5.Kapitel Bonbons und Knutschflecken
Take the lessons from the past and move on.
Die nächsten Tage sind stürmisch. Blitze zucken in gleißendem Weiß den Himmel entlang, während Wolkenmassen in der Ferne zusammenschlagen und Donner über die Landschaft rollen lassen. Stetig fällt der Regen und prasselt gegen die Fensterscheiben. Es ist kalt. Wärmeisolierung und so. Todmüde von Vollmond gammeln Mena und ich im Schlafsaal. Das Nette an einmal die Nacht durchmachen ist, dass man sich in einer normalen Schulwoche nicht innerhalb einer Nacht wieder erholt. Ich kiefle am Ende meines Federkiels herum, während ich angestrengt versuche, mich auf meine VgddK Hausübung zu konzentrieren. Marl döst schon über ihrem Kräuterkundebuch weg. Ich reibe meine Augen und legen den Kopf in den Nacken, in einem Versuch wach zu bleiben. Als ich mich wieder aufrichte fällt mein Blick auf Lilys Bett. Das Mädchen sitzt wie stoisch da, der rote Vorhang aus Haaren verdeckt halb ihr Gesicht. Ihr Blick geht ins Leere, die Stirn gerunzelt als denke sie nach. Weird. Ich schüttle meinen Kopf und widme mich wieder meiner Arbeit. Tebokacke. Da sind Tintenflecken quer über das ganze Pergament, aber was soll's ich hatte eh erst drei Zeilen oder so. Resigniert setze ich mich auf und greife nach einer neuen Rolle Pergament und beginne erneut. Ich will so wenig Zeug wie möglich mehr zu tun haben, wenn übermorgen die Leute von Beauxbaton und Hong Lee zu Besuch kommen. Ich schreibe also weiter, bis die Sicht vor meinen Augen verschwimmt und ich mich schließlich zusammenrolle und meine Lider zufallen.
Zwei Tage später ist es schließlich so weit, die Austauschschüler kommen heute an. Ich sitze müde vor einer Tasse Kaffee und blättere den Tagespropheten durch. Das Geräusch von klirrendem Besteck und Eulen Geschrei erfüllt die große Halle, begleitet vom Geschnatter der Schüler. Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen um Zaubererviertel in London, aufgrund der angespannten Lage zwischen Du-weißt-schon-wems Fronten und dem Zaubereiministerium. Vom Imperiusfluch befallene Ehefrau tötet Mann und Kind. Resigniert falte ich die Zeitung zusammen. Ich habe das Gefühl uns läuft die Zeit davon. Dumbledors Stimme lässt mich aufschrecken. Bei Merlins Bart, weiß er eigentlich, dass man Leute so früh am Morgen mit Samthandschuhen anfassen sollte?
„Meine lieben Schüler! Wie die siebten Jahrgänge bereits wissen, werden uns diesen Herbst bis Weihnachten 20 Schüler aus der Beauxbaton und Lee Hong Akademie mit ihrer Anwesenheit beglücken. Ich wünsche, dass unsere Gäste herzlichst von euch aufgenommen und so gut wie möglich in den Schulalltag integriert werden."
Sein Blick schwebt über die Schüler hinweg, die Halbmondbrille glitzert im Licht der Kerzen, ein Lächeln auf seinem Gesicht.
„Begrüßt nun also mit mir die Schüler aus einem fernen und einem ganz nahen Teil der Welt!"
Mit einem lauten Knirschen öffnen sich die Tore der großen Halle und in himmelblaue und feuerrote Umhänge gekleidet marschieren zwei Gruppen nach vorne zum Pult, an dem Dumbledor sie schon mit ausgebreiteten Armen empfängt. Applaus bricht unter uns los, steckt die anderen an und erfüllt bald die ganze Halle. Ich kann Juliet zwischen den anderen Schülern aus Beauxbaton erkennen. Ihre Augen scheinen über den Gryffindortisch zu wandern, bis sie an einer Person hinter mir hängen bleiben. Ich drehe kurz meinen Kopf. Sirius. War ja klar. Ki Hong grinst in seinem roten Umhang mit dem Mädchen neben ihm um die Wette.
„Meine Lieben", beginnt er, „wir alle freuen uns ungemein euch heute hier willkommen heißen zu können. Eure Anwesenheit hier zeigt mir ganz klar, dass ihr unser schottisches Wetter gut überstanden habt."
Mit einem amüsierten Funkeln in den Augen weist er zu Professor McGonagall.
„Professor McGonagall wird euch mit den anderen Lehrern der Häuser mit unserem Schulprotokoll vertraut machen, bevor ihr eure Klassenkollegen über die nächsten zwei Monate im Unterricht wiedertreffen werdet."
Die Ankömmlinge nicken und winken noch einmal in die Schülermasse, von der sie freudig begrüßt und beklatscht werden, bevor sie unserer Hauslehrerin hinaus aus der Halle folgen. Ich wende mich grinsend zu Lily.
„Ihr wisst sicher schon, wer in welches Haus zugeteilt wird, stimmt's?"
Die Rothaarige schüttelt lachend den Kopf. „Nein, tut mir leid dich enttäuschen zu müssen, wir wissen genau so wenig wie ihr."
Ich muss schmunzeln, als ihr Blick kurz zu James flackert, als brauche sie seine unterstützende Zustimmung. Er fängt ihn auf und nickt.
„So gerne ich ihr auch wiedersprechen würde, Yang", meint er, „kann ich das leider nicht."
Sie rollt mit den Augen bei dieser Aussage und greift nach der Teekanne vor ihr.
