16. Kapitel If you love me, let me go.


Selfworth comes from within, bitches.

Seine Hand fühlt sich vertraut und auf der anderen Seite so verdammt fremd in meiner an. Es ist nicht Benjs Hand, die sanft die meine umfasst. Da sind keine Schwielen, die leicht an meinen Ballen kratzen. Es ist diese beunruhigende Kombination von sicher, gewohnt und absolut fremd und suspekt, die meine Nerven zum Singen bringt. Ein Teil von mir möchte einfach nur nach Hause, während der andere, tief in mir verborgen, neugierig nach Gewissheit verlangt. Der Pianist stimmt einen Walzer an und Toby führt mich in die Tanzhaltung. Seine Hand an meinem Rücken scheint durch den Stoff meines Kleides zu brennen. Sein Körper ist zu nah. Eine Gänsehaut läuft meine Arme entlang und sie rührt nicht von angenehmen Empfindungen. Für wahr und voller Anmut. Ich straffe meine Schultern und versuche mich zu entspannen. In through the nose, out through the mouth. Mein Herz pocht hart an meinen Brustkorb, als wolle es ihn zerbersten lassen. Mit dem nächsten Takt setzen wir ein und meine Füße finden von allein ihren Weg. Manche Tanzschritte vergisst man nie. Alle Gedanken sind wie fortgeblasen, als die Musik mich einhüllt und wir uns mit ihr bewegen. Auch wenn ich tanzen einst verabscheut habe, ist das hier nicht schlecht. Die Melodie ist so vertraut, dass sie meine Seele liebkost. Benjs Gesicht taucht vor meinem inneren Auge auf, in der sommerlichen Abenddämmerung leuchtende Lichterketten. Ich liebe dich. Ein Wechsel von Rechts- auf Linkswalzer reißt mich aus meinen Erinnerungen. Tobys Hand umfasst die meine fester und zieht mich näher an sich, um den Flatlands auszuweichen, die fröhlich nun ja, vor sich hin walzen.

„Sorry", murmelt er, gerade noch so laut, dass ich es hören kann.

„Ist okay", gebe ich zurück. Dieses verdammte Gefühl. Es fühlt sich so vertraut an. Wieso lässt es mich dennoch so verwirrt und unangenehm berührt zurück? Ich kann sein Parfum riechen – er hat es gewechselt - seine Nähe spüren. Warum ist er so nah bei mir?

Das Stück verklingt und endlich gibt er mich frei. Ein Zittern erfasst meinen Körper, aus Erleichterung und aufgrund etwas, das ich nicht definieren kann.

„Ems?" Dieser verdammte Spitzname.

Emily. Mein Kopf beginnt zu kribbeln, die Wände kommen näher. Nicht schon wieder. Der Raum dreht sich weiter. Ich ringe nach Atem. Meine Umgebung ändert sich, starke Arme ziehen mich aus dem Saal.

Einatmen. Komm, du schaffst das. Ein durch die Nase, aus durch den Mund. Ich folge verzweifelt den Anweisungen der Stimme. Meine Lungen füllen sich qualvoll mit Luft. Ich spüre die kühle Wand in meinem Rücken.

„Du machst das gut. Weiter so. Konzentriere dich auf mich, auf meine Stimme. Du schaffst das." Toby. Ich bin in die Zeit zurück versetzt in, der ich schluchzend am schwarzen See gekauert habe, während er mich in seine Arme genommen habe. Er war mein Anker. Er hat mich fallen gelassen.

„Gut, einfach weiter atmen. Du schaffst, das glaub mir. Es ist okay." Aber er ist jetzt da. Er ist jetzt da und das ist wichtig. Ich lege meinen Kopf in den Nacken, sodass er ruhig an der Wand ruht, bevor ich tief Sauerstoff in meine Lungenflügel schicke und langsam den überflüssigen Kohlenstoffdioxid ausatme. Die Töne der Violine klingen durch die Wand dumpf und vermischen sich mit dem Strom der Stimmen. Der Boden hält mich hart und unnachgiebig aufrecht, während die Mauer mich liebevoll stabilisiert. Der Geruch von Tobys Parfum kitzelt in meiner Nase. Ich bin hier. Es ist alles gut. Es sind nur Gefühle. Ich öffne meine Augen nur um seinen besorgten Blick zu treffen.

„Ist es schlimmer geworden?"

Ich schüttle den Kopf: „Nein." Aber es ist auch nicht besser geworden. „Ich habe es jetzt besser unter Kontrolle."

„Okay. Das ist gut zu wissen."

Ich nicke und atme weiter. Meine Augen huschen zu ihm hinüber, dunkle Haare, dunkler Mantel, besorgte Miene, bevor ich meinen Blick abwende. Für einen Moment ist es still zwischen uns. Wir müssen reden. Wir müssen endlich aufarbeiten, was passiert ist.

„Ich will nicht wieder hinein", sage ich zögerlich.

„Komplett verständlich, ernsthaft." Beinahe hätte ich aufgelacht. „Wir können uns in einen der Salons setzen, wenn du möchtest. Damit du runterkommen kannst."

„Das wäre gut, denke ich."

Er nickt und beäugt mich kritisch, als würde ich jeden Moment zusammenbrechen, als ich mich von der Wand abstoße.

„Geht's?"

Er erntet nur ein Augenrollen. „Ich bin nicht aus Zucker." Seine Lippen pressen sich kurz aufeinander, als verhindere er, das Worte über seine Lippen rollen, die er später bereuen würde.

„Bruno?", sage ich in die Leere hinein und nur wenige Sekunden später taucht ein Hauself aus dem Nichts vor mir auf.

„Wie kann Bruno den Herrschaften behilflich sein?"

„Ich würde mich gerne in einem Salon etwas ausruhen. Ist das möglich?"

„Natürlich. Wenn Sie Bruno bitte folgen würden." Sein Blick haftet kurz an Toby, kalkulierend, bevor er den Flur entlang huscht und zu einer der großen Flügeltüren weist. Meine Knie sind weich, doch mein Gang fest, stolz, erhaben, so wie Clarie es mir beigebracht hat.

Der junge Mann neben mir schiebt sich an mir vorbei, um als erster nach der Türklinke zu greifen und sie für mich aufzuziehen. Das leise, resignierte Seufzen, das mir entkommen will, bleibt in meinem Inneren verschlossen.

„Kann Ihnen Bruno sonst noch etwas bringen?"

„Wasser", meint Toby. „Wein", sage ich.

Wir wechseln einen Blick.

„Wein", sage ich entschieden, „zwei Gläser, obwohl, bring uns bitte zwei Gläser und eine Flasche."

