18. Seine Reaktion
,,Das Essen war köstlich. Sag dem Koch, dass er gute Arbeit geleistet hat", sagt die ältere Frau, die in letzter Zeit häufig hier auftaucht. Sie sieht fast aus wie ein Mensch. Ihre klauenartigen Finger sind das Einzige, was an dem ganzen Bild falsch zu sein scheint. Obwohl sie anders ist, muss ich zugeben, dass sie sehr sympathisch und sehr gesprächig ist. Sie ist sogar diejenige, die mich in längere Gespräche verwickelt und immer innehält, wenn ich kurz zu anderen Kunden gegangen bin, um die nächste Bestellung aufzunehmen und den Bestellvorgang abzuschließen. Jedes Mal wartet sie auf mich, um mir zahlreiche Geschichten und Gerüchte zu erzählen. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht doch ein Mensch ist und diese Krallen künstlich sind. Ich lächle sie an.
,,Das werde ich. Schön, dass Ihnen das Essen geschmeckt hat", erwidere ich. Als ich mich bemühe, ihren Tisch abzuräumen, packt sie mich am Arm und zieht mich näher zu sich. Sie flüstert leise: ,,Willst du etwas über den Krieg wissen?" Sie zwinkert mir zu. Sie weiß, dass sie mich am Haken hat wie einen Fisch.
In letzter Zeit ist sie öfter gekommen und ich habe ihr mehrmals Fragen über die Geschichte dieser Welt gestellt. Natürlich habe ich versucht, nicht so auffällig zu sein, aber die Frau merkt, wenn jemand Fragen im Kopf hat, und vor allem beantwortet sie sie gerne.
Ich nicke ihr zu, werfe einen kurzen Blick auf alle Tische und versichere ihr, dass es hier keinen neuen Kunden gibt. Alle werden bedient. Leonie und Stefanie unterhalten sich. Ich kann für ein paar Minuten Pause machen.
,,Es war einmal ein Mann namens Thamil. Er war verliebt in eine der Töchter des Generals der Vampire. Niemand weiß genau, wie er sie kennengelernt und sich in sie verliebt hat, aber dieser Mann wollte unbedingt mit ihr zusammen sein. Deshalb plante er einen Weg, um sie heiraten zu können. Aber es war schwierig, da zwischen allen Gruppen Krieg herrschte und jeder versucht hat, sein eigenes Land zu schützen. Die einzige Lösung, die ihm einfiel, war, den Krieg zu beenden und ihr dann einen Antrag zu machen. Es musste also Frieden herrschen, damit er ihr die Hand reichen konnte und-"
,,Ist er denn auch ein Vampir gewesen?", frage ich schnell und unterbreche ihren Monolog. Ihre hellgrauen Augen weiten sich und ein breites Grinsen erscheint auf ihrem Gesicht.
,,Nein. Nein. Nein, meine Liebe. Er ist ein Werwolf", antwortet sie und zwinkert mir zu.
,,Naja, die Geschichte geht noch weiter. Wo bin ich nur stehen geblieben?", fragt sie und tippt auf den Tisch.
,,Es musste erst Frieden herrschen, bevor er sie heiraten konnte", helfe ich ihr auf die Sprünge. Sie hört auf zu tippen und zeigt mit dem Finger auf mich. Ich betrachte ihre rot lackierten Fingernägel.
,,Genau. Du bist eine gute Zuhörerin. Super!", sagt sie voller Freude. Ich neige meinen Kopf leicht und lächele sie an.
,,Der Plan lautete: Frieden herzustellen. Er sprach mit seiner Familie und seinen Freunden. Er versuchte, seine eigenen Leute davon zu überzeugen, dass es besser wäre, wenn wir uns nicht gegenseitig bekämpfen würden und dass der Krieg viel zu lange dauern würde und schließlich beendet werden müsste. Viele haben in dieser Zeit gelitten und die Stimmung war immer angespannt. Es war für ihn ein Leichtes, sein eigenes Volk für den Frieden zu gewinnen. Das war der erste Schritt, und jetzt rate mal, was er als nächstes getan hat", fragt sie und klatscht in die Hände. Ich zucke bei dieser überraschenden Aktion zusammen.