„Schade", schmollt Sirius vor sich hin, „ich hoffe-"
„Juliet ist in Gryffindor?", vollendet Peter kichernd den Satz."
Ich merke, wie Lily ihre Ohren spitzt, auch wenn ihr Blick aus ihrer Teetasse ruht, als gäbe es in diesem Moment nichts Spannenderes in ganz Hogwarts. Ein Hauch von Röte steigt an Sirius Hals auf, doch seine Stimme bleibt gelassen wie immer.
„Nein, eigentlich wollte ich sagen, dass ich hoffe, dass coole Leute nach Gryffindor kommen, aber wieso nicht? Sie is ja eine von uns", ein leichter fröhlicher Ton schwingt in seiner Stimme mit.
„Leute", unterbricht Remus unser Gespräch, „wir sollten langsam los, Gonni verwandelt uns in eine Heuschrecke, wenn wir heute zu spät kommen. Und ich für meinen Teil möchte mein letztes Jahr in Hogwarts wirklich nicht als Insekt verbringen."
Er streicht die honigblonden Haare aus seinem Gesicht, das schon seine Farbe von leichenblass zu lebendigem rosa gewechselt hat, sodass nichts mehr von letztem Vollmond zu merken ist.
„Ich auch nicht", ertönt eine amüsierte Stimme neben mir. Mary's goldene Locken verdecken mir die Sicht, als sie sich zu uns wendet.
„Gehen wir?", fragt sie, gefolgt von einem geglucksten, „Oh Merlin, Emmi, tut mir leid."
„Alles gut", winke ich grinsend ab, kippe den Rest meines Kaffees hinunter und rapple mich auf, „let's go."
Unsere Gruppe zieht also wie eine kleine Herde die Gänge entlang zum Verwandlungsklassenzimmer, wo wir auf Gwen treffen, die sich mit einem leichten Lächeln im Gesicht zu uns gesellt. „Ach, ich freu mich schon wenn die coolen Leute nach Ravenclaw kommen", meint sie.
Sirius beginnt zu grinsen: „Tut mir leid, die sind leider schon an Gryffindor vergeben."
Mit einem etwas ungläubigen Gesichtsausdruck wendet sie sich zu Lily, die nur den Kopf schüttelt, und anschließend zu James, der laut auflacht.
„Gwen, chill, Sirius spuckt nur wieder große - "
Der springt vor und drückt Krone seine Hand auf den Mund. „Wahrheiten", vollendet er den Satz und fixiert sie mit einem schelmischen Grinsen auf dem Gesicht, „Das wollte er sagen."
Gwen schüttelt nur schmunzelnd den Kopf: „Jaja, Sirius, red dir das ruhig ein."
„Was für, red dir das nur ein' es ist wahr!", protestierte er lautstark, die Hand immer noch in James' Gesicht. Er will gerade erneut ansetzen, als er schockiert seine Hand zurückzieht. Entgeistert starrt er Krone an. Der erwidert seinen Blick mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck, der einen Außenstehenden ohne Zweifel täuschen könnte, doch ich sehe Triumph in seinen Augen glitzern.
„Ja Tatze?", honigsüß schweben die Worte durch den Gang. Der starrt James an, dann seine Handfläche. James. Handfläche.
„Du hast mir einen Knutschfleck gemacht??", will er ungläubig wissen und hält anklagend seine Hand in die Höhe. Ein dunkelroter, fast schon violetter Fleck ziert die Innenseite.
James zuckt mit den Achseln: „Du hast sie nicht weggezogen, deswegen dachte ich, es gefällt dir." Ich kann mich nicht zurückhalten, ein Prusten entfährt mir, während Mena neben mir zu lachen beginnt.
„Ja, da ich dachte, du schleckst nur!"
Gwen hat sich mit einem spärlich unterdrückten Lachen und einer schnellen Umarmung aus dem Staub gemacht, um die Vorstellung der nach Ravenclaw zugeteilten Austauschschüler nicht zu verpassen. Mein Amusement nimmt stetig zu, als die beiden den ganzen Weg in den Klassenraum weiter diskutieren.
Sie ebbt auch nicht ab, als wir bereits an unseren Plätzen sitzen und auf McGonagall und die Austauschschüler warten. Remus' und Peters Gesichter haben die Farbe einer roten Rübe angenommen und Mena und ich halten uns den Bauch vor Lachen.
Ich habe es gerade geschafft, meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, als Sirius laute Stimme durch den Raum schallt: „ICH KRIEG GERN MEINEN SCHWANZ ABGELECKT NICHT MEINE HAND, POTTER!"
Für einen Moment ist es still, bevor der halbe Klassenraum in röhrendes Gelächter ausbricht. Tatze bleibt unbeirrt.
„Nun", ertönt eine strenge Stimme, die uns verstummen lässt, „Mr. Black, ich bin mir sicher, dass wir auch ohne diese Information gut hätten leben können."
Ich verschlucke mich an meinem Atem, als ich mich erschrocken umdrehe und McGonagall mit fünf Schülern im Schlepptau erblicke. Ich meine Röte Sirius Hals hinaufkriechen sehen, doch er grinst sie nur kokett an: „Ist vermerkt, Professor."
Ich meine ein Augenrollen zu sehen, als sie bestimmten Schrittes das Pult ansteuert. Drei Mädchen, zwei davon in blau, und zwei Jungen von jeweils einem Haus, folgen ihr nach vorne. Schwungvoll dreht sich McGonagall zu uns, sodass der Stoff ihres dunkelgrünen Umhangs nur noch wirbelt. Ein kleines Lächeln liegt auf ihren Lippen.