Ich kann ihn aus dem Augenwinkel den Kopf schütteln sehen. Das Blut in meinen Adern kocht erneut hoch. Mehr Alkohol. Definitiv notwendig. Mit einer kleinen Verbeugung verschwindet der Hauself und ich husche schnell an meinem Exfreund vorbei und lasse mich auf die weiche Couch fallen. Ich atme erleichtert aus. Endlich Ruhe. Sein Glucksen zieht meine Aufmerksamkeit wieder zu ihm. Er nimmt im Ohrensessel mir gegenüber Platz, die Unterarme auf die Knie gestützt, als er mich mustert.

„Wie geht es dir?"

Nun kann ich nicht anders, als genervt zu stöhnen.

„Toby, mir geht es gut. Ich bin nicht aus Glas oder sonst irgendetwas Zerbrechlichem. Es braucht schon mehr als eine Panikattacke, um mich aus der Bahn zu werfen... und das war nicht mal-"

„Ich weiß", unterbricht er mich mit einem Augenrollen, „ich meinte eigentlich generell. In deinem Leben und so."

Meine Lippen formen ein stummes ‚Oh', bevor ich nach Worten suche. Ich entscheide mich schließlich für: „Okay, denke ich. Und dir?"

„Okay, denke ich", wiederholt er, „Die Ausbildung ist anstrengend und sie werfen mir alle möglichen Aufgaben entgegen. Versteh mich nicht falsch, ich finde den Job toll, aber es kommen jeden Tag so viele neue Patienten ins Mungos, die von schwarzmagischen Flüchen getroffen und schließlich dahingerafft werden. Es herrscht beinahe ein Ausnahmezustand, weil wir unsere Kapazität mehr als überschritten haben." Sein Blick ist dunkel.

„Das muss hart für dich sein", sage ich sanft. Er redet, als sei ich die erste Person, der er sich anvertrauen kann. Schmerz und Vorwürfe quälen seine Augen. Er schluckt.

„Ich hab nur das Gefühl, ich könnte mehr tun", die Schuld in seinem Gesicht spricht Bände. Ich kenne sie nur zu gut. Das Verlangen ihm seine Last von den Schultern zu nehmen, überrollt mich, doch ich bleibe standhaft. Es ist nicht meine Aufgabe.

„Du tust mehr als genug. Jeden Tag. Es ist nicht deine Schuld." Ich verstehe, wie du dich fühlst. Aber in meinem Fall war es meine Schuld. Cassy. Zerreißende Kehlen.

„Am schlimmsten sind die Jungen." Er starrt ins Nichts. „Die jungen Auroren, die sie viel zu früh losschicken, die ihre Mentoren im Kampf verlieren, ihre Kameraden im Kampf verlieren und vielleicht noch ein Bein. Oder ihr Leben. Und egal was ich tue, ich kann nichts machen, um ihnen zu helfen."

Angst greift nach meinem Herzen und presst es zusammen, immer fester. Immer fester. Ich... ich....

„Benj ist in der Aurorenausbildung", bricht es aus mir hervor und ich weiß nicht, warum ich ihm sowas überhaupt sage, „ich habe Angst um ihn."

Er blickt überrascht auf. Verständlicherweise. Sein steinerner Blick wird weich, als er die Sorge in meinem Gesicht sieht.

„Das kann ich nur zu gut verstehen. ... Es ist dieses Gefühl von Hilflosigkeit und Angst, wenn die wichtigste Person in deinem Leben sich immer und immer wieder in Gefahr bringt, um anderen zu helfen und du dir jedes Mal Sorgen machst, ob sie heil wieder zurückkommt."

Sein Blick spricht mehr als tausend Bände. „Es tut mir leid." Meine Entschuldigung ist aufrichtig. Es tut mir leid, ihn immer wieder in diese Lage versetzt zu haben. Und dennoch bereue ich es nicht, mich für andere aufs Spiel gesetzt zu haben. Es ist mein Zweck. Mein Sinn.

Er zuckt mit den Achseln: „Nun ja, wie hätte ich dich davon abhalten können, außer gar nicht?" Ich muss grinsen. Er lehnt sich mit einem leichten Schmunzeln zurück: „Ich konnte nur hinter dir stehen und auf dich Acht geben so gut es ging."

„Danke, Toby." Für beides. Den Rat und seine Unterstützung. Bruno appariert, um den Wein auf dem Tisch zu platzieren und ist wieder verschwunden, bevor ich mich noch bedanken kann. Ich zucke mit den Schultern, bevor ich ein Glas an mich nehme, die Flasche öffne und die klare Flüssigkeit einfülle. Mit einem fragenden Blick biete ich ihm den Wein an. Er schüttelt nur kurz den Kopf. An meinem Alkohol nippend lehne ich mich also zurück und versuche den Krieg um mich herum zu vergessen. Ich hasse diese Angst, die immer zu in meinem Hinterkopf lauert.

„Macht er dich glücklich?" Ich sehe überrascht auf. Toby sieht mich nicht an, sondern seine Finger, die mit seinen Manschettenknöpfen spielen. Meine Augen mustern den Mann vor mir. Ruhig. Abwartend. Benjs Lachen hallt in meinen Ohren wider, seine starken Arme, die mich umfassen und festhalten. Seine Wärme.

„Sehr", ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Für einen Moment ist er still, bevor er aufsieht, ein unidentifizierbarer Ausdruck in seinem Gesicht.

„Das freut mich." Und ich kann sehen, dass er es ernst meint. Lang vergangener Schmerz wallt in mir auf.

„Du warst ein Arschloch, Mr. Winterfield", teile ich ihm mit versteinerter Miene mit.

Er sieht mich so verdattert an, dass ich ein Glucksen nicht unterdrücken kann.

„Was, wieso das?"

„Ähm...", ein gespielt nachdenklicher Ausdruck, „überlegen wir mal... vor genau einem Jahr." Meine Augen fixieren ihn brennend. Erkenntnis dämmert auf seinem Gesicht. Schmerz huscht über seine Züge. Genau das.

„Du hast mich vor versammelter Menge sitzen gelassen. Du hast mich meiner Position und Autorität in der magischen Welt und meinen Emotionen entscheiden lassen."

„Du hast mich quasi dazu gezwungen", faucht er mit einem Mal. Seine Augen dunkel vor unterdrückter Wut, „Ich wollte... ich... das war nicht, was ich wollte!"

Ich hebe kühl meine Augenbraue. „Ich habe dich dazu gezwungen? Ich habe lediglich nach meinen Werten im Kreis der Reinblüter entschieden. Ich habe nicht gesagt, dass du gehen oder mich verlassen sollst. Das hast du hineininterpretiert." Meine Nerven kitzeln genervt. Ich strecke frustriert meinen Nacken. So ein Scheiß wirklich.

