15. Kapitel Blurred lines
Your mental health and your happiness comes first.
Dicke, weiße Flocken segeln vom Himmel herab und bedecken die Zinnen des Schlosses. Dick in meinen Umhang eingewickelt husche ich durch den durch gedämpftes Licht erleuchteten Gang. Die dichten, hellen Wolken haben die Sonne verschluckt. Wie glitzernde Kristalle fällt Schnee zu Boden und glitzernd hüllt er die Welt in einen magischen Schleier, der das Gefühl von Geborgenheit und Weihnachten mit sich bringt. Ich seufze zufrieden auf. Ich kann endlich Benj wiedersehen. Endlich. Nach fast zwei Monaten kann ich ihn endlich wieder in meine Arme schließen und festhalten und nun ja... andre Dinge tun. Mein Herz schlägt allein beim Gedanken daran höher. Ich kann nicht verhindern, dass ein kleines, glückliches, unbändiges Lächeln sich auf mein Gesicht schleicht. Ich kann seine Arme schon um mich spüren, die mich liebevoll an seine Brust ziehen, das Glitzern in seinen fröhlichen Augen und das Grinsen auf seinen weichen Lippen sehen. Ich vermisse seine Stimme. Ich vermisse es, wie seine Brust vibriert, wenn er lacht und ich es unter meinen Fingerspitzen fühlen kann, wenn ich an ich gekuschelt liege. Ich kann nicht glauben, dass das zwei Monate waren. Mit all dem, was passiert ist, fühlt es sich wie so viel weniger an, doch mein Schlafmangel und das Fehlen von Benjs Nähe hat es wie eine Ewigkeit dauern lassen. Ich beeile mich in den Gemeinschaftsraum zu kommen. Die Vorfreude und Nervosität lassen mich schneller die Stiegen hinauflaufen, sodass mein Shirt unter dem Umhang an meiner Haut klebt. Kondition und so. Wenn ich schneller einpacke und schneller zum Hogwartsexpress komme, bin ich schneller zuhause. Okay, vielleicht nicht wirklich. Aber vielleicht fühlt es sich wenigstens so an. Ich komme schließlich nach Luft schnappend vor der Fetten Dame an, die sich kichernd die Hand vor den Mund hält, um ihre Belustigung zu verstecken.
„Na was?", keuche ich ihr entgegen.
„Nichts, nichts", erwidert sie mit einem wissenden Lächeln, „Sag dem Huffelpuff Jungen einen lieben Gruß von mir."
Ein Glucksen steigt in mir auf und verlässt meine Lippen, bevor ich es verhindern kann.
„Mach ich. Mistelbeeren."
„Hinein mit dir", ihre Stimme ist warm und weich, als sie zur Seite klappt und mich nach drinnen scheucht. Ich laufe über das dunkle Parkett und die tiefroten Teppiche, an den Schülergrüppchen und knisternden Kaminen vorbei, die Wendeltreppe in den Gemeinschaftsraum hinauf. Bald bin ich Zuhause. Ich öffne die Türe und werde von Chaos empfangen, aber what's new? Ein lautes Lachen entkommt mir als Alices verzweifelten Gesichtsausdruck erblicke, als sie wie ein getretener Welpe in mitten eines Haufens von Gewand sitzt.
„Ich weiß nicht, was ich einpacken soll?", sagt sie hilflos. Ihre großen Augen sehen flehend zu mir auf, doch ich kichere nur und tätschle im Vorbeigehen ihre Schulter.
„Das, was du mitbrauchst, Ally." Die Vorfreude wächst wie eine goldene, strahlende Kugel aus Licht in meiner Brust. Besagtes Licht fließt durch meine Adern bis in meine Zehen und meinem Haaransatz. Ich bringe das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht, als ich meinen Koffer von meinem Kasten hole und beginne ihn einzuräumen. Nicht mehr lange, dann sehe ich ihn wieder. Okay, vielleicht noch so...acht Stunden, aber verglichen mit der Zeit, die wir jetzt getrennt waren, ist das nichts. Melancholie und etwas Schweres, doch zugleich Süßes steigt in mir auf. Ich freue mich meine Familie wieder zu sehen. Ich habe sie vermisst, auch wenn Müdigkeit, Angstschübe und Benj meine Gedanken vernebelt haben. Es ist so gefährlich da draußen und das obwohl sie Schutz von anderen Reinblutfamilien und Auroren bekommen. Ich mache mir Sorgen. Aber auf der andