17. Kapitel Zerbrochene Masken
True to ourselves is the right thing to be.
Mein Koffer steht offen und Kleidungsstücke werden wild hineingeworfen, denn das meine Damen und Herren passiert, wenn man beschließt, Vorbereitungen für eine monatelange Reise bis ganz zum Schluss aufzuschieben. Merlin sei Dank, habe ich meinen Koffer von den Weihnachtsferien noch nicht mal ausgepackt, denn sonst würde ich wie ein aufgescheuchter Truthahn durch den Schlafsaal laufen, vergessen, dass ich der Magie mächtig bin und nach meiner Zahnbürste suchen, anstatt sie einfach aufzurufen. Xela hat sich aus seinem Schlafplätzchen ganz oben in der Spitze unseres Turmes bequemt, dort wo ich meine Hängematte aufgehängt habe, und beginnt nun mir Fragen zu stellen, wo ich denn hingehen würde?
„Nach Frankreich, Xela", grummle ich, als ich rasch eine weitere Garnitur der schwarzen Schulumhänge in meinen Koffer stopfe.
„Ja, aber für wie lange?", will er von seinem Platz am Bett wissen, „Wie lange wirst du weg sein?"
„Drei Monate", erkläre ich und drehe mich suchend im Kreis, „Und danach geht's noch nach China. Aber ich bin für die Prüfungen sicher wieder da. Versprochen."
„Natürlich bist du für die Prüfungen wieder da, Dummerchen", grummelt er, „aber das ist so lange."
Ich kann ihn nur verwirrt ansehen. Sein Blick ist gesenkt und ich kann nicht anders, als Mitgefühl für das kleine grüne Knäul auf meinem Himmelbett zu empfinden. Ich mustere ihn.
„Xela, was ist denn los?", meine Stimme wird weich. Ich habe sowieso schon fast alles eingepackt.
„Ich... es ist nur... ich werde alleine sein", bringt er schließlich hervor, seine Augen groß, „und ich will nicht alleine sein." Mitgefühl zieht mein Herz zusammen.
Ich blicke ihn abschätzend an, dann sehe ich zu meinem Koffer und wieder zu ihm.
„Okay", seufze ich.
„Okay, was?"
„Rein da mit dir, wir haben einen Portschlüssel nach Frankreich zu erwischen."
Die unbändige Freude, die sich um seine Schnauze ausbreitet, ist unbezahlbar.
Meinen Koffer im Schlepptau quäle ich mich die Stufen hinauf zu Dumbeldors Büro, wo vermutlich schon der Großteil der Schüler wartet. Ich hatte kein Frühstück, aber nun ja, das blüht mir nun wohl und es ist meine eigene Schuld. Auch wenn ich mein Gepäck vor mir herschweben lassen kann, rinnt Schweiß mein Rückgrat entlang. Diese verdammten Stufen. Mein Herz hüpft mir fast in meinen Rachen, als mein Fuß an einer Trickstufen hängen bleibt und mein Koffer mit einem lauten Rums auf dem steinernen Boden landet. Ein protestierendes Grummeln ertönt aus der Richtung des braunen Leders. Shit. Xela.
„Sorry, tut mir leid", beeile ich mich zu sagen, bevor ich mich aufrapple, meinen Zauberstab schwinge und den weiten Weg nach oben antrete. Keuchend und stöhnend komme ich vor den beiden Wasserspeiern an, die mich amüsiert mustern.
„Wir haben den Befehl dich nach oben zu lassen", meint der eine, während der andere – natürlich der linke – enttäuscht aufseufzt. Er hat sich wohl schon gefreut mich auszufragen, aber leider macht ihm meine späte Ankunft da einen Strich durch die Rechnung.
„Danke", murmle ich, als sie zur Seite weichen und mich die enge Wendeltreppe hinaufschicken. Merlin, ich hasse Stufen wirklich. Ich schaffe es kaum meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, als ich an Dumbledors Türe klopfe und hastig eintrete, nur um von amüsierten Gesichtern und einem tadelnden Blick von McGonagall begrüßt zu werden.
