9. Hoffnung

Etwas in mir hat sich verändert. Das ist für jeden offensichtlich. Das Äußere ist nicht zu leugnen, wenn man mich sieht. All die Verletzungen, Schwellungen und bunten Flecken, die mein Gesicht zieren, sind der Beweis für das, was an diesem Tag geschehen ist. Ich spüre den Schmerz immer noch, wenn ich mich bewege oder meinen Gesichtsausdruck verändere. Mein Körper schmerzt wie die Hölle und mein Herz brennt wie verrückt. Dieser Druck hört auch Tage nach diesem Erlebnis nicht auf.

Ich kann nicht schlafen und wälze mich jede Nacht hin und her, weil ich die Bilder nicht aus meinem Kopf bekomme. Das Schlimme daran ist, dass ich nicht weiß, was ich getan habe. Warum hat er das nur gemacht? Und warum hat er mich am Leben gelassen, obwohl er mich umbringen wollte? Das raubt mir schon seit Tagen den Schlaf. Ich kriege dieses Monster nicht aus dem Kopf! Ich schaue auf und blinzle mehrmals, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

Gehorche.

Ich bin wieder bei der Arbeit und bringe die Bestellungen zu den Kunden. Es ist leichter für mich, viel leichter als früher. Stefan ist heute nicht da. Eigentlich hat er die Schicht mit mir, aber er wollte nicht kommen, egal wie oft ich an seine Tür geklopft und ihn angefleht habe, mich nicht allein zu lassen. Vielleicht sollte ich wütend auf ihn sein, weil er mich im Stich gelassen hat, aber ich bin es nicht. Ich verstehe ihn. Er war verängstigt. Trotzdem bin ich enttäuscht, dass er jetzt nicht an meiner Seite ist, auch wenn ich ihm verziehen habe.

,,Du siehst heute wirklich umwerfend aus, Kleines. Vielleicht könntest du etwas mehr Farbe in deinem Gesicht vertragen", sagt der Koch, während ich zum Spülbecken laufe, um das schmutzige Geschirr wegzuräumen.

,,Ach, findest du? Ich dachte, mein blaues Auge und die aufgeplatzte Lippe wären heute ganz passend. Vielleicht sollte ich mir die Haare ausreißen, um dir zu gefallen", sage ich bissig und laufe zum Schiebefenster.

Er bleibt unbeeindruckt, als ich mich vor ihn stelle und meinen Kopf etwas näher ans Fenster rücke, so dass ich ganz nah an seinem Gesicht bin. Plötzlich beginnt er laut zu riechen.

,,Lecker. Vielleicht solltest du endlich aufgeben, damit ich deine Haut endlich verarbeiten und dein Fleisch in kleine Stücke schneiden kann." Ich starre ihn an.

,,Ich habe von einem Kunden gehört, dass ihm sein Essen nicht ganz geschmeckt hat. Ich schätze, es war ihm nicht blutig genug, obwohl er darum gebeten hatte. Vielleicht solltest du dich auf deine Arbeit konzentrieren, anstatt nach meinem Körper zu sehnen", sage ich bissig und schenke ihm mein bestes süßes Lächeln. Er reißt die Augen auf und kommt wieder näher ans Fenster, so dass ich sogar seinen Atem riechen kann. Ich gehe einen Schritt zurück.

,,Das kann nicht sein!", flüstert er aufgebracht. ,,Ich bin der beste Koch und habe noch nie eine Beschwerde bekommen!"

Ich neige meinen Kopf leicht nach rechts.

,,Jeder hat sein erstes Mal. Glückwunsch", sage ich und schließe die Schiebetür vor seinen Augen. Ich höre ihn noch immer "Warte" rufen, aber ich habe einfach keine Lust mehr, mit ihm zu reden. Er gibt mir immer dumme Sprüche, egal was ich mache. Er sieht einfach nicht, dass ich mich anstrenge, egal, was ich tue.

Ich drehe mich um und sehe plötzlich einen bekannten Kunden, den ich seit Tagen nicht mehr gesehen habe. Er sitzt wieder an demselben Platz. Er sieht mich an und nickt mir mit einem freundlichen Lächeln zu. Ich gehe zu ihm hinüber und nicke ihm zu.

,,Guten Tag. Was möchten Sie essen? Oder möchten Sie lieber etwas trinken?" frage ich und warte auf seine Antwort.

,,Ein Orangensaft würde mir heute reichen. Es ist noch recht früh", antwortet er, während er seinen schwarzen Mantel öffnet.

Ich bringe ihm sein Getränk und stelle ihm das Glas Orangensaft vor die Nase. Er dankt mir. Seltsamerweise ist er der erste Kunde, der sich bei mir bedankt. Ich freue mich zum Teil, weil mich jemand normal behandelt. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass er heimtückisch und aggressiv ist. Bei einer guten Gelegenheit würde er mich sogar fressen wollen.

,,Wie geht es dir?", fragt er, während er einen Schluck aus seinem Glas nimmt. Ich bin von dieser Frage überrascht. Man sieht mir deutlich an, wie ich mich fühle. Die vielen Flecken in meinem Gesicht sind der Beweis dafür.

,,Mir geht es im Moment gut", sage ich und versuche, zuversichtlich zu klingen.

,,Warum kannst du mir dann nicht in die Augen sehen?", fragt er. Ich schaue ihn immer noch nicht an.

,,Wusstest du, dass wir sehr schnell sterben können? Willst du wissen, wie?", sagt er plötzlich.