,,Hmm... Er ging zu der Familie und schloss einen Friedenspakt", sage ich unsicher. Sie schüttelt heftig den Kopf. Dabei fallen ihre blonden Haare in ihr Gesicht.
,,Um Himmels willen, nicht doch. Das wäre viel zu einfach. Thamil ging zu den benachbarten Gruppen und schloss mit ihnen ein Abkommen unter der Bedingung, dass es zwischen den Gruppen keinen Streit geben würde. Es war schwierig, aber sie konnten sich schnell einigen und es kam dazu, dass sie sich nicht bekämpften. Natürlich dauerte dieser ganze Prozess sehr lange. So etwas passiert nicht nach ein paar Nächten. Jahre sind vergangen, und niemand hat sich wirklich für den Krieg interessiert, außer ein paar Gruppen. Die meisten von ihnen stimmten dem Friedensvertrag zu. Aber um einen vollständigen Frieden zu erreichen, muss man alle dazu bringen, ihn zu wollen. Er musste sich also noch mit den Vampiren auseinandersetzen. Sie waren zu dieser Zeit die dominierende Gruppe, und wenn diese Gruppe keinen Krieg wollte, würden die anderen Gruppen auf sie hören. Er musste also versuchen, die Vampire von dem Krieg abzubringen. Er versuchte es mit allen Mitteln, aber sie lehnten alle Versuche ab. Und dann..."
,,Und dann...", wiederhole ich ihre Worte und höre ihr aufmerksam zu.
,,Es gab einen massiven Angriff, der heute als die letzte Schlacht des Krieges bezeichnet wird."
Sie hält inne und sieht mich amüsiert an. Langsam wird mir bewusst, wie nahe ich mich an sie gelehnt und ihren Worten gelauscht habe. Ich straffe meine Schultern und lehne mich wieder gegen den Stuhl.
,,Viele sind an diesem letzten Tag zum Opfer gefallen. Thamil hat mit seiner Gruppe, die in der Oberhand war, einen Sieg errungen. Er hatte den Vampiroberhaupt in seinen Klauen und musste nur noch eine Sache erledigen. Alle erwarteten, dass er ihn töten würde, um den Krieg zu beenden. Er tat es, er tat es wirklich. Er tötete den Vampiroberhaupt und das war das Ende des Krieges", erzählt sie. Nach dem letzten Satz atmet sie laut aus. Sie sieht mich voller Neugierde an.
,,Wow...", erwidere ich.
,,Genau. Wow", höre ich eine Stimme neben mir sagen. Sofort wende ich mich der Stimme zu und muss feststellen, dass es der Unbekannte ist. Schon wieder ist er da.
,,Und was denkst du?", fragt mich die ältere Frau und tippt mir auf die Schulter.
,,Beeindruckend, aber gleichzeitig traurig. Es war heldenhaft von ihm, für das Ende des Krieges zu kämpfen. Ich bin auch beeindruckt, weil er es getan hat, weil er jemanden geliebt hat", antworte ich.
,,Oh Mann, diese Frau macht aus dieser Geschichte ein richtiges romantisches Drama. So wie sie es schildert... Soll ich dir die Wahrheit sagen? Es war die Liebe, die ihn dazu brachte, für das Ende des Krieges zu kämpfen. Aber im letzten Moment, als alle darauf warteten, dass er den Vampiroberhaupt tötet, hat er gezögert. Wir haben gekämpft, und er zögert einfach. Es war der Schatten, der ihn dazu brachte, dem Vampiroberhaupt ein Ende zu setzen. Und weißt du was? Er hat die Frau, die er liebte, damit nur gequält. Sie muss mit der Tatsache leben, dass ihr Vater von ihm getötet wurde. Danach wurde diese Frau nie wieder gesehen, obwohl Thamil nach ihr gesucht hat. Niemand weiß, was danach geschah. Es gibt viele Gerüchte und einige Dinge sind erfunden. Ich kenne jemanden, der dort war. Er soll alles wissen, na ja, fast alles", sagt der Unbekannte und schaut die ältere Frau aufgebracht an. Ich beiße mir auf die Lippe.
,,Wer ist eigentlich der Schatten?", frage ich.
