KAPITEL 6

Flamur

Es war früher Nachmittag, als er vor seinem Haus hielt, um dort einen kurzen Zwischenstopp einzulegen. Heute Morgen hatte er nicht zu Luana gekonnt, da er ein Treffen mit seinem Manager hatte, das er nicht hatte auf später verschieben können. Er hatte es ihr noch mitgeteilt, als er sicher war, dass sie wach war.

Das Treffen war gut verlaufen, sie waren noch einige Daten durchgegangen und hatten Details geklärt. Ein komisches Gefühl machte sich in Flamur breit, als er an seine bevorstehende Tour in drei Wochen dachte. Es war nur eine kleine durch Europa, die nur etwa zwei Monate dauern sollte.

Zum einen freute er sich darauf, denn auf Tour gehen war immer eine wundervolle Zeit, die er sehr genoss. Doch auf der anderen Seite hatte Flamur ein flaues Gefühl im Magen, wenn er an Luana dachte, die noch nichts davon wusste. Die noch nicht einmal wusste, dass er Sänger war. Warum erzählte er es nicht einfach?

Als er seine Haustür aufschloss, bemerkte er, dass Licht im Flur brannte, das er definitiv nicht angemacht hatte. Nach einem kurzen Blick zur Seite sah er eine bekannte Jacke am Kleiderhaken hängen. Seine Mutter kam ihn also wieder mal besuchen.

»Hallo, Flamur. Hat aber lange gedauert heute«, begrüßte sie ihn, als er die Küche betrat.

»Ich gehe gleich noch zu Luana, ich war heute noch nicht bei ihr«, antwortete er, ohne auf ihren Satz einzugehen.

»Ich hab einen Kuchen gebacken. Vielleicht willst du ein Stück, bevor du wieder verschwindest«, redete sie weiter. »Das Mädchen scheint nett zu sein, wenn du jeden Tag zu ihr gehst. Ich hab doch gewusst, dass ihr euch verstehen werdet.«

Flamur warf einen Blick auf den Kuchen, der auf der Arbeitsfläche stand und verdächtig nach Apfelkuchen aussah, ehe er sich einen Teller und eine Gabel holte. »Ich mag sie, sie ist wirklich nett.« Er lächelte. »Naja, ich mag es, Zeit mit ihr zu verbringen. Sie hat sonst niemanden.«

Nachdem ein Stück des Apfelkuchens auf seinen Teller gewandert war, setzte er sich an den Tisch, gegenüber seiner Mutter, die schon vorher Platz genommen hatte und ihn jetzt mit glänzenden Augen ansah.

»Oh, das klingt so wundervoll. Denkst du, sie mag dich auch?« Verschwörerisch zwinkerte sie ihm zu und lehnte sich etwas vor.

Flamur verschluckte sich an seinem Stück Apfelkuchen und hustete, bevor er ihr antworten konnte. »Mama! Ich hab nicht auf diese Weise mögen gemeint.«

»Schade. Ich meine, ich kenne sie nicht, aber wenn du sie so magst, was soll falsch daran sein?« Bevor Flamur auch nur irgendetwas antworten konnte, hob sie die Hand und sprach weiter. »Ich weiß, was du sagen willst. Natürlich können Männer und Frauen auch nur befreundet sein. Aber was hältst du davon, wenn wir sie mal zum Essen einladen? Dann kann ich sie auch kennenlernen.«

»Wenn du von einem Essen sprichst, dann ist meistens die ganze Familie dabei und nicht nur du«, entgegnete er misstrauisch. »Außerdem kannst du dich doch gar nicht mit ihr unterhalten, warum willst du sie dann treffen?«

»Natürlich kommen deine Geschwister auch. Sonst wäre es doch nicht lustig. Außerdem«, sie zeigte mit einem Finger auf ihn, »habe ich mir fest vorgenommen lormen lernen. Dann könnte ich mich mit ihr unterhalten.«

Flamur wollte sich nicht vorstellen, wie ein Gespräch zwischen seiner Mutter und Luana aussehen würde. »Ich werde es dir wohl nie wieder ausreden können. Aber ich sollte langsam wieder gehen. Der Kuchen war übrigens sehr lecker.«

»Das freut mich. Richte ihr Grüße von mir aus, ja?«, fragte seine Mutter, als er seinen Teller zurück in die Küche räumte.

