Warum man nicht mit Hausschuhen werfen sollte
Meine Mutter war ein einziger, riesiger Widerspruch an sich. Während der Scheidung meiner Eltern hatte ich mitbekommen, wie sie sich darüber gestritten hatten, dass mein Vater nicht Mann genug war. Oder mit anderen Worten: Er hatte nicht zugestimmt, der alleinige Brotverdiener im Haushalt zu sein, bloß weil meine Mutter plötzlich Lust darauf bekommen hatte – gleichzeitig war sie aber auch eine Karrierefrau und würde jeden umbringen, der sie daran hinderte, Geld zu scheffeln. Keine Ahnung, was bei ihr schieflief. Vielleicht war es ihr nur ums Prinzip gegangen, aber es zeigte mir eine Sache ganz deutlich:
Ich durfte ihr auf keinen Fall stecken, dass ich schwul war. Denn das wäre für sie ja wohl die Personifikation von nicht Mann genug. Oder aber sie fand es geil, dass die Familie meines Freundes – meines Freundes! – stinkreich war. Trotzdem würde ich das Risiko nicht eingehen.
Bloß machte Alexander mir das ein bisschen schwer. Um sechs Uhr morgens.
„Äh", machte ich. „Was tust du hier?"
„Wir waren doch verabredet." Alexander grinste mich an, als wäre das Erklärung genug – was es vielleicht auch wäre, würde er nicht erneut mit meiner Mutter Kaffee trinken! Fand er sie so toll, dass die beiden sich ständig unterhalten mussten, oder was?
Ich versuchte mich an einem Lächeln, das vermutlich eher danach aussah, als hätte ich wieder rektalen Besuch von aggressiven Tannenzapfen bekommen. „Und wieso trinkst du Kaffee mit meiner Mutter?"
„Oh", er legte einen Arm auf der Rückenlehne der Couch ab, auf der er ihr gegenüber saß, „ich dachte, ich plaudere ein bisschen mit meiner Schwie-"
Ich hatte noch meinen Pyjama an. Eigentlich würde ich mich dafür schämen, weil meine Pyjamas im Allgemeinen immer aus einem T-Shirt und einer meiner emotional-support-Shorts bestanden – dieses Mal waren sie getigert! –, aber fürs Schämen war gerade keine Zeit, weil ich frisch nach dem Aufstehen nie Socken trug und ergo deswegen Pantoffeln, um Blasenentzündungen vorzubeugen. Und ebendiese Pantoffeln musste ich jetzt benutzen, um mein Leben zu retten.
Indem ich sie Alexander nacheinander an den Hinterkopf pfefferte. Und ihm durch die Kettenreaktion von Hausschuhe-an-den-Hinterkopf und überraschtes-Zusammenfahren-seines-Körpers-durch-Hausschuhe-an-den-Hinterkopf brütend heißen Kaffee über den Schoß verteilte.
Dieser Ausgang war irgendwie nicht Teil meiner Gleichung gewesen.
„Jonah, was fällt dir ein?!" Meine Mutter sprang auf, beinahe überstürzt, aber Alexander hob bloß die rechte Hand, stellte mit der linken seine Tasse ab und erhob sich.
„Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn ich kurz Ihr Bad benutzen könnte, Frau Sizaire", sagte er so ruhig und besonnen, als würde ihm kein brütend heißer Kaffee durch die Hose auf die Oberschenkel sickern.
Bloß hatte ich keine Ahnung, ob Ruhe in dieser Situation eine gute Sache war.
Ich räusperte mich. „Ähm, das-"
Mama unterbrach mich mit einer Welle von Natürlichs in Alexanders Richtung, bevor sie zu mir herumfuhr: „Worauf wartest du noch? Zeig ihm sofort, wo sich das Bad befindet!"