„'tschuldigung", keuche ich und eile an Menas Seite, die mir nur ein Augenrollen schenkt. Ihre Mundwinkel zucken verräterisch nach oben. "Jaja", raune ich ihr zu, „du hast es mir ja gesagt. Ich hätte gestern packen sollen."
„Haarscharf erfasst", sie versucht ihr Grinsen zu verbergen.
„Miss Haimerl", McGonagalls warnende Stimme lässt mich verstummen. Ihre Lippen sind zu einer dünnen Linie zusammengekniffen. Ich sollte sie besser nicht weiter reizen, auch wenn das nicht mal meine Absicht war.
„Nun, wie ich bereits sagte", ich schaffe es meine Aufmerksamkeit Dumbledor zuzuwenden," der Portschlüssel wird sie direkt in Madame Maxime's Büro schicken, um ein Brechen des Schutzwalls um Beauxbaton zu verhindern. Die Flohverbindungen können nicht mehr als 100% sicher erachtet werden und ihr seid noch nicht volljährig, weswegen Apparieren ebenfalls wegfällt. Der Portschlüssel", er hebt den silbernen Kelch in die Höhe, „ist auf punkt elf gestellt. In", ein Blick auf die hohe Wanduhr, „3 Minuten. Habt ihr noch irgendwelche Fragen?"
„Wie sollen wir alle den kleinen Kelch hier berühren?"
„Oh, das wird sich schon erübrigen. Ein Finger am Rand reicht bereits, um euch zu transportieren. Richtet Madame Maxime einen schönen Gruß von mir aus und sagt ihr, dass ich aufrichtig um Verzeihung für die verspätete Rückgabe ihres Kelches bitte." Ich kann nicht anders als amüsiert zu schnauben, als ich mich zwischen Mena und Alice dränge, um ein Fitzelchen des kühlen Metalls zu erhaschen. Eng stehen wir aufgereiht im Kreis, Haut auf Metall, Gedränge und Unruhe. Die enge Körpernähe lässt Schweiß meinen Nacken hinunter rinnen. Marls Körper neben mir versteift sich. Nervöse Energie geht in Wellen von ihr aus. Ich packe den Griff meines Koffers fester. Wird Xela dann auch mitgetragen? Ich denke schon, sonst könnten wir ja unsere Koffer nicht mitnehmen. Magie ist schon etwas Komisches. Mein Blick kreuzt Tatzes. Seine Mundwinkel wandern nach oben, als wolle er mir gut zu sprechen, während Aufregung in seinen Augen glitzert. Ein Portschlüssel. Das letzte Mal als ich einen Portschlüssel berührt habe, bin ich im Reich Morsiras gelandet. Ein Fels blitzt vor meinem inneren Auge auf, er ragt hoch und erhaben, drohend über den dunklen Baumkronen zu seinen Füßen. Blut, das auf Blut tropft. Eine schwarze Flüssigkeit träge wie Teer fließt in zähen Bahnen in silbernem Metall. Ich widerstehe dem Drang meine Hand fortzureißen, presse meine Lider aufeinander und versuche den erstickten Laut, der in mir aufsteigt zu unterdrücken. Es ist okay, es ist okay, ich bin in Sicherheit, es ist alles okay.
„Meine Lieben, es ist so weit. Löst den Kontakt zum Portschlüssel nicht", Dumbledors Stimme dringt bis in mein Unterbewusstsein vor, nachdem sie sich durch den Schleier meines bewussten Denkens gekämpft hat und lässt ein Gefühl von Ruhe über mich kommen. Es ist alles okay. Marl ist hier neben mir, Alice zu meiner Linken. Wir sind alle hier und wir sind okay. Ich atme tief durch, festige meinen Griff um das Leder meines Koffers und lasse mich von einem Schwall der Magie fortreißen. Portschlüssel sind bestimmt nicht angenehm, das Gefühl durch eine enge Röhre gepresst und dann hindurchgezogen zu werden, wird nicht weniger. Wäre auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Meine Brust zieht sich eng zusammen und ich will atmen, atmen - endlich füllen sich meine Lungen wieder mit Luft, weiten sich dankbar und seufzen zufrieden auf. Hart schlagen meine Füße auf dem Boden auf, die Körper neben mir, zwischen denen ich eingeklemmt bin, halten mich aufrecht.