,,Keiner weiß genau, wie er aussieht. Nur bestimmte Leute haben ihn gesehen", sagt die ältere Frau und schiebt ihre langen blonden Haare nach hinten. Plötzlich setzt sich ein anderer Kunde neben die ältere Frau. Die Frau lächelt breit.
,,Ach, meine Liebe, was machst du denn hier? Wolltest du nicht deinen Sohn sehen?", fragt sie und schlägt den ältere Mann auf die Schulter. Der Mann sieht genauso aus wie sie. Er nickt und schaut mich dann an.
,,Er ist ein sehr mächtiger Mann. Vielleicht der mächtigste Mann, den es gibt. Niemand weiß, wo er ist oder wie er aussieht. Er war mit einigen Leuten in den Krieg verwickelt. Sehr hochrangige Leute. Aber sie scheinen alle untergetaucht zu sein", sagt er und blickt den Unbekannten an.
,,Nicht so ganz. Eine Person kenne ich tatsächlich."
Alle schauen den Fremden an. Wovon spricht er? Kennt er eines der hochrangigen Mitglieder der Gruppe? Ich schlucke.
,,Er ist hier", sagt er und zeigt mit den Finger nach oben.
Es ist also unser Chef.
,,Er hat geholfen, dass der Krieg beendet wird. Er hat mitgekämpft?", frage ich schockiert.
Er schüttelt den Kopf. ,,Nicht ganz. Er war für die Beschaffung von Information zuständigen. Er hat diejenigen gefoltert, damit sie sprechen", antwortet er mir.
Meine Augen weiten sich. Das kann doch nicht sein. Mein Chef hat jemanden gefoltert, um Informationen zu bekommen? Wundert mich das wirklich so sehr?
,,Naja, jetzt verkriecht er sich in seinem Büro und lässt sich wie üblich nicht blicken. Und das, obwohl ein weiterer Krieg unmittelbar bevorsteht", sagt er jetz etwas lauter. Plötzlich steht er auf und verschwindet aus dem Restaurant. Wir schauen ihm hinterher.
,,Was ist denn jetzt mit dieser Schlange los?", sagt der ältere Mann.
Die ältere Frau sagt dann: ,,Ach, wer weiß... Vielleicht hat er bei Noe einfach keine Chance." Sie fängt an zu kichern. Ich blicke sie an.
,,Ach Kind, musst du nicht wieder arbeiten? Hier scheint eine Menge los zu sein", sagt sie und schnell merke ich, was sie meint. Stefan und Leonie laufen hin und her, um die Bestellungen aufzunehmen. Ich habe gar nichts bemerkt.
Ich stehe schnell auf und verabschiede mich. Ich laufe zu Stefan und Leonie und entschuldige mich und mache mich dann an die Arbeit.
Als meine Schicht zu Ende ist, gehe ich langsam in mein Zimmer. Ist das alles wahr, was sie mir erzählt haben? Hat er wirklich andere gequält? Ich bin mir sicher, dass es die Wahrheit ist. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was er mit mir gemacht hat. Aber warum hat er mich freigelassen? Darauf werde ich wohl nie eine Antwort bekommen.
Ich gehe in mein Zimmer und lege mich dann in mein Bett. Ich schaue an die Decke. Seit dem letzten Vorfall habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er scheint vor mir wegzulaufen. Immer wenn ich glaube, ihn gesehen zu haben und ihm nachlaufen will, ist er verschwunden. Er rennt vor mir weg und ignoriert, was gesagt werden muss.
Meine Arbeit dreht sich darum, sein Restaurant am Laufen zu halten. In meinen Träumen geht es um ihn. Meine Gedanken kreisen immer wieder um ihn und ich sehne mich nach den Erinnerungen, in denen er mich voller Zärtlichkeit ansieht.
Ich lege meinen Arm über meine Augen. Ich will ihn sehen, aber ich weiß nicht, ob das die richtige Entscheidung ist. Es tat mir weh, ihn so zerbrechlich zu sehen. Ich bereue es nicht, ihm mein Blut gegeben zu haben. Nicht einmal für eine Sekunde. Ich weiß, dass es das Richtige war. Trotzdem lässt mich dieses ungute Gefühl nicht los. Es will mich einfach nicht loslassen.
Etwas Schlimmes wird passieren, und ich weiß nicht, ob ich dazu bereit bin.
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