Lieber nicht. Ich wollte wirklich lieber nicht mit ihm alleine sein. Ich meine, das letzte Mal, als ich ihn aus Versehen verletzt hatte, hatte er mich plötzlich halbnackt durch sein Haus gejagt, um mich anschließend zu einer ausgewachsenen Rummach-Session zu zwingen, und eine Wiederholung davon wäre im Beisein meiner Mutter eine echt miserable Idee.
Eine andere Wahl hatte ich allerdings auch nicht, weswegen ich mich keine Minute später im ersten Stock vor dem großen „Familienbad" wiederfand, wie mein Vater es genannt hatte, als wir noch eine Familie gewesen waren. Mittlerweile nutzte meine Mutter nur noch ihr En-Suite-Bad und ich hatte das große hier ganz für mich. Mit anderen Worten war es jetzt also das offizielle Jonah-Badezimmer.
„Bring mir bitte Backpulver." Alexander war immer noch erschreckend gelassen, als er die Tür zum Bad aufstieß, direkt das Waschbecken ansteuerte, den Stöpsel nach unten drückte und Wasser einlaufen ließ – alles, während er sich gleichzeitig schon mit einem Stück Klopapier die Überreste seines ehemaligen Kaffees von der Hose tupfte, die laut meiner Mutter bestimmt auch mehr kostete als meine Existenz.
Ich war ein klitzekleines bisschen nervös. „Uh", machte ich. „Wir haben kein Backpulver da." Immerhin backte niemand in unseren Haushalt, wozu also auch?
„Hm." Er hielt kurz inne – und öffnete dann den Knopf am Bund seiner Hose. Seinen Reißverschluss. „Dann Geschirrspülmittel."
Ich erhaschte einen Blick auf dunkelblaue Boxershorts. „Du ... ziehst dich aus."
„Stell dir vor", Schnaufen, „wenn ich zuhause meine Kleidung in die Waschmaschine werfe, ziehe ich sie in der Regel auch vorher aus und gehe nicht mit rein."
Ah.
Ich spürte Blut in meinen Ohrenspitzen. „Ich bin nicht blöd! Ich meinte nur, dass ... dass du kaltes Wasser auf deine Beine machen solltest, damit du dort keine Verbrennungen bekommst."
„Das-"
Aber ich ließ ihn nicht ausreden, ich hatte einen Standpunkt klarzumachen. Also stapfte ich auf ihn zu, packte nebenher einen Waschlappen aus einem der Schränke, drehte den Wasserhahn auf eiskalt, hielt den Stofffetzen darunter, drehte das Wasser wieder ab und machte mich ans Werk – sprich, ich packte die zwei auseinanderklaffenden Enden seiner Hose, riss sie ihm von den Hüften und klatschte ihm schließlich den komplett nassen Waschlappen genau auf den Schritt.
Zielen war definitiv nicht meine Stärke.
„Das", Alexander schien doch tatsächlich für einen Moment überrumpelt, „wäre nicht nötig gewesen. Der Kaffee war nur lauwarm."
Hieß das, ich machte mich hier gerade völlig umsonst zum Affen?
Ich schürzte die Lippen. Und drückte weiterhin den Lappen auf sein Ding. „Ah", machte ich dabei. „Das wusste ich nicht."
Er nickte. „Ich bin mir nicht sicher, ob es mich erregen soll, dass deine Hand genau auf meinem Schwanz liegt, oder nicht, weil's langsam ein bisschen kühl da unten wird."
Es erregt ihn, wenn meine Hand auf seinem Schwanz liegt.
Ich schauderte, senkte den Blick-
-und ließ den Lappen fallen, um meine Hand gleich danach flach gegen ihn zu pressen. Um herauszufinden, ob es stimmte. Ob er tatsächlich erregt war oder es nur so daher gesagt hatte.
Die Wahrheit war ernüchternd. „Lügner!", zischte ich. „Du hast gar keinen Ständer!"
