Warum man keinen Sex haben sollte (Teil I)


Teil II kommt irgendwann, wenn ich mit meinem Mittagsschlaf fertig bin.


Ich stand einfach nur herum, mit einem dunkelgrauen Handtuch in den Händen, und starrte in den runden Spiegel über dem Waschbecken des Badezimmers, das direkt an Alexanders Schlafzimmer anschloss, mit einer unscheinbaren Milchglastür neben seinem Porno-Kleiderschrank als Verbindungselement.

Mein Spiegelbild darin sah definitiv nicht danach aus, als würde sich ihm bald eine monatelange Sehnsucht erfüllen, es sah aus, als müsste es für eine Wurzelbehandlung zum Zahnarzt. Ohne Betäubung, dafür aber mit leeren Spritzen, die einem nur so zum Spaß reingedonnert wurden.

Scheiße.

Langsam legte ich das Handtuch am Waschbeckenrand ab und blickte zur Dusche rüber. Sie war ebenerdig mit dieser künstlicher-Regen-Brause, die mich unter anderen Umständen zum Schmelzen gebracht hatte, mir jetzt aber bloß noch mehr Panik in die Knochen pflanzte. Weil wir Sex haben würden, sobald ich fertig war mit Duschen. In vielleicht einer Viertelstunde, nicht mehr, immerhin war ich schon rasiert, in weiser Voraussicht, von der ich niemals gedacht hätte, dass sie jemals wahr werden würde.

Ich war noch nicht so weit. Ich war noch nicht bereit dazu, meine Jungfräulichkeit zu verlieren.

Bloß dass es dafür jetzt ein bisschen zu spät war.

Ich atmete laut aus und öffnete die gläsernen Türen der Kabine. Sie waren frei von Schlieren, fast ohne Flecken getrockneten Wassers, als hätte jemand heute Mittag nochmal einen Großputz veranstaltet – der Rest des Zimmers sah nämlich ähnlich penibel aus. Der Wasserhahn der Badewanne am anderen Ende schimmerte, das Waschbecken reflektierte gefühlt genauso gut wie der Spiegel darüber und die durchsichtigen Scheiben der zwei deckenhohen Schränke an der Wand, die an Alexanders Zimmer grenzte, waren eben das: komplett durchsichtig, ohne jegliche Fingerabdrücke. Sogar innendrin waren sie aufgeräumt. Shampoos, Seifen, Rasierer, Aftershaves, alles ordentlich aufgereiht, mit je mindestens vier vorrätigen Ersatzstücken.

Er sollte sich unbedingt mal eine Neurose diagnostizieren lassen.

Ich versuchte, meine Gedanken weiter auf solche Nebensächlichkeiten zu lenken, während ich mir meine Klamotten vom Körper streifte, Schicht für Schicht, bis ich splitterfasernackt vor und schließlich in der Dusche stand.

Gleich würde ich splitterfasernackt vor Alexander stehen.

„Nicht daran denken." Einen ewig-kurzen Moment lang kniff ich die Augen zusammen, dann drehte ich den Hahn auf und wartete, bis das Wasser warm wurde. Meinetwegen hätte das auch erst morgen der Fall sein können, aber keine ganze Minute später hatte es schon eine annehmbare Temperatur erreicht.

Nur arg widerwillig bewegte ich mich unter den – zugegeben, übertrieben zarten – Strahl und starrte auf ein in die Wand eingelassenes Rechteck, in dem genau ein Shampoo und ein Duschgel standen.

Ich grapschte mir ersteres und schnupperte probeweise daran. Es roch nach Mann, wie irgendwie alle Pflegeprodukte für unsereins, egal, ob von Markenherstellern oder No-Name-Brands. Trotzdem war es etwas befremdlich, gerade ein einfaches Shampoo aus einem Drogeriemarkt in der Hand zu halten. Dabei duftete er doch immer so teuer. Oder lag das eher daran, dass man erwartete, er würde teuer duften?

„Hm." Ich quetschte einen Klecks auf meine linke Hand und schäumte mir sehr, sehr ausgiebig die Haare ein, dachte dabei an alles Mögliche, nur nicht daran, wer nach seiner eigenen Dusche drüben auf mich warten würde. In seinem Bett. Ebenfalls nackt.

Mir kam ein bisschen Kotze hoch, also lenkte ich mich damit ab, mir wie ein Wahnsinniger das Shampoo aus den Zotteln zu spülen und mir dann auf ähnlich panische Art den Körper zu schrubben, bis mir von Kopf bis Fuß jeder Zentimeter Haut brannte. Und dann – dann kam der Teil, der tatsächliche Übelkeit hervorrief.

