Warum man nicht zu zweit auf die Toilette gehen sollte


Wir sehen uns dann an deinem Geburtstag.

Was sollte das überhaupt bedeuten? Ich meine, die eigentliche Aussage dahinter verstand ich schon, ich war ja nicht blöd, aber wieso genau an meinem achtzehnten? Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass ich vorhatte, ihn zu feiern. Genügend Gäste dafür gäbe es sowieso nicht.

Ich runzelte die Stirn und rührte ein bisschen in meinem Kartoffelbrei herum.

Heute gab es Püree mit Hähnchenbrustfilets. Ehrlich, ohne die Schulkantine würde ich vermutlich verhungern oder mich einzig von Sandwiches auf Maismehl-Basis ernähren. Und das Zeug schmeckte auch echt gut, zumindest tat es das, wenn ich Hunger hatte. Momentan fühlte mein Magen sich aber eher an, als hätte er sich einmal um sich selbst gedreht, die falsche Abzweigung durch meinen Hals genommen und es dadurch irgendwie geschafft, einen Knoten in der Mitte zu produzieren. Oder anders – mir war übel. Ich wusste nur noch nicht so richtig, ob es eine freudig-erregte oder mehr panisch-erschrockene Übelkeit war. Vielleicht auch beides.

Ich atmete laut aus und legte meine Gabel beiseite. Wenn ich nichts mehr aß, könnte ich später auch nicht kotzen. Außerdem hatte ich nebenbei noch genügend andere Dinge zu tun, womit ich Alexander meinte, der sich zwei Tische weiter diagonal von mir befand. Nach dem Fiasko im Geräteschuppen des Hausmeisters saßen wir schon in dem Winkel zueinander, damit ich ihn in den Pausen auffällig unauffällig beobachten konnte.

Er war ein bisschen wie eine Hure, wenn es um seine Tischnachbarn ging. Sie wechselten tagtäglich und trotzdem unterhielt er sich mit jedem von ihnen, als wäre er wirklich mit ihnen befreundet. Er lächelte sogar die ganze Zeit – gerade in die Richtung eines leider sehr schönen Mädchens mit braunen Locken und bestimmt ellenlangen Wimpern und einer niedlichen Stupsnase und perfekten Brüsten und ich setzte sie spontan mit auf die Liste der weiblichen Geschöpfe, die ich abgrundtief hasste. Ich meine, ich hatte auch eine für Kerle. Da war genug Abscheu in mir, um jeden zu verachten, der sich in Alexanders unmittelbarer Nähe aufhielt und mit ihm redete. Wobei seine offene Promiskuität mir dabei nicht unbedingt weiterhalf. Gefühlt war die ganze Welt meine direkte Konkurrenz, was albern war, weil diese Unterhaltung heute in der Pause meine erste überhaupt mit ihm gewesen war.

Ich ergab einfach keinen Sinn.

Seufzend zog ich die Schultern an.

Manchmal, also immer, wünsche ich mir, es würde auch mal jemand auf mich neidisch sein, weil ich dort neben ihm saß und hübsch aussah. Ich wollte, dass Gerüchte darüber kursierten, dass wir in irgendwelchen leerstehenden Vorlesungssälen intim miteinander geworden waren und-

Und er stand auf.

Ich blinzelte und streckte den Rücken durch, um besser sehen zu können.

Alexander lächelte einmal entschuldigend in die Runde, schob seinen Stuhl zurück und verließ den Kreis seiner Pseudo-Bekanntschaften, um sein Essenstablett wegzubringen, dabei hatten wir noch zehn Minuten Mittagspause.

Ich haderte einen kurzen Moment, dann kam ich ebenfalls auf die Beine.

Vielleicht war das meine Möglichkeit, ihn allein anzutreffen und ihn zu fragen, wieso wir uns in zwei Wochen sehen würden. Oder aber, und das schien mir wesentlich realistischer, es wäre meine Chance, ihn eingeschüchtert anzugaffen, dabei kein Wort herauszubringen und mich dementsprechend heftig zum Affen zu machen. Aber selbst in dem Fall würde er vielleicht wenigstens ein paar Worte mit mir wechseln, was gut war. Also, bestimmt war das gut.

Ich setzte mich wieder hin.

Nein, war es nicht. Im Gegenteil war das sogar verdammt ungesund. Nur weil Alexander heute der Meinung gewesen war, mich frech von der Seite aus anquatschen zu müssen, hieß das schließlich nicht, dass ich mich auf sein Niveau hinab begeben musste. Das Gespräch vorhin reichte völlig aus. Ich brauchte nicht noch mehr davon. Nicht noch mehr von den heißen Schauern und dem Kribbeln im Bauch. Dem Flattern in der Brust. Der Watte im Kopf. Der-

Stopp!