„Uff", mache ich, als mein Koffer ruckartig neben mir aufkommt und ich bilde mir ein Xela gehört zu haben, der leise vor sich her flucht. Er wollte unbedingt mit. Ich blinzle, um mir meiner Umgebung bewusst zu werden. Ein weißer Raum, durchflutet vom Sonnenlicht, das durch hohe Fensterbögen fällt und die Schülergruppe blendet. Stuck an den hohen Decken und verschnörkelte Rahmen, die die Flügeltüren umfassen, dunkles Holz und schwebende Planeten. Kühl gestrichene Töne. Pastell, weiche Rundungen.
„'erzlisch willkommen an der Beauxbaton Akademie für 'exerei und Zauber'ei!", Madam Maximes schwerer Akzent füllt meine Ohren, als ich endlich auf eigenen Beinen stehe und Platz zum Atmen habe. Ich rücke zurück, bis mein Koffer an meine Kniekehlen stößt. Mein rasendes Herz ist endlich dabei sich zu beruhigen. „Isch 'abe die E're eusch über die nächsten Monate zu be'erbergen und eusch in die Welt der schönen Künste einsufü'ren. Magie ist eine wündervolle Gabe, die es su 'egen und su pflegen gilt. In eurem letzten Jahr ist es besonders wischtig genauestens vorzuge'en. Wir sind dafür da, eusch während diesem internationalen Austausch dabei su unterstützen." Ich atme tief durch. Wir sind angekommen. Ich bin schon gespannt auf ihre Art und Weise, die „schönen Künste" in unsere Hirne zu drillen.
oOo
Im Gegensatz zu Hogwarts gibt es keine Einteilungen in Häuser, lediglich die Unterteilung in Mädchen- und Jungentrakte. So viel zu geheimen Streichen in der Nacht und langen Abenden im Kreise der Rumtreiber. Was glauben sie denn, dass wir tun? Es wie die Kanninschen im Frü'ling treiben? ("Juliet, Sirius und du zählen nicht!")
Der weiße Marmor der ausladenden Treppen schimmert im Licht der Wintersonne, das durch zahlreiche glitzernde Fensterscheiben in die Flure und Treppenhäuser fällt. Der Stuck ist mit Ranken und Schnecken versehen, die sich sanft über die Decke ziehen. Weich hüllen die Wände die Korridore ein. Die Kühle des Steinbodens dringt durch meine Schuhsohlen und ich kann nur hoffen, dass das nicht immer so sein wird. Da hab ich mir schneller eine Erkältung eingefangen, als ich schauen kann. Ich beeile mich Madam Maxime hinterher zu kommen, die mit ihren langen Beinen sich mit einem Schritt nach dem anderen von mir entfernt. Das ist fast so schlimm wie mit Hagrid mithalten zu müssen. Der raue Ledergriff scheuert an meinen Handballen und ich kann nicht anders als genervt zu stöhnen. Ich kann ihn nicht mal schweben lassen, bei den vielen Menschen im Gang, sonst würde ich noch irgendwen erschlagen. Warum kann Xela nicht leichter sein? Ist er nicht ein fliegender Wasserspeier-Kniesel-Gnom? Müsste er nicht weniger wiegen, um sich überhaupt in die Lüfte erheben zu können? ... Magie. Ich vergaß. Ich mühe mich also neben Peter ab, der mich nur amüsiert betrachtet.
„Zu viel eingepackt?", neckt er mich. Ich rolle mit den Augen.
„Ja... und ich hab vergessen den Zauber zu erneuern. Jetzt ist er erst recht schwer."