„Meine Lieben, begrüßt bitte mit mir eure Kollegen über die nächsten zwei Monate. Raito Wu", ein schmaler Asiate winkt uns etwas schüchtern zu, „Sakura Ling", ein umwerfendes Mädchen streicht ihre Haare, die wie ein seidener, dunkler Wasserfall über ihre Schultern fließen, zurück und lächelt uns freundlich an, „ Juliet Stone", Juliet grinst offen in die Runde. Flackern ihre Augen zu Sirius? „Victoire Clement", schulterlange, rosa Haare – ein Bonbon-Kopf, zartes Lächeln. Ich spüre einen Ellbogen in meinen Rippen.
„Hm?", mache ich, als „Eugene Leroy" als letztes aufgerufen wird.
„Sie ist extrem pretty", flüstert Marl mir zu und gestikuliert zu der fröhlichen Hexe.
Ich nicke: „Jup, definitiv. Sehr cute vor allem."
Der braunhaarige Franzose hat aufgehört zu winken und Gonni redet weiter. Ich vernehme nur die Worte Schlafsäle, Unterricht und aufpassen, Verbote. Zu sehr bin ich damit beschäftigt, die Neuankömmlinge zu mustern. Sakura ist definitiv diejenige, die von sämtlichen Hormon gesteuerten Engländern angebaggert werden wird, denn mit ihrer zierlichen Statur und den feinen Zügen wirkt sie fast wie eine asiatische Elfe. Der schmale Chinese neben ihr jedoch wirkt etwas kränklich, dünn, in sich zusammengefallen, als ich ihn noch vom Polymagischen Turnier in Erinnerung hat. Juliet ist eben Juliet, mit ihren hellbraunen Locken und dem immerwährenden Lächeln auf ihren Lippen. Sie sieht McGonagall interessiert an, doch ab und an huschen ihre Augen zu den Schülern vor ihr. Der Bonbon-Kopf hingegen wirkt wie jemand, der versucht in Geschichte der Zauberei bei Binns aufzupassen, jedoch gestern die ganze Nacht durchgemacht hat. Gerade verkneift sie sich ein Gähnen. Eugene streicht sich kurz durch die Haare, bevor er sich aufrichtet, Tresha zu zwinkert und dann seine Aufmerksamkeit scheinbar wieder McGonagall zu wendet. Möchte-gern-Casanova.
„Sollten noch Fragen auftauchen oder Unklarheiten, Probleme entstehen, zögern Sie nicht sich an mich oder unsere Schülersprecher", sie weist mit der Hand zuerst zur Reihe hinter mir, „Lily Evans", ich merke wie die Rothaarige kurz winkt, „und James Potter", der streicht sich grinsend durch sein Haar und hebt die Daumen hoch, „zu wenden. Nun, das wäre alles. Gibt es jetzt gleich noch Fragen, die unbeantwortet geblieben sind?"
Ich sehe zu Marl und sie grinst zurück. Wir haben beide keinen Plan von irgendetwas, was sie gesagt hat.
Es ist Mary, die wissen will: „Wie funktioniert das jetzt genau mit der Schlafsaaleinteilung? Haben wir überhaupt so viel Platz?"
Ein Schmunzeln schleicht sich auf die Lippen unserer Hauslehrerin. „Wo kein Platz ist, wird Platz geschaffen. Lassen Sie das meine Sorge sein. Jeder Schlafsaal wird mindestens einen Schüler aufnehmen, aber dazu kommen wir später. Miss Evans oder Mr. Potter wird mich einfach am späten Nachmittag abholen, um das ,Problem' zu beheben."
Ich liebe Magie.
Die Stunde vergeht so schnell, dass es schon läutet, als ich dachte, dass gerade mal die ersten 15 Minuten vorbeiwären. McGonagall entlässt uns mit einem Lächeln und schon strömt die Klasse zur Tür hinaus. Kleine Grüppchen haben sich gebildet. Eugene und der Bonbonkopf stehen mit Tresha und ihren Mädels herum, während der schmale Asiate und Sakura sich mit Alice und Frank unterhalten. Und Juliet? Juliet hat sich von der Gruppe abgewandt und läuft mit einem breiten Grinsen auf einen Jungen zu.
Sirius breitet seine Arme aus, in die sie sich lachend fallen lässt.
„Hi!", höre ich sie glucksen, „Wie geht's dir?"
Tatze drückt sie kurz an sich, bevor er seinen Griff lockert. „Mir geht's super und dir?"
„Également!", grinst sie und tritt einen Schritt zurück. Für einen Moment lächeln sie sich nur an, bevor sich der Lockenkopf umwendet und auf uns zu steuert. Mit fast eben so großem Elan umarmt sie uns.
„Leute, wie geht's euch?"
„Uns geht's super! Wie war die Reise?", will Lily fröhlich wissen.
„Ja, halb so wild", grinst sie, „ich meine, Portschlüssel sind nie angenehm, aber es geht halt schnell."
Ihre blauen Augen glitzern vergnügt, als sie mit uns die langen Gänge entlang zur nächsten Klasse schlendert und uns mit Fragen bombardiert, während ihre Uniform in derselben Nuance, wie ihre Iris um ihre Beine schwingt. Die Rumtreiber gesellen sich zu Alice und Frank und nur wenige Momente später tönt lautes Gekicher und Gelächter durch die Korridore, sodass sich einiger jüngere Schüler erschrocken umsehen. Das Meer aus schwarzen Roben wird nun durch Farbe aufgemischt, Tupfen von strahlendem Rot und zartem Blau tanzen durch die Masse. Die Schüler der Hong Lee sind gut bei den anderen aufgehoben, um die müssen wir uns keine Sorgen machen. Sie amüsieren sich da vorne prächtigst. Ich wende meine Aufmerksamkeit wieder Juliet zu, die grade im Begriff ist mit Mena eine Fangirlattacke zu bekommen, da sie beide offensichtlich Karten für das WildWitches Konzert im Sommer ergattert haben.