Tja, jedenfalls hatte er für zwei Sekunden keinen, dann kam Leben in seinen Unterleib und ich umklammerte seinen sehr wohl steifen Penis. Was irgendwie komisch war, weil ich bis letzte Woche ausschließlich mit meiner eigenen Hand herumgeherzelt und mit einem Mal über ein Wochenende hinweg meinen ersten Kuss ergattert, mich vor einem anderen Kerl nackt ausgezogen und mir denselben Kerl sogar als festen Freund geangelt hatte. „Wenn mein Urologe mich das nächste Mal fragt, ob ich sexuell aktiv bin, kann ich endlich mit Ja antworten."
Raues Lachen antwortete mir. „Ehrlich, Jonah? Alles, woran ich momentan denken kann, ist, was ich gerade am liebsten mit dir anstellen würde, und du denkst an deinen Urologen?"
Was ich gerade am liebsten mit dir anstellen würde. Damit meinte er niederträchtige Urinstinkt-Sachen wie Hand- und Blowjobs, oder? Dann stellte er sich vor, wie ich vor ihm kniete, mit meinem Mund um seinen-
„Ah." Hastig riss ich meine Hand wieder fort, zerrte seine Hose hoch, damit der Anblick seiner Ausbuchtung mich nicht länger hypnotisieren konnte, und stolperte nach hinten weg. „Der Fleck ... wenn der eintrocknet, kriegst du ihn nie wieder raus."
„Dann muss ich mir wohl eine neue Hose kaufen." Der eben noch entstandene Abstand schwand, wurde durch Alexanders Körper ersetzt, der mich immer weiter zurückdrängte, bis mein Rücken mit einem dumpfen Geräusch gegen die Tür krachte.
Ich war gefangen.
„Ich", ich tastete hinter mich nach der Türklinke, „bin noch von Samstag vollkommen befriedigt. Ein Orgasmus pro Woche reicht!"
„Ja?" Sein Knie schob sich zwischen meine Beine, drückte sie auseinander. „Wie praktisch, dass heute eine neue Woche begonnen hat."
Oh Shit.
Ich fand die Türklinke, vergaß aber, was ich von ihr wollte, als seine Finger sich grob in meinen Unterkiefer gruben und mein Kinn anhoben.
„Hübsche Shorts übrigens."
Mein Herz setzte aus. „Die gab es im Sonderangebot bei Amazon. Im Fünferpack."
„Zebra und Tiger kenne ich schon." Er beugte sich zu mir runter, stupste seine Nase gegen meine. „Welche gibt's denn noch zur Auswahl?"
Er roch nach Zahnpasta und seinem billigen Discounter-Männershampoo für Haare, Gesicht, Körper, Seele, Auto, Teppich und Fußböden. Mir wurde ein bisschen schwindelig davon. „Leopard, Krokodil und Giraffe."
„Mh." Er gab ein seltsam zustimmendes Geräusch von sich. „Ziehst du morgen für mich die mit dem Krokodilmuster an?"
Warum küsste er mich nicht? Er war so nah, sein Mund direkt über meinem – er müsste sich nur noch ein paar Zentimeter gegen mich bewegen und wir würden uns küssen. So wie nach dem Frühstück mit Jaroslav.
Gegen meinen Willen rutschte meine Hand von der Klinke und in sein Hemd, krallte sich in dem schneeweißen Stoff fest, als müsste ich mich an ihm festhalten, um meine Wackelpudding-Knochen aufrechtzuhalten. „Was kriege ich dafür, wenn ich sie morgen anziehe?"
„Schlag was vor." Er neigte den Kopf, berührte mit den Lippen meine linke Wange, hauchzart wie eine Einbildung.
Fuck!
Ich keuchte und zeitgleich zuckte mein Becken vor, beförderte meinen Intimbereich gegen seinen Oberschenkel, verwandelte mein Keuchen in Wimmern. „Deinen ... deinen Mund. Ich will deinen Mund."
„Ha." Ich spürte ihn Schmunzeln, spürte seinen Atem über meine Haut kitzeln. „Dafür, dass du mich sonst schon zurechtweist, wenn ich dich bloß küssen oder mit dir kuscheln will, ist das gerade erstaunlich dreist. Aber wer bin ich, mich darüber zu beschweren?"