»Mach ich. Ich schätze, du kochst wieder hier, so wie es aussieht?«

»Genau. Liljana kommt auch vorbei. Dann musst du nicht immer so alleine hiersein.« Sie lächelte ihn warm an. »Bis heute Abend.«

Er rief ihr auch noch eine kurze Verabschiedung zu, bevor er noch nach oben in sein Schlafzimmer ging, um sich etwas anderes anzuziehen und dann das Haus zu verlassen.

Bei Luana angekommen musste er sein Auto an der Straße parken, weil der Parkplatz vor der Garage schon von einem dunkelblauen Wagen besetzt war. Wem es wohl gehörte?

Hastig blickte er sich um, bevor er ausstieg und sich die Kapuze seines Pullovers über den Kopf zog. Auf seinem Weg zur Tür erkannte er, dass diese offen stand. Was war denn hier los?

Er zuckte die Schultern und schloss die Tür hinter sich, nachdem er hindurchgeschlüpft war. Eine Sporttasche lag mitten im Weg, jedoch konnte er nicht sehen, was sich in ihr befand, weil sie geschlossen war.

Ein Geräusch aus dem Wohnzimmer ließ in aufblicken und er lief kurzerhand auch dorthin. Als er sah, wer sich darin befand, blieb er überrascht stehen.

Luana stand neben dem Sofa und hatte ihre Arme fest um einen jungen Mann geschlungen, der sie ebenfalls umarmte, als hätten sie sich ewig nicht mehr gesehen. Ein leises Schniefen erklang aus Luanas Richtung. Weinte sie etwa?

Der Fremde hatte ihm den Rücken zugewandt, weswegen er ihn noch nicht bemerkt hatte, Flamur aber auch sein Gesicht nicht erkennen konnte.

Moonlight?', fragte er vorsichtig.

Luana erschreckte sich so sehr, dass sie sich von dem Mann losriss und einen Schritt nach hinten trat. Dabei wäre wie fast hingefallen, hätte er sie nicht festgehalten.

Mit Luana in seinen Armen drehte sich der junge Mann um, da er Flamur nun auch bemerkt hatte. Er war vielleicht etwas jünger als der Sänger und schlank. Seine braunen Locken hingen ihm ein wenig in die Stirn und seine dunkelbraunen Augen funkelten überrascht über die Störung auf.

Flamurs Blick flog zurück zu Luana, die sich nun hastig über die Wangen wischte, um die Tränen zu verstecken. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sie nach der Hand ihres Besuchers griff und diese fest hielt.

Unwillkürlich spannte Flamur sich an, wusste selbst nicht warum.

Ich ...' Luana suchte nach den richtigen Worten, um ihren Besuch vorzustellen.

»Ich bin Arian«, sagte der Mann fast im selben Moment und lenkte Flamurs Aufmerksamkeit wieder auf sich.

»Flamur«, brachte er knapp hervor. Solange er nicht wusste, wer das war, war er misstrauisch ihm gegenüber.

Wer ist das?', fragte er deswegen Luana. Seine Stimme klang schärfer als beabsichtigt und er bereute es sofort, als sie zusammenzuckte.

Das ist Arian.' Ihre Stimme war leise, ganz schüchtern, als wüsste sie nicht, was sie sagen sollte.

Das hat er mir schon gesagt',erwiderte Flamur und konnte die Härte noch nicht ganz aus seiner Stimme nehmen. Arian blickte währenddessen zwischen den beiden hin und her und konnte sich keinen Reim darauf machen, was gerade geschah.

Er ist mein Cousin', erwiderte Luana, diesmal mit fester Stimme. Flamur sah sie ungläubig an. Er war ihr Cousin? Er hatte gedacht, Arian wäre so etwas wie ... ihr Freund.

»Was geht hier gerade ab?«, funkte nun Letzterer dazwischen. »Was machst du mit ihr?« Er zog Luana an der Hand von Flamur weg und setzte sich mit ihr auf das Sofa. Dort, wo gestern noch Flamur neben ihr saß.