„Oh mein Merlin!", grinst Juliet sie an, „das heißt, dass wir uns da treffen?!"
„Ja! Wir müssen unbedingt zu einer der Side Stages hinkommen, dort machen sie immer diese ur coolen Showeinlagen! Weißt du noch, wo der Tagesprophet letztes Jahr über den silbernen Regendrachen geschrieben hat?"
„Das-war-so-cool!", ein Seufzen verlässt Juliets Lippen, während sie träumerisch die Augen verdreht. „
Schon gel? Und ich will auch ganz sicher ein Autogramm, weil, ich mein wie cool ist denn das?!"
Ich muss grinsen. Zwei Fangirls hier am Start. Das kenne ich nur zu gut. Ein Schmunzeln bildet sich auf meinen Lippen. Vor ein paar Jahren habe ich noch Harry Potter Fanfictions geschrieben und sieh sich einer an, wo ich jetzt gelandet bin.
Der Unterricht vergeht wie im Flug, so dass es sich anfühlt, als sei noch nicht mal der Vormittag vorbei. Wir quatschen die ersten Stunden beinahe nur durch, da natürlich jeder Lehrer die neuen Schüler willkommen heißen und etwas über sie erfahren will. In Zaubertränke ist Slughorn so in ein Gespräch mit einem Chinesen über die asiatische Zaubertrankbrauerei vertieft, sodass der Rest von uns sich in Grüppchen zusammengesetzt und ein Exploding Snap Match begonnen hat. Ich bekomme nur nebenbei Wortfetzen mit, von Kirschblütennektar bis Drachenhoden ist da alles dabei. Jedoch zieht mich das Spiel wieder in seinen Bann.
Funken sprühen vereinzelt durch den dunklen Kerkerraum, während die Jungs als letztes übriggeblieben sind. Ki Hongs Augen (er ist mit den Slytherins im Schlafsaal eingeteilt worden) funkeln aufgeregt, Sirius lehnt sich konzentriert nach vorne, die Unterarme auf die Knie gestützt, seine Lippen sind triumphierend gekräuselt, so unauffällig, dass es einem nur auffällt, wenn man oft genug mit ihm Zauberschach gespielt hat.
„Tatze, pass auf!", brummt James ihm zu, seine braunen Augen sind hinter den runden Brillengläsern zu Schlitzen verengt. Er lässt seine Sucherreflexe spielen. Wie ein perfekt abgestimmtes Uhrwerk folgen zwei Karten von zwei verschiedenen Händen, die nächste Karte zerrstiebt in alle Richtungen, Funken hinterlassen orange flimmernd ihre Spuren. Der Raum hallt durch die aufgeregten Rufe und das Gelächter der Klasse wider. Der Mischmasch der verschiedenen Sprachen wird zu einem unverständlichen Geschnatter. „
Shit", flucht Ki Hong, sein Gesicht sieht aus, als wäre er gerade durch einen Rauchfang gekrochen. Die Rußspuren um seine Augen und Nase lassen ihn wie einen verdatterten Panda wirken, dem gerade sein Bambus weggenommen wurde, doch dann lockern sich seine Gesichtszüge und ein leichtgenervtes Grinsen schleicht sich auf seine Lippen.
„Na dann, boys, finish it", sagt er mit seinem putzigen asiatischen Akzent. Oh well, yey, das kann ja was werden. Ich wechsle einen amüsierten Blick mit Remus, wohl wissend, dass so ein Play off zwischen den beiden sich oftmals schon über Stunden gezogen hat, während der Rest von uns schon weggepennt ist, bis mitten in der Nacht ein Funkenfeuer und lautes Gefluche uns aus unserer – meist unbequemen - Schlafposition aufschrecken hat lassen. Slughorn nimmt noch immer keine Notiz von dem wahrlich olympiareifen Turnier in der hintersten Reihe seines Klassenzimmers. Karten häufen sich auf den drei verschiedenen Stapeln in der Mitte, abgelegt in einer blitzschnellen Abfolge von Händen. Die beiden lehnen sich immer weiter vor, bis ihre Gesichter sich genau über der Tischplatte befinden.
„Bereit zu verlieren, Potter?", grinst Sirius ihn süffisant an.
„Träum weiter Black", knurrt der Schwarzhaarige und zieht ein weiteres Mal, bevor das klatschende Geräusch der Karten wieder einsetzt.
„Das kann jetzt noch ungefähr drei Stunden dauern", teile ich Juliet mit, als ich mich zu ihr hinüberlehne.
„Ich merk's. Sie wirken äußerst konzentriert."
„Ja", wirft Peter ein, „naja, wenigstens beschimpfen sie sich noch nicht."
„True", stimme ich ihm zu und will mich gerade zurücklehnen, als Sirius innehält, verwirrt die Stirn runzelt, bevor er ablegt. James will gerade nachlegen, doch gerade in dem Moment, in dem seine Karte den Stapel berührt, explodiert sie in seiner Hand. Die Rauchschwaden, die nun durch die Schülergruppe wabern, lassen mich husten.