„Und du bist darauf eingegangen." Er klingt wie ein trotziges Kind. „Du wolltest mich nicht mehr."

Ich schnaube. „Das hast du einfach so entschieden, oder was? Du hast meine Position als führende Reinblutvertreterin in Frage gestellt und mich herausgefordert. Ganz ehrlich. Was hast du erwartet? Dass ich den Scheiß, den du von dir gegeben hast, unterstütze? Ich hab meine Werte und meine Freunde verteidigt. Aber ja, klar ich wollte dich nicht mehr." Er muss es verstehen „Du hast mir mein verdammtes Herz rausgerissen, Toby. Und du hast dich nicht mal gemeldet, damit wir den Scheiß klären hätten können."

„Ich war verletzt. Und...", er atmet tief durch, „ich habe keine der Worte gemeint."

„Ja, ich auch. Also Toby. Was ist damals passiert?" Ich will es endlich wissen. Will endlich wissen, warum der Mann, dem ich vertraut und den ich geliebt habe, sich in einen unausstehlichen Bastard verwandelt hat. „Warum?"

Sein Mund öffnet und schließt sich. Er kämpft. „Ich... ich habe die Lage unterschätzt", sein Blick fixiert einen Punkt neben meinem Kopf, „Ich dachte, ich wäre dem Druck einer Heilerausbildung gewachsen. Ich dachte, ich könnte damit umgehen, Verletzte zu behandeln und manchmal nicht retten zu können. Ich kann nicht parteiisch sein. Ich darf es nicht." Seine grünen Augen bohren sich in meine, „Ich muss alle behandeln. Ich muss Todesser behandeln, Emmi. Und sie... sie. Ich war auf der Ebene, in der wöchentlich mindestens fünf von denen eingeliefert wurden. Und...", beschämt wendet er sich ab, „wenn man ihnen lang genug ausgesetzt ist, beginnt man ihnen zu glauben."

Ich schüttle nur den Kopf. Ich verstehe.

„Das verstehe ich, Toby. Du warst trotzdem ein Arsch. Du hast dich nie gemeldet. Nie."

„Ich war überzeugt davon, dass du mich nicht mehr willst", knurrt er, seine Stimme bricht, „Ich war davon überzeugt, dass das Mädchen, das ich liebe, mich nicht mehr will. Du hättest dich genauso gut melden können."

„Ja, genau. Ich war davon überzeugt, dass du mich nicht mehr willst." Wir starren einander an und ich spüre ein dumpfes Stechen, das sich durch meine Brust zieht. Seine Augen bohren sich in meine, derselbe Schmerz, den ich gerade fühle in ihnen. Wir trauern beide um etwas, das wir haben hätten können, wenn wir über unseren Schatten gesprungen wären. Ich blinzle, als meine Sicht verschwimmt und bringe den Wein an meine Lippen. Ich kann ihn schwer Luft holen hören, dann Stille, ein tiefes Ausatmen.

„Ich brauche definitiv mehr Alkohol für das", murmelt er auf einmal und streckt sich nach vorne, um nach der Flasche zu greifen. Ich wende mich ihm bitter glucksend zu. Der Ärmel seines Jacketts verrutscht.

„Was ist das?" Meine Augen huschen über den Anfang eines schwarzen Schattens. „Ein Tattoo?" Neugierig beuge ich mich vor. Er erstarrt, bevor er sich rasch fängt.

„Eher eine Narbe", seine Stimme ist dunkel, zittert kaum merklich. Er schiebt den Ärmel nach unten.

„Okay. Es tut mir leid, dass du so viel ertragen musst", sage ich mitfühlend. Er schenkt mir ein halbherziges Lächeln.

„Es ist schon okay."

Ich schüttle den Kopf. Wann werden Menschen es verstehen, dass es okay ist, wenn es mal nicht okay ist? Ich nippe an meinem Glas und lausche dem Wind, der draußen vor den hohen Fenstern die Baumkronen des Waldes um uns herum zum Rauschen bringt. Wieder durchfährt mein Herz ein bittersüßer Stich. Wir hätten es alles haben können. All diese Wochen des Schmerzes. Für nichts. Obwohl. Nicht für nichts. Wären wir nicht getrennte Wege gegangen, hätte ich nie Benj so nah an mich herangelassen. Hätte nie seine Herzlichkeit erlebt, seine Liebe erlebt. Blut schießt in meine Wangen. Warum war das nie mit Toby so? Ich halte kurz inne, bevor es mir von der Zunge rutscht.

„Wieso hatten wir eigentlich nie Sex?"

Blöder Alkohol. Toby spuckt beinahe seinen Wein quer durch den Salon. Er fängt sich mit einem lauten Husten, das einfach nicht besser werden will.

„W...was?", krächzt er mit glitzernden Augen, die Hand an die Brust gepresst und nach Luft schnappend. Jetzt ist es auch schon zu spät.

„Warum hatten wir nie Sex?"

Seine Wangen nehmen eine dunkle Nuance von Rot an, als habe er eine Chilischote gegessen. Ich blicke ihn nur neugierig an, während ich mit dem Glas in meiner Hand spiele. Er setzt seines auf dem Tisch vor sich ab, bevor er sich hastig durch die Haare fährt, mir einen unsicheren Blick zu wirft.

„Ich", er schüttelt verdattert den Kopf. Er sammelt sich, bevor er fortfahren kann: „Ich dachte nicht, dass du... nun ja... du hattest andere Probleme und ich wollte nicht... also, ich wollte schon, versteh mich nicht falsch-", er atmet tief durch, „ich dachte nicht, dass es die richtige Zeit war. Ich... dir ging es nicht gut und ich dachte nicht, dass du bereit bist. Ich... keine Ahnung, ich wollte es langsam angehen."

„Oh, okay", erwidere ich, als ich verstehe, worauf er hinauswill.

„Verdammte Scheiße", murmelt er, während seine Fingerspitzen seinen Nasenrücken massieren, „mehr Alkohol dafür." In einem Zug ist das Glas leer.

„Aber es ist gut zu wissen", sage ich, nachdem ich ihn still beobachtet habe, wie er sich erneut Wein einschenkt. „Sehr aufmerksam."

Sein Blick sagt mehr als tausend Worte, als er sich fragt, ob er eigentlich noch alle Tassen im Schrank hat.

„Wir könnten ein Spiel spielen", grinse ich. Der Alkohol lässt mich wohlig schweben. Elfenwein for the win.

Er hebt fragend eine Augenbraue.

„Wir könnten dieses 20 Fragen oder wie das heißt spielen."

„Den Blödsinn, den du immer in diesen Geschichten gelesen hast?"

„Fanfictions, Toby", belehre ich ihn.

