17. Clues

Es war Freitag, der 22. November und Wooyoung hatte sich behutsam von einem noch schlafenden San gelöst, war über einen reglosen Jackson hinweg gesprungen und die Treppen hinab geeilt. Er wollte es schnell hinter sich bringen, schon wieder mit hoffentlich guten Nachrichten zurück sein, wenn San erwachte und ihm alle Sorgen vom Gesicht küssen. Voller Determination schritt er durch das verlassene Haus und zu seiner Garderobe, packte sich warm in seinen schwarzen Mantel ein.

Hongjoong stand mit verschränkten Armen in der offenen Tür zum Zimmer der Großeltern und beobachtete den unwissenden Mann finster. Er war ja dafür gewesen, dass Mingi ihn begleitete und sie zuvor noch einmal darüber sprachen, aber er konnte die Eile zu gut verstehen, um ihn zu belehren.

Wooyoung ließ seine Schlüssel in seine Tasche gleiten, während er behutsam die Tür hinter sich zu zog. Der Morgen war kalt, der Nebel lag noch immer tief über dem See und flüsterte geheimnisvoll um die schlanken Stämme von kahlen Birken. Wooyoung vergrub das Gesicht in seinem Kragen, während er sich auf den Weg machte.

Yongguks Haus lag still wie eh und je, unangetastet und friedlich am anderen Ende, aber das Wissen, was dort geschehen war, ließ es unwillkommen erscheinen, düster und tödlich.

Wooyoung würde es schnell machen. Rein, nach Hinweisen suchen - vielleicht ein Tagebuch oder dergleichen, raus und heim. Er wollte heute Abend gut kochen, mehr Zeit mit Jackson und den anderen verbringen. Vielleicht sogar nach einem sinnvollen Weg suchen Jackson ihre Anwesenheit zu erklären.

Die Nervosität grub seine Gedärme um, weswegen sich Wooyoung mit einer leisen Melodie bei Launen hielt, erst wieder aufsah, als er eine dunkle Gestalt vor Yongguks Haus bemerkte.

Der Mann stand an der Straße, die sich durch den Wald und bis zur Hauptstraße schlängelte. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt, um rätselnd an der Fassade hinauf zu sehen. Wooyoung studierte seine Züge, ein scharf geschnittenes Gesicht mit vollen Wangen, wie Lippen und dunklen Augen und Haar - niemand, den Wooyoung kannte.

Der Mann wandte den Kopf, als Wooyoung in Hörweite war und lächelte ein etwas verzerrtes Lächeln.

"Kalt heute, nicht?"

Okay, vermutlich kein Verwandter von Yongguk oder dergleichen. Ein Schaulustiger?

Wooyoung fragte sich ohnehin, warum Yongguks Familie noch nicht hier aufgekreuzt war. Sie hätten ihm sicherlich einen Besuch abgestattet.

"Ziemlich. Was machen Sie so früh so weit hier draußen?", fiel Wooyoung in das Geplänkel ein, kam neben dem Mann zu stehen, um ebenso zum Haus zu sehen.

"Ich genieße die frische Luft." Er nickte zum See hin. "Sie wohnen dort drüben, nicht? Ich schätze mal, Sie haben von seinem tragischen Schicksal gehört, nicht?"

Es war eigenartig.

Wooyoung war gut sichtbar um die 20, der Mann vor ihm konnte nicht viel älter sein als er und dennoch... Duzte man nicht gewöhnlich Leute im ähnlichen Alter noch?

"Natürlich, ja. Er gehörte zu meinen engsten Freunden."

Der Mann warf ihm einen mitfühlenden Blick zu.

"Ich habe gehört es war Selbstmord. Schrecklich, sowas."

Wooyoung horchte auf.

Selbstmord, sicher. Ein Tod verschuldet durch seine eigenen Ängste, durch ihn ins Leben gekommen. So konnte man es auch betrachten.

"Sagten die Behörden nicht, es sei ein Unfall gewesen?"