Ich meine, ja klar, ich machte generell immer Theater, wenn er mir auch nur auf fünf Metern zu nahe kam, aber war es ernsthaft dreist, ihn nach einem Kuss zu fragen? Oder wusste er, dass ich einen mit Zunge wollte? War es das, was er dreist fand? Er, der sich allgemein nicht viel draus machte, Jungfrauen – sprich Julius – zu vögeln und sie dann linksliegenzulassen? Das ergab keinen Sinn. Vor allem nicht in Anbetracht der Tatsache, dass wir jetzt schon zweimal miteinander rumgeknutscht hatten und uns in einer Beziehung miteinander befanden. Da durfte man ja wohl nach einem Zungenkuss verlangen! Das war völlig okay. Das war-
Halt, warum fiel er vor mir auf die Knie? Warum kniete er sich bitte hin?
„Ähm ...?" Meine Stimme schnellte ungefähr zwanzig Oktaven höher. „Was tust du da?"
Er schaute zu mir auf, grinsend und viel zu selbstbewusst für jemanden, der momentan zu meinen Füßen hockte. Da sollte man doch eigentlich devot aussehen, aber trotzdem war ich derjenige, der sich unterjocht vorkam.
Was stimmte nicht mit mir?
„Meinen Teil des Deals erfüllen." Er glitt mit einer Hand unter mein T-Shirt, zeichnete die Stellen nach, an denen sich Muskeln befinden würden, hätte ich welche. „Ich benutze meinen Mund."
Das war definitiv nicht, was ich verlangt hatte!
„Aber-" Meine letzte Dusche war acht Stunden her und die letzte Rasur zwei Tage. Was war, wenn ich da unten roch? Ich hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis man anfing, dort zu stinken. Und waren minimale Stoppeln in Ordnung oder musste man immer komplett glattrasiert sein? Himmel, woher wusste andere, was okay war und was nicht? Und wieso wusste ich das nicht?
„Mh?" Ich bekam meinen Kuss – allerdings unterhalb meines Bauchnabels und nicht auf meine Lippen. Es fühlte sich an, als hätte ich eine Gabel in die Steckdose im Wohnzimmer gefriemelt, aber ohne die lebensgefährlichen Folgen, wenn man mal von den Herzrhythmusstörungen absah, die er damit auslöste.
„Alex!" Ich konnte meine Hände nicht mehr steuern, merkte erst, was ich tat, als meine Finger sich schon längst in seinen Haaren vergraben und sein Gesicht gegen meinen Bauch gedrückt hatten. „Nochmal! Küss mich nochmal dort!"
„Dort oder ... woanders?"
Totalausfall.
Ich stieß ein verzweifeltes Jammern aus, kratzte über seine Kopfhaut und wusste nicht, was ich wollte, wusste nicht, ob mein Körper auf Befriedigung aus war oder auf die Momente, die es dauerte, bis ich zu meiner Befriedigung kam.
Ob ich nicht viel lieber wollte, dass er mich weiter quälte.
„Nein." Ich rollte die Zehen ein, zerrte seinen Kopf von mir weg und starrte hilflos zu ihm runter. „Nicht."
„Nicht?" Er schien sich nichts daraus zu machen, dass ich an seinen Haaren herumzog wie der unzurechnungsfähige Idiot, der ich war.
Ich biss mir auf die Unterlippe, schüttelte den Kopf. Die Worte lagen mir auf der Zunge, aber ich konnte sie nicht aussprechen. Ich wusste nicht, wie ich erklären sollte, dass der Gedanke daran, nicht zu bekommen, was ich brauchte, mich irgendwie mehr um den Verstand brachte als ein Höhepunkt es könnte.
„Was ist es dann, was du möchtest?"