„Yas!", höre ich Sirius triumphierend rufen, während Krones lautes „Fuck!", durch den Kerker dröhnt.
Ich sehe Lily sich nach Luft schnappend die Hand vor den Mund schlagen, um ihr Gelächter zurückzuhalten. Seine Haare stehen ab wie sonst auch, was nicht unbedingt für ihn spricht, doch sein Gesicht genau wie seine Brillengläser sind schwarz. Genervt nimmt er sie ab, um sie zu putzen, doch es wird sicher nicht besser als graue Schlieren werden. Ich kann nicht anders als los zu kichern. Er sieht aus wie ein Brillenbär, denn das einzige was nicht von Ruß eingefärbt ist, sind zwei kreisrunden Abdrücke seiner nun ja – Brille. „Wir haben einen Gewinner!", verkündet Eugene mit einem Grinsen und hebt Sirius Arm in die Luft als verkünde er gerade den Noch-Stehenden eines Ringkampfs.
„Welchen Gewinner denn?", schallt Slughorns verdutzte Stimme von vorne zu uns.
„Also", beginnt Mary, „Das heißt Juliet, du würdest zu uns in den Schlafsaal kommen, wenn das für Sakura und Victoire in Ordnung ist? Unser Schlafsaal ist eben schon komplett voll, sodass wir wahrscheinlich nur eine aufnehmen können. "
„Ja klar", stimmen die zwei zu. Wir haben uns vor dem größten Kamin im Gryffindorturm versammelt, während Lily und James sich auf die Reise begeben haben, um McGonagall zu finden, damit sie die Schlafsäle erweitern kann. Tresha meldet sich zu Wort. Es ist lange her, dass ich ihr wirklich Aufmerksamkeit geschenkt habe.
„Ja, ok. Cool, dann Sakura, Victoire wollt ihr dann zu uns kommen?"
Der Bonbonkopf lächelt sie fröhlich an und die Asiatin schenkt ihr ein freundliches Nicken.
„Gerne."
„Nice, cool", die Blonde grinst sie fröhlich an.
Erstaunt runzle ich die Stirn. Seit wann ist Tresha so nett? Ich wechsle einen verwunderten Blick mit Marl, doch meine Aufmerksamkeit wird von unserer Hauslehrerin beansprucht, die gerade durch das Portraitloch gekommen ist.
„So meine Lieben", begrüßt sie uns mit einem ihrer seltenen Lächeln, als sie den Gemeinschaftsraum sicheren Schrittes durchquert, „habt ihr euch schon über die Platzverteilung Gedanken gemacht?"
„Ja, das haben wir Professor", erklärt Remus in seinem ganz eigenen Charme. Lehrer geben ihm immer nach, denn mit seiner weichen Stimme und seinem beruhigenden Lächeln wirkt er wie der perfekte, ruhige, verantwortungsbewusste Vertrauensschüler, der er ja wäre, wäre er nicht ein Rumtreiber.
„Nun gut, dann, Jungs, warten Sie hier, während wir zuerst die Mädchenschlafsäle vergrößern. Danach werde ich mich Ihnen widmen."
„Wieso können wir eigentlich nicht mit?", will Raito wissen.
Ein Grinsen breitet sich auf James Gesicht aus: „Nun ja, sagen wir so. Wenn du versuchst ihnen zu folgen, erwartet dich die Abfuhr deines Lebens, sodass du auf deinem Hosenboden landest."
Ein Schmunzeln schleicht sich auf McGonagalls Lippen: „Das haben Sie sehr schön ausgedrückt, Mr. Potter."
Das Gesicht des Asiaten ist ein einziges Fragezeichen. S
irius seufzt und meint mit einem schiefen Grinsen: „Sobald du die Treppe zu den Mädls rauf betrittst verwandelt sie sich in eine spiegelglatte Rutsche und befördert dich genau dahin, wo du hergekommen bist. Ist wirklich nicht angenehm." Mit einem Hauch von Genervtheit verschränkt er die Arme.
Lily verdreht die Augen und meint schnippisch: „Gut, dass du da so gut drüber Bescheid weißt, Black."
„Ja natürlich!", protestiert er, „Das sagt einem ja keiner!"
Sie schüttelt nur den Kopf und wirft ihre flammenden Haare über ihre Schulter.
„Ms. Evans, Mr. Black wenn sie nun Ihre Geplänkel beendet haben, können wir uns ja auf den Weg machen? Ich bin mir sicher, dass Sie heute noch anders auch noch vorhaben." Sirius verschränkt dramatisch seufzend die Arme vor der Brust, während er etwas in seinen nicht vorhandenen Bart murmelt. Ich schmunzele. Sternchen Reaktion halt. McGonagall nickt nur zufrieden, bevor sie sich umdreht, um endlich zur Sache zu kommen. Lily folgt ihr auf den Fuß. Ich werfe James kurz einen Blick zu. Dessen Mundwinkel umspielt ein leichtes Grinsen, als sein Blick der Rothaarigen folgt, während er seine Augen hinter den runden Brillengläsern rollt. Ich schließe mich der Gruppe an, steige versehentlich auf Treshas Fuß.
„Oh, shit, tut mir leid!", hastig rollen die Worte von meinen Lippen, wohl wissend, wie sie sein kann.
„Nix passiert", lächelt sie beschwichtigend zurück.
Ich zwinge meine Mundwinkel nach oben, um meine Überraschung zu verbergen. Es geht die steinerne Wendeltreppe hinauf bis unters Dach. Die unteren Jahrgänge linsen neugierig hinter ihren Toren hervor, um herzliche Lächeln zu ernten. Ich merke, wie Sakura neben mir zu schwitzen beginnt. Ich gluckse.