Mein Hintern. Also nicht, weil er so furchtbar ekelerregend war, aber das Wissen darum, was gleich mit ihm passieren würde, machte mich wahnsinnig. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht, Alexander ausgerechnet danach zu fragen? Hätte es ein Hand- oder Blowjob nicht auch getan?

Ich würgte. Mein Körper war sauber und ich hatte absolut keinen Grund mehr, noch länger unter der Dusche zu stehen. Ich tat es dennoch, wenigstens für fünf weitere Minuten, bevor ich mich in mein bereitgelegtes Handtuch wickelte, mit tropfenden Haaren und zitternden Händen.

Wenn ich Alexander jetzt eine Abfuhr erteilte, worauf müsste ich mich dann einstellen? Dass er mich einfach nur rauswarf und fortan ignorierte, oder dass jeder in der Uni davon erfuhr? Wobei, damit würde er eher sich selbst in Mitleidenschaft ziehen, weil jemand auf die Art ausnahmsweise mal ihn auf dem Trockenen sitzengelassen hätte.

Oder ich zog es einfach durch. Biss die Zähne zusammen und hielt es aus. Es würde noch etliche Male Sex in meinem Leben geben, was war da schon ein verhunztes erstes Mal? Und vielleicht wurde es ja trotz meiner Panikmache gut, immerhin hatte er Erfahrung, das konnte meine Unerfahrenheit bestimmt super ausgleichen.

Außer du verkrampfst dich und er reißt dir deswegen den Arsch bis zum Steißbein auf.

Ich krallte mich in mein Handtuch, zog es enger um mich herum zusammen.

Warum hatte ich plötzlich solche Angst? Seit einem halben Jahr stellte ich mir vor, wie er es mir im Geräteschuppen der Uni besorgte oder auf den Toiletten oder auf einem Dozentenpult in einem leeren Seminarraum, aber jetzt, wo ich sogar ein Bett und Privatsphäre hätte, machte ich dicht? Was war nur los mit mir?

Ich wollte gerade noch weiter in Selbstmitleid versinken, als sachtes Rascheln auf der anderen Seite der Badezimmertür mich aufschrecken ließ.

Alexander war auch mit Duschen fertig.

„Okay, krieg dich ein. Krieg dich ein, du schaffst das. Du gehst da jetzt raus und sagst es ihm. Du kannst das." Nur leider sah mein kreidebleiches Spiegelbild das irgendwie anders. Was allerdings nichts daran änderte, dass ich dieses Zimmer langsam verlassen musste.

Ich atmete tief ein – starb innerlich ungefähr tausend Mal – und trocknete mich zu ende ab, ehe ich mich mit dem nächsten Dilemma konfrontiert sah.

Meine alten Anziehsachen waren verschwitzt. Und ich war sauber.

Ob Alexander mir etwas Frisches leihen könnte?

„Ja, am besten direkt, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich doch nicht mit ihm schlafen will." Ich stöhnte unterdrückt. Vermutlich würde er mich eher nur mit dem Handtuch bekleidet rauswerfen, weil er keine weitere Verwendung mehr für mich hätte.

Oder meine Sorgen waren unbegründet, immerhin hatte er mich nach einer Beziehung gefragt, eine, die mindestens einen Monat andauern würde. Aber ob er noch Interesse daran haben würde, wenn er erfuhr, was für eine abartig verschüchterte Jungfrau ich in Wirklichkeit war?

Ich kräuselte die Nase.

Ich würde einfach da rausgehen und es ihm so heftig mit dem Mund besorgen, dass er kam, bevor er es überhaupt schaffte, mich am Allerwertesten anzufassen. So schwer konnte das schließlich nicht sein. Die Karotte, an der ich es mal ausprobiert hatte, hatte mir auch ein fünf-Sterne-Review hinterlassen.

Jetzt oder nie!

Ich wickelte mir das Handtuch fest um die Hüften, riss die Badezimmertür auf-

Und stockte.

Alexander hockte in langen Baumwoll-Pyjama-Hosen und einem weiten T-Shirt auf seinem Bett und las mit dem Rücken an die Wand gelehnt und angestellten Knien ein Buch.

Wollte er mich verarschen? War es irgendwie an ihm vorübergegangen, dass wir ein bisschen sexy-Time geplant hatten? Das da war nämlich ganz und gar nicht sexy, das sah nach Einpennen aus!

„Geht's noch?" Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Wir wollten Geschlechtsverkehr haben, verdammt! Wieso hast du noch was an?"

Er blickte auf. „Hm?", machte er dann. „Ich dachte, das hätte sich erledigt. Schließlich wolltest du mir gerade sagen, dass du doch nicht mit mir schlafen willst."

„Ich ... was?"

„In Zukunft solltest du die Lautstärke deiner Selbstgespräche vielleicht etwas runterschrauben."

Ah.

Die Wut verrauchte. Dafür setzte jetzt Scham ein, mit der Intensität von zig brennenden Sonnen. „Du ... hast das gehört?"

„Es war schwer, es zu überhören." Das Buch landete neben ihm. „Stellt sich nur die Frage, warum du dann trotzdem nur mit einem Handtuch bekleidet vor mir stehst."

Nur mit einem Handtuch bekleidet.

Ich blickte an mir runter. Auf meinen überaus mickrigen Oberkörper, die dürren Beine und bloßen Füße. Ich war in der Tat nicht besonders angezogen.

Hastig zerrte ich das Handtuch höher, wenigstens bis über meinen Bauchnabel. „Ich laufe nur so herum, weil ich saubere Klamotten von dir brauche. Meine miefen nach Party – das ist sozusagen eine Notfall-Lösung."

„Eine Notfall-Lösung also." Er rutschte vor bis an die Bettkante. Seine Füße waren unbesockt und ... sehnig. War es normal, Füße hübsch zu finden? „Für mich wäre es ja eher eine Notfall-Lösung, einfach nackt zu bleiben. Ich kann deine Sachen für dich in die Waschmaschine geben. In ein paar Stunden sind sie wieder frisch und bis dahin ... " Er grinste.

Aber für mich klang das absolut nicht nach einer Notfall-Lösung. Im Gegenteil! „Das, äh, nackt zu schlafen, das hat mir mein Arzt verboten. Wegen meiner Zöliakie."

Er lachte, weil er wusste, dass ich wieder nur Scheiße laberte, und stand langsam und gemächlich auf. Wanderte zu mir herüber, einen Schritt nach dem anderen, lauernd, bevor er den Zeigefinger seiner linken Hand einfach rotzfrech unter den Rand meines Handtuches schob. „Dann testen wir doch mal, ob dein Arzt recht hat."

Oh, verdammte-!

Ich verlor die Fassung – anders konnte ich mir nicht erklären, wie ich auf die fabelhafte Idee kam, mit voller Kraft auszuholen und ihm, so hart ich eben konnte, gegen die Knöchel zu treten. Mit dem Effekt, dass ich es irgendwie bewerkstelligte, ihm das Gleichgewicht zu entziehen. Komplett.

Er zischte, als er auf Ellbogen und Knien aufkam. Überhaupt nicht mehr amüsiert und spielerisch.

Das war ganz und gar nicht gut.

„Das hast du davon, wenn du mich einfach ohne Erlaubnis anfasst!" Und ich machte es mit meiner Dummheit nicht gerade besser. Ich sollte mich entschuldigen, dringend, aber meine Stimmbänder machten dicht, weil sie natürlich dichtmachen mussten, wenn sie das einmal im Leben nicht tun sollten!

„Jonah." Er richtete sich halb auf. Das Lächeln war weg. „Du hast zehn Sekunden."

Zehn Sekunden? Ich blinzelte nervös zu ihm runter. „Wofür?"

„Um dir ein Versteck zu suchen." Unsere Blicke trafen sich. „Renn und bete, dass ich dich nicht finde."

Ausnahmsweise hinterfragte ich nichts. Ich machte auf dem Absatz kehrt.

Und rannte.


Die Haustür war abgeschlossen, die Terassentür war abgeschlossen und selbst die Fenster im Erdgeschoss waren mit kleinen Schlössern versehen.

Ich war eingesperrt.

Es dauerte einen Augenblick, bis diese Einsicht bei mir anklopfte, aber dann schlug sie ein wie ein Meteorit – hatte Alexander das geplant? War er irgendwie geisteskrank? Oder noch wichtiger: Was zum Teufel sollte ich jetzt tun?

„Ich hoffe, du hast dich gut versteckt." Seine Stimme hallte wie eine Drohung die Treppen hinunter, ließ mich zusammenzucken.

Die zehn Sekunden waren um, er kam mich suchen!

Fuck!

Ich raste quer durchs Wohnzimmer und sprang in den eingesenkten Bereich vor dem Kamin. Meine Füße landeten weich, unter mir befand sich eine Matratze und eine ganze Bastion an Kissen. So viele Kissen, dass man sich darunter eingraben und verschwinden konnte.

Also tat ich genau das und belegte mich selbst mit ihnen, als wären sie Salamistückchen und ich eine Pizza, die Luft anhaltend.

Seine Schritte wurden lauter, er war am Treppengeländer angekommen. „Mach dir nicht zu viele Hoffnungen, Prinzessin, alle Türen und Fenster sich verriegelt. Du kannst mir nicht entkommen."