Ich rupfte nochmal an seinen Haaren, verzweifelt. „Ich will ... nicht kommen?"
Keinen Dunst, was ich nach dieser Offenbarung erwartet hatte – und es war auch egal, weil in dem Moment ausgerechnet meine Mutter gegen die Badezimmertür in meinen Rücken klopfte. Ich spürte die Vibrationen an meiner Wirbelsäule.
„Ist bei Ihnen alles in Ordnung, Herr Jekyll?"
Es war, als würde Alexanders komplette, immer amüsierte Persönlichkeit einmal quer verrutschen und dahinter ans Tageslicht kommen, was tatsächlich in ihm vorherrschte – und das war scheinbar pure Abscheu, gemessen an seinem angewiderten Gesichtsausdruck. „Es ist alles in bester Ordnung. Danke der Nachfrage." Sogar seine Stimme strahlte Abscheu aus und sie klang so eiskalt wie das Wasser, das ich ihm vor ein paar Minuten noch auf den Penis geklatscht hatte.
„Benötigen Sie Hilfe?"
Warum ging sie nicht einfach weg? Mich fragte sie nie, ob ich mal Unterstützung bei etwas brauchte, da konnte sie es bei Alexander doch gefälligst auch sein lassen! Vor allem, wenn er sich derart genervt anhörte und wir eben dabei gewesen waren, die Abgründe meiner erotischen Fantasien zu erforschen!
Vermutlich rochen Eltern es, wann man sie gerade absolut nicht gebrauchen konnte!
Alexander teilte meine Meinung. Ich hörte ihn ungeduldig mit der Zunge schnalzen, bevor er meinen Griff in sein Haar und seinen um mein Kinn löste, zurück auf die Füße kam, Reißverschluss und Knopf seiner Hose wieder schloss und hinter mich griff, um die Tür aufzuziehen – aber dann schien er sich nochmal umzuentscheiden. Und es war verdammt gruselig, den Prozess mitzuerleben, weil alles an negativen Gefühlen mit einem Fingerschnippen aus seinem Gesicht verschwand. Das Lächeln, das er aufsetzte, erreichte selbst seine Augen!
„Vielen Dank für das Angebot", begann er, während er die Tür aufzog – glücklicherweise so, dass man mich und meine außer Kontrolle geratene Libido nicht sehen konnte – und nach draußen trat. „Aber die Hose muss leider in die Reinigung."
„Ich verstehe. Die Kosten werden selbstredend-"
„Bitte, keine Umstände." Er schnitt ihr mitten in den Satz – hätte ich sie unterbrochen, gäbe es kein Morgen mehr – und klickte die Badezimmertür hinter sich ins Schloss. „Mir macht das nichts aus."
„Jonahs Verhalten war trotzdem unmöglich." Meine Mutter räusperte sich. „Und ich werde dafür Sorge tragen, dass er die volle Verantwortung für diesen Fehltritt übernimmt."
Na toll, das hieß Hausarrest für fünfundzwanzig Wochen oder mehr.
Frustriert lehnte ich meine Stirn an das Holz, als erneut Alexanders Stimme ertönte. Oder vielmehr sein Lachen.
„Wir sind miteinander befreundet, Frau Sizaire. Ich habe Ihrem Sohn schon weitaus schlimmere Dinge angetan, als ihm nur Latschen an den Kopf zu schmeißen."
Wäre meine Mutter nichts absolut ahnungslos, hätte ich ihm für diesen Satz am liebsten den Schädel eingeschlagen ... weil er stimmte. Er hatte weitaus schlimmere Dinge mit mir angestellt! Ganz, ganz schlimme Dinge in ganz, ganz tiefen Körperregionen.
„So lernt er bloß, dass er mit solchen Sachen durchkommt." Sie seufzte, als wäre ich ihr zu anstrengend. Kompletter Schwachsinn, sie bekam mich ja kaum zu Gesicht, weil sie immer nur arbeiten war. „Er wird sich sofort bei Ihnen entschuldigen."