"Taten sie das? Ich hörte nur Gerüchte. Ich bin nicht oft an diesem Ort.", rettete er sich geschickt, aber Wooyoung war bereits misstrauisch. Entschieden streckte er ihm die Hand hin.

"Jung Wooyoung."

"Park Jinyoung. Ich besuche hier einen alten Freund." Sein Lächeln war ehrlich, als er Wooyoungs Hand schüttelte und konfus nickte Wooyoung bloß.

"Soll ich Sie hinein begleiten?"

Nun fiel ihm doch die Kinnlade herunter. War er so offensichtlich gewesen?

Wie vor den Kopf geschlagen starrte er Jinyoung an und der kicherte leise, nickte mit dem Kopf zum Haus hin.

"Ich bin sein Anwalt. In seinem Testament hat er einem Herr Jung Wooyoung in der Nachbarschaft den Zugang zu seinem Heim erlaubt. Die Welt ist wahrhaft klein, nicht? Ich war gerade auf dem Weg nach drinnen, wenn Sie gestatten."

Er log.

Wooyoung trat sofort einen vorsichtigen Schritt zurück, tat, als müsste er einen Blick auf sein Haus werfen. Hinter den Kulissen rasten seine Gedanken, suchten nach möglichen Fluchtwegen.

Wenn er tatsächlich Yongguks Anwalt war, hätte er Wooyoung längst einen Besuch abgestattet. Das, und er wüsste von der Prognose der Polizei. Dieser Typ gehörte nicht hierher und war sicherlich auch kein Bekannter Yongguks.

Wooyoung konnte sich schleunigst auf und davon machen, oder er konnte diesen Mann untersuchen. Er war auf jeden Fall nicht der Mörder, also was genau bewegte ihn?

Schluckend zog er sein Handy hervor und wählte bereits vor - die eigentliche Polizei - dann sah er wieder lächelnd zu Jinyoung auf.

"Wie praktisch, in der Tat. Sicher doch, lassen Sie uns gehen." Er behielt das Handy umgedreht in seiner Hand, der Finger stets über dem grünen Hörer schwebend.

Jinyoung ging zufrieden voraus und zog immerhin tatsächlich einen Schlüssel hervor, um die Tür zu öffnen. Drinnen war alles ruhig und kühl, die Elektrizität und Heizung bereits abgeschaltet.

Es blieb still zwischen ihnen, als Jinyoung sein eigenes Handy hervor zog, die Taschenlampe einschaltete. Nur trübes Licht fiel durch die Wolken und die spärlichen Fenster, es reichte nicht für viel.

"Möchten Sie sich den Ort des Geschehens ansehen? Ich muss ohnehin runter, um mir selbst ein Bild zu verschaffen."

Wusste er, dass seine Erklärung voller Lücken war? Wooyoung hatte keine Ahnung von Anwälten, aber die Sache war ja sowas von faul.

"Nein, ich bin empfindlich... Ich denke ich werde einfach... wandern. Und in Erinnerungen schwelgen."

Jinyoung nickte verständnisvoll und ging in Richtung Keller davon, während Wooyoung sich beeilte in Yongguks Zimmer zu rennen und beschleunigt alles auf Notizen zu untersuchen. Wenn der Anwalt zuvor tatsächlich noch nicht hier gewesen war und sie es als Unfall abgeschrieben hatten, mussten sie vermutlich nichts konfiszieren. Hoffentlich.

Es dauerte nicht lange, dann hatte Wooyoung bereits eines von Yongguks Tagebüchern in der Hand, das aktuellste aus dem Nachttisch.

Die verknickten und verkrumpelten Seiten ächzten unter Wooyoungs Fingern, als er zittrig blätterte, die aktuellsten Einträge heraussuchte.

Sie waren wirr, keine ordentliche Texte wie zuvor, sondern nur einzelne Sätze willkürlich über die Seiten verstreut, hastig und beinahe unleserlich geschrieben. Kein Datum.

Daehyun streitet mit Junnie.

Himchan ist fort.