„Ja, das."

Ich nicke. „Jup. Ich glaub, das wäre ganz lustig."

Er mustert mich mit zusammengekniffenen Augen. „Du bist betrunken", stellt er ruhig fest.

Ich nicke erneut. „Ja, und es ist wundervoll." Ein Glucksen rollt meine Kehle entlang, wie der nächste Schluck der elfenbeinfarbenen Flüssigkeit.

Er seufzt, ein kleines Grinsen auf seinen Lippen. „Na, meinetwegen."

„Yey. Du beginnst."

„Eh klar", murmelt er. Er überlegt. Ich überlege. Oh shit, ich muss mir auch was überlegen, ich bin als nächstes dran.

„Wenn wir schon beim Thema sind. Haben Benj und du schon miteinander geschlafen?"

„Jup."

„Okay. Gut zu wissen." Stille. „Das ist so ein Abfuck. Ich sitze hier mit meiner Ex und unterhalte mich mit ihr über ihr Sexleben."

Ich werfe lachend den Kopf in den Nacken. „Du wolltest es unbedingt wissen!"

Er zieht eine Grimasse. „Du bist dran. Und das zählt als deine zweite Frage by the way. "

„Blödmann", ich strecke ihm die Zunge heraus, „Moment, ich hatte vorhin was – voll! Du warst am Anfang ur ein Fiesling mir gegenüber, wie wir uns kennengelernt haben. Was hat sich geändert?"

„Ein Fiesling", gluckst er. Ich rolle mit den Augen, bevor ich vehement nicke. Sein Blick geht in die Ferne, als er überlegt.

„Als du damals im Zug in mich hineingelaufen bist, dachte ich, du bist süß. Und dann, wie wir in Hogwarts angekommen sind und du mir während meiner Schulsprecherrede die Show gestohlen hast, war ich pissed. Ernsthaft, du glaubst mir gar nicht, wie genervt ich von dir war."

Meine Wangen laufen rot an. „Sorry", sage ich leise. Er winkt ab.

„Ja, jedenfalls, ich war so angefressen und wollte keine Gelegenheit verpassen, dir zu zeigen, wer eigentlich das Sagen hat. Du warst wie so eine kleine, nervige Fliege in meinem Zaubertrank, weißt du. Ich hab das auch gleich auf deine Freunde ausgeweitet und natürlich bist du zu einer Löwenmama geworden. Gryffindors halt. Das war so der Moment, wo ich geschwankt bin. Ich konnte nicht verhindern, dass du begonnen hast, mich zu interessieren. Jetzt gar nicht auf so eine romantische Art, sondern... du warst eine komische Person, von der ich wissen wollte, was in ihr vorgeht."

„Ravenclaws halt", werfe ich ein. Er schenkt mir ein kurzes Grinsen.

„Schon. Also habe ich dich, so wie Ravenclaws das eben tun, analysiert und beobachtet. Nicht auf die creepy Art und Weise", beeilt er sich schmunzelnd zu sagen, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkt, „und ja. Nach einer Zeit habe ich dieses Mädchen gesehen, das alle glauben machen wollte, dass es ihr gut geht und dass sie alles schaffen kann, was man ihr in den Weg wirft, während sie die Welt auf ihren Schultern trägt. Und es war nicht okay. Dieses Mädchen war so stark und so zerbrechlich, du warst so stark und so zerbrechlich zugleich." Seine grünen Augen sehen mich mit einem Anflug von Bewunderung und noch etwas anderem in ihnen, das ich nicht definieren kann – nein – nicht definieren will, an. „Ich wollte dir helfen. Das war der Moment, in dem ich auf dich zu gegangen bin und mich mit dir angefreundet habe, bevor ich mich in dich verliebt habe."

Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.

„Wann wusstest du's?"

Verwirrt zusammengezogene Augenbrauen.

„Wann wusstest du, dass du dich in mich verliebt hast?"

„Als du dich am schwarzen See in meinen Armen ausgeweint hast, nachdem du mit deinen Freunden gestritten hast", kommt es wie aus der Pistole geschossen, „Als ich dich so verletzt und leidend gesehen habe, wusste ich, dass ich alles tun würde, um dich zu beschützen."

Die Faust um mein Herz drückt zu, lässt die Fasern meines Herzens eine bittersüße Melodie singen.

„Wann wusstest du es?"

Ich halte inne und reise in eine lang weggesperrte Zeit zurück.

„Ich habe es geahnt, als ich mit dir in der Küche bei den Hauselfen war. Aber ganz sicher war ich mir am Weihnachtsball. Es hat..."

Kiss me slowly gespielt." Ich sehe in seine grünen Augen auf. Sie glänzen in Erinnerungen versunken. Kacke.

„Ja", sage ich, doch die Worte bleiben am Weg aus meinem Mund auf meiner Zunge liegen, sodass mein „Ja" dumpf im Raum widerhallt. Ich räuspere mich. „Das waren jetzt aber schon zwei Fragen von mir", versuche ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, „jetzt bist du wieder dran."

Er schüttelt den Kopf, um sich loszureißen. „Ja, stimmt."

Die Zeit verstreicht wie im Flug, als wir einander Geschichten erzählen, ich von Hogwarts Anekdoten und dem neuesten Tratsch und er von den Insidern im St. Mungos und den verrücktesten Patienten. Ich lehne an der Armlehne der Couch, meine Schuhe ausgezogen und meine Beine angewinkelt, während seine Haare verwuschelt und die obersten Knöpfe seines dunklen Hemdes von seinen Fingern geöffnet werden. Die zwanzig Fragen sind bei Weitem überstiegen, doch als ich mir zum fünften Mal in zwei Minuten ein Gähnen unterdrücken muss, entfährt ihm ein sanftes Lachen.

„Wir sollten wieder zurück gehen, bevor du hier noch einschläfst und dein Wachhund mir noch etwas unterstellt."

„Mein Wachhund?", frage ich verwirrt, als ich den Schleier der Müdigkeit wegzublinzeln versuche.

„James."

„Oh."

„Ja." Schmunzeln.

„Ja, okay", murmle ich und richte mich auf. Der Raum dreht Runden. „Halt, stopp", entfährt es mir auf Deutsch, meine Hand erhoben.

Glucksen. „Hat da jemand zu viel Elfenwein getrunken, Madam Spes?"

Ich kichere: „Pssstt." Mein Finger auf meinen Lippen.

Ich ernte nur ein Augenrollen, als er den Zauberstab zieht, leise vor sich hinmurmelt und auf einmal hebt sich der Nebel.

„Danke", seufze ich, meine Wangen brennend.

