn man sich ein bisschen in das Thema einliest, kann das jeder umsetzen, der nicht total mit seinem Handy auf Kriegsfuß steht. Die Frage wäre nur, wie man das unbemerkt auf einem Gerät installieren kann."

„Habt ihr sowas auf Jessica Meiningers Handy gefunden?"

„Nein, nicht das ich wüsste..." Gernot klang unsicher.

„Moment, ich habe ihr Handy hier noch irgendwo rumliegen... Mir kommt da gerade noch eine Idee! Diese Möglichkeit haben wir wahrscheinlich noch nicht geprüft."

Rose wartete ungeduldig. Jede Sekunde, die er vertrödelte, schwebte Janine in Lebensgefahr.

„Also Max, es ist tatsächlich so wie ich es befürchtet hatte. Jessica Meininger hatte eine Spyware auf ihrem Handy! Versteckt in einer unverdächtigen App. Ohne die Berechtigungen zu hinterfragen hat sie der App vollen Zugriff auf die Kameras, das Mikrofon und den Ortungsdienst erlaubt. Man konnte sie also jederzeit vollkommen überwachen."

„Und das habt ihr vorher nicht feststellen können?"

„Das ist eine komplexe Sache und war nicht so offensichtlich, wie es jetzt vielleicht den Anschein hat!", verteidigte sich Krüger.

Rose fühlte sich so inkompetent und bloßgestellt. Janine hätte jetzt bei ihm sein können, er hätte Janine nur ihr dämliches Handy wegnehmen müssen!
Er hätte ihre Entführung verhindern können, doch nun war es zu spät!

Rose schnaubte frustriert. „Ich verstehe. Dafür sind wir ja zumindest jetzt schlauer."

„Wie bist du darauf gekommen?", fragte Krüger.

„Das erzähle ich dir bald. Dafür ist jetzt keine Zeit!" Mit diesen Worten beendete Rose das Gespräch und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Er wusste, dass die kommenden Stunden entscheidend sein würden. Es war ein Wettlauf gegen die Zeit, und er war fest entschlossen, ihn zu gewinnen. Für Janine.

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