„Schon außer Atem?", necke ich sie.
Die Asiatin nickt nur keuchend: „Bin das nicht gewohnt von Hong Lee."
„Glaub ich dir."
Am Anfang haben mir die Stiegen auch ordentlich zu schaffen gemacht, aber nach den Jahren hat man sich an das tägliche auf und ab gewöhnt. Hogwarts sorgt tatsächlich für die Gesundheit seiner Schüler. Ich lasse sie vor mich, damit ich mich an ihr Tempo anpassen kann. Mein Blick fällt auf die kunstvolle Stickerei auf ihrem Rücken, die mir zuvor nicht aufgefallen ist. In goldenem und schwarzem Garn prangt ein mächtiger Drache auf dem roten Stoff. Fasziniert betrachte ich die Linien, die zu seinen Flügeln werden und die Nüstern, die vor Hitze und Rauch nur so zu rauchen scheinen.
„Sakura", meine Stimme klingt fern, als mich das Tierwesen in seinen Bann zieht, die großen Reptil-augen von leuchtendem Grün, die mich an Toby erinnern.
„Ja?"
„Was bedeutet der Drache auf deiner Uniform?"
„Lung? Er steht für meinen Tempel."
„Deinen Tempel?"
„In Hong Lee ist das, was für euch eure Häuser sind, wie Gryffindor und so, die Tempel. Es gibt den Tempel des Pferdes, des Büffels, der Schlange und des Drachens. Die Tiere stehen für unsere ausgeprägtesten Persönlichkeitsmerkmale. Wie im chinesischen Sternzeichenkreis. Weißt du?"
„Chinesischer Sternzeichenkreis? So mit im Jahr der Schlange und so?"
Ich erinnre mich zurück an den Kalender, den eine Freundin von mir früher in ihrem Zimmer hängen hatte und reiße meine Augen endlich von denen des Drachens los.
„Ich bin eben in Lungs – also im Tempel des Drachens. In meiner Sprache „Lung"."
Ich nicke verstehend: „Also deswegen hast du ihn auf deinem Rücken."
„Jap."
„Und alle anderen haben auch das Tier ihres Hau- nein – Tempels auf ihrer Schuluniform?"
„Ja, genau. Raito zum Beispiel ist eine Schlange."
„Ok, ich verstehe." Wir sind endlich, nach einem schier endlosen Aufstieg bei Tresha & Co's Schlafsaal angekommen.
„Nun denn", vernehme ich McGonagalls Stimme, „diejenigen, die in diesem Schlafsaal bleiben werden, kommen bitte zu mir hinauf. Die anderen, also alldiejenigen, die mit Miss Evans in denselben Gemächern schlafen, warten bitte draußen. Es wird nicht lange dauern."
Tresha schlüpft neben mir die Stiegen hinauf.
„Bis später", verabschiede ich mich von Sakura, die mir kurz zuwinkt, bevor sie der Blonden folgt.
Well. Vermutlich war ich damals einfach jung und dumm. Zu vertieft in meine eigenen Probleme. Bevor ich jedoch wieder in meinen Gedanken versinken kann, tippt mich Mena an.
„Hm?", mache ich.
„Das wird wirklich cool!", ihre Lippen formen ein strahlendes Lächeln, doch ihre Augen schimmern matt. Wir haben alle unsere Lasten angesammelt, die sich auf unseren Schultern auftürmen, bis wir schließlich irgendwann unter ihnen zusammenbrechen. Ich nicke, ein weicher Ausdruck auf meinem Gesicht. I will protect her, no matter the cost. Das Polymagische Turnier und Morsira kommen mir wieder in den Sinn. Der Blutschwur. Ich schlucke und schüttle rasch meinen Kopf, um die Erinnerungen abzuschütteln. Felsen, Blut. Eine dunkle klebrige Substanz. Ein Schauer läuft über meinen Rücken, die Haare auf meinen Armen stellen sich auf. Marl blickt mich stumm an, sucht in meinen Augen, bis sie findet, was sie vermutet hatte. Ihre Hand berührt meine Schulter, ihre Finger kreisen sanft.
„Es ist okay", flüstert sie, „wir sind okay, okay? Wir sind hier, es ist alles gut. Tief einatmen, Lim."
Ich spüre Tränen in meine Augen steigen, als ich an meinen alten Spitznamen erinnert werde, den wir erfunden haben, als noch alles okay war. Als wir noch heil waren. Ich zwinge mich tief Luft zu holen, die Tränen wegzublinzeln und wieder in die Gegenwart zurück zu kommen. Wir sind okay. Wir sind in Hogwarts. Sie ist so stark. Ich bewundere sie. Sie ist genauso kaputt wie ich und dennoch schafft sie es dafür zu sorgen, dass ich mich weniger zerbrochen fühle. Sie schafft es mir Hoffnung zu geben und ich will dasselbe für sie tun können. Aber dafür muss ich meiner eigenen Hölle entkommen. Ich sehe sie an und nicke langsam. Sie lächelt mir ermutigend zu, doch der Glanz in ihren Augen bleibt verschollen. Mattes braun begegnet meinem Blick.
Ich zwinge ein Grinsen auf meine Lippen als ich mich wieder zu den anderen drehe.
„Bei McGonagalls Fähigkeiten sind wir sicher gleich oben, sodass du dich bei uns einnisten kannst, Juliet." Die braunhaarige nickt fröhlich.
„Das wird sicher ur cool."