Oh-oh.
Ich nahm meine Stirn von der Tür.
Sie hatte jetzt aber nicht vor, nach mir zu suchen, oder? In meinem absolut leeren Zimmer, was sie unweigerlich dazu bringen würde, hier drin nach mir zu schauen? Außer ich könnte es zwischen ihren einzelnen Suchgängen schaffen, mich in ein anderes Zimmer zu flüchten und dort irgendwie passabel herzurichten, aber dafür-
„War er mit Ihnen im Bad?"
Oh Gott, oh Gott, oh Gott, oh fuck!
Ich war am Arsch, sowas von am Arsch! Was gab es Eindeutigeres als meine hochroten Wangen und den monströsen Ständer in meinen Shorts, der leider so gar nicht von meinem T-Shirt bedeckt wurde? Und das, obwohl ich gar nicht mehr erregt war. Ich meine, wie sollte ich auch erregt sein, wenn ich Gefahr lief, erwischt zu werden? Das war schließlich nicht aufregend, sondern ...
Ich stockte, blinzelte runter zu meinem Schritt.
Ne, Moment, ich fand das tatsächlich aufregend.
Was ging denn jetzt ab?
„Nein, er wollte sich in seinem Schlafzimmer für die Uni zurechtmachen." Alexander trommelte mehrmals gegen die Tür. „Mir würde als Entschuldigung übrigens schon eine neue Tasse Kaffee reichen. Dann können wir auch das Gespräch von eben fortsetzen."
... war das gerade eine supernette, total aufmerksame Hilfestellung seinerseits, damit meine Mutter nichts über uns herausfand, oder eine Drohung, dass ich mich gleich lieber mit meiner Morgenroutine beeilen sollte, weil er sich sonst mit ihr unterhalten würde? Unterhalten im Sinne von Outen?
Nur dass mir keine Möglichkeit blieb, ihn zu fragen. Es gab noch ein letztes, sachtes Klopfen gegen die Tür, gleich danach das Tappen von zwei Paar Füßen, über den Flur hinweg und die Treppen hinab. Und kaum hatten sie die letzte Stufe passiert, stürmte ich aus meinem Versteck und ruckzuck in mein Schlafzimmer.
Ab jetzt zählte jede Sekunde!
„Da bist du ja wieder." Alexander saß genauso da wie zuvor auch, mit einem Arm über der Couchlehne, an den Knöcheln gekreuzten Beinen, furchteinflößend echtem Fake-Lächeln und einer – zum Glück vor einer Viertelstunde nicht – dampfenden Tasse Kaffee in der linken Hand. „Gerade pünktlich, um deiner Mutter mit mir zusammen die guten Neuigkeiten zu verkünden."
Die guten Neuigkeiten. Hatte er ernsthaft vor, dort weiterzumachen, wo meine Hausschuhe ihn zum Stehenbleiben genötigt hatten?
Wenn ich ihn dieses Mal mit etwas bewarf, war es mir egal, ob er sich die Hoden verkohlte und wir aus Spiegeleiern hart gekochte machen würden. Das verdiente er dann! Was halt nur nichts daran änderte, dass mir trotzdem spontan mein Herz samt Verdauungstrakt in die Fußzehen rutschte. „Alex-"
„Gute Neuigkeiten?" Meine Mutter sah zu mir. „Was für gute Neuigkeiten?"
Alexanders Lächeln wurde breiter, schwappte flüssig ins Grinsen-Territorium über. „Möchtest du es ihr sagen oder soll ich das übernehmen, Jonah?"
Das konnte er mir nicht antun!
Meine Stimme erinnerte an das Quietschen eines toten Hamsters. „Es gibt gar keine guten Neuigkeiten! Überhaupt keine! Alex meinte nur, dass ... also ..."
„Nur nicht so bescheiden." Er stellte seine Kaffeetasse auf unserem niedrigen Glastisch ab und lehnte sich zu meiner Mutter vor, hatte sofort ihre Aufmerksamkeit zurückgewonnen – während mir kotzübel wurde.
