10 - Eine Möglichkeit
Jan starrte auf das Display seines Handys, die Ziffern flimmerten vor seinen Augen. Die Nummer war ihm vertraut, zu vertraut. Ein Knoten bildete sich in seinem Magen, als er darüber nachdachte, den Anruf anzunehmen. Die Unsicherheit nagte an ihm, und er zögerte. Schließlich atmete er tief ein und drückte den grünen Hörer.
„Böhm, hallo?", sagte er, seine Stimme brüchig. Die Sekunden dehnten sich, und dann hörte er die vertraute Stimme auf der anderen Seite. Es war Zeit, sich seinen Ängsten zu stellen
„Hallo Jan."
„Hallo Papa."
„Du meldest dich nie. Deine Mutter ist schon ganz traurig."
„Das tut mir Leid. Ich hab einfach viel um die Ohren."
„Das kann ich mir gut vorstellen... Wie läuft es denn in Nürnberg?"
„Ich wurde nach Würzburg versetzt!"
„Achso, ja stimmt. Das ist ja noch schlimmer! Nicht auszuhalten, dass dich Krämer dahin abgeschoben hat. Da hätte man dich ja gleich rauswerfen können! Ich hörte dieser Vargas sei nun dein Nachfolger geworden. Hat der Mann was drauf?"
„Vargas? Ich denke, der macht das ganz gut. Ich habe ihn immer als fähig und kollegial wahrgenommen."
„Nun gut. Jan, ich habe gute Nachrichten für dich: Ich habe mit Kurt Greven gesprochen. Bei ihm wird eine interessante Stelle frei. Wirtschaftskriminalität liegt dir doch, da kannst du einige Erfolge vorweisen! Und du wärst wieder in München. Bewerben müsstest du dich formal natürlich schon, aber er würde dich direkt nehmen."
„Greven? Wie kamst du denn auf den?"
„Das ist doch egal! Das wäre doch eine gute Möglichkeit aus diesem Dorf zu verschwinden. Beim Kurt kannst du dich doch viel besser profilieren und deine Karriere wieder in Schwung bringen."
„Ich weiß nicht so recht. Ich muss mir das erstmal überlegen."
„Wie? Du willst dir das noch überlegen? Das ist doch ein absoluter No-Brainer!"
„Weißt du, hier in Würzburg ist mir einiges klar geworden. Ich denke, die Sache in Belarus war wirklich eine Nummer zu groß für mich."
„Man wächst an seinen Herausforderungen, mein Sohn."
„Ich weiß Papa. Aber es sind Kollegen gestorben! Es war meine Schuld!"
„Schwachsinn! Es war nicht deine Schuld! Die Leute wussten, auf was sie sich da einlassen. Die wussten, was auf dem Spiel stand und kannten das Risiko."
„Ja..."
„Was soll ich denn jetzt dem Kurt sagen? Der rechnet doch schon fest mit dir."
„Ich melde mich demnächst nochmal dazu."
„Na gut, dann halte ich den Kurt nochmal hin. Er darf halt solange niemanden anderes ins Team holen. Überleg dir das gut! Das Morddezernat in Würzburg ist doch eine Sackgasse! Das ist dir doch hoffentlich klar."
„Ich werde gründlich drüber nachdenken."
„Mach das, aber lass dir nicht zu viel Zeit! Halt die Ohren steif! Tschüss."
„Ciao Papa!"
Jan legte auf und starrte ins Leere. Er wusste, dass sein Vater recht hatte. Die Stelle bei Greven wäre eine gute Möglichkeit, seine Karriere wieder in Schwung zu bringen. Aber er konnte sich nicht vorstellen, wieder in München zu leben. Er hatte in Würzburg eine neue Heimat gefunden und wollte hier bleiben. Diese Stadt stand für den Neuanfang den er brauchte.
Er ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa. Er dachte an die Ereignisse der letzten Monate. Die Sache in Belarus hatte ihn schwer getroffen. Er hatte dort Kollegen verloren und sich selbst als Versager gefühlt. Er war dafür verantwortlich! Seine Karriere... nein sein ganzes Leben war in eine Sackgasse aus Schuld und Trauer geraten. Seiner Versetzung hatte er damals nur ganz apathisch zugestimmt - ihm war egal gewesen, was nun passieren würde. In Würzburg war dann der Ehrgeiz in ihm wieder aufgeflammt und er hatte krampfhaft versucht Leistung zu zeigen und sich für neue Aufgaben zu beweisen. Heute wusste Böhm, dass seine Versetzung nach Würzburg keine Strafe war sondern der Reset, den er so dringend gebraucht hatte. Er hatte sich mittlerweile in Würzburg ein neues Leben aufgebaut. Er hatte hier neue Freunde gefunden. Er wollte das alles nicht wieder aufgeben.
Rose war ihm nach ein paar Anfangsschwierigkeiten ein guter Partner und Mentor geworden. Aber seit er erfahren hatte, dass Rose insgeheim andere Pläne verfolgte und möglicherweise schon bald anderswo Karriere machen würde, stellte er das in Frage. Sollte es wirklich so kommen, dass Rose zu INTERPOL wechseln würde, stände er ganz allein da.
Böhm stöhnte frustriert auf. Es war eine verzwickte Situation!
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