Mary nickt lachend: „Du wirst unseren abendlichen Gossip und Schokorunden beiwohnen, meine Liebe. Sie sind legendär."
Die Französin kichert: „Das kann ich mir gut vorstellen, ich freu mich schon. Und auf mein Bett irgendwie, obwohl wir nicht mal wirklich Zeitverschiebung haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass Sakura und Raito komplett hinüber sind."
„Ja, es kann nicht mehr lange dauern", meint Marl neben mir.
„In der Tat", Mena springt beinahe in die Höhe, so heftig zuckt sie zusammen.
„Verzeihung, Miss Oelschlägel. Es war nicht mein Vorhaben Sie zu ängstigen."
Marls Hand klammert sich an ihre Brust. Ich weiß nicht, ob sonst jemand das Aufflackern von Furcht in ihren Augen gesehen hat. Der amüsierte Ton in McGonagalls Stimme lässt mein Blut kochen. Sie leidet. Sieht das denn niemand? Offenbar nicht, denn fröhlich brabbelnd machen sich die anderen daran die letzten Stufen bis zu unserem Schlafsaal zu erklimmen. Ich halte mich dicht an Yins Seite.
„You okay?", murmle ich.
„Es geht schon", wispert sie, ein Zittern kaum merklich vorhanden. Ich nicke nur stumm und bleibe neben ihr.
Wir erreichen die Tür als letztes, unsere Hauslehrerin schon am Werken, während die anderen Mädels daneben stehen und staunend zusehen, wie die Mauern sich mit Knirschen und Knacken verschieben und Platz machen für ein Himmelbett, dass sie mit komplizierten Gesten ihres Zauberstabs heraufbeschwört. Zauberei reißt mich immer noch mit und lässt mich mit großen Augen sprachlos werden. Es ist als wäre ich in einem Traum gefangen, der hin und wieder die Gestalt eines Alptraums annimmt. Nach einigen Minuten des Lärms ebbt schließlich die Magie ab und hinterlässt eine neue Nische in unserem Schlafsaal. Die Hexe in mitten des Raums lässt zufrieden ihre erhobenen Arme sinken.
„Miss Stone, Ihre Herberge für die nächsten Monate."
„Vielen Dank Professor", lächelt Juliet ihr Buttermädchenlächeln, das sogar (oder vielleicht auch gerade) den großen Sirius Black weich werden lässt.
„Es war mir ein Vergnügen", schmunzelt McGonagall, „Nun denn, ich lasse Sie wieder alleine, sollten Sie etwas brauchen, weiß Miss Evans, wo Sie mich finden können."
Der Abend wird ausgelassen, als wir uns im Schlafsaal versammeln und wie versprochen über Schokofröschen und Bertie Botts Bohnen Juliet in den neuesten Tratsch und Klatsch von Hogwarts einweihen. Sie erfährt von Benj und mir, davon dass sich Marl von Lukas getrennt hat und von sämtlichen neuen Ships und Pärchen in Hogwarts, von heimlichen Wetten unter den Schülern und den neuesten Vorkommnissen im Lehrerzimmer. Später dann, als den Mädls schließlich die Augen vor lauter Müdigkeit zugefallen sind, schleiche ich mich leise in unseren Aufenthaltsraum und setze mich an meinen Schreibtisch, der dieses Jahr noch nicht von lauter Büchern und Pergamentfetzen zugeschaufelt ist.
„Lumos", murmle ich.
Golden taucht mein Zauberstab meinen Tisch in warmes Licht. Ich seufze. Ich kann und will eigentlich nicht schlafen. Es geht mir so viel durch den Kopf und ein Teil von mir fürchtet sich von Alpträumen. Vor allem, wenn ich weiß, dass sie Realität werden könnten. Ich reibe meine Augen, bevor ich meinen Zauberstab in den Becher stecke, in dem sich normalerweise meine Federkiele befinden. Ich lehne mich zurück, nachdem ich ein Notizbuch vor mir aufgeschlagen habe, die Feder in meiner Hand. Ich weiß nicht, was ich schreiben wollte. Die grün schimmernden Augen des Drachens kommen mir wieder in den Sinn. Wieso musste ich an Tobys Augen denken? What the heck? Wieso kann er nicht aus meinen Gedanken verschwinden. Ich seufze erneut. Ich vermisse Benj. Ich vermisse seine Wärme, sein Lachen, seinen positiven Blick auf das Leben auch wenn wir in einem Krieg versinken. Ich schlucke... es ist noch nicht mal ein Monat vorüber und es wirkt schon wie eine Ewigkeit. Und irgendwie fühle ich mich so anders als ich mit Toby zusammen war. Obwohl es schön war und er mir Wärme und Trost gespendet hat, hängt ein bitterer Nachgeschmack an unserer Beziehung. Schmerz. Es gab so viel Schmerz. So viel Angst. Ich habe ihn so oft weggestoßen, nur weil ich mein eigenes Leid nicht ertragen konnte. Jetzt im Nachhinein wird mir klar, dass ich mich abgekapselt habe, um ihn zu schützen. Vor mir. Vor meiner Trauer. Vor meiner selbstzerstörerischen Kraft tief in meinem Innern. Und ich habe ihm trotzdem weh getan. Egal, was ich getan habe, es schien nicht zu passen. Nicht ihm. Mir. Ich war so tief unten und dann wieder so hoch oben. Es gab keine Ruhe. Es gab keinen Frieden. Für mich nicht. Und ich denke, für ihn genau so wenig. So gern wir uns auch hatten, es war nicht gut für uns. Unsere Beziehung war eine Achterbahn. Loopings, Höhepunkte, die einem den Magen aushebeln und einen laut auflachen lassen, bevor wir in die Tiefe gestürzt sind, um haarscharf vorm Boden abzubremsen und manchmal sind wir mit voller Wucht am Beton zerschellt.
