20. Kapitel Für wahr und voller Anmut.
Rest along the way, but don't give up. Giving up is not an option.
Meine Finger trommeln abwesend auf das weiche Holz vor mir. Meine Augen huschen von Marie zu Julien zu Laureen und wieder zu Marie. Ich fühle James Präsenz hinter mir, stark, wachsam.
„Ihr seid also eine Widerstands- und Hilfsorganisation in Beauxbaton gegen Reinblutwahn?", stelle ich richtig, mein Ton so viel ruhiger als ich mich fühle.
„Korrekt", antwortet Julien mir mit der Kühle eines Soldaten, der einen Befehl befolgt- jedoch ein Hauch von Wärme in seinen Worten, „seit fast einem Jahr nimmt der Rassismus in diesen Mauern zunehmend zu, einige Angriffe auf Freunde, auf Erstklässler. Wir waren anfangs zu fünft, aber wir werden stetig mehr. Einige unserer Mitglieder haben bereits letztes Jahr die Schule abgeschlossen und versorgen uns gelegentlich mit der aktuellen politischen Lage in Paris, beziehungsweise allem, was sie aufschnappen."
„Ich verstehe. Wirklich. Was sind eure Absichten für danach?"
„Wie für danach?"
„Nach der Schule. Nachdem ihr hinter diesen Mauern hervorgekommen seid."
Marie ergreift das Wort, tiefe Falten zwischen ihren Brauen: „Wir mussten uns bis jetzt noch nicht mit der Frage auseinandersetzen. Das ist der erste wirkliche Angriff hier zu Lande."
Mir muss die Überraschung ins Gesicht geschrieben sein, denn sie hakt nach: „Bei euch nicht, was ich mitbekommen habe?"
„In England herrscht seit Jahren Krieg", meine Stimme zittert, doch ich versuche den Druck in meiner Brust durch tiefe Atemzüge zu lockern. Sie ist fester, als ich fortfahre: „Seit ich meinen Fuß in die magische Welt gesetzt habe, kenne ich nichts anderes als den ständigen Kampf gegen Rassismus und Leid. Unser Ziel ist es den, der hinter all dem steht, zu vernichten. Es ist der einzige Weg die Todesser zu zerschlagen."
„Seit Jahren?", etwas Atemloses schwingt in Laureens Worten mit, „aber, warum ist es erst jetzt bei uns?"
„Vermutlich mussten sie anfangs ihre Machtposition in England stärken, um schließlich stark genug zu sein, um in andere Länder vorzudringen."
Sarah ist tot. Sie haben sie umgebracht. Ich schüttle meinen Kopf.
„Okay. Was kann étoile d'argent für euch tun?", will Julien wissen, wieder in seine Rolle zurückgefallen, nachdem ein dunkler Ausdruck über sein Gesicht gehuscht ist.
Ich drehe mich kurz zu James, treffe seine Augen für einen Moment. Fragend. Er fängt meinen Blick auf und schenkt mir ein knappes Nicken. Ich wende mich in meinem Sessel wieder zu ihnen. „Wärt ihr an einer Kooperation unserer ... nun ja ... Organisationen interessiert? Das heißt, Briefverkehr, solange es sicher ist, um den Informationsfluss über Ländergrenzen hinaus zu stärken."
Ich vermeide es, den Orden des Phönix' zu erwähnen, aber schlussendlich würde diese Zusammenarbeit nicht nur dem Edelsteinorchester zu Gute kommen.
Ich mustere die drei, wie sie vor mir stehen, Blicke wechseln und schließlich mit den Achseln zuckend zustimmen. „Warum nicht? Es ist sicherlich hilfreich." Merlin, wie froh bin ich, dass sie noch diese Leichtigkeit haben, dass sie die Dinge mit einem Achselzucken und einem Lächeln auf den Lippen beschließen können. Ohne verzweifeltem Zweifel tief in einem drinnen.
„Das freut uns zu hören", James' warme Stimme reißt mich aus meinen Beobachtungen, seine Hand offen entgegengestreckt, ein Zeichen des Vertrauens, des Zusammenhaltes.
„Ebenfalls", erwidert Marie mit einem offenen Lächeln, als sie seine Hand ergreift.
oOo
Wir sitzen zusammen in einem der Gemeinschaftsräume, Peter, Mary, James und ich und üben die Zauber, die wir in Verteidigung mit Auberge gelernt haben, während sich draußen die Sonnenstrahlen durch die aufreißende Wolkendecke kämpfen. Menas Lachen klingt durch den Raum, als sie neben Victoire auf ein Pergament kritzelt. Auf James' Lippen liegt ein wissendes Lächeln.