Ich griff nach meinem Rucksack auf dem Stuhl neben mir und beförderte in auf meine Schenkel. Da saßen zwei Kerle mir gegenüber, die mussten nichts von dem Durcheinander in meinem Körper mitbekommen. Wobei allein ihre Blicke mir schon unmissverständlich zu verstehen gaben, dass ich aussah, als hätte ich aggressive Tannenzapfen im Rektum stecken.

„Was?" Ich schnitt eine Grimasse. „Noch nie wen mit 'ner Blasenentzündung gesehen?"

Jetzt hatte ich erst recht ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Keine Ahnung, was mein Stolz sich dabei gedacht hatte.

Der Linke von beiden, ein gedrungener Typ mit stachelig hochgegelten Haaren, als hätte seine Mama ihm die Frisur heute Morgen gebastelt, runzelte die Stirn. „Kriegen das nicht nur Mädchen?"

Sein Kumpel lachte über den schlecht verpackten Witz. War ja auch so lustig und originell.

Ich stand erneut auf, schwang mir meinen Rucksack dieses Mal allerdings nicht in den Schoß, sondern über die Schultern. „Das kriegen Leute, die Sex haben. Weiß ja nicht, was das über euch aussagt, wenn ihr das nicht kennt." Und dann bugsierte ich meinen jungfräulichen Arsch blitzschnell aus der Cafeteria, bevor es eskalieren konnte. Ich meine, ich war phänomenal im Provozieren. Mit Worten. Meine Fäuste hingegen waren eher ... nutzlos. Bei einer Prügelei würde ich vermutlich wie ein vereinsamter Pinguin heulen, weil jede Kollision meiner Handknöchel mit hartem Untergrund mir sehr, sehr stark Aua machen würde.

Ehrlich, ich war so eine verdammte Memme.

Seufzend wischte ich mir übers Gesicht.

Als ich vorsichtshalber nochmal hinter mich blickte, war von den zwei Kerlen keine Spur mehr, also hatte ich sie wohl nicht wirklich beleidigt. Das war optimal. Unter den Radar zu fallen, war optimal. Genauso, wie ein Toilettenbesuch gerade optimal wäre. Das Reden über bakterielle Infektionen meiner Harnableitungssysteme hatte scheinbar meine Nieren in Angst und Schrecken versetzt und damit zur Arbeit angeregt.

Ich sah wieder nach vorne und bog dann nach links ab, sprintete die Treppen in den ersten Stock hoch. Dort hatte ich immer meine Ruhe, weil die meisten einfach die Sanitäranlagen im Erdgeschoss verwendeten. Kam mir sehr gelegen, ich litt nämlich unter einer arg schüchternen Blase. Der Schließmuskel machte dicht, sobald mir jemand auch nur zuhören konnte.

Hätten zwei inkompetente Erzieher auf einer Bibelfreizeit mich mit hilflosen sechs Jahren nicht dazu gezwungen, meine Pisse einzuhalten, weil sie zu faul gewesen waren, mal für zwei Minuten den Bus anzuhalten, wäre das eventuell nicht der Fall. Stattdessen hatten sie zugelassen, dass ich mich im Beisein von siebenundzwanzig gleichaltrigen Kindern bis zu den Socken eingenässt hatte.

Verfickte Arschgeigen. Dank ihnen durfte ich jetzt mit den Langzeitfolgen kämpfen.

„Egal." Ich schob die Erinnerung beiseite und hüpfte ich die letzte Stufe hoch, lief ein paar Meter geradeaus, bevor ich die Tür mit dem männlichen Strichmännchen aufstieß und hineinlunste.

Die Luft war rein.

Erleichtert marschierte ich zu dem ganz rechten der drei vorhandenen Pissoires, das sah am saubersten aus. Gerade gut genug für meinen Penis.

Also packte ich ihn aus und war fast überrascht darüber, dass ich unterbewusst wohl doch echt dringend gemusst hatte. Da war ziemlicher Druck hinter meinem Strahl – der schlagartig versiegte, als sich hinter mir mit einem Mal quietschend die Tür öffnete.

Großartig.

Ich presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Ade, leere Blase. Und auch Ade Distanzzone. Der Wichser stellte sich nämlich ernsthaft direkt neben mich. Wer machte denn sowas?

„Sag mal, kennst du die Etikette nicht?", blaffte ich und hob den Blick, zerknirscht, bis meine Augen auf dunkelblondes Haar fielen.

