18 - Schatten über Stahl und Beton
Wolkenverhangen lag der Himmel über Würzburg, als Jan Böhm seinen Dienstwagen auf dem Parkplatz hinter dem sandsteinfarbenen, modernen Bürogebäude, indem auch die Räumlichkeiten der Bobrow Real Estate GmbH untergebracht waren, abstellte. Die Fassade aus Glas und Sandsteinplatten war ein trüber Spiegel der grauen Wolkendecke.
Mit entschlossenen Schritten betrat Böhm das Gebäude und bahnte sich zielstrebig den Weg zu den Geschäftsräumen, wo er sofort von der Empfangsdame zu Eugen Bobrows Büro im fünften Stock geleitet wurde. Der Immobilienentwickler und Geschäftsführer stand am Fenster und blickte auf die Stadt hinunter. Böhm, der inzwischen schon ein Mindestmaß an Ortskenntnis entwickelt hatte, stellte fest, dass man von diesem Büro aus das Firmengelände erblicken konnte wegen dem er hier war. Aus der Vogelperspektive wirkte es unscheinbar und harmlos, doch genau auf diesem Grundstück war ein Mord sorgfältig vorbereitet und durchgeführt worden.
Eugen Bobrow war hochgewachsen und trug einen hellgrauen Maßanzug. Er drehte sich mit einer eleganten Bewegung um. Ein höfliches Lächeln umspielte seine Lippen, während er auf den Ermittler zuging.
„Kommissar Böhm, wie kann ich Ihnen helfen?" Bobrows Stimme war ruhig, doch seine Augen verrieten eine Spur von Unruhe. Er sprach mit einem ganz leichten Akzent, den Böhm als osteuropäisch einordnete.
„Ich bin hier wegen des Mordes auf Ihrem Grundstück an der Nürnberger Straße," begann Böhm.
„Natürlich sind Sie das. Ich hatte schon vermutet, dass wir uns verantworten müssen."
„Also befindet sich das Grundstück derzeit definitiv in ihrem Besitz?", vergewisserte sich Böhm.
„Richtig! So ist es. Wir haben es erst kürzlich von Wuschnik Glas gekauft. Es schläft jetzt einen Schneewittchenschlaf, bis ich es irgendwann einmal in ein florierendes Geschäftszentrum verwandeln kann. Wir sind aktuell noch in der Planungsphase für das Gelände. Es sollte eigentlich leer stehen."
„Leer, bis auf die Tote," merkte Böhm trocken an. „Kennen Sie das Opfer?"
Bobrow schüttelte den Kopf. „Nein, ich weiß nur, was in den Medien berichtet wurde. Eine junge Frau, von Beruf Influencerin, wenn ich das richtig verstanden habe. Naja, wenn man das überhaupt einen Beruf nennen kann."
„Wie kommt es, dass sich jemand auf ihrem Gelände Zutritt verschaffen kann und in aller Ruhe einen Mord vorbereiten kann?"
„Das ist mir leider auch nicht ganz klar. Es ist eine sehr beunruhigende Vorstellung."
„Es ist in der Tat erschütternd", begann Böhm, „Aber nicht nur das, nein, der Täter konnte sein Opfer auch unbemerkt dorthin bringen und töten. Er hat die Leiche noch nicht einmal weggeschafft oder versteckt und dann war es trotzdem erst ein Hinweis, der uns die Leiche finden ließ. Ein solches Versäumnis in der Sicherheit hätte doch auffallen müssen. Es hätte doch längst von Ihnen entdeckt und behoben werden müssen!"
Bobrow seufzte schwer, die Linien seines Gesichts schienen sich zu vertiefen. „Ja, da haben Sie leider Recht. Wir hatten tatsächlich eine Sicherheitsfirma engagiert und damit beauftragt das Gelände zu überwachen. Ich fürchte, die ist nicht sonderlich zuverlässig. Es ist offensichtlich, dass die ihre Aufgabe nicht ernst genommen haben. Wir werden die Zusammenarbeit mit diesem Dienstleister baldmöglichst beenden. Da haben wir offenbar am falschen Ende gespart."
„Sie haben also Kosten gespart?", hakte Böhm nach, seine Stimme klang skeptisch.
„Ja, genau das haben wir getan. Wir hatten eine Ausschreibung für das Gelände an der Nürnberger Straße laufen und die Sicherheitsfirma, die wir letztlich wählten, war deutlich günstiger als die Wettbewerber. Sie unterbot sämtliche Konkurrenten bei Weitem."
