1. Coming Home
Es war beinahe unheimlich, wie sich rein gar nichts geändert hatte. Die drei länglichen Stufen zur Veranda, die in einem blättrigen Weiß gestrichen waren, führten ganz wie immer zu der alten Holztür mit dem blass goldenen Messingknauf hinauf. Die alte Fassade des bleichen Anwesens wurde größtenteils von hungrigem Efeu überwuchert, schien eins mit den Pflanzen zu sein. Die spitzen Dächer über kleineren Türmchen waren gräulich von Moos und Wetter, der Rauch im Schornstein längst erloschen.
Ein dunstiger Nebel schien stets wie ein schützender Umhang um das Anwesen zu liegen, es im herbstlichen Wald beinahe geisterhaft wirken zu lassen, wie als sei dort gar keine Garage mit dem muffigen Wagen, der trotz seines Alters einwandfrei funktionierte. Laub bedeckte ungestört den Fußweg zur Tür hinauf, ein bräunlicher Teppich des Zerfalls ähnlich dem knarzenden Haus mit seinen morschen Läden.
Wooyoung hatte sich schon lange nicht mehr so fehl am Platz gefühlt. Oder so daheim.
Er schritt den Blätterteppich bedächtig hinab, die quiekenden Rollen seines schweren Koffers beklebt von nassem Laub. Der Nebel saß feucht auf seinem violett schimmernden Haar und fröstelnd von der kühlen Brise sprang er die wenigen Stufen der Veranda herauf und ließ den Blick für einen langen Moment schweifen. Links von ihm befand sich der Schaukelstuhl seines Großvaters, das Holz mit der Zeit ergraut und das durchgesessene Kissen feucht von Regen und unerkenntlich verfärbt.
Rechts standen Blumenkästen, einst gefüllt von Blüten in allen Farben des Regenbogens, heute trist und leer. Es war Heimat. Oder zumindest eine eingestaubte Version dieser.
Ein vertrauter Schlüssel mit einem verwaschenen Schildchen seines Namens glitt mit Leichtigkeit in das zugehörige Schloss und die Tür klickte auf, um das Innere des Hauses zu enthüllen. Er befand sich nun in einer runden Eingangshalle, gleich rechts von ihm wand sich eine offene Treppe majestätisch an der Wand entlang durch den Raum zum oberen Stockwerk. Durch das Glas einer runden Dachkuppel fiel diesiges Licht kreisförmig auf die marmornen Fliesen unter ihm. Direkt geradeaus ging es zu einer lange erloschenen Feuerstelle neben einer gemütlichen Sitzgruppe, beides nun staubig und kalt. Links davon war die kleine, lauschige Küche mit all den kleinen Lichtern in Einmachgläsern, Kräuterbündeln und gepressten Blumen, die seine Großmutter geliebt hatte und das Heimweh packte Wooyoung am Herzen, obwohl er endlich Zuhause war.
Seine Finger waren unstet, als er den Koffer zurück ließ, um langsam die Treppen hinauf zu schreiten, sie fühlend und erlebend über die kühle Blumentapete gleiten ließ. Seine Nase war gereizt vom Staub und dem vertrauten Geruch nach alten Büchern, aber seine Augen nahmen die wie Regentropfen hängenden Lampen unter der Kuppel auf wie als seien sie ihm neu. Im engen Gang zu den Zimmern waren noch immer alte Bilder. Fotografien und Gemälde, alle detailliebend zurechtgerückt und gerahmt. Von seinen Urgroßeltern, deren Kindern, seinen Eltern und auch ihm. Streng gemeinte Portraits, die einen lachenden Jungen in sich trugen, die gütigen Gesichter seiner Großeltern sanft.
Seine Fingerkuppen passierte ihre runden Ecken kaum merklich, ertasteten das so vertraute Holz, als er den Raum seiner Großeltern passierte, das Studierzimmer und schließlich das seine am Ende des Ganges erreichte. Ein langer Atemzug verstrich im düsteren Korridor mit nur einem Fenster und der Staub wirbelte im schwachen Licht, als er schlussendlich die Tür zu seinem eigenen Zimmer öffnete.
Es war alles wie immer.
Die weißen Gardinen, hinter denen einfach nur Baum zu sehen war, egal welche Jahreszeit. Sein wuchtiges Bett in der linken Ecke des ockerfarbenen Raumes, das weiße Holz fein verziert, wenn auch schon immer nur für eine Person gemacht und an der Hinter- und Kopfseite bis zum Boden hin geschlossen. Die blauen Bettbezüge, die er als Kind so sehr geliebt hatte. Er erinnerte sich, wie sie das Bett einmal umgedreht hatten, so dass er von allen vier Seiten von Wänden umschlossen war und es war so abenteuerlich gewesen - seine eigene Burg - die er selbst nicht betreten oder verlassen vermochte.
Da war rechts unter dem Fenster der alte Schreibtisch, farblich nicht im Geringsten zu dem Weiß passend, aber er hatte dieses eine Mal lieber braun gewollt und in die leere Tischplatte waren noch immer die Namen alter Liebschaften geritzt, vergessene Gesichter unter tastenden Fingerspitzen.
Hinter der Tür: die schlichte Kommode mit dem fleckigen Spiegel mitsamt Spinne in der Ecke und ein Nachttisch am Fußende des Bettes. Es war sein gesamtes Leben, dieses kleine Zimmer.
Die Emotionen waren unbegreiflich, eine tiefe Melancholie und so süße Erinnerungen im Schmerz des Verlustes. Heimat im Angesicht einer leeren Fremde.
