•8•

Lucian:

Es dauerte bis zum Morgengrauen.
Solange konnte ich ihre unregelmäßigen Atemzüge wahrnehmen, wie sie rasselnd Luft holte und sie nach kurzer Zeit angespannt wieder ausstieß.
Erst, als die ersten Lichtstrahlen durch den kleinen Spalt zwischen den Vorhängen lugten und den Raum durchfluteten, bewegte sie sich. Ich sah, wie sie langsam ihre Beine über den Teppich ausstreckte.
Ihre Knochen knackten dabei leise, starr von der Position, die sie die restliche Nacht eisern eingehalten hatte.
Leicht drehte ich meinen Kopf zu ihr, ich selbst hatte mich neben das Fenster an der Wand niedergelassen.

Alles in mir schrie nur so danach, dass ich mich zu ihr setzen, sie in den Arm nehmen und sie solange halten sollte, bis sie ihre Sorgen, Ängste und die Finsternis loslies.
Doch ich hielt dem brennenden Verlangen stand und stemmte mich mit aller Macht gegen meine Instinkte, wobei meine Finger sich in dem weichen Teppich krallten. Als würde mich das aufhalten zu ihr zu stürzen.
Ich war mir nicht darüber im Klaren, ob das gleiche wie in der Nacht zuvor geschehen würde.
Wieder spielte sich diese Szene in meinem Geiste ab. Der kurze Hautkontakt, als sie nach mir griff. Ihre verkrampften Finger um mein Handgelenk, das euphorische Prickeln in mir. Und dann die Bilder, die durch das Mateband vor meinen Augen aufgetaucht waren und mir die Sicht versperrten, die Luft zum Atmen raubten.
Zuerst sah ich nur rot.

So viel blutrot, dass ich zu ersticken drohte.
Und nach kurzer Zeit mischte sich Schmerz hinein. Als würde man mir die Hand in die Brust rammen, mein Herz fassen und es qualvoll langsam zusammen drücken.
Es war zwar nur eine kurze Sequenz, jedoch reichte es vollkommen, um sie wie verbrannt loszulassen.
Wie sie vor mir floh, fast, als wäre ich derjenige, der ihr Schmerz zufügte, lies mich das Gesicht verbittert verziehen.
Ihr Vater meinte, ich solle ihr Zeit geben, da sie selbst sich jetzt am meisten helfen konnte. Doch als er mich aus dem abgedunkelten Raum führen wollte schüttelte ich seine Hand ab und lies mich neben dem Fenster nieder, von wo aus ich einen guten Blick zu meiner Mate hatte.

Immer wieder hörte ich sie leise schniefen, raunte ihr daraufhin beruhigende Worte zu. Ob es half, wusste ich nicht, doch ich musste in irgendeiner Art und Weise für sie da sein.
Es zerriss mich, zu wissen, dass meine Seelenverwandte so litt, und ich es anscheinend nur schlimmer machte.
Ein Bewegung riss mich aus meinen Gedanken. Mein Blick huschte zu dem zierlichen Mädchen vor mir, welches mich aus trüben Augen anstarrte. Kein einziges Gefühl huschte über ihre verweinten Wangen, was mir einen kleinen Stich verpasst.

"Kamaria?", fragte ich vorsichtig.
Keine Reaktion.
Nicht einmal ein minimales Zucken. Langsam erhob ich mich, strich mir eine störrische Strähne aus der Stirn und ballte dann nervös die Hände zu Fäusten, nicht wissend, was ich tun sollte.
Gefühlt standen wir Stunden dort und starrten uns einfach entgegen.
Dann blinzelte sie ein paar mal, ein komischer Ausdruck huschte über ihr hübsches Gesicht, jedoch senkte sie sofort darauf den Kopf.

In dem Moment sah sie so zerbrechlich aus, dass ich dem Verlangen, sie beschützend an mich zu drücken, nicht länger stand halten konnte. Da mich aber der Schmerz, wenn sie mich ein weiteres mal wegstoßen würde, innerlich ein weiteres Mal zerbrechen würde, stürmte ich an ihr vorbei und die Treppen nach unten.
Unten angekommen begegnete ich kurz Flint, der mir verwirrt hinterher sah, jedoch stapfte ich weiter und begann vor dem Haus zu joggen.
Ein wütendes Knurren entfuhr mir und schon landete meine Faust am nächstgelegenen Baumstamm.