„War Ihnen nicht klar, dass die ihren Job dann vermutlich auch schlechter machen würden?" Böhm lehnte sich vor, seine Augen fixierten Bobrow. „Niedriger Preis - minderwertigere Dienstleistung, würde ich annehmen."
Bobrow zuckte mit den Schultern, ein Ausdruck des Bedauerns huschte über sein Gesicht. „Nunja, ich war mir der Tatsache bewusst, dass deren Personaldecke deutlich dünner ist und sie daher vielleicht nicht die gleiche Qualität liefern würden. Der Fachkräftemangel zieht sich durch sämtliche Branchen. Aber Sie müssen verstehen, dass wir eben sehr auf die Kosten achten müssen. Wissen Sie wie lange es bei diesem Stadtrat braucht, bis wir ein Projekt von solchen Ausmaßen verwirklichen können? Jahre! Und bis wir für solche Immobilien mal Geld sehen, dauert es ewig! Da ist doch klar, dass wir versuchen, unsere Fixkosten möglichst niedrig zu halten."
Böhm nickte langsam, während er Bobrows Worte auf sich wirken ließ. „Ich verstehe Ihre Lage", sagte er, „aber ich denke, dass es fahrlässig war hier zu sparen. Sicherheit ist kein Posten für leichtfertige Sparmaßnahmen. Es geht hier nicht nur um Eigentum, sondern auch um Menschenleben."
Bobrow sah betroffen aus. „Das ist mir nun schmerzlich bewusst geworden. Glauben Sie mir, Herr Kommissar, das wird nicht wieder vorkommen. Ich werde Ihnen die Kontaktdaten des Sicherheitschefs geben. Er könnte mehr wissen."
Böhm stand auf und machte sich bereit zu gehen.
„Ich werde Ihren Sicherheitschef kontaktieren. Vielleicht kann er Licht ins Dunkel bringen."
Auf seinem Weg nach draußen, die Kontaktdaten des Sicherheitschefs fest in seiner Tasche, entwich Böhm ein lauter Seufzer. Es war, als würde jeder Beteiligte die Verantwortung für den Tatort von sich weisen und auf das nächste Glied in der Kette verweisen. Böhm konnte sich bereits vorstellen, wie der Dienstleister versuchen würde, die Schuld weiterzureichen.
Er schritt durch die kühle Lobby, seine Gedanken kreisten um den Fall. Draußen angekommen, atmete er tief die frische Luft ein und blickte in den trüben Himmel. Die Domstadt schien unberührt von dem Verbrechen, das in ihren Schatten stattgefunden hatte. Böhm wusste, dass er tief graben musste, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Auf dem Weg zu seinem Wagen überlegte er, welche Schritte als nächstes zu tun waren. Der Sicherheitschef würde sicherlich einige Fragen beantworten können, aber Böhm war sich bewusst, dass er auch auf Widerstand stoßen könnte. Er musste vorsichtig sein, um nicht weitere Mauern des Schweigens zu errichten.
Als er in seinem Wagen saß, zog er die Kontaktdaten hervor und wählte die Nummer des Sicherheitschefs Herr Fröhlich. Es klingelte mehrmals, bevor eine raue Stimme antwortete. Böhm stellte sich vor und erklärte den Grund seines Anrufs. Die Stimme am anderen Ende der Leitung wurde sofort kühler.
„Kommissar, ich kann Ihnen versichern, dass wir immer alles in unserer Macht Stehende tun, um die von uns verwalteten Gelände zu sichern," behauptete der Sicherheitschef.
„Und doch ist ein Mord geschehen, genau unter Ihrer Aufsicht," entgegnete Böhm scharf. „Wie erklären Sie sich das?"
Es folgte eine Pause, und Böhm konnte förmlich spüren, wie der Mann am anderen Ende nach den richtigen Worten suchte. „Es... es muss eine Lücke in unseren Protokollen gegeben haben. Wir werden das intern untersuchen."
Böhm presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. „Das werden wir auch, und ich erwarte Ihre volle Kooperation bei dieser Angelegenheit, Herr Fröhlich."
Nach einem kurzen Austausch von Höflichkeiten und dem Versprechen, sich baldmöglichst zu treffen, legte Böhm auf. Er warf sein Handy verächtlich auf den Beifahrersitz, seine Gedanken bereits bei der bevorstehenden Begegnung. Mit einem tiefen Seufzer startete er den Motor seines Wagens und fuhr davon, die Straßen von Würzburg entlang, die nun bereits ein Teil seines Lebens und seiner Mission geworden waren.
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