Ich spüre Tränen in meine Augen steigen, nicht weil ich ihn vermisse, nein, sondern weil mir bewusst wird, welchen Schmerz ich ihm zugefügt haben muss. Weil mir bewusst wird, dass ich nicht gut für ihn war, auch wenn ich noch so angestrengt versucht habe, das zu glauben. Blinzelnd versuche ich meine Sicht zu klären, doch das Licht meines Zauberstabs wird nur zu glitzernden Schemen in der Dunkelheit. Ich atme tief durch. Was ist, wenn ich denselben Fehler wieder mache? Was wenn ich genauso schlecht für Benj bin, wie ich es für Toby war? Ich atme zittrig ein und aus, appelliere an meine rationale Seite. Fühlt es sich genau so an? Fühlt es sich an wie mit Toby? Fühlt es sich an wie die emotionale Achterbahn, in die ich ohne Zweifel eingestiegen bin? Ich setze meinen Federkiel an, als ich versuche Klarheit zu schaffen. Ist es wie mit Toby?
Nein. Es ist anders. Ich bin anders, wenn ich bei ihm bin. Ich fühle mich sicher, versteckt in meinem Wundergarten, in dem nichts anderes als Geborgenheit und Energie existiert. Positive Energie. Ich fühle mich ... leicht, wenn ich bei ihm bin. Das Wort, das unsere Beziehung am besten beschreibt, wäre leicht. Wäre Sommer und fliegen. So fühlt es sich an, während das, was ich mit Toby assoziiere, das komplette Gegenteil ist. Bitter. Und süß. Bittersüß. Meine Finger zittern als ich ein Stück Pergament hervorhole und zu schreiben beginne:
Hey Benj,
wie geht es dir? Ich vermisse dich. Desty ist zwar schon mit einem Brief zu dir unterwegs, aber ich habe einfach das Verlangen mit dir zu reden. Ich vermisse deine Stimme, dein Lachen. Dich einfach. Es ist gerade vermutlich drei in der Früh und ich sitze hier an meinem Schreibtisch und kann nicht anders als zu weinen. Bevor du dir Sorgen machst, nein, es ist nichts passiert. Es ist einfach... ich habe viel nachgedacht heute. Über uns, über Toby und mich. Nicht, dass du dir Sorgen darüber machen müsstest oder sonst was. Du weißt, dass ich dich liebe.
Es wird mir nur bewusst, was für eine Katastrophe diese Beziehung war. Nicht mal wegen ihm, sondern wegen mir. Ich war ein Wrack. Ich meine, ich bin immer noch nicht zusammengeklebt, aber ich arbeite daran. Ich ... es geht mir besser als damals sagen wir so. Ich habe ihm so weh getan in einem Versuch mich selbst zu retten und ihn vor mir zu retten. Ich... es war einfach keine gesunde Beziehung. Und jetzt sitze ich hier und weine, weil ich Angst habe, dass ich denselben Fehler wieder mache. Ich habe so Angst, dass ich dir wehtue. Ich will dich nicht verlieren und noch weniger will ich, dass sich diese Beziehung anfühlt als würdest du Asche atmen. Ich will nicht, dass dein Herz schmerzvoll brennt, wenn du an uns denkst. Ich will nicht, dass ... dass
Eine Träne löst sich aus meinem Augenwinkel, rollt heiß über meine Wange und tropft auf das Papier.
Ich liebe dich. Ich will dir nicht weh tun. Sollte ich das, bitte sag es mir. Bitte Benj, bitte versprich mir, dass du mir sagst, wenn ich etwas falsch mache und bitte, hab Geduld mit mir, wenn ich versuche es besser zu machen. Ich will dich nicht verlieren. Aber wenn... wenn du denkst, dass es dir ohne mich besser gehen würde, bitte mach dir keine Vorwürfe. Bitte, geh. Wenn das das Beste für dich ist, wenn ich dich nicht glücklich machen kann, dann bitte geh. Alles was ich will, ist dass du glücklich bist.
In Liebe, Emmi
Nach Luft schnappend wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Mein Herz atmet auf. Ich musste das einfach loswerden. Es war so, so notwendig, dass ich das alles loswerde. Ich falte mit vorsichtigen Bewegungen den Brief und verstaue ihn liebevoll in einem Kuvert. Ein flaues Gefühl liegt in meinem Magen. Ich will, dass er antwortet, aber im selben Moment ist das genau das, was ich am wenigsten will. Ich sehe in das Licht, das mein Zauberstab liebevoll auf dem Tisch verteilt. Kurzerhand lege ich den Brief an Benj zur Seite und ziehe ein weiteres Blatt hervor. Ich beginne zu schreiben. Schreibe und schreibe, bevor ich innehalte, wütend die Augenbrauen zusammenziehe, das Pergament zerknülle. Wieder setze ich an. Dieses Mal bedachter und dieses Mal ist der einzige Satz, der in dunkler Tinte vor mir steht:
Toby, I am sorry.
Ich fluche leise. Das ist doch alles Bullshit. Ich greife nach meinem Zauberstab.
„Incendio", murmle ich und sehe dem zerknüllten, nie enden wollenden Brief beim Brennen zu, bis nichts außer dunkle, in sich zusammenfallende Asche zurückbleibt.
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