Entweder würde ich gleich enterbt werden oder als ihr Sohn in der Nützlichkeitsspalte eine Stufe nach oben wandern. Oder mit anderen Worten: Alles oder nichts.
„Wie Sie wissen", er wischte einmal quer mit der linken Hand durch die Luft, als wüsste tatsächlich jeder, was er behauptete, dass jeder wissen müsste, „vergibt mein Vater jedes Jahr Internships für einige ausgewählte Studenten. Gestern Abend hat er mich angerufen, um zu fragen, ob ich zufällig irgendwelche dieser Studenten kenne und mein Votum abgeben möchte."
Das ... war nicht, was ich erwartet hatte. Was ich befürchtet hatte. Allerdings wusste ich beim besten Willen nicht, was das gerade sollte. Ich meine, was interessierten mich irgendwelche Studenten, die versuchten, seinem Vater und damit auch seiner Firma in den Arsch zu kriechen? Ich war kein Arschkriecher – ich war derjenige, der gerne etwas in den Arsch geschoben bekommen würde. Sobald meine Panik davor nachließ, versteht sich.
„Ach so?" Meine Mutter setzte sich aufrechter hin, schien irgendetwas aus Alexanders Monolog herauszuhören, das ich nicht heraushören konnte. „Und einer dieser Studenten ...?"
„Ist Ihr Sohn." Er wandte sich mir zu. „Und weil ich das Gefühl habe, dass wir beide ganz wunderbar miteinander zurechtkommen", hoffentlich gehörte dieses seltsame Blitzen in seinen Augen auch nur zum Fake-Lächeln dazu und hatte keine andere Bedeutung, „war ich so frei und habe ein gutes Wort für ihn eingelegt. Als Resultat wird er die kommenden Semesterferien in der Schweiz im Hauptfirmensitz von CeuticalPharm verbringen. Die Kosten für Flug, Aufenthalt und Verpflegung werden selbstverständlich von meiner Familie getragen."
Einen Moment lang war meine Mutter sprachlos – mehr noch als ich! – und dann sah sie mich an. Es war das allererste Mal, dass ich absolute Zufriedenheit in ihrem Gesicht lesen konnte. Zufriedenheit oder sogar schon Stolz.
Es fühlte sich nicht richtig an, dass sie so schaute, weil Alexander irgendwelche Märchen über mich zum Besten gab.
„Du hast gar nicht erwähnt, dass du dich für dieses Praktikum beworben hast", meinte sie und lächelte mich an. Sie lächelte mich an!
Ich wandte den Blick ab, starrte auf meine Füße.
Warum hatte sie nicht gelächelt, als ich mein Abitur mit einem Schnitt von Eins-Komma-Zwei abgeschlossen oder die Aufnahmeprüfung der Uni mit Bravour bestanden hatte? Aber kaum ging es um Geld und Kontakte konnte sie mich anlächeln, als wäre sie ernsthaft froh darüber, mich geboren zu haben.
„Eine letzte Sache noch." Alexander erhob sich, kam auf mich zu. „Mein Vater bat mich, dir auszurichten, dass er dieses Wochenende für alle zukünftigen Praktikanten ein Treffen veranstaltet, um euch persönlich kennenzulernen. Es findet ein wenig außerhalb statt – die Hotels sind bereits gebucht, ihr müsstest euch also lediglich um die Anreise kümmern. Allerdings", die nächsten Worte kamen schleppend, wie vor ein paar Tagen, als er wegen seiner Feier gelogen hatte, „fahre ich ebenfalls dorthin, um die Gelegenheit zu nutzen, meinen Vater wiederzusehen, heißt, ich könnte dich einfach mitnehmen. Aber natürlich nur", er blieb dicht vor mir stehen, „wenn du mich auch begleiten möchtest."