Dessen Rinde splitterte an der getroffenen Stelle ab und rieselte zu Boden, während ich mich zähneknirschend gegen diesen Baum lehnte.
Wieso war sie so? So...So abweisend?
Hatte es etwas mit den Narben an ihren Handgelenken zu tun? Was war meiner Mate nur passiert?
"Lucian?"
Ich blinzelte zu der Person auf, die vor mir stand und mich angeredet hatte. Meine Gedanken hingen jedoch noch bei diesen verschreckten grünlichen Augen.
Tara stand direkt vor mir, ihr Lächeln war das erste, was mir entgegensprang, als ich kurz ihr Gesicht musterte. Sie war nicht einmal halb so schön wie meine Kami.
"Ja?", meinte ich, während ich mich noch immer bemühen musste meine animalische Seite unter Kontrolle zu bringen. Ein - und Ausatmen, so wie ich es gelernt hatte.

"Was machst du denn hier am Boden?"
Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatte, und musterte mich noch immer lächelnd.
"Ich...musste mich beruhigen."
Mit pochenden Schläfen erhob ich mich wieder und klopfte den Dreck von meiner Jeans.
"Aha. Naja, aufjedenfall wollte ich dich fragen ob du nicht vielleicht Lust hättest mit in die Stadt zu kommen? Ein paar Freunde und ich wollen uns einen Film anschauen und danach Essen gehen oder so."

Ihr Blick heftet sich kurzzeitig an meinen Oberkörper und sie biss sich auf die Unterlippe.
Würde jetzt Kamaria vor mir stehen und das gleiche tun, ich könnte mich nicht mehr beherrschen. Ihre rosigen Lippen waren ja jetzt schon unwiederstehlich.
"Luc?"
Gerade öffnete ich den Mund, um höflich abzulehnen, da wehte mir die kühle Brise den Geruch von frisch gefallenem Regen, Herbst und Pfirsichen zu.

Gierig sog ich diesen fasziniernden Duft ein, er erinnerte mich an Geborgenheit, Heimat.
Ich fokussierte meinen Blick auf Kamaria, die nur in einem dünnen Oberteil und einer Jeans bekleidet im Eingang ihres Hauses stand. Ihre Arme hingen schlaff an ihrem Körper herab, in der einen Hand hielt sie eine schwarze Tasche.  Ihre großen Augen aber sahen mir starr entgegen.
Verwirrt blickte ich zu Tara, dann wieder zu Kami. Doch diese hatte sich bereits abgewand und ging nun in schnellem Tempo den Kiesweg entlang.
Unachtsam drückte ich mich an Tara vorbei, die mir verwirrt hinterher rief, und rannte den selben Weg entlang.
Scheiße, scheiße, scheiße, wie sah das denn bitte aus?

"Bambi, bleib stehen!"
Ich kam ihr immer näher, mittlerweile hatte sie ebenfalls angefangen zu laufen. Ihre Haare, die in der Sonne rotgolden schimmerten, wehten hinter ihr her.
Fast hatte ich sie erreicht, da hörte ich ein lautes Knurren. Keine Sekunde später rammt mich etwas großes und riss mich mit sich zu Boden.
Die Kieselsteine des Weges bohrten sich unangenehm in meinen Rücken, während mir braunes Fell die Luft abschnürte.
"Jas, sofort runter von mir du Köter", zischte ich mit bedrohlich dunkler Stimme, dabei drückte ich meinen besten Freund so hart in die Rippen, dass dieser wütend aufjaulte.
Seine hellen Wolfsaugen blitzten mich verwirrt an, dann brachen Knochen und er stand komplett nackt vor mir.

"Alter Luc, was ist den los mit dir du Pisser."
Mit gerümpfter Nase rieb er sich die betroffene Seite und hob die Jogginghose auf, die er anscheinend im Maul getragen hatte.
Hektisch suchend sah ich mich nach Kamaria um, doch sie war schon längst verschwunden. Nur noch die Spur ihres Geruchs hing in der Luft, allerdings vermischte sich dieser gerade mit dem meines besten Freundes.
"Jasper das ist jetzt echt kein Zeitpunkt um rum zu albern", stellte ich klar, wobei ich mir angespannt die Haare raufte.
"Junge was ist denn los mit dir?"
Der braunhaarige legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter die ich jedoch sofort wegschlug und ihn zornig anfunkelte. Es würde nicht viel fehlen und aus meinen Augen würden Laser schießen, um Jasper durch zu braten.