Er gluckst nur, bevor er seine Augen über die Gemälde laufen lässt, die uns tuschelnd und gaffend Gesellschaft leisten. Vor uns lacht Juliet vergnügt auf und eilt zu einem der Rahmen.
„Madam Morel!", aus ihrem Mund fällt ein begeisterter Schwall fremd klingender Laute, als sie sich mit der Dame in Rot unterhält. Der schwarzhaarige Junge neben ihr mustert sie amüsiert, ein weicher Ausdruck ziert sein Gesicht, während er ihren Worten zu folgen scheint. Bonbonkopf und Mena schieben sich schmunzelnd und augenrollend an den beiden vorbei, die die gesamte Schülerprozession aufhalten. Sakuras Augen blicken groß den Gang entlang und ihr Mund steht offen als die steinernen, weißen Ranken zu wachsen beginnen und eine einzelne goldene Rose ihre Blütenblätter vor ihrer Nase entfaltet. Raito neben ihr nimmt sie sanft am Arm und zieht sie zur Seite, um den restlichen Menschen Platz zu machen. Ganz im Gegensatz zu Sirius und Juliet. Die plaudern immer noch fröhlich mit der roten Dame, die begeistert auf quiekt, als Tatze ihre an Juliet geflüsterte Frage mit einem Grinsen beantwortet. Mein Arm schmerzt, als ich mich an den beiden vorbeizwänge.
„Ihr zwei Turteltauben", Pete's Stimme holt sie in die Gegenwart zurück, „Ihr haltet alle auf, bis wir alle an euch vorbeikommen, ist Madam Maxime schon über alle Berge."
„Oh", macht Juliet verlegen, während Tatze keine Anstalten macht sich zu bewegen. Ich rolle mit den Augen.
„Wir haben's euch gesagt." Ich habe hier bessere Probleme. Zum Beispiel meinen geflügelten Freund quer durch ganz Beauxbaton zu schleppen. Endlich erreichen wir das Ende des Ganges, doch anstatt dass die Vorherbestimmung mir einmal in meinem Leben etwas Gutes tut, finde ich mich am Fuße breiter Treppen wieder.
Es dauert eine gefühlte Ewigkeit und einen Marsch durch die Sahara, bis wir endlich in den Trakten der „Mädschen" angekommen sind. Die breite Flügeltür offenbart weiche Sofas mit feinen Zierpolstern und warme Flammen, die in den Kaminrosten schlummern. Die Strahlen der einfallenden Wintersonne werfen lange, seidige Bahnen auf das helle Parkett und lassen Staubflocken in der Luft tanzen. Vereinzelt sitzen Mädchen zusammen auf den kleinen Sitzgruppen, andre verstreut über Pergament gebeugt und in ihre Aufgaben vertieft. Der hellblaue Stoff ihrer Schuluniformen glatt und makellos wie die klar geputzten Scheiben der Fenster. Ich lasse erleichtert meinen Koffer zu Boden sinken, darauf bedacht ihn so vorsichtig wie möglich abzusetzen. Der arme Xela muss schon komplett durchgeschüttelt worden sein.
„Dies wird I're Residence für die näschten Monate sein", fängt Madam Maxime an, „dies ischt ein Ort der Geborgen'eit und der Sischerheit und das soll auch so bleiben. Isch vertraue darauf, dass unsere Mädschen Sie herzlisch in i'rer Mitte aufne'men werden." Mit einer ausladenden Bewegung holt sie eine gertenschlanke junge Frau zu sich, die dunklen Haare in einen Zopf gefasst und ihre Lippen zu einem freundlichen Lächeln verzogen.
„Marie wird I're Anschprechpartnerin in den kommenden Woschen sein. Sollten Sie irgendwo Fragen àben oder ìlfe benötigen, wenden Sie sisch an Sie." Bevor ich auch nur ein Wort davon mitbekomme, wie sich Marie mit einem Lächeln und fast akzentfreiem Englisch vorstellt, lässt mich mein ruckelnder Koffer erschrocken innehalten. Fuck. Xela. Ich glaube, das wäre nicht ganz legal, wenn sie draufkommen, dass ich ihn mitgeschmuggelt habe. Ich würde mich gerne hinknien und ihm zu flüstern, dass er noch ein bisschen durchhalten muss, doch die Situation lässt das nicht wirklich zu. Mit einem nagenden, schlechten Gewissen stoße ich mit meinem Fuß gegen den Koffer.
„Sorry", wispere ich, als ich meine, ein leises Jaulen zu hören und ernte einen verdatterten Blick von Mary.
„Nichts passiert?", flüstert sie unsicher zurück. Ich schenke ihr ein rasches Lächeln, doch sie hat sowie so keine Zeit weiter nachzubohren, als Marie uns auch schon dazu auffordert ihr zu folgen und uns zu unseren Schlafgemächern führt. Währenddessen sie uns unsere Unterkunft zeigt, sinniert sie über Tugendhaftigkeit und Reinheit, die offenbar in Beauxbaton so hochgehalten wird. Ich kann nicht anders als mit meinen Augen zu rollen. Wahrscheinlich ist sie eine von denjenigen, die sich mit jemandem in der Besenkammer trifft, einfach weil sie damit davonkommen würde. Ich fiebere sehnlichst auf den Augenblick hin, in dem sie endlich den Raum verlässt und ich meinen Koffer aufmachen und Xela rauslassen kann. Nach einer weiteren Rede und drei Ewigkeiten, macht sie sich endlich aus dem Staub. Ich beeile mich, die Schnallen meines Gepäckstückes zu öffnen. Mit einem Rumsen kommt mein geflügelter Gefährte auf dem Boden auf, als er aus seinem Transportmittel hinauskullert.
„Na endlich", keucht er mit weit aufgerissenen Augen und starrt in die perplexen Gesichter meiner Freundinnen, „Das würde ich jetzt aber nicht als erste Klasse bezeichnen."
„Na, du hast Ansprüche", murmle ich nur, bevor ich beginne den Rest meiner Sachen, die mit Xela aus dem Koffer gefallen sind, zusammen zu sammeln und auszupacken. Als sich die Mädls von ihrem Schock erholt und mit der Tatsache abgefunden haben, dass Wasserspeier-Kniesel-Gnome existieren, schließen sie sich mir an.
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Beauxbaton ist ein Synonym für Schönheit und Reinheit, für Anmut und – wie Marie richtig sinniert hat – Tugendhaftigkeit. Menas und meine Versuche einen Weg in den Rumtreiberschlafsaal zu finden scheitern kläglich, bis Krone uns seinen Tarnumhang mitgibt, sodass wir uns an den nie enden wollenden Patrouillen vorbeischleichen können. Wir können nicht mal Remus an den kommenden Vollmonden begleiten, weil wir nicht mal zur abgelegenen Hütte (eher ein Bunker) gelangen können, ohne von mindestens drei Hexen oder Zauberern gesehen zu werden. Sie behandeln ihn, als wäre er hochexplosiv, gefährlich und unberechenbar, überwachen ihn auf Schritt und Tritt, sobald der Mond über die Hälfte schreitet. Dabei will er doch nur in Ruhe gelassen werden, will doch nur, dass sein Schmerz aufhört. Wir könnten ihm helfen! Es würde ihm helfen, wenn wir dabei wären! Aber das würde niemand verstehen oder zulassen und im Endeffekt würden wir noch ein Problem mit dem Zaubereiministerium bekommen, weil wir eben nicht gemeldete Animagi sind. Schöne Scheiße, danke für nichts, Merlin.