„Ach, die beiden."
„Oh Jamsie, du musst reden", grinst Peter, „Wie geht's Lily?"
Ein Augenrollen und Polster gegen seinen Kopf sind seine Antwort.
„Nein wirklich, das würd mich jetzt aber auch interessieren", Marys Augen glitzern neugierig, als sie sich zu ihm vorlehnt, „Was läuft da zwischen dir und Lily?"
„Wir sind nur Freunde", erwidert er. Seine Hand zieht Bahnen durch seine rabenschwarzen Haare, um sie noch mehr zu zerzausen. Ich kann den Anflug von roten Flecken seinen Nacken hinaufklettern sehen.
„So, so", schmunzelt die Blonde, „Und „Freunde" schlafen auch gemeinsam in einem Bett?" Er öffnet empört den Mund, doch sie fährt grinsend dazwischen, „glaub nicht, dass ich nicht mitbekommen habe, wie du dich in der Früh still und heimlich in der Dunkelheit aus unserem Schlafsaal geschlichen hast."
Ein genervtes Stöhnen verlässt seinen Mund: „Ich wusste, es war jemand am Klo."
Sie winkt mit einem Kichern und einem Ausdruck, der mir Angst macht, ab: „Also spuck's aus Mister Potter. Was läuft da?"
„Wir sind Freunde", betont er, „gute Freunde. Und ich für meinen Teil bin einfach nur froh, dass sie mich nicht mehr in die nächste Woche hexen will, auch - ", er schüttelt rasch seinen Kopf, „wir sind Freunde."
Peter grinst verstohlen hinter dem Kissen, das nun auf seinem Schoß ruht, hervor. „Weil das ja alles ist, was du willst."
„Pete, halt die Klappe", brummt er.
Jetzt kann auch ich nicht verhindern, dass meine Mundwinkel amüsiert in die Höhe wandern. Ja, ja James.
Bevor Mary begeistert eine Rede über Gefühle anstimmen kann, taucht Lilys roter Schopf vor uns auf.
„Hey Leute!", sie lässt sich neben Peter auf die Couch fallen. Ich komme nicht umhin James' leicht enttäuschten Ausdruck zu bemerken und halte mein Lachen zurück.
„Hey, Lily", grinst Mary sie an. Überhaupt nicht auffällig, Miss MacDonald. Ich rolle mit meinen Augen und versuche nicht wie geistig behindert zu grinsen.
Die Rothaarige seufzt: „Gut, dass ich euch endlich gefunden habe. Wieso gibt es hier gefühlt fünfzig verschiedene Aufenthaltsräume? Naja, jedenfalls, Emmi."
Ich reiße meinen Blick von James' gemusterten Socken los, die ich im Zuge meiner Selbstbeherrschungsmission angestarrt habe, und sehe überrascht auf. „Hm?"
„Madam Maxime hat nach dir verlangt." Ich lasse meinen Kopf in den Nacken fallen und stöhne genervt auf.
„Ich hab nicht mal was gemacht!", protestiere ich schwach. Ich runzle meine Stirn verwirrt, als ich aufsehe und keine amüsierte Reaktion über sämtliche Streiche und nächtliche Exkursionen von James erhalte. Seine Augen sind dunkel hinter seinen Brillen und sein Gesicht besorgt verzogen.
Die Muskeln meiner Lippen werden schlaff und ich spüre die altbekannte Angst in mir hochkochen.
„Nein", hauche ich, so leise, dass es niemand hören kann. Mein Körper beginnt zu zittern. Benj. Nein. Peter ist schon auf den Beinen, hat den Polster zur Seite geworfen und mich am Arm genommen.
„Emmi, komm", seine Stimme ist sanft als er mich hochzieht, „komm, wir gehen zu Maxime. Es wird alles gut. Es ist wahrscheinlich nichts. Sie hat wahrscheinlich was über „die strikte Raumtrennung der Schlafsäle" zu sagen", sein Ton ist gezwungen leicht und ich weiß, dass er mir offen ins Gesicht lügt, doch mein Herz greift verzweifelt nach dem Sonnenstrahl.
Ich nicke wie manisch, „Ja, du hast Recht. Das ist es vermutlich." Ich rapple mich auf und weiche den besorgen Blicken aus, um Peters leichtem Drängen in den kühlen Gang zu folgen. „Ich bin mir sicher es ist alles in Ordnung." Meine Gedanken rasen. Bitte. Bitte, wenn es Gott oder irgendeine andere überirdische Macht – abgesehen von Magie, denn manchmal nutzt selbst Magie nichts – gibt, bitte. Bitte lasst ihn am Leben sein. Bitte, ich kann ihn nicht verlieren. Bitte.