»Wer bist du?«, fragte Arian eine wirklich berechtigte Frage und sah ihn erwartungsvoll an.

Flamur fühlte sich etwas unwohl, als er alleine im Raum stand, doch es gab keine andere Sitzmöglichkeit mehr und er wusste nicht, wie Arian reagierte, wenn er sich neben Luana setzte.

»Ich heiße Flamur und ... ich soll Luana sozusagen helfen und mit ihr reden.«

»Ich kann ihr auch helfen. Ich kann auch mit ihr reden. Warum bist du dann da? Ich kenne dich nicht«, warf er ein.

Flamur seufzte und setzte sich zögerlich auf Luanas andere Seite, wenn auch mit Abstand. Er war sich jedoch sicher, dass sie es bemerkt hatte. »Ich kann anders mit ihr sprechen, so wie du es nie könntest.«

Flamur?', fragte Luana im selben Moment vorsichtig. ‚Worüber redet ihr so lange?'

Er wollte von mir wissen, warum ich hier bin und was ich mache', antwortete Flamur.

»Ihr macht es schon wieder, oder?«, fragte Arian neugierig. Flamur nickte. »Wie?«

»Ich kann mit ihr über die Gedanken reden. Es klingt etwas komisch, aber so ist es.« Er mochte es ganz und gar nicht, darüber zu reden.

»Kann ich das auch lernen?« Arian schaute ihn hoffnungsvoll an und Flamur bemerkte, wie viel ihm Luana bedeutete.

»Nein, das ist leider nicht möglich.« Ein trauriger Schatten huschte über Arians Gesicht, er seufzte. »Wäre auch zu schön gewesen.« Er stand auf. »Ich geh dann mal schnell meine Sachen auspacken, solange kannst du dich mit Luana unterhalten.« Mit einem halbherzigen Lächeln verließ er das Zimmer.

Flamur blieb stumm sitzen, betrachtete Luana, die sich nervös durch die langen blonden Haare fuhr, die sie zu einem Zopf gebunden hatte. Am Rande bemerkte er, wie Arian mit seiner Sporttasche zurück aus dem Flur kam.

Wie bist du hier reingekommen?', fragte Luana schließlich und hörte auf, durch ihre Haare zu fahren.

Die Tür stand offen. Arian hat sie wohl nicht zu gemacht, als er gekommen ist.' Er rutschte ein Stück näher an sie heran und griff nach ihrer Hand.

Oh. Er war lange nicht mehr hier.' Sie seufzte. ‚Wie lange kannst du heute noch bleiben?'

Ich habe den ganzen restlichen Tag noch Zeit, aber ich denke, dass du lieber etwas mit Arian unternehmen willst.'

Natürlich will ich das, er bleibt doch nur eine Nacht hier. Aber mit dir will ich auch etwas machen. Du ...' Sie stockte und suchte die richtigen Worte.

Ich?', fragte er amüsiert nach und hob eine Augenbraue, auch wenn sie es nicht sehen konnte.

Du bist mir wichtig, Flamur. Ich kenne dich noch nicht so lange und weiß vieles noch nicht über dich, aber du bist mir wichtig.' Sie war kein bisschen rot geworden, biss sich aber unsicher auf die Unterlippe.

Du bist mir auch wichtig, Moonlight. Ich mag dich.' Er zögerte kurz. Sie wusste noch nicht, dass er Sänger war, doch jetzt war nicht der Moment, es ihr zu sagen. Nicht wenn er gleich gehen musste und ihr Cousin da war. ‚Ich werde dir den Rest schon noch erzählen.'

Sie lächelte ihn an und wieder war ihm, als hätte er noch nie ein schöneres Lächeln gesehen. Wusste sie, was sie mit ihm anstellte, wenn sie ihn so ansah? Auch wenn Flamur versuchte, es sich nicht einzugestehen, insgeheim wusste er, dass seine Mutter recht gehabt hatte. Denn er wusste nicht, wie lange er ihr noch widerstehen konnte, wenn sie ihn so anlächelte.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top