Ich schlüpfe in meine Schuhe, die jetzt Merlinseidank nicht mehr von links nach rechts pendeln und richte die Schichten meines Kleides. Toby hat sich bereits erhoben und ist am halben Weg zur Tür, bei der er sich wartend zu mir wendet.

„Es ist gut, dass wir das alles geklärt haben", sage ich, als ich mich aufrichte und auf ihn zu gehe, „Ich denke, das war das, was mir gefehlt hat, um mit der ganzen Geschichte abzuschließen."

Ein kleines Lächeln. „Das freut mich."

Ich erwidere es, bevor ich an ihm vorbei husche, um zurück in den Ballsaal zu kommen. Ich bin bereits auf halben Weg aus der Tür draußen und den Gang entlang, als mein Name aus seinem Mund mich zurückhält.

„Emily."

Ich drehe mich auf dem Absatz zu ihm um. Sehe ihn erwartungsvoll an, wie er wie versteinert im Türrahmen steht.

„Ja?"

Seine Lippen öffnen sich, schließen sich. Ein tiefer Atemzug. Die grünen Augen schimmern, seine Schultern gesenkt.

„Ich..."

Ich lege meinen Kopf schief, während mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmert. Bitte nicht.

„Ich", sein Kehlkopf springt, zittriges Ausatmen, „Nichts. Komm gut heim, Emmi."

„Danke, du auch."

Meine Gedanken rasen immer noch, als ich bereits bettfertig unter meinen Decken liege. Einerseits bin ich froh, dass wir uns endlich ausgesprochen haben, doch auf der anderen Seite wühlen mich seine Antworten auf. Wieso ist er immer noch so... wieso wirkt es als habe er noch nicht damit abgeschlossen? Es ist jetzt bereits ein Jahr her. Ich rolle mich auf meine andere Seite, schiebe mein Bein aus der Decke hinaus, ziehe es wieder ein, als es zu kalt wird und schließlich entfährt mir ein genervtes Stöhnen. Das kann es doch nicht sein. Ich will doch nur einschlafen. Danke, für gar nichts Toby. Als ich mich aufrichte, fällt mein Blick auf die vom Mondlicht erleuchtete Uhr, deren Zeiger mir sagen, dass es mitten in der Nacht und erst drei Minuten her ist, seit ich das letzte Mal nachgesehen hab.

„Hmm", grummle ich, „bitte beeil dich, Benj."

Ich muss schließlich doch eingedöst sein, denn das Senken der Matratze holt mich aus meinem Schlummer. Sanft schlingen sich warme Arme um meine Mitte und Benjs Geruch hüllt mich ein, sodass ich zufrieden seufzend zurück rutsche, um mich an seine Brust zu kuscheln.

„Hey", flüstert er sanft, während er mir einen Kuss an mein Ohr drückt. Ein Lächeln bildet sich auf meinen Lippen.

„Hey", brumme ich und schmiege mich noch näher an ihn. Sein Griff festigt sich um meine Mitte.

„Wie war die Versammlung?", sein warmer Atem kitzelt in meinem Nacken. Ich wende mich langsam um und drücke mich an seine Brust. Sanft drücken sich seine Lippen an meine Stirn, während seine Finger durch meine Haare kämmen, deren Locken er sorgfältig voneinander löst.

„Ganz ok. Nur eine Panikattacke", murmle ich, „Aber war eh alles gut."

„James war eh für dich da."

„Mhm", verneine ich, „Toby."

Seine Finger halten inne. Meine Lider fallen wieder zu, auch wenn ich sie davor nur einen Spalt weit offengehalten habe. Er fährt mit seiner Tätigkeit fort.

„Toby?"

„Mhm."

„Ich dachte, er würde nicht mehr dorthin kommen." Seine Worte betont ruhig. Ich zucke mit den Achseln.

„Ich auch. War trotzdem da. Er war irgendwie...ich weiß nicht."

Ich spüre seine Muskeln unter meinen Handflächen anspannen. „War er ungut zu dir?"

„Nein. Ganz im Gegenteil. War eh nett."

„Hmm. Okay, wie nett?"

„Ich erzähl's dir morgen ok?", murmle ich, als ich scheitere, meine Augen offenzuhalten, „Müde."

„Ist gut, Emmi."

„love you", murmle ich.

Sanftes Lachen. "I love you too."

Blinzelnd öffne ich meine Augen, als das Sonnenlicht, das durch die Glaskuppel über meinem Bett fällt, meine Nase kitzelt. Ein gequälter Laut entfährt mir, während ich mich zur Seite drehe und meine Nase in meinem Polster verstecke, nur um Benjs warmen Geruch einzuatmen. Meine Finger tasten sich durch die Laken und finden nur Leere, sodass ich mit skeptisch gerunzelter Stirn meine Lider einen Spalt weit öffne.

„Benj?", murmle ich, als ich ihn nicht finde. Die Decke ist nicht mal mehr warm. Er war hier, oder? Ich habe mir das nicht nur eingebildet. Ich reibe mir über meine müden Augen, bevor ich mich langsam aufrichte. Sein Umhang liegt über den Sessel drapiert, sein Rucksack am Fuße des Bettes. Ein Klicken lässt meinen Blick zur Tür huschen, durch die er sich schiebt, zwei Tassen in der Hand. Der Duft von frisch gemahlenem Kaffee steigt in meine Nase und lässt mir Wasser im Mund zusammenlaufen, sodass ich meine Hände dem Häferl freudig entgegenstrecke. Meine Finger tasten nach dem warmen Porzellan und gleichen aus, was meine Augen wahrzunehmen verabsäumen. Ein Glucksen sorgt dafür, dass meine zugefallenen Lider sich wieder heben.

„Hm?", mach ich verschlafen, während ich das Häferl fest in meinen Händen halte.

„Du Morgenmuffel", grinst er mich an. Die Matratze sinkt ab, als er sich zu mir auf das Bett setzt.

„Gar nicht wahr", protestiere ich schwach, „Ich bin munter, siehst du?"

Er kichert und zieht mich an sich, sodass mich behaglich an seine Brust schmiegen kann und sein Arm um meine Mitte liegt. Meine Lippen schmecken die warme Flüssigkeit und mein gesamter Körper die Ruhe des Raumes aufsaugt, als könne er sie speichern und für Zeiten des Chaos aufbewahren. Benjs Oberkörper hebt und senkt sich sanft, während sein Herz fest gegen meine Finger schlägt, die seine Haut liebkosen. Tröpfchen von Wasser und Shampoo benetzen seinen Nacken, während der Duft von Magnolien mich einhüllt. Ich schmunzle in meine Tasse.

„Hm?", macht er und legt neugierig den Kopf schief.

„Nichts, nichts."

„Na komm, raus damit", ein Glucksen.