Oh nein.

„Kann das Prinzesschen etwa nicht, wenn jemand zusieht?"

Warum muss es ausgerechnet Alexander sein? Hätte das Schicksal mir nicht irgendeinen Frischling schicken können, den sogar ein Schwächling wie ich im Notfall loswerden konnte?

„Bin schon fertig", stieß ich aus und machte den bösen Fehler, nach unten zu schauen. Auf seinen Schritt und die Jeans, er gemächlich öffnete. Knopf für Knopf. Darunter pechschwarze Shorts, enganliegend.

Ich glaube, ich konnte die Umrisse seines Dings erkennen.

Oh", machte ich. Meinem Verstand wurde spontan gekündigt. Fristlos und ohne Abfindung.

„Solltest du dich dann nicht anziehen?"

Anziehen?

„Wozu?" Meine Stimme klang, als würde sie am liebsten einen zweiten Stimmbruch durchmachen. Als wäre der erste nicht schon erniedrigend genug gewesen.

Alexander antwortete nicht, zog lediglich einen Mundwinkel hoch. Es dauerte einen kleinen Moment, bis mein Gehirn so nett war, mir die Fakten auf den Tisch zu klatschen und seiner guten Laune einen Grund zuzuordnen.

Ich stand immer noch neben ihm. Mit leicht über den Hintern geschobener Hose. Und meinem Penis in der Hand.

Er konnte meinen Penis sehen!

Shit!" Hastig verstaute ich meinen Kumpel in der Unterwäsche, zerrte meine Jeans hoch und mühte mich verzweifelt mit dem Reißverschluss ab, was mit zittrigen Fingern echt gar nicht mal so einfach war. Außerdem musste ich noch. Mittlerweile sogar richtig dringend, weil meine verfickte Blase nicht nur derb schüchtern war, sondern bei Stress auch noch sofort die Notfallklingel betätigte.

Wenn ich nicht schleunigst ging, würde mir ein Unfall passieren. In Anwesenheit von Alexander.

„Ich-" Meine Zunge streikte, und, aus Ermangelung an Hirnsubstanz, fuhr ich herum und flüchtete mich in die nächstbeste Kabine.

Wieso musste ich mich immer sofort überfordert fühlen, während er draußen leise vor sich hin lachen durfte? Und warum bitte meinte mein Schwanz, dass jetzt ein super Augenblick wäre, um sich aufzurichten?

Ich biss mir auf die Unterlippe.

So viel zum Thema, mich nicht zum Volltrottel zu machen. Lieber geriet ich in einen Totalausfall und präsentierte ihm meine Genitalien.

Wie dämlich konnte ein Mensch eigentlich sein? Er musste nach dieser Aktion doch sonst etwas von mir denken!

Frustriert lehnte ich meinen Hinterkopf gegen die Kabinentür.

Es war dämlich, aber abgesehen von der allgemeinen Scham, die ich Dank dieser Aktion empfand, konnte ich nicht aufhören, mich zu fragen, was er gerade gedacht haben musste, als er mich untenrum gesehen hatte. Ich meine, ihm musste sein Körper nicht peinlich sein, aber meiner? Der war nicht gemacht, um andere zu beeindrucken. Außerdem war ich beschnitten und, keine Ahnung, irgendwie hatte ich Bammel davor, dass er das komisch fand. Sah ja irgendwie auch anders aus, selbst im schlaffen Zustand, obwohl-

Ich quietschte unterdrückt, als es aus dem Nichts gegen die Kabinenwand klopfte.

„Wir sehen uns", flötete es mir von außerhalb entgegen, bevor ich das Geräusch von aufkommenden Schuhen auf den Fliesen vernehmen konnte. Dann fiel die Tür ins Schloss und ich war allein.

Thank fuck.

Ich atmete stockend ein, wartete noch einen Moment und beendete schließlich eilig die Vollstreckung meines kleinen Geschäftes, nachdem meine Ohren sichergestellt hatten, dass sich auch wirklich niemand mehr im Raum befand und mich belauschen konnte.

Beschissenes Kindheitstrauma.

Ich schüttelte ab, deponierte alles zurück an die jeweiligen Bestimmungsorte und machte mich gerade daran, aus meinem Kabuff in Richtung Ausgang zu schlurfen, als ein missmutiges Schnauben mich sehr effektiv daran hinderte.

„Möchtest du dir nicht vorher die Hände waschen?"

Langsam drehte ich mich um.

Und da stand er, an einem der zwei Waschbecken des Raumes gelehnt, die Hände in den Hosentaschen vergraben.