Ich konnte ihm nicht folgen – meine Gedanken hingen immer noch irgendwo zwischen Wut und Verwirrung fest, aber meine Mutter antwortete für mich, von daher war es sowieso egal, was ich zu sagen hatte: „Selbstverständlich möchte er Sie begleiten. Nicht wahr, Jonah?"
Ich presste meine Lippen zusammen. Es schmerzte, und zwar nicht körperlich. „Ja, möchte ich."
„Perfekt. Dann werde ich am Freitag direkt nach meiner letzten Vorlesung hier vorbeikommen." Er legte den Kopf schief, sichtlich begeistert von dem Outcome seiner Showeinlage. Was auch immer der Nutzen hinter ihr war. „Soll ich dich gleich zur Uni mitnehmen, wenn ich eh schon hier bin?"
„Mir egal." Ich zuckte mit den Schultern, aber er schien es als Zustimmung zu interpretieren, weil ich keine zwei Minuten später in seinem Auto saß. Auf der Rückbank. Schweigend. Und mit verschränkten Armen.
Alexander betrachtete mich einige Momente lang durch seinen Rückspiegel und ich erwartete schon einen blöden Kommentar darüber, dass ich wieder nicht neben ihm Platz genommen hatte, als er sich umwandte, mit erstaunlich ernster Miene. „Es tut mir leid, dass ich dich fast geoutet habe. Ich bin davon ausgegangen, dass deine Mutter Bescheid weiß."
Er entschuldigte sich – war er der Meinung, das reichte mir, um ihm zu verzeihen?
Ich schob die Unterlippe vor. „Dann solltest du vielleicht weniger von Dingen ausgehen, von denen du keine Ahnung hast. Außerdem", ich zeigte anklagend auf ihn, „was sollte der Scheiß mit dem Praktikum? Ich habe kein Interesse an einem bescheuerten Praktikum bei deinem bescheuerten Vater. Meine Semesterferien sind schon vollständig mit faul-Sein verplant!"
„Oh, ich dachte einfach, diese kleine Lüge wäre eine wundervolle Art, dir zweieinhalb Monate Freiheit von deiner Mutter zu erkämpfen." Er zog die Mundwinkel hoch. „Du kannst dir schonmal Gedanken darüber machen, wo du in dieser Zeit gerne Urlaub machen möchtest."
„Stopp mal!" Ich schnappte nach Luft. „Du hast das getan, damit wir beide zusammen Urlaub machen können? Du und ich? In den kommenden Semesterferien?"
„Mhm." Ein letztes Grinsen, bevor er sich abwandte und den Motor startete – und mich absolut überfordert zurückließ. Ich meine Urlaub? Wir waren seit zwei Tagen zusammen, da plante man doch noch keine Urlaube!
... oder war Urlaub ein Synonym für Sex? Wollte er mich an einen romantischen Ort entführen, um mich in Stimmung zu bringen und mir anschließend meine Unschuld zu rauben?
Wie hinterlistig!
Ich quetschte meine Hände unter meine Oberschenkel und hüstelte. „Und dieses Wochenende? Wofür war die Lüge?"
„Das war keine Lüge." Er setzte den Blinker nach rechts. „Jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Ich will dich wirklich meinem Vater vorstellen – und auch meiner Mutter und meiner Schwester."
„Achso." Ich nickte – und verschluckte mich gleich darauf an meiner eigenen Spucke. „Warte, was? Warum willst du mich deiner Familie vorstellen? Hier stellt niemand irgendwen seiner Familie vor!"
„Zu spät." Er lenkte um die Kurve und warf mir einen überaus mit sich selbst zufriedenen Blick durch den Rückspiegel zu. „Ich habe uns bereits angekündigt."
Das war ein Scherz, oder? Oder?
„Aber-"
„Und sie brennen schon darauf, dich endlich kennenzulernen."
Also kein Scherz. Ich fasste mir an die Stirn, einer stressinduzierten Ohnmacht nahe.
Das ging mir alles definitiv zu schnell!
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