„Du riechst gut."

„Tue ich das nicht immer?"

Ich schnaube. „Benj nach einem Quidditchmatch..."

Ein lautes Lachen entfährt ihm. „Ok, ok point taken."

Der Griff um meine Taille verfestigt sich, als er mich näher zu sich zieht, um mir einen Kuss auf den Scheitel zu drücken. Für eine Weile ist nichts zu hören, außer unser Atem und gelegentliche Schlucke vom Kaffee.

„Also", räuspert er sich, „erzähl, was war da gestern auf der Versammlung los?" Seine Stimme sanft, neugierig.

„Ähm", mache ich, bevor ich mich sammle, „Nun ja, der werte Herr Winterfield war wider Erwarten da. Und irgendwie, ich weiß nicht genau warum, aber er ist neben mir gesessen neben dem Essen. Man könnte meinen, er wüsste, was inappropriate ist und was nicht, aber nun ja, offenbar nicht." Ich kann nur meinen Kopf schütteln, dann fahre ich fort: „Jedenfalls, habe ich dann mit James gequatscht als er weg war, dann war James aber kurz nicht da, und da ist er einfach vor mir gestanden und hat nach einem Tanz gebeten." Kontrahierende Muskeln. Meine Fingerspitzen fahren sanft darüber, eine Geste der Beruhigung. „Ich war ein bisschen überfordert, also hab ich eben ja gesagt. Ich hoffe das war okay."

„Wenn es für dich okay war, ist es auch okay für mich", murmelt er sanft, bevor er mir einen Kuss auf die Stirn drückt.

„Okay", flüstere ich, „Es war eigentlich komisch. Es war so... vertraut weißt du? Aber es hat sich so falsch angefühlt. Es war nicht ... es hat sich nicht richtig angefühlt." Nicken. „Und dann als der Tanz eben aus war, habe ich eben eine leichte Panikattacke bekommen, aber er hat mich aus dem Saal geführt und mit mir geredet, so ähnlich wie du immer und ich konnte mich halt zurückholen."

„Das ist gut."

„Ja. Ich wollte danach nicht zurück zu den andren, also haben wir uns in einen Salon gesetzt und gequatscht. Es war ganz lustig zuhören, wie sein Leben jetzt so ist."

Ich erhalte keine Antwort. Als ich meinen Kopf drehe, nehme ich die Anspannung wahr, die von ihm wie in Wellen ausgeht.

„Bist du... bist du eifersüchtig?", frage ich vorsichtig, „das wollte ich nicht. Du weißt, dass ich dich liebe. So sehr. Er ist nichts im Gegensatz zu dir."

„Ich weiß", seine Stimme steinern, „Ich bin nicht eifersüchtig auf ihn. Ich bin so verdammt wütend auf ihn." Ich zucke zusammen.

„Weil?"

„Weil er dir weh getan hat, als du nichts anderes als seine Unterstützung gebraucht hast. Du warst zwei Monate lang kaum auffindbar und wenn ich dich am Gang gesehen habe, hast du ausgesehen, als wäre gerade jemand abgestochen worden. Du warst so verloren und das nur wegen ihm. Also ja. Ich bin so verdammt wütend auf ihn. Merlin bewahre, dass ich ihn je in die Finger kriege."

Ich beeile mich einen sanften Kuss auf sein malmendes Kiefer zu drücken, bevor meine Finger die Bartstoppel auf seiner Wange liebkosen.

„Es ist okay. Ich bin hier, ich bin nicht zerbrochen. Ich bin hier bei dir. Mir geht es gut", flüstere ich eindringlich, „Weißt du, ich bin froh, dass es so gekommen ist, wie es ist."

Fragende Augen mustern mein Gesicht. „Sonst hätte ich dich nicht gefunden", erkläre ich liebevoll. Sein Blick wird weich, seine Lippen finden die meinen und ich schmelze.

Wir bleiben im Bett, bis die Sonne hoch am Himmel steht und er schließlich zurück ins Ministerium muss. Meine Arme können ihn kaum loslassen. Es ist das letzte Mal in den nächsten Monaten, dass ich ihn sehen kann, halten kann. Mein Herz schmerzt allein beim Gedanken daran, doch ich weiß, dass ich es schaffen werde. Ich habe es bereits einmal geschafft und für ihn würde ich noch länger als ein paar Monate warten. Wir schaffen das. Als er schließlich disappariert ist, mache ich mich auf den Weg in mein Büro, nehme am dunklen Schreibtisch Platz, auf dem Mikey und Elly bereits meine Aufgaben bereitgelegt haben, zücke meine Feder und stürze mich in meine Arbeit. Der Nachmittag quillt vor Briefen und Vertragsunterzeichnungen über, sodass meine Sinne vom Rascheln der Pergamentrollen, Kuverts, des Kratzens des Federkiels auf Papier und dem Geruch von tiefblauer Tinte gefüllt sind. Als das Licht des Tages schließlich schwindet und nichts als in der Dunkelheit glitzernden Schnee hinterlässt, packe ich meine Sachen zusammen, verabschiede mich von meinen Elfen und mache mich auf den Weg heim.

Die Ferien vergehen schneller, als mir lieb ist und schließlich ich die Geborgenheit meines Zuhauses verlassen muss und mich zurück nach London begebe. Kings Cross ist voller Menschen, Eulen, Katzen, Koffer, dem Rauch, der aus dem Schlot des Hogwartsexpresses steigt. Ich schiebe mich durch die Massen, darauf bedacht, niemandem meine Tasche in die Rippen zu boxen. Desty sitzt auf meiner Schulter und klackert zufrieden mit ihrem Schnabel, als sie sich in meine Haare schmiegen kann. Ich schmunzle. Ich liebe dieses Tier. Und ja, vielleicht ist sie tatsächlich etwas schwerer als zuvor. Hoppala. Aber dann ist mehr Eule zum Streicheln und Knuddeln da. Außerdem muss sie sowieso immer so viel hin und her Fliegen. Ich funkle einen Fünftklässler wütend an, als er mein Baby fast von meiner Schulter schubst.

„Sorry", ruft er.

Desty öffnet einmal ihre Flügel, schlägt mit ihnen, während sie ein lautes Krächzen hören lässt. Ein zufriedenes Grinsen schleicht sich auf meine Lippen, als sich die Augen des Jungens weiten und er zurückweicht.

„Emmi, verwendest du Desty schon wieder, um jemandem Angst zu machen?", ertönt Peters amüsierte Stimme hinter mir.

Ich wende mich ihm zu. „Nein, gar nicht wahr, wie kannst du das nur denken." Er kichert.

„Hey", rasch schließt er mich in die Arme.