Um ehrlich zu sein, kotzt mich Beauxbaton an. Ich meine ja klar, es ist schön in einem neuen Land zu sein und interessant erst recht, aber es fühlt sich an wie ein Gefängnis aus Glas. Jeder Blick durchleuchtet einen bis ins Knochenmark, nach Einbruch der Dunkelheit hat niemand mehr auf den Gängen zu sein und der Großteil der Leute, denen ich bis jetzt begegnet bin, wirken so... künstlich, aalglatt. Als seien sie alles nur nicht echt oder ehrlich. Ihre Schönheit und ihre Makellosigkeit als eine Maske für was auch immer sie zu verstecken versuchen. Ich hasse, was Beauxbaton symbolisiert. Vielleicht ist es, weil ich selbst nicht schön bin. Vielleicht ist es, weil Narben von ausgefochtenen und verlorenen Kämpfen mein Fleisch durchziehen. Vielleicht, weil in mir gebrochen ist, was bei ihnen noch ganz zu sein scheint. Vielleicht weil ich durch und durch echt bin und mich weigere mich länger hinter Masken zu verstecken. Weil sie alles verkörpern, was ich nicht mehr sein kann. Schön, anmutig, gehorsam. Weil sie noch ganz zu sein scheinen, während in mir bereits alles zerbrochen ist und ich dabei bin, die verbliebenen Scherben wieder zusammen zu kitten. Vielleicht versuchen sie es nicht einmal, aber ihre Blicke fressen mich von innen heraus auf, geben mir das Gefühl ihnen zuwider zu sein. Aber warum sollte es mich berühren? „Trage deine Narben als wären es deine schönsten Juwelen." Aber es gelangt trotzdem nach innen, löst wie Säure den Kitt der Scherben und sorgt dafür, dass ich zweifle. Noch mehr als sonst, kann sich das einer vorstellen? Denn im Endeffekt sind Narben nur Narben. Sie sind nichts außer dem Wert, den wir ihnen zuweisen, und auch wenn ich sie als Symbol von Mut und Beharrlichkeit sehe, zeigen sie ihnen nichts anderes als Versagen.
Die Stunden werden in Französisch abgehalten, also bleibt mir nichts anderes über, als mich mit meinen Büchern in die Klasse zu setzen und selbst an meinen Fähigkeiten zu arbeiten. Ich lerne nichts aus Aufsätzen, die sie uns aufzubrummen meinen. Ich lerne daraus, es selbst zu probieren und wenn ich scheitere, lerne ich erst recht daraus. Juliet versucht uns zwanghaft in das Geschehen miteinzubinden, doch wie sie das anstellen will, wenn scharfe, misstrauische Blicke auf ihr liegen, weiß ich auch nicht. Sie versucht es sich nicht anmerken zu lassen, doch es berührt sie. Ihre hellen Augen suchen sehnlichst nach Nähe, die sie vielleicht einmal zu ihren Mitschülerinnen hatte, doch sie prallt an deren errichteten Mauern ab, ohne auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. Nur die kleine quirlige Jaqueline aus dem Schlafsaal neben an wird mit uns warm. Ich frage mich nicht mal warum. Sie passt nicht in das Bild, das Beauxbaton von sich errichtet hat. Sie stolpert über ihre eigenen Füße und lacht zu laut, fragt zu viele Fragen und fordert jene heraus, die sich hinter ihrem Rücken ihre Mäuler zerreißen. Sie ist alles, was sie nicht sind, außer vielleicht zerbrochen.
Vielleicht werden die Mauern der Makellosen noch brechen und die Masken von ihren Gesichtern gerissen. Es war auch bei uns so. Dann kam der Krieg mit der Wucht eines Orkans und donnerte gegen uns, um uns nach Luft ringend und blutend zurückzulassen, bereitete sich auf den nächsten Schlag vor. Immer und immer wieder. Der Sturm kommt hier gerade erst an. Er überquert das Meer mit schnellen Schritten und breitetet sich aus. Je schneller er vorrankommt, desto stärker flammt die Gier in ihm auf, nur um Zerstörung und Leid zurückzulassen.