Emmi, vertraust du mir? Dann komm, nimm meine Hand.
Schau, alles ist gut. Ich hab dich...
Das machen wir mal, okay? Wir hauen einfach von dem ganzen Scheiß hier ab, nach Bali oder so und sind für eine Weile mal ganz weit weg.
Jap. Mein Mädchen.
Ich liebe dich. Das weißt du. Ich halte das locker aus. Ich würde mein ganzes Leben auf dich warten. Ich liebe dich.
Glaubst du ich will gehen? Ich würd dich am liebsten mitnehmen und nie wieder hergeben, aber das geht halt leider nicht
Ich schwöre dir, Emmi, wenn die noch mehr frisst, kannst du sie als Kanonenkugel verwenden.
Peter schiebt mich vorsichtig durch die Gänge, seine Hand umklammert meinen Arm und ich lasse mich von ihm führen. Weiß, rein. Erhaben. Vollkommen. Und eine Lüge. Nichts als eine Lüge. Wie kann irgendetwas vollkommen sein, wenn gerade alles auseinanderbricht? Ich zwinge mich zu atmen. Ein und aus. Langsam. Kontrolliert. Es wird alles gut. Es geht ihm bestimmt gut. Bitte, Merlin. Bitte, er darf nicht auch weg sein. Ich kann ihn nicht auch noch verlieren. Ich stolpere über eine der weiten Stufen und es reißt mich aus meinen Gedanken. Peter redet immer noch auf mich ein, sanfte Halbwahrheiten und beruhigende Worte, die keinen Sinn ergeben.
„Wir sind gleich bei Madam Maxime. Wir wissen gleich, was Sache ist, okay? Du kannst das, Emmi. Du bist stark. Stärker als wir alle. Für wahr und voller Anmut, erinnerst du dich?"
Ich nehme einen tiefen Atemzug. Die Luft schmeckt nach Staub und Kälte. Ich nicke.
„Für wahr und voller Anmut", murmle ich. Ich balle meine Hände zu Fäusten und zwinge meine Maske wieder auf mein Gesicht. Sie fühlt sich vertraut an. Die Speserbin. Immer die Haltung bewahren und kämpfen. Für wahr und voller Anmut.
„Okay", sage ich, schaffe es das Zittern aus meinen Worten zu verbannen, „Ich bin soweit. Lass uns gehen." Auch wenn es sich anfühlt, als würde ich zu meiner Hinrichtung gehen, lasse ich es mir nicht anmerken. Jetzt bin ich stark, auch wenn das kleine Mädchen in mir drinnen sich zusammenkrümmt und weint.
Pete nickt und bleibt dicht an meiner Seite, als ich meine Hand hebe und klopfe.
„'erein!"
Ich drücke die weiße Flügeltüre auf, mein Rückgrat durchgedrückt und mein Kinn erhoben.
„Sie haben nach mir verlangt?", sage ich ruhig – in mir tobt ein Sturm – als ich mit wenigen Schritten die Distanz zwischen der Türe und Maximes Tisch überwinde.
„In der Dat. Es ist su Ohren gekommen, dass I'r Partner in Aurorenauschbildüng sisch einer Mission angeschlossen 'at. Rischtig?"
Misstrauisch verengen sich meine Augen zu Schlitzen: „Inwiefern ist es von Relevanz?" Maximes Gestalt türmt vor mir, doch in ihrer Haltung liegt etwas Trostloses, Besiegtes. Angst ergreift von meinen Lungen Besitz.
„Besagter Partner 'at im St. Müngos nasch I'nen verlangt." Erleichterung überkommt mich in Wellen, sodass meine Maske verrutscht und Tränen in meinen Augen brennen. Meine Knie drohen unter mir nach zu geben. Danke.
„Okay", jetzt kann ich mein Zittern nicht mehr aus meiner Stimme verbannen, nachdem es von meinem ganzen Körper erfasst hat, „Kann ich ihn sehen?" Ich hasse, wie verletzlich ich klinge, aber der sanfte Ausdruck auf Maximes Gesicht ist Antwort genug.
„Natürlisch, seien Sie bis morgen früh wieder surück. Außerdem möschte isch eine Bestätigungsnachrischt von dem Ober'eiler 'aben, dass Sie angekommen sind."
Ich nicke und haste schon zum Kamin. Für einen Bruchteil eines Momentes treffen meine Augen Peters, der mir mit einem kurzen Nicken zu verstehen gibt, dass er sich um den Rest kümmern wird. Dankbarkeit überrollt mich, als Flohpulver wie feiner Sand durch meine Finger gleitet und am Kaminrost in grüne Flammen aufgeht.