„Hey, wie waren deine Ferien?", will ich wissen, als wir uns voneinander lösen und uns gemeinsam durch die schmale Wagontür schieben.

„Ganz gut. Hab viel geschlafen." Ich muss lachen. Das ist so typisch Peter. „Deine? Wie war die Versammlung?"

„Oh, da habe ich viel zu erzählen."

Interessiert spitzt der Blonde die Ohren.

„Na, schieß los."

„Warten wir, bis wir im Abteil sind. Dann kann ich's den anderen auch gleich erzählen."

„Passt, ich bin schon gespannt."

Ich grinse. „Kannst du auch sein. Aber ansonsten waren die Ferien cool."

„Das freut mich zu hören. Und ich bin schon gespannt, was du sonst so zu erzählen hast. Ich habe Gerüchte von einem bestimmten ehemaligen Ravenclaw gehört."

Ich rolle mit den Augen. „James hat geplaudert?"

Peter gluckst. „So in der Art, ja."

Ich seufze amüsiert und lasse Desty meinen Arm hinunter kraxeln, sodass sie auf meinem Unterarm sitzen kann, den ich nah an meinen Oberkörper halte. Dieser Gang ist viel zu schmal. Endlich erreichen wir unser Abteil. Das ganz hintere, im letzten Wagon. Gesamt Hogwarts scheint mitbekommen zu haben, dass es unseres ist, denn egal wie spät wir den Zug betreten, das Abteil steht immer leer. Ich schiebe vorsichtig die Türe zur Seite, bevor ich mich durchquetsche und Desty von meinem Arm hüpft und es sich auf den Polstern bequem macht. Ich schmunzle. Da hat jemand aber gar keine Lust zu fliegen. Mit einem Wink meines Zauberstabes befinden sich unsere Koffer in der Ablage über unseren Köpfen und wir gesellen uns zu meiner verschlafenen Eule auf die Bank.

„Morgen geht's nach Beauxbaton", meine Augen beobachten das rege Treiben am Bahnsteig, während meine Stimme vorfreudig eine Oktave höher springt.

„Stimmt, das wird sicher lustig. Ich bin so überrascht, dass sie uns das im letzten Jahr machen lassen."

„Du kennst Dumbledor. Er scheißt halt manchmal einfach drauf."

„Sowie mit Krone als Schulsprecher?"

Ich muss lachen. „Ja, genau sowas. Obwohl er sich sehr gut schlägt, muss ich sagen."

„Evans hat ihn noch nicht ins nächste Jahrhundert gehext, also ja, das will schon was heißen."

„Sie verstehen sich ja jetzt auch ur gut."

„Ich wette, das hat Dumbledor geplant", begeistert glitzern Petes Augen, „Ich wette, er hat sie extra zusammengesteckt, damit sie mehr Zeit miteinander verbringen und endlich zusammen kommen!"

„Conspiracy Theories hier", grinse ich, „Aber um ehrlich zu sein, das hab ich mir auch schon gedacht. Außerdem, können wir bitte drüber reden, wie süß sie in letzter Zeit sind?"

„Schon, oder? In Hogsmead, wie sie einander getroffen haben und sie die ganze Zeit aufeinander gepickt sind?"

„Das hab ich nicht so mitbekommen, weil Benj da war, aber ich hab gesehen, wie sie gemeinsam in den Bücherladen gegangen sind. James natürlich ganz der Gentleman, aber sie haben so entspannt gewirkt."

„Ja wirklich, ach die zwei."

„Weißt du was?", meine Finger kraulen durch Destys weiches Gefieder, während ich mich zu ihm nach vorne beuge.

„Nein, was denn?"

Mein Blick huscht rasch durchs Abteil und auf den Gang hinaus, um sicherzustellen, dass uns niemand belauscht, bevor ich mit gesenkter Stimme antworte: „Hätte Lily nicht schon ein Date gehabt, wäre sie mit ihm auf den Halloweenball gegangen."

Große, blaue Augen sehen mich sprachlos an, bevor er leise flüstert: „Bei Merlins gesprenkelter Unterhose. Ich hoffe, James bewegt seinen Arsch bald."

„Was ist mit mir?" Wie von einem Billiwig gestochen zucken wir auseinander.

„Nichts!", kommt es wie aus einem Mund, während ich mich bemühe möglichst unschuldig auszusehen. Skeptisch verengen sich seine Augen hinter den Brillengläsern, um uns zu mustern, während er mit einem Schmunzeln erwidert: „Warum glaube ich euch das nicht."

Mit einem Seufzen lässt er sich auf die Bank neben Pete sinken und streckt genüsslich seine Glieder. „Fühlt sich gut an wieder hier zu sein. Erzähl Emmi, was war da mit Winterfield."

„Da war nichts", stöhne ich genervt, „Und wie ich Pete schon gesagt habe, ich erzähl's euch, wenn alle da sind. Also, wo ist Mena?"

„Hab sie vorhin am Bahnsteig kurz gesehen und sie meinte, sie kommt gleich."

Ich entspanne mich ein wenig. Wenn sie schon da ist, wird sie bestimmt gleich auftauchen. Es ist beinahe Punkt elf, als die Tür zu unserem Abteil aufgeschoben wird und eine genervte Marlene hineinstürmt.

„Das gibt's doch nicht", wettert sie los und erinnert mich dabei an Lily in ihren besten Zeiten, „Was versteht denn der nicht unter, er soll mich in Frieden lassen und ich will ihn nicht sehen?" Unsere verdutze Mienen verwandeln sich in verständnisvolle Gesichter, als sie sich vor Wut rauchend neben mich fallen lässt und kurz Luft holt, bevor sie wieder ansetzt. „Ich habe ihm schon mehrmals klipp und klar gesagt, dass ich gerade nichts mit ihm zu tun haben will und ich es ganz sicher nicht noch mal probieren will! Aber nein, wieso sollte er das verstehen? Wenn er große Hundeaugen macht, werde ich schon zurückkommen, oder? Ich habe ja auch keine anderen Probleme im Moment. Es ist ein fucking Krieg am Laufen, aber who cares? Er sicher nicht! Weil, sein Liebesleben ist ja so viel wichtiger als alles andere! Was sind wir? Dreizehn?" Ihre Brust hebt und senkt sich hektisch, während rote Flecken auf ihren Wangen und Tränen in ihren Augen tanzen.