Aber sie scheinen selbst ganz gut damit zurecht zu kommen Leid und Misstrauen zu streuen, wenn wir uns ehrlich sind. Ihre scharfen Blicke durchbohren einen, suchen nach Fehlern, nur um diese herauszupicken und sie als Folter zu verwenden. Nicht einmal fallen die Worte „traitresse" und „indigne", wenn Juliet sich an ihren Mitschülern vorbeidrängt, die Sirius so in Rage bringen, dass seine sonst funkelnden Augen schwarz und seine Züge vor Wut verzerrt sind. Der Name scarface brennt sich in mein Gedächtnis ein und die gezischten Beleidigungen, die ich so oder so nicht verstehe, schleichen sich in mein Unterbewusstsein. Krones Schultern spannen sich jedes Mal an, wenn er Wortfetzen aufschnappt, schiebt sich vor Mena, vor mich, vor Lily, blafft auf Französisch zurück, die Augen zornig hinter der runden Brille verengt. Es ist erträglich. Ich bin so oder so an Beleidigungen aus Hogwarts gewöhnt, weswegen sie an mir abperlen, wie Regen an einem Lotusblatt, doch die Wut darüber, wie man neuen Menschen mit so viel Verachtung entgegentreten kann, schwindet dennoch nicht. Lily hingegen wird immer blässer, Resignation und Furcht in ihnen. Sie sitzt auf dem Servierteller und auch wenn sie es nie zugeben würde, macht ihr das Angst. Sie ist Schulsprecherin. Sie hat Einfluss und vor allem in diesen Zeiten ist das etwas, wovor sich die Reinblutfanatiker fürchten. Sie bleibt standhaft. Für jedes „Schlammblut" strafft sie ihre Schultern und verschafft sich erneut Autorität, für jedes „indigne" wirft sie kalte Blicke zu, hebt ihr Kinn und macht weiter, nur um später mit James gemeinsam zusammen zu sitzen und ihre Mauern langsam fallen zu lassen. Sie stecken ihre Köpfe zusammen, seine Stimme beruhigend und dunkel zu gleich, ihre Augen erschöpft. Wenn sie es nicht schafft, ihren Kopf hocherhaben dem Beil der Verachtung hinzuhalten, steht der Dunkelhaarige hinter ihr, führt sie, mit einer sanften Hand auf ihrem Rücken durch die Menge und erdolcht jene, die verstohlen hinter ihren Handflächen flüstern und jene, die ihr die Worte gehässig ins Gesicht spucken, mit seinen Blicken. Was bei Merlins verfluchtem Bart passiert hier?
„Nicht das einzige Schlammblut hier", höhnt ein blasser Junge, sein Gesicht vor Verachtung verzogen. Seine Augen liegen auf einem Mitschüler. Ich spüre wie der Löwe in mir sich drohend erhebt, die Mähne gesträubt, die Zähne gefletscht. Bevor ich noch herumwirbeln kann, hat sich eine schlanke Gestalt zwischen die beiden geschoben und beginnt, mit loderndem Blick und ihrem Zauberstab drohend erhoben ihn anzufauchen. Der Angesprochene verzieht nur höhnisch seine Mundwinkel als wolle er sagen „als ob du reichst, um mich aufzuhalten." Womit er jedoch nicht gerechnet hat, ist Maries Faust, die aus dem Nichts schießt und mit einem lauten Knacken mit seiner Nase kollidiert. Ein weiterer Junge, helles Haar, strahlend blaue Augen, die mit einem Sommerhimmel mithalten könnten, stellt sich vor den sich nun die Nase haltenden Unruhestifter. Worte, die mit ziemlicher Sicherheit die Bedeutung von „verpiss dich" tragen, verlassen leise und drohend seine Lippen. Ich seufze erleichtert, als sich der Idiot endlich verzupft. Das kann es nun wirklich nicht sein. Die drei Schüler wechseln einen Blick und ich runzle verwirrt die Stirn, als ich so viel Bedeutung in ihnen sehe. Die hellen Schuluniformen liegen makellos an ihren Körpern an, glitzernde Knöpfe und Broschen am blauen Stoff, doch ihre Mienen sind von Falten gezeichnet. Es kann hier nicht mehr so weiter gehen und sie wissen das. Alle scheinen das zu wissen. Die Lehrer, die unablässig durch die Gänge streifen und dann dennoch zum zehnten Mal nicht in ihren Stunden erscheinen, weil sie wichtige Termine wahrnehmen mussten, die Schüler, die – wie ich immer wieder merke – jeglichen Rassismus im Keim zu ersticken versuchen. Das Misstrauen und die Skepsis sind die Mauer, hinter der sie sich verstecken, um sich zu schützen. Sie vertrauen nicht. Doch Vertrauen ist, wie Dumbledor immer so schön sagt, das wichtigste Gut, das wir nun brauchen.