Fürchte dich nicht vor der Dunkelheit, dem Tod, dem Leben. Fürchte dich vor der Angst. Und dem, was sie mit dir macht.

Ich höre ihn kauen.

Ich muss hier weg.

Ich muss ihn suchen.

Jemand ist da unten.

Ich muss Wooyoung warnen.

Zeit zu gehen.

Jongup hat Youngjae angegriffen.

Morfrey.

Wohin sollte ich gehen?

Himchan war heute eigenartig.

Ich sollte hier nicht bleiben, aber ich kann sie nicht allein lassen.

Wooyoung gewarnt. Junhong fort.

Er hat ihn sich geholt.

Ich habe Angst.

Ich gehe.

Bevor er sie bekommt...

Zeig dich mir.

Er kontrolliert sie.

Wooyoung...

Knochen knacken. Wo bist du?

Sieh mich an, Morfrey.

Ich werde sie nicht allein lassen.

Die Treppe...

Wooyoungs Hände zitterten wie Espenlaub, als er das Buch behutsam wieder schloss, an seinen Platz zurück legte.

Atmen.

Was auch immer in diesen Tagen hier vorgefallen war, es klang nach mehr als nur Paranoia und mentaler Instabilität. Er hatte gekämpft und verloren. Und das trotz der engen Beziehung zu seinen Ängsten.

Und er hätte gelebt, hätte er sie zurück gelassen.

Wooyoung fühlte sich zurückerinnert an das Gespräch mit San am Abend zuvor und kleine Keime des Zweifels machten sich schleichend in ihm breit, stellten seine Entscheidung in Frage.

Jinyoungs Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

"Wie sieht es aus, interessante Erinnerungen gefunden?"

Er stand wer wusste schon wie lange in der Tür und hatte nun die Augen aufmerksam auf Wooyoung gerichtet, schien ihn zu lesen.

"Ja, uh... Ja. Wir haben hier früher mit seinem Hund gespielt."

Wo war sein Hund?

"Wo... Ist der Kleine weggerannt?"

"Nein, sie haben ihn bei dem Körper gefunden, heil und unversehrt. Seine Familie kann ihn bei einem der zuständigen Polizisten abholen."

Gut, das war gut.

"Hat ziemlich verschreckt gewirkt, der Kleine. Als hätte er etwas Schlimmes gesehen."

"Schlimm genug, um einen Hund zu verstören?"

"Es hat wohl gereicht. Sind Sie fertig hier? Ich muss weiter und ich würde Ihnen sonst den Schlüssel einfach hier lassen."

Wooyoung schüttelte schnell den Kopf, trat an ihm vorbei zur Tür hinaus und Richtung Ausgang.

"Es ist schmerzhaft hier zu sein... Ich werde vermutlich fern bleiben. Bitte kontaktieren Sie mich jederzeit, wenn Sie mich gebrauchen könnten."

Jinyoung schloss hinter ihnen wieder ab, nickte friedlich.

"Natürlich. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag." Er wandte sich bereits zum Gehen um, als Wooyoung ihn noch einmal zurückhielt, die Stimme vorsichtig.

"Haben Sie... da unten etwas gefunden? Etwas, was dort nicht hin gehört?"

Jinyoung wandte sich ihm neugierig zu, legte in einer fragenden Geste den Kopf schief.

"Zum Beispiel?"

Wooyoung atmete unruhig aus. Natürlich hatte er das nicht. Etwas hier hatte es auf die Ängste abgesehen, aber es war nicht mehr hier und es war erst recht nicht sichtbar.

"Nichts, egal. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Resttag." Abrupt wandte er sich um, war schon einige Meter entfernt, als Jinyoung noch einmal nach ihm rief.

"Wenn Sie Angst haben, Herr Jung... Denken Sie daran sich nicht davon steuern zu lassen. Sie nährt sich daran."

Damit war er weg.

Nähren.

Ich höre ihn kauen.

Wooyoung erschauderte, als er Jinyoung hinterher sah, seine Augen weit und voller Fragen.

Morfrey.

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