Für eine lange Zeit stand er nur mit schwimmenden Augen am Fenster und sah über die Bäume hinaus und es war bereits bedeutend dunkler geworden, als er sich aufmachte, um seinen unwilligen Koffer zu sich hinauf zu schleppen. Der Strom musste zuallererst angeschaltet werden und das Haus geputzt. Es würde eine Weile dauern, aber er würde es schaffen.
Sein Handy zeigte einen kleinen Balken Empfang, alles wie immer und er schickte eine Nachricht an den besorgten Jackson, berichtete, dass er heil angekommen war, aber brachte es gerade nicht über das Herz zu telefonieren.
Der Stromkasten war schon immer im Keller.
Ein kleiner, überschaubarer Keller mit nur einem Raum mit Waschmaschine und einigen Gartenwerkzeugen, aber das Kind Wooyoung hatte sich immer davor gefürchtet. Im raumlangen Wandregal mit mehreren Paar Gummistiefeln, Gartenhandschuhen und derlei lag noch immer dieser grüne Pullover, ein altes, hässliches Grün voller Löcher, der aus dem Schrank quillte wie ein hungriges Monster - in den abenteuersuchenden Augen des Kleinen.
Es gab keine Fenster, weswegen er sich das erste Mal mit dem schwachen Licht seines Handys durch klebrige Spinnenweben tastete, dann laut aufatmete, als die Elektrizität wieder ging und er sich in das kalte Licht einer einzigen nackten Glühbirne hüllen konnte, um die Waschmaschine zu prüfen.
Alles funktionierte auf den ersten Blick und ein eigenartiges Déjà-Vu überkam ihn, als er das Licht wieder hinter sich löschte, um die knarrende Treppe wieder hinauf zu gehen. Die unerklärliche Angst vor der lauernden Dunkelheit in seinem Rücken. Nie war er als Kind schneller gerannt, als auf dieser Treppe, die er nun nur langsam hinauf schlurfte, über gefallene Gläser voller Aprikosenmarmelade sinnierte.
Die Eingangshalle war inzwischen in ein weiches Licht gehüllt, der Himmel draußen finster und er sammelte etwas Holz aus dem Korb beim Ofen, füllte das offene Feuer damit. Die Wärme hatte etwas geborgenes, würde ihn aufheitern, während er hier beschäftigt war. Seine Gedanken kreisten bereits um eine Soundanlage, um die große Tanzfläche, die die runde Eingangshalle schon immer geboten hatte und über Schokoladeneis im Kühlschrank.
Er fand alles, was er zum Saubermachen brauchte in der kleinen Beistell-/Vorratskammer hinter der Küche und die weichen Beats von Popsongs füllten unbedeutend seine Ohren, während er summend durch das Haus glitt, bei der Küche anfing, um alles einer Zentralreinigung zu unterziehen.
Dieses Haus brauchte einen neuen Wind, mehr Leben.
Wie als er ein kleiner Junge war, tanzte er über die marmornen Fliesen, die ihm schon mehr blaue Flecken beschert hatten, als er zählen konnte. Krabbelte auf Knien die Stufen hinauf, wie als sei er wieder in seiner monatelangen Phase von 'ich bin ein wilder Tiger, fürchtet mich'! Er fand überall kleine Nischen, in denen er Verstecken gespielt hatte, Spuren an den Wänden, wenn das Spielen zu grob geworden war. Erinnerungen, wohin er auch blickte und er empfing sie mit einem Lächeln.
Es war weit in der Nacht, bis er auch nur Küche, Halle, Badezimmer und sein Zimmer fertig hatte. Die anderen Zimmer müssten warten und der Keller... es war doch ein Keller, gerade weil er nicht gereinigt wurde, oder?
Es war einsam. Schon jetzt sehnte er sich nach jemandem zum reden, einem Gesprächspartner und weil Jackson schon lange schlief, nahm er ihm bloß leise eine Audionachricht auf, erzählte endlich über sein emotionales Wiederkehren und den Zustand des Hauses. Es wirkte zu groß für ihn allein und er dachte darüber nach sich einen Hund zuzulegen, wenn er hier bleiben würde.
Nebenbei wurde sein Gepäck verräumt, Klamotten in die Kommode, Duschsachen ins Bad, seine Habseligkeiten in den Nachttisch. Der Koffer kam leer unter das Bett, unter dem er vorher noch ein altes Kuscheltier von sich gefunden hatte. Es war Shiber, sein Shiber Inu und größter Schatz, den er damals nicht hatte finden können, als er ausgezogen war. Monate der bitteren Tränen hatten allein den Hintergrund, dass dort niemand gesucht hatte. Er hatte ihn vermisst und beschloss ihn gleich am nächsten Tag zu waschen und zu sich zu nehmen.
Das Haus war schon bald gelüftet und das Bett frisch bezogen und dennoch checkte er noch einmal alle Türen, verschloss die wichtigen sicher, bevor er sich zu Bett begab.
Von seinem Platz aus hatte er einen direkten Blick auf die Kommode, auf der seine kleine Leselampe stand, Shiber an ihrer Seite. In der gegenüberliegenden Ecke und gegen den Spiegel gelehnt, saß seine alte Puppe. Eine hölzerne Marionette mit ungeölten Gelenken, sein liebstes Spielzeug als Kind, wenn sie ihm allerdings nachts Angst bereitet hatte. Dennoch hatte er nie das Herz gehabt sie hinaus zu werfen oder von ihrem angestammten Platz zu nehmen, schließlich wollte er ihre Gefühle nicht verletzen. Kein Kind sollte ein Spielzeug weniger schätzen als ein anderes, nicht in Wooyoungs Augen.
Mit einem leisen Lachen erzählte er Jackson auch davon und hing versonnen seinen Erinnerungen nach, bis er einschlief, die Träume seiner Kindheit zu ihm kommend, wie eine schützende Decke.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top