„St. Mungos", die Worte tragen einen kleinen Funken Hoffnung in sich, als ich vom Feuer mitgerissen werde. Dann umarmt mich die Dunkelheit der Schlote. Sobald meine Füße hart auf dem Boden aufkommen und ich in die Eingangshalle stolpere, schlägt mir Lärm und der Geruch von Erbrochenem und Blut ins Gesicht. Schreie und Schluchzen. Jetzt weiß ich, wieso es Toby so fertigmacht. Ein Mann hält sich seinen Arm, dessen Knochen schräg aus seinem Fleisch steht, Blut schäumt in den Mundwinkeln des Kindes in den Armen seiner verzweifelten Mutter. Die sonst so geordnete Eingangshalle ist das reinste Chaos. Dreck auf dem sonst so sauberen Steinboden. Menschenmassen, wo sonst nur einzelne Sitze besetzt sind. Es riecht nicht mehr nach frisch gewaschener Baumwolle. Ich kämpfe mich durch die Menge, die schreiende, stöhnende, leidende, wankende und schluchzende Menge, an die Auskunft, nicht den Empfang, der die Verletzten zuweist. Nein, die Auskunft, um die sich mindestens ein halbes dutzend Zauberer drängen und panisch nach den Namen ihrer Liebsten fragen. Ich warte also, schiebe mich Stück für Stück nach vorne, schiebe mich an zitternden Körpern vorbei, unter denen mein schmaler beinahe untergeht. Ich schaffe es schließlich, nach Minuten der Irritation und der Verzweiflung nach vorne.
„Benjamin Collins", meine Stimme ist bestimmt, klingt über den Lärm, sodass mich die alte Zauberin versteht. Sie blickt auf ihre Listen, sucht und sucht und schließlich, nach nervenzerreibenden Augenblicken: „4. Stock – Fluchschäden, Zimmer Nummer 417."
„Danke!", rufe ich und habe mich schon durch die Menge gewunden, bevor ich auf den Aufzug zu eile und mich zu den anderen sieben Leuten dränge. Ich versuche den Gestank von Erbrochenem aus meiner Nase zu bekommen und so gut wie möglich zu ignorieren, doch es scheint unmöglich. Schwindel erfasst von mir Besitz, als ich flach durch den Mund atme und ich mich gegen die Wand des Liftes lehne. Tränen steigen in meine Augen und drohen meine Wangen hinunter zu rollen. Er ist okay. Er ist okay. Er ist am Leben. Ich muss es nur noch mit diesen Leuten in den 4. Stock schaffen, dann kann ich ihn wieder in den Armen halten. Endlich. Endlich. Warm rinnt etwas meine Wange hinab. Meine Kehle zieht sich zusammen und beinahe hätte ich angefangen an einen alten Zauberer mit Atemproblemen gelehnt und in einem Aufzug, der genau so gut aus der Kanalisation gefischt sein hätte können, so wie er riecht, los zu schluchzen. Nur noch zwei Stockwerke. Gleich. Gleich. Meine Wangen sind nass vor Tränen, die einfach nicht aufhören wollen aus den Winkeln meiner Augen zu quellen. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, bis der Zauberer mit Atemproblemen den Lift verlässt und schließlich drei Personen übrigbleiben. Der Aufzug brummt und surrt, als er sich in die Höhe bewegt. Er bleibt mit einem Ruck stehen.
„4. Stock. Fluchschäden."
Ich stolpere hinaus, in demselben Moment, in dem sich die Türen öffnen. Ich haste den Gang entlang, wische über meine Augen. Fiebrig suchen meine Augen die Nummern an den Seiten des langen, grauen Ganges. Ich schiebe mich durch Menschen, der Geschmack von Blut auf meiner Zunge bringt mich zum Würgen. Etwas Schreckliches ist passiert. Wieso sind hier überall Verletzte?
411. Ein bisschen noch. 415. Gleich, gleich. Ich stehe vor der Türe, kann die ruhige Stimme eines Heilers hören, weiß, dass ich warten muss, doch ich kann nicht mehr warten. Will nicht mehr warten. Ich schaffe ein Klopfen, bevor ich die Türe aufdrücke. Ein Bett in mitten des Raumes, der Mann im hellen Umhang tritt beiseite, sieht mich vollkommen verdattert an, doch meine Augen liegen auf der Person neben ihm. Das braune Haar hängt herab, immer noch verklebt und dunkel von etwas und seine Haut blass. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wird mich in meinen Alpträumen verfolgen. Seine sonst so strahlenden grauen Augen sind rotgeädert, leer, hoffnungslos.