Wo war der Kerl hin, der sich gerade noch bei mir entschuldigt hatte, nachdem ich ihn geschlagen hatte? Der, der mir so verfickt perfekte Geschenke gemacht hatte? Ich meine, wenn er mich für den Gehfehler mit ein paar Schlägen aufs Gesäß bestrafen wollte, schön und gut, aber das hier? Er benahm sich wie ein Wildgewordener!

Jonah." Er säuselte meinen Namen. „Zeig dich."

Einen gottverdammten Teufel würde ich tun!

Ich versuchte, mein Herz unter Kontrolle zu bringen, meinen gesamten Körper, weil selbst die kleinste Bewegung meines Brustkorbes mich verraten könnte.

„Ich werde nur aufgeregter, je länger ich dich suchen muss." Möbelstücke quietschten, Zehen, die auf Parkettboden trafen, dann schien er fertig mit der Begutachtung der rechten Raumseite, wo die Couch stand.

Er lief zielgerade auf mich zu, summend. „Soll ich dir verraten, dass man deine Beine sehen kann?"

Ich erstarrte. Er klang zu nah, zu selbstsicher, um mich zu verarschen. Er wusste, wo ich mich befand. Er hatte mich gefunden.

Nein.

Ich packte das Kissen auf meinem Gesicht und schleuderte es nach dem Glücksprinzip dorthin, wo ich ihn vermutete.

Ich vermutete falsch.

„Hab dich." Alexander stand am Fußende der Einsenkung ... und trug kein T-Shirt mehr. Warum trug er kein T-Shirt mehr? Wollte er mich hart machen, bevor er mich umbrachte, oder was?

„Ich schwöre, ich rufe die Polizei!" Ich strampelte von ihm fort, eine Hand dauerhaft am Handtuch, die andere schnappte nach dem nächstbesten Kissen und pfefferte es ihm gegen die Brust. „Wenn du mir was antust, zeige ich dich an!"

„Aber", er hüpfte seelenruhig auf die Matratze runter, fing dabei das Kissen ab, „dafür müsste ich dich erstmal gehen lassen, oder?"

Ich war erledigt, er würde mich verprügeln, bis ich nicht einmal mehr wie ein Mensch aussah, er würde-

Bitte!" Ich erreichte das Kopfende, starrte panisch zu ihm hoch. „Es tut mir leid! Ich wollte dir nicht wehtun, ich mach's wieder gut, ich-"

Schsch." Er ging in die Knie, platzierte die Unterarme entspannt auf seinen Oberschenkeln, den Kopf zur Seite geneigt. „Sei schön artig und komm her."

Nachdem ich mich gerade erst so angestrengt hatte, möglichst viel Abstand zwischen uns zu bringen? Wovon träumte er nachts?

„... ich fühle mich hier drüben aber wohler."

„Tatsächlich?" Er hob beide Brauen, in definitiv gespielter Überraschung. „Und bist du der Meinung, dass mich das irgendwie interessiert?"

Ich zog meine Beine möglichst nah an mich heran, das Handtuch stramm um meinen Hintern gewickelt. Mein einziger Schutz. „Ich ... wenn ich panisch werde, mache ich manchmal komische Sachen. Ich wollte dir wirklich, wirklich nicht-"

„Keine Sorge." Der liebliche Ton seiner Stimme ließ meine brechen. Er war so aufgesetzt und falsch, dass mir vor Angst unwillkürlich noch ein bisschen schlechter wurde. „Du kannst es wieder gutmachen, indem du auf mich hörst und tust, was ich dir sage."

Indem ich mich umbringen ließ, meinte er wohl eher.

Ich kramte ein paar weitere Kissen hinter meinem Rücken hervor und nahm stattdessen ihre Position ein – Hauptsache noch ein paar Zentimeter mehr Platz gewinnen.

„Du bewegst dich in die falsche Richtung." Alexander richtete sich auf und kam näher, bis er über mir thronte wie der kranke Bastard, den er momentan sehr erfolgreich verkörperte. „Oder möchtest du lieber, dass ich zu dir komme? Das", er ließ sich fallen, so abartig schnell, dass ich erst bemerkte, wie er dabei meine Knie auseinanderschob, als er sich plötzlich zwischen ihnen befand, „lässt sich arrangieren."

Ich schrie überrascht-erschrocken-panisch auf und zerrte das Handtuch tiefer, versuchte, es zurück über meinen Schritt zu befördern, was mit auseinandergeschobenen Beinen übrigens nicht gut funktionierte!

„Du hättest es einfacher haben können, aber du wolltest ja nicht." Fast schon zu leicht schnappte er sich beide meiner Hände und presste sie über meinem Kopf in die Matratze. „Jetzt musst du die Konsequenzen tragen."

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