„Hey", sanft hebe ich meine Stimme und meine Hände vor meinen Körper, vorsichtig darauf bedacht sie nicht zu berühren und sie dadurch noch mehr von uns wegzutreiben, „Ich weiß, das muss im Moment furchtbar frustrierend sein", ich wechsle in unsere Muttersprache zurück, „Und es ist okay, dass du frustriert bist und weinen willst und einfach nur alles rauslassen willst. Das ist okay. Das kannst du auch mit uns." Ihr glänzender Blick bohrt sich in meinen. „Ich weiß, es ist grad eine scheiß Situation. Wir wissen das alle. Und du musst nicht zu ihm zurück. Egal, was alle anderen behaupten, du musst ihn nicht zurücknehmen, wenn das nicht das ist, was du willst. Und du musst ihn nicht zurücknehmen, auch wenn du willst, aber du weißt, dass er nicht gut für dich ist. Du musst das tun, was du für richtig hältst. Und wenn das gerade mit unserem rosaroten Bonbon ist, dann ist das so, okay?" Krone und Pete wenden sich peinlich berührt ab, auch wenn sie nicht mal verstehen, worum's geht.

„Okay?", frage ich sie erneut. Ein Schlucken, Blinzeln, dann Nicken.

„Okay." Ich strecke vorsichtig meine Finger nach ihr aus, bevor meine Augen sie um Erlaubnis bitten. Ein Nicken, dann berührt meine Hand sanft ihre Schulter und malt beruhigende Kreise. Es dauert eine Weile, eine Weile, in der wir einfach nur sitzen und warten. Es ist Pete, der seine Stimme als erster hebt.

„Ich weiß, vielleicht mieses Timing, aber was zum Henker ist jetzt bei der Versammlung passiert?"

Also beginne ich zu erzählen. Davon, wie ich angekommen bin und ihn wiedergesehen habe, wie er das ganze Essen über neben mir gesessen ist, mich um einen Tanz gebeten hat, ich in Panik ausgebrochen bin. Wie wir im Salon gesessen sind und uns ausgesprochen haben. Melancholie und ein Anflug von Bitterkeit tränken meine Stimme und meine Seele. Wir hätten es alles haben können. Schließlich bin ich am Ende meiner Erzählung angelangt und das Abteil ist still- niemand sagt auch nur ein Wort und dann bin ich es, die erneut das Schweigen durchbricht: „Und wisst ihr was? Ich... ganz am Schluss, bevor ich gegangen bin, wollte er noch etwas sagen... hat es dann aber nicht."

„Was denkst du, wollte er sagen?", James braune Augen mustern mich abschätzend. Er weiß, dass ich es erraten haben muss.

„Ich..."

„Ich weiß es nicht, zählt nicht, Yang", gluckst er, „ich weiß, dass du es weißt. Du weißt so etwas immer. Du liest Menschen wie ein offenes Buch. Vor allem die, die du kennst."

Ich atme zittrig und spreche die Wahrheit aus, die ich vor mir selbst verstecken wollte: „Ich liebe dich. Er wollte „ich liebe dich" sagen."

Das war offenbar nicht das, was sie erwartet haben, denn sie starren mich – alle drei – mit offenem Mund an. „Okay, Leute- was? So überraschend kann das jetzt aber echt nicht sein."

„Er... er wollte das actually sagen?", bringt Peter heraus, „ich hätte eher so etwas erwartet wie, ich weiß nicht, pass auch wem du vertraust, Benj ist böse, was weiß ich. Deine Freunde sind dumm, keine Ahnung. Vieles. Aber mit dem hab ich nicht gerechnet. Nachdem was du erzählt hast damals, kann er kaum so... an dir gehangen haben, sei mir nicht böse. No offense."

„None taken", murmle ich.

„Er kann sie nicht loslassen", sagt Marl leise, „Er kann sie nicht loslassen."

„Obwohl er mir echt nicht leid tun sollte: der arme Bastard. Ich weiß, wie sich sowas anfühlt." Pete zieht seine Augenbrauen genervt zusammen.

„Das ist aber jetzt wirklich sein eigenes Problem", knurrt er. Überrascht wende ich mich zu ihm. Von ihm hätte ich sowas nicht erwartet. Eher von James, um ehrlich zu sein.

„Nichts gegen dich Krone, aber als Natalie und ich uns getrennt haben, war es, weil all die Umstände gegen uns waren. Weil wir wussten, dass unsere Beziehung, so schön sie auch war und so... verliebt wir auch waren, nicht halten würde. Und ich hatte wirklich tiefe Gefühle für sie, aber what the fuck? Ich habe sie gehen lassen und habe entschieden, dass es okay ist, alleine zu sein und dass es eben einfach nicht sein soll. Und das ist verdammt nochmal okay. Was für ein elendiges Selbstwertgefühl muss ich haben, um einer Person dermaßen nachzutrauern und mich mein ganzes Leben lang schlecht zu fühlen, nur weil es mit dieser einen Person nicht geklappt hat? Das Leben geht weiter, und wie Yin gesagt hat, es tobt ein Krieg um uns herum. Ich für meinen Teil habe wahrlich bessere Probleme, als dass mich eine Person, so gern ich sie auch hatte, nicht wollte. Ich hab immer noch mich und ich hab immer noch euch." Seine Schultern sind gestrafft und seine Augen glänzen vor Furcht, aber auch vor Entschlossenheit. „Selfworth comes from within, bitches."

Ich lache auf, als ein Grinsen seine Mundwinkel nach oben zieht. Mena schmunzelt bei seinen Worten und auch wenn James Lippen ein kleines Lächeln umspielt und seine Augen seinen Freund stolz mustern, liegt auch ein Hauch von Nachdenklichkeit in ihnen.

Es ist bereits stockfinster am Bahnsteig, als wir aus dem überfüllten Zug auf das sacht beleuchtete Gleis steigen. Der Geruch von Tannen und Harz lässt mein Herz höherschlagen, während die kalte Abendluft meine Wangen streift und der gefrorene Boden unter meinen Stiefeln knirscht. Ich atme mein Zuhause ein, denn heute ist der einzige Abend, den ich in langer Zeit hier verbringen werde. Es ist mein letztes Jahr. Bevor ich die Schule endgültig verlasse, werde ich tatsächlich nicht mehr oft hier sein. Auch wenn Hogwarts und die Zauberwelt so viel Schmerz und Tod und Krieg mit sich gebracht haben und ich mir manchmal nichts sehnlicher wünsche, als wieder ein normaler Muggel zu sein, würde ich dieses Leben gegen nichts in dieser Welt eintauschen. Desty erhebt sich von meiner Schulter, krächzt mir einmal fröhlich zu, bevor sie sich in die Lüfte schwingt und in der Dunkelheit verschwindet, wie ein Schatten in der Nacht. Ich beeile mich zu den Kutschen zu kommen, die knochigen Wesen, die vor sie gespannt sind, zu ignorieren, und schließlich bin ich am Weg ins Schloss, wo mich bereits Wärme, fröhliche Gesichter und der köstliche Duft des Festmahles erwartet. 

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