„Emmi", seine Stimme ist kaum mehr als ein Wispern, doch ich habe schon das Zimmer durchquert und meine Arme um ihn geschlungen. Tränen rinnen und rinnen und rinnen. Er ist am Leben. Ich halte ihn in meinen Armen, während er seinen Kopf in meine Nackenbeuge schmiegt und er bebt und bebt und bebt. Der gequälte Laut der seine Kehle verlässt, zerreißt mein Herz. Aber ich kann nichts anderes tun als ihn halten und weinen. Seine Hände klammern sich an meinen Körper, wie ein Ertrinkender an das letztes Stück Holz in der stürmischen See, als seine Kräfte schwimmen.
„Emmi", wimmert er.
„Shhh, ich bin da", ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme erstickt klingt, „Ich bin da. Alles wird gut. Es wird wieder gut." Lügen und Lügen, die ich nur zu gern selbst glauben würde. Ein Schluchzen lässt seinen Körper beben.
„Sie sind ... Emmi, sie sind weg."
Es bricht mein Herz. Wer? will ich fragen, doch ich tue es nicht. Ich kann nichts anderes tun, als Küsse auf seinen Scheitel zu drücken, auch wenn der metallische Geruch in meiner Nase sticht und die Galle in meiner Speiseröhre schäumen lässt.
Die jungen Auroren, sie sie viel zu früh losschicken, die ihre Mentoren im Kampf verlieren, ihre Kameraden im Kampf verlieren...
Sein Körper ist zum Zerreißen gespannt und doch so zerbrechlich, als ich ihn halte. Die Nägel seiner Finger in meine Schultern gegraben, während die Muskeln seiner Arme gegen meinen Brustkorb drücken. Ich atme tief durch - ein durch die Nase und aus durch den Mund - als das Zittern stärker wird, ihn schüttelt wie den Boden während eines Erdbebens. Die Erde reißt auf, klafft offen und blutend vor mir. Verzweiflung strömt in Wellen von ihm aus. „Hey. Benj. Benj, love, hörst du mich?"
Als Antwort erhalte ich nur das krampfhafte Zucken seiner Schultern.
„Benj. Benj", flüstere ich in sein Ohr, während meine Finger Kreise über seinen Rücken tanzen, „love, hörst du mich? Kannst du für mich atmen? Du bist in Sicherheit. Ich bin da. Benj, love..."
Das schwache Nicken gegen meinen Hals und der zerrissene Atemzug lässt mich fortfahren. „Fünf Dinge, Benj. Fünf Dinge, die du siehst."
Kopfschütteln.
„Benj?"
Erneutes Kopfschütteln, als er mich von ihm fortschiebt, seine Augen schwimmend und vor Wut funkelnd.
„Sie sind weg. Mark ist tot -er – sie haben – sie haben ihn geköpft, während mein Mentor versucht hat ihn zu retten. Drei – Es waren – sie... drei Flüche. Er ist weg! Sein Körper liegt in einer fucking Leichengrube! Sag mir nicht, dass alles wieder gut wird, Emmi." Er spuckt mir die Worte entgegen, voller Gift und Hass und alles in mir erstarrt. „Das wird es nämlich nicht! Sie schlachten uns wie die Schweine - wir haben keine Chance. Wir haben einfach keine. Egal - egal was wir uns einreden. Egal was wir machen."
Seine Muskeln spannen sich an, als er sich an den Rand des Bettes klammert, als er bebt.
Ich bemühe mich meine Stimme ruhig zu halten, während die Scherben meines gebrochenen Herzens – es bricht für ihn – sich in meine Lungen bohren und es schwer machen zu atmen: „Ich verstehe, wie du dich fühlst. Ich bin da für di-"
„Wie könntest du das nur ansatzweise verstehen!?", schnappt er, die Augen wild und sein Gesicht zu einer Fratze verzerrt.
Meine Gesichtszüge erschlaffen, bevor meine Augen zu brennen beginnen. Er ist verletzt. Er denkt nicht klar. Ich nehme einen tiefen Atemzug und dränge die Bilder zurück.
„Okay", atme ich. Er starrt mich an, seine Brust hebt und senkt sich schwer.
„Du solltest gehen", meint er, seine Stimme kalt und seine Worte schmerzen. Ich schlucke und atme tief durch. Nicht jeder geht mit Trauma auf dieselbe Art und Weise um.
„Okay. Ich muss dem Oberheiler Bescheid geben", ich versuche meine Worte ruhig klingen zu lassen, „Ich komme wieder, okay."
Er starrt mich mit leerem Blick an, bevor er etwas murmelt, das don't bother ähnelt.