Abgesehen von der Angst und den Masken, ist Beauxbaton genau das, was es sein will. Schön. Glänzende Scheiben und blank geputzte Gänge, schimmernde Messing Wasserhähne, die glitzerndes Wasser in saubere Keramikwannen sprudeln lassen. Poliertes Parkett und gebügelte Uniformen und Bettlaken. Glatte Buchseiten und weiche Pölster vor den Kaminen. Klares Lachen und sanfte Musik. Wenn der Bann einmal gebrochen ist und man es hinter die Mauer geschafft hat, ist es ganz erträglich. Es ist, als hätten sie in den letzten Wochen sicherstellen müssen, dass wir keine Bedrohung für ihr Gleichgewicht sind. Jaqueline, Juliet und Marie haben uns in ihre Mitte genommen, uns in das Geschehen mit eingebunden. Wir folgen ihnen hinaus auf die von Frost überzogenen Wiesen, um mit einer kleinen Gruppe Quidditch zu spielen. Die beiden anderen Schüler, der Junge und das Mädchen, Julien und Laureen, die den Muggelstämmigen verteidigt haben und genau wie Marie, die glitzernde Brosche tragen, sind auch dabei.
„James, bist du wieder Sucher?", ruft Julien ihm zu.
„Kann ich machen!", ruft er zurück, „Yang, Jäger?"
Ich deute mit dem Daumen nach oben und greife nach dem Besen, den mir Laureen geborgt hat. So hatte ich mir unseren Aufenthalt eher vorgestellt. Quidditch mit neuen Leuten spielen macht immer Spaß. Ich sause also in die klirrend kalte Luft und warte auf die andren, damit wir endlich mit unserer Partie beginnen können. Die Sonne hat sich durch die dicke Wolkendecke gekämpft und übergießt den glitzernden Frost mit warmen Strahlen. Sie begleitet uns, als wir dem Quaffel hinterherjagen und ihn durch goldene Ringe werfen, lässt die dunklen Klatscher Schatten werfen und schickt dem funkelnden Schnatz ihr Licht hinterher, bis er schließlich von James Fingern umschlossen und festgehalten wird. Lily, Juliet, der Bonbonkopf, Remus und Peter sehen uns von den Tribünen aus zu, jubelnd und klatschen, als Korne schließlich triumphierend seine Faust in die Höhe streckt. Ein Grinsen leuchtet auf seinem Gesicht, als er auf den Boden zu fliegt. Ein roter Haarschopf hat sich schon auf dem Quidditchfeld positioniert, um ihn lachend in die Arme zu schließen. Wie schnell sich Dinge nicht ändern können. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich neben ihnen lande. James Gesicht ziert ein noch breiteres Lachen, ein Siriusgrinser, und ich bin mir sicher, seine Wangen sind nicht nur von der Kälte rot. Die beiden lösen sich von einander und ich kann die Wärme in seinen Augen sehen, das leicht atemlose Lächeln auf ihren Lippen. Merlin, wenn die beiden nicht irgendwann in nächster Zeit schmusen oder mit einander schlafen, stirbt einer von ihnen noch an sexueller Frustration. Ich kichere, als ich Remus wissendes Grinsen auffange und ihn sich räuspern höre. Wie von einem Billiwig gestochen fahren die beiden auseinander und hören endlich auf sich unwissentlich schmachtend in die Augen zu sehen.
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