Er hatte mich verarscht. Hatte bloß so getan, als hätte er die Toilette verlassen. Aber wieso zum Henker? Was hatte er davon, mich beim Pinkeln zu belauschen? Ging ihm darauf einer ab? Also, jedem das Seine, aber Natursektspiele gehörten ganz bestimmt nicht zu den Dingen, die ich jemals freiwillig ausprobieren würde.

Verstört sah ich zu ihm rüber, während er auf das Becken neben ihm deutete. „Hier ist noch frei."

„Ja, das ... danke." Ich stakste zum Waschbecken und drehte den Hahn auf. Irgendwo hatte er ja recht. Es war verdammt eklig, sich danach nicht die Hände zu waschen, aber ich war mit meinen Sorgen eben woanders gewesen. Weswegen ich es auch nicht direkt merkte, als es an meiner Kehrseite plötzlich wärmer wurde.

Ein jemand hatte direkten Körperkontakt zu mir hergestellt.

„Du solltest wissen", murmelte es an meinem Ohr, ehe zwei Arme sich an meinen vorbeischlängelten, damit Finger sich zu meinen unters Wasser gesellen konnten, „dass ich entsprechende Körperhygiene für essentiell erachte."

Er wusch sich die Hände. Er wusch sich einfach mit meinem Wasser die Hände, während seine Brust meinen Rücken berührte, jede Silbe als Vibration in meinen Eingeweiden.

Mir entwich ein unterdrücktes Keuchen. Fantasien schwebten mir durch den Schädel, die ich nicht haben sollte, weil das hier bestimmt nichts anderes als Spaß für ihn war. Er wollte mich nur ärgern, mehr nicht. Und seine Drohung, mich an meinem Geburtstag zu sehen, das war doch auch bloß Nonsens. Seine Art, sich über mich lustig zu machen, weil er wusste, dass ich auf ihn stand. Sonst würde ich in den Pausen ja nicht ständig versuchen, zumindest in Sichtweite von ihm zu bleiben, wie ein kleiner, widerlicher Stalker.

Ob er sich mit seinen Freunden darüber unterhielt? Über den gruseligen Jungen, der ständig in seiner Nähe war, ohne sich zu trauen, ihn jemals anzusprechen?

Ich zuckte, als etwas Warmes, Weiches meine linke Ohrmuschel streifte. „Ich will mich nicht ekeln müssen, dich anzufassen. Verstehst du?"

Nope, ich verstand hier erstmal gar nichts.

„Ich-" Mein Hals schnürte sich zu. Da war zu viel Unsicherheit in mir, weil ein Teil von mir sich danach sehnte, dass er weitermachte, während der andere nicht eine Sekunde daran glaubte, dass das hier etwas anderes als ein mieser Scherz sein konnte. Einer auf meine Kosten.

„Dummer Junge." Nur ein Hauchen. Ein Luftzug, der mein Herz zum Stillstand brachte.

Wie armselig war ich eigentlich, dass es mich erregte, obwohl ich wusste, wie es gemeint war?

Und wenn es nicht bloß ein Spiel ist?

Ich hob den Blick, vor mir ein rechteckiger Spiegel. Alexanders Grinsen sprang mir in seiner Reflexion entgegen. „Was ... was willst du an meinem Achtzehnten von mir?"

„Mein moralisches Gewissen reinhalten." Er entfernte seine Hände. Keine Sekunde später drückten sie sich flach an meinen Rippenbogen, eiskalt und klatschnass. Keine Ahnung, wieso ich enttäuscht war, als er den Stoff nicht packte, ihn mir über den Kopf zog und mich über das Waschbecken beugte, um mir-

„Ich verführe keine kleinen Bengel." Er summte leise und bewegte seine Finger über meinen Bauch. Quälend langsam und nicht tief oder hoch genug. Alles war nicht genug und gleichzeitig viel, viel zu viel.

Ich sollte das nicht zulassen, ich sollte mich selbst schützen. Wie nach meiner Voyeurismus-Aktion auch.

„Vielen Dank." Er formte eine Faust, zerknüllte mein Hemd in ihr. Es rutschte leicht aus dem Bund meiner Hose heraus. „Die Papierhandtücher sind immer so unangenehm an meiner Haut."

Es dauerte, bis die Worte bei mir ankamen. So lange, dass er den Raum dieses Mal tatsächlich verlassen hatte, bevor mir klar wurde, dass er mich bloß angefasst hatte, um sich die Flossen abzutrocknen. Nicht, um mir näherzukommen.

Ich ließ den Kopf hängen und fasste mir ans durchnässte Hemd.

Mein Herz explodierte in meiner Brust.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top