"Was los ist? Meine Mate akzeptiert mich anscheinend nicht, hat Angst vor mir, läuft sogar vor mir davon, und denkt jetzt auch noch, dass ich mich gleich an die nächstbeste Lycanthropin ran mache!"
Schwer atmend sehe ich in seine weit aufgerissenen, blauen Augen.
"Scheiße das wusste ich nicht. Kannst du nicht einfach mit ihr reden?"
Ich massierte mir mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. Ruhe bewahren, tief Luft holen.
"Das würde ich ja, wenn sie mir antworten würde und wenn du mich nicht einfach gerade unter deinem Fell begraben hättest, du idiotischer..."

Zum Ende hin wurde ich immer lauter und bekam wieder Lust, irgendetwas zu zerschmettern.
"Deswegen solltest du mir jetzt entweder aus dem Weg gehen oder ich breche dir den Kiefer, wahlweise auch die Nase", knurrte ich zornig, das Blut pumpte brennend durch meine Venen. Ich stand kurz davor mich zu verwandeln.
Was stellte dieses Mädchen nur mit mir an, dass ich mich kaum mehr unter Kontrolle hatte?

"Jetzt komm erstmal runter und... keine Ahnung, willst du in den Wald?"
Nein, ich wollte in Kamarias Arme, ihren Duft nach Pfirsichen und Regen einatmen und sie nie wieder loslassen.
Aber das blieb mir wohl verwehrt, also kamen nur noch der Wald oder ein Gegenstand zu zerschmettern infrage.
Bevorzugen tat ich Ersteres.
Grummelnd schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf das Brennen in mir, welches seit meiner ersten Verwandlung vorhanden war und durch meine Emotionen nur noch verstärkt wurde.
Kurz darauf spürte ich schon, wie sich meine Knochen schmerzhaft verschoben, mein Kiefer brach und setzte sich neu zusammen und meine Rippen schoben sich zu einer neuen Position.
Das nächste mal, als ich die Augen aufschlug, stand ich auf vier dunkelgrauen Pfoten.

Ein kurzer Blick in Jasper's verheißungsvoll funkelnden Augen, dann sprinteten wir fast gleichzeitig los. Mein Pfoten trommelten über den Kiesweg hinweg und schlug nach kurzer Zeit auf weichen Waldboden. Ich legte all meinen Frust, meine Wut und meine Unverständniss in diesen Sprint und kam daher auch einige Minuten früher als Jasper bei einem kleinen Bach zum stehen.
Ich beugte mich über das kühle Rinnsal Wasser und blickte direkt in mein Spiegelbild.
Leichtes Weiß mischte sich in die dunkelgraue Farbe meines Felles, während meine gelben Augen mir schmerzvoll entgegen blickten.
Unweigerlich musste ich wieder an Kami denken.

Ein Hecheln neben mir lies mich aufschrecken. Jaspers rotbrauner Wolf lag neben mir auf dem Boden und blickte mich mit großen Augen an.
》Alter weisst du wie schnell du warst?《
Verwirrt legte ich den Kopf schief und zuckte beiläufig mit dem Schweif hin und her.
Jasper schüttelte leicht ungläubig den Kopf, lies aber keinen weiteren Kommentar ab sondern trank etwas Wasser aus dem Bach.
Ich hingegen richtete meinen Blick wieder starr zu der Richtung aus der wir gekommen waren. Dort wo meine Seelenverwandte war.

Scheiße man, ich bekam sie einfach nicht aus dem Kopf.
Nicht ihre grünen Augen, die vor Schreck immer kugelrund wurden und in denen sich alles, was ich mir je erswhnt hatte, wiederspiegelte, nicht ihr rotgoldenes Haar, welches den sanften Geruch von Regen trug, nicht die Art wie sie sich bewegte...
Zum zweiten Mal an diesem Tag wurde ich zu Boden gerissen und somit unterbrochen.
》Lucian wir sind hier um dich abzulenken und nicht, damit du wieder in Selbstmitleid versinken kannst. Du willst sie, dann tu etwas dafür und werd nicht zu einem verbitterten Wrack!《

Und ja verdammt, er hatte Recht.
Ich wollte Kamaria McCollins bei mir haben, an meiner Seite und sie als mein Mädchen betrachten können.
Und einen Teufel würde ich zulassen dass sie mich von sich stieß!

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