Mein Magen rebelliert, dreht und windet sich verletzt. Ich zwinge mich einen tiefen Atemzug zu nehmen, bevor ich dem Heiler ein entschuldigendes Lächeln, nun ja eher eine gequälte Grimasse schenke und mich auf die Suche nach dem besagten Oberheiler mache. Ich finde ihn nach zwanzig Minuten, als er, mit tiefen Schatten unter den Augen und ausgemergeltem Gesicht vor mir steht.
„Heiler Marton, Sie haben nach mir gefragt?"
Ich nicke und die Anspannung aus meinen Schultern schwindet etwas. „Ich bin im Moment in der Obhut von Madame Maxime, aber mein Partner wurde verletzt, weswegen ich hier bin. Sie meinte, dass sie gerne eine Benachrichtigung von Ihnen hätte, dass ich gut angekommen bin."
Er nickt aufmerksam, was bei seinen müden Zügen kaum zu glauben ist. „Sehen Sie es als erledigt."
„Danke sehr." Stille hängt zwischen uns und ich fühle seinen Blick auf mir.
„Der Aurorentrupp?", will er wissen. Seine Stimme hallt auf den Linoleumfliesen wider. Ich kann nur nicken. Er schenkt mir ein mitleidiges, verstehendes „Hm".
„Was ist passiert?", traue ich mich zu fragen, als ich meinen Stimmbändern wieder vertraue.
„Hinterhalt", murmelt er, „der dritte in vier Wochen. Es sind keine guten Zeiten, Kind." Ich bin kein Kind mehr, will ich protestieren, doch ich brumme nur zustimmend.
„Danke, nochmal", sage ich als ich mich erhebe, „Auf Wiedersehen."
„Auf Wiedersehen", seine Mundwinkel zucken in die Höhe und als wisse er es, „Geduld."
„Ich weiß", seufze ich, lächle müde und mache mich auf den Weg zurück zu Benjs Zimmer.
Der Geruch von Blut ist aus den Gängen gewichen, als sich die Wogen wieder zu glätten scheinen. Der Korridor kommt mir länger als sonst vor. Ich weiß, ich muss geduldig sein, Verständnis haben, aber es tut weh ihn so zu sehen. So kaputt. So verletzt und zerbrochen. So verzweifelt. Am liebsten würde ich ihn in den Arm nehmen und all seinen Schmerz auf meine Schultern laden, doch wie das gelaufen ist, hab ich ja vorhin bemerkt. Beunruhigt und nervös windet sich mein Magen, als wolle er verhindern, dass ich zurück in den Raum gehe, der vor Schmerz und Angst nur so schreit. Ich zwinge meine Beine weiter. Auch wenn er mich vielleicht gerade nicht sehen will und nichts anders kann als mich anzuschnappen. Ich glaube er braucht mich, denn immer, wenn ich alle von mir weggestoßen habe, habe ich sie eigentlich am meisten gebraucht. Ich seufze leise und husche weiter. 417. Dieses Mal warte ich auf ein okay, bevor ich eintrete.
„Ja", die Stimme ist so vertraut und doch so, so weit weg von mir, auch wenn ihr Besitzer gerade mal drei Meter von mir entfernt liegt. Ich drücke die Klinke hinab und schlüpfe zur Tür hinein. Ich versuche der blassen Person vor mir ein warmes Lächeln zu schenken. Seine Haare sind hell und trocken, doch die schwarzen Male auf seiner Haut und die Leere in seinen Augen ist immer noch da. Sein Umhang liegt zerschlissen und verkrustet in einem Karton in der Ecke. Um seinen Oberkörper ist eine Decke geschlungen.
„Hey", flüstere ich. Seine glänzenden Augen treffen die meinen. Hilf mir, scheinen sie zu schreien, mach, dass es aufhört, mach, dass der Schmerz aufhört. Mit wenigen Schritten bin ich an seinem Bett und nehme an der Kante Platz.
„Tut mir leid", presst er in einem Wimmern hervor, sein Blick so dunkel, voll unterdrückter Tränen, dass mein Herz blutet.
„Kein Problem", meine Hand findet die seine und verwebt unsere Finger. Er schüttelt nur seinen Kopf.
„Ich", krächzt er, doch seine Stimme bricht.
„Ich weiß", flüstere ich erstickt, „Ich verstehe, wie du dich fühlst."
Wir sitzen in Stille, nur Schritte und Stimmen am Gang und das Tropfen eines Wasserhahns hallt durch das Zimmer. Er lehnt in meinem Arm, versucht zu atmen, ruhig zu atmen.
„Wie machst du das?", wimmert er. Ich zucke etwas zusammen, als ich aus meinen Gedanken gerissen werde.
„Was meinst du?", frage ich leise.
„Wie machst du das, dass es nicht mehr weh tut? Wie – ich ... es tut so weh. Wie kannst du – wieso... zerbrichst du nicht?", seine letzten Worte sind nicht mehr als ein Hauchen.
„Ganz einfach", ich kann den Schmerz und all die Bitterkeit nicht aus meiner Stimme verbannen, „es tut weh. Es tut immer noch weh. Und ich bin öfter zerbrochen, als es mir lieb ist", ich schlucke, „Und es tut so weh. Aber aufgeben ist halt keine Option."
Zitternde Atemzüge.
„Aber es ist okay, dass es weh tut, du musst nicht immer stark sein. Es ist okay, dass es weh tut und dass es sich anfühlt, als würdest du zerbrechen. Wenn du dir nicht erlaubst den Schmerz zu fühlen, kommt er nur noch stärker zurück. Es ist okay." Meine Finger finden ihren Weg durch seine Haare, als er sein Gesicht in meiner Seite vergräbt. Seine Schultern beben, während der Stoff meines Pullis langsam von seinen Tränen durchtränkt wird und ich meine Finger durch seine Haare ziehe und Küsse auf seinen Scheitel drücke.
„Es ist okay."
Die Nacht zieht sich vor sich hin. Aufgrund von möglichen Nachwirkungen eines schwarzmagischen Fluches, muss er im Mungos weiter unter Beobachtung bleiben. Sie erlauben mir an seiner Seite zu bleiben, als die Dunkelheit hereinbricht. Seine Atemzüge klingen langsam und gleichmäßig in der Dämmerung, als er endlich in den Schlaf gleitet. Seine Wange ruht an meinem Oberkörper. Die Schemen des Raumes heben sich fahl im schwachen Licht des Mondes ab. Mein Herz klopft endlich ruhig gegen meinen Brustkorb und die quälende Angst hat sich aus meiner Kehle gelöst, sodass ich wieder atmen kann. Endlich. Er ist da und er ist am Leben. Meine Augen weigern sich zuzufallen, bis ich sicher bin, dass der junge Mann, dessen Arme mich fest an sich drücken, tief und fest schläft. Nach einer kleinen Ewigkeit, in der ich mich versichert habe, dass das kein Traum ist und dass er in Sicherheit ist, flattern meine Lider zu und ich folge ihm ins Land der Träume.
Stimmen und Piepsen wecken mich am nächsten Tag. Ich suche mit zugekniffenen Augen nach Benjs Körper, doch meine Finger finden ihn nicht neben mir. Widerwillig blinzle ich dem Licht entgegen und versuche mich zu orientieren. Das Laken des Krankenhausbettes schmiegt sich kratzig gegen meine Haut, während der Schatten meines Freundes meine empfindlichen Augen vor dem einfallenden Sonnenlicht schützt.
„Hey", brummt er, als der Heiler aus dem Zimmer gewuselt ist und ihn mit einem letzten Schwung seines Zauberstabes entlassen hat.
„Morgen", murmle ich und schwinge meine Beine über die Bettkante, „Bei dir alles okay so weit?"
Er zuckt mit den Schultern und schenkt mir ein schwaches Lächeln, „Mein Körper ist wieder zusammengeflickt, also alles bestens." Meine Finger finden seinen Arm und streichen sanft über seine Haut.
„Du bist entlassen?", wechsle ich das Thema. Nicken ist meine Antwort.
„Habe drei Tage frei, bevor ich wieder zurück in die Ausbildung muss." Das Wort schickt eine Grimasse über sein Gesicht.
„Okay", ich tapse auf besockten Zehen zu ihm hinüber und schlinge meine Arme um ihn, „Ich muss wieder zurück."
„Ich weiß", seufzt er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er mich eng an sich zieht. Ich atme seinen Geruch ein. Er muss sich geduscht haben, denn der metallische Geschmack von Blut hat sich verflüchtigt. Ich lasse meinen Kopf an seiner Schulter ruhen. „Ich werde dich vermissen", wispert er so sacht, dass ich ihn fast nicht gehört hätte. Ich komme nicht umhin, das verzweifelte Krächzen in seiner Stimme wahrzunehmen.
„Ich dich auch." Sein Griff um meine Schultern verstärkt sich, als er mich enger an sich presst. Für einen Moment verharren wir in der Position, bevor ich mich aus seinen Armen winde und mich ihm entgegenstrecke. Sacht liebkosen meine Lippen die seinen und für einen Augenblick fällt die Welt wieder zurück in ihr Gleichgewicht und verschwindet im selben Augenblick um uns herum, sodass nur wir beide existieren.
„Ich liebe dich", fühle ich ihn gegen meinen Mund murmeln.
„Ich liebe dich", wispere ich zurück, bevor ich mich von ihm löse und erneut an ihn schmiege.
oOo
In Beauxbaton herrscht Aufbruchsstimmung und beinahe hätte ich vergessen, dass wir erneut weiter müssen. Wir sind wie Nomaden, die von einem Ort an den anderen ziehen und sich dort ihr neues Zuhause finden, während ihr wahres Zuhause immer mit ihnen mitzieht. Koffer werden gepackt, Adressen ausgetauscht und Eulen gerufen. Xela flattert wie ein aufgescheuchtes Rebhuhn an der Decke des Schlafsaals herum, während genervte Stimmen aus dem Bad darüber diskutieren, ob die Bürste Mena oder Juliet gehört. Die Frage hätte sich eindeutig schneller beantwortet, wenn letztere anwesend wäre, aber die Besenkammer würde sie ja sonst schrecklich vermissen. Mein Zeug ist verstaut und aus Pullis ein Körbchen für Xela errichtet.
„Xela!", rufe ich durch den Raum und schaffe es kaum meine Augen nicht zu verdrehen, als er kichernd Saltos schlägt und glucksend auf meinem Bett landet.
„Ja?", mir unschuldigen, großen Augen sieht er mich an, Freude glitzert in ihnen.
„Rein da, mit dir", schmunzle ich und deute mit dem Kopf auf die Mulde in meinem Koffer. Er grinst mich frech an und ich weiß genau, worauf das hinausläuft. „Ja, du kriegst Kürbispasteten, aber jetzt hüpf hinein."
„Yey!", kichert er und mit einem Flattern seiner grünen Flügel segelt er durch die Luft und landet mit einem dumpfen Geräusch in meinem Gewand. Ich werfe ihm seine versprochenen Leckereien zu und komme nicht umhin zu lachen, als ich seinen zufriedenen Gesichtsausdruck sehe.
„Du kannst noch bisschen deine Flügel ausstrecken", sage ich ihm, „wir müssen noch essen gehen, dann wird zugemacht und dann geht's auch schon los." Ein glückliches Nicken ist alles, was ich von ihm bekomme, bevor ich aufspringe und schon fast aus der Tür draußen bin.
„Leute, ist doch egal!", rufe ich genervt über meine Schulter, als ich Marls Gezetere aus dem Bad vernehme, „nehmt den Scheiß doch einfach mit."
Ich husche hinaus, kann das entnervte Stöhnen, das mit entkommt, nicht zurückhalten. Man könnte glauben, dass sie sich nie sehen, so ein Drama wie sie wegen der Bürste machen. Ich treffe im Gang auf James und Lily, die kichernd an der Mauer lehnen.
„Na, was heckt ihr zwei leicht aus?", schmunzle ich, als ich mich zu ihnen geselle und wir uns gemeinsam auf den Weg nach unten machen. James schenkt mir einen amüsierten Blick unter über seinen Brillenrand hinweg. Seine braunen Augen glitzern vor Lachen.
„Also wir waren gerade am Weg den Korridor entlang, denken uns nichts Böses und auf einmal", er verschluckt sich an seinem eigenem Gekicher, „auf – auf einmal", Lilys Schnauben und Gegacker lässt mich verwirrt, aber mit einem Lächeln auf den Lippen innehalten, „Was ist denn so lustig?"
Krones Gesicht ist rot angelaufen: „Sirius, du – du HENGST!" Mein Kiefer klappt hinunter, bevor ein lautes Lachen meiner Kehle entkommt.
„Was?", keuche ich, als ich mich von meinem Lachkrampf erholt habe – beziehungsweise Luft bekomme. Lily hält sich giggelnd den Bauch und bekommt nur ein Nicken hervor.
„Wir sind vorbeigegangen und ich – ich schwöre dir, Lily ist zirka drei Meter in die Luft gesprungen."
„Ich hab mich erschreckt!", protestiert sie kichernd. Ich versuche meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen, aber alles woran ich denken kann, ist Marl, die im Badezimmer vor sich hin meckert und Juliet, die offenbar gerade tierisch guten Sex hat.
„Bitte was?", Yin sieht uns empört an, „da vergnügt sie sich in einer Besenkammer mit Sirius, während wir damit beschäftigt sind ihr Zeug zusammen zu klauben?" Ihre Augenbrauen sind wütend zusammengezogen und ein säuerlicher Ausdruck ziert ihre Miene. „Das gibt's doch wohl nicht!"
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