Ich seufze. Kann ich ihm wirklich glauben? Können diese Ungeheuer wirklich so leicht sterben? Ich habe gesehen, wie brutal sie sein können. Nein, er lügt.

,,Wir haben verschiedene Körper, aber auf eine Weise können wir immer sterben. Du musst angreifen und nur hier", erklärt er und ich sehe im Augenwinkel, dass er seinen Arm bewegt. Ich hebe meinen Blick und sehe ihn an. Seine Hand liegt auf seiner Brust, über seinem Herzen. Er lächelt.

,,Endlich schaust du mich an. Leider muss ich dich enttäuschen. Ein Mensch kann ein Monster nicht so einfach töten. Das Einzige, was du tun kannst, ist, dich bei anderen beliebt zu machen. Jemanden, der dich beschützen würde. Aber wenn wir ehrlich sind, wird das niemand tun. Hmm..., oder du bringst jemanden dazu, einen Narren an dir zu fressen. Vielleicht werde ich diese Person sein?", er neigt den Kopf nach rechts und sieht mich mit funkelnden Augen an. Ich schüttle den Kopf.

,,Wie gehts dir, Amelie?", fragt er erneut.

,,Was wollt ihr eigentlich von mir hören? Dass ich mich super fit fühle? Nein, mir geht es im Moment ganz gut", versuche ich mich zu erklären. Er schaut jetzt auf sein Glas.

,,Du hast ein Fehler gemacht...", es entsteht eine Pause. ,,Aber warum lebst du noch?"

Ich schlucke. Ich will das nicht hören. Ich will nicht über diesen Tag sprechen. Warum muss er es zu einem Thema machen?

,,Ich bin froh, dass du nicht tot bist. Du bist eine echte Kämpferin und hast es geschafft, da rauszukommen. Aber ich frage mich trotzdem, was du getan hast."

Nein. Bitte hör auf, darüber zu reden. Ich will es nicht hören. Bitte, nicht...

,,Normalerweise sterben alle, wenn man in das andere Gebäude kommt. Was hast du getan? Sag mir, wie bist du ihm entkommen?", fragt er neugierig und sieht plötzlich aus wie ein Kind.

Ich spanne meinen Kiefer an. Wie kann er so ruhig über diesen Tag sprechen, als wäre nichts geschehen. Wie kann er das?

,,Ich weiß es nicht", wispere ich und schaue auf meine verschlungenen Hände.

,,Was soll das heißen? Du weißt es nicht?", fragt er verwirrt. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. Er schaut weg.

,,Hast du etwas kaputt gemacht?", fragt er. Ich schüttele meinen Kopf.

,,Kein Kunde bedient?", fragt er weiter. Ich schüttle wieder den Kopf.

,,Dann hat sich wohl ein Kunde beschwert.... Hmm, aber du lebst doch noch. Das kann auch nicht sein." Er überlegt.

Ich hätte am liebsten geschrien und gefragt, wie man nur mit einem Leben spielen kann. Und dann erinnere ich mich daran, was er vorhin gesagt hat.

,,Macht er das öfters?", frage ich und werde noch etwas lauter. Ein paar der Gäste drehen sich zu mir um. Ich verstumme. Ich atme tief ein und aus.

,,Was meinst du?", fragt er mit einer Gegenfrage. Ich hasse es, wenn jemand mit einer Gegenfrage antwortet, anstatt meine Frage zu beantworten.

,,Bringt er Menschen um?", frage ich und sehe ihm in die Augen. Ich will sehen, wenn er mich anlügt.

,,Ja, natürlich. Er tötet Menschen, wenn sie etwas falsch gemacht haben", antwortet er. Lügt er etwa? Ich nehme einen tiefen Atemzug und atme aus. Ich habe keine Ahnung. Was habe ich nur falsch gemacht und warum hat er mich verschont?

,,Verstehe. Also kämpfen wir jeden Tag ums Überleben. ", stelle ich noch einmal klar. Er nickt.

Plötzlich greift er nach meiner Hand und streicht sanft über meine Haut.

,,Leider bist du bei ihm gelandet. Kopf hoch und versuche, beim nächsten Mal keine Dummheiten zu machen. Obwohl ich gerne wüsste, warum du noch am Leben bist. Normalerweise lässt er niemanden raus. Aber jetzt bist du hier..."

Ich erlaube ihm, meine Hand zu halten. Ich sehe die Narben auf meiner Haut.

,,Ist das so?" frage ich neugierig. Er sieht mich immer noch nicht an, sondern beobachtet meine Hand.

,,Ja. Ihr seid leicht zu ersetzen, aber er tut es nicht. Normalerweise behält er seine Angestellten, aber wenn du etwas falsch machst, bist du schnell wieder weg. Du bist wertvoll, weißt du...", sagt er und lächelt. Langsam streichelt er meine Hand.

,,Was meinst du?"

,,Du riechst gut, weißt du das?", fragt er und sieht mich an. Ich schlucke. Seine Augen haben sich verändert. Zu dunkel. Ich ziehe meine Hand von ihm weg. Verdammt... Kein Wunder, dass die Menschen so wertvoll sind. Wir stehen am unteren Ende der Nahrungskette.

,,Ich muss jetzt wieder gehen. Hier", er legt das Geld auf den Tresen und verabschiedet sich von mir. Er lächelt mich frech an. Sein Blick verrät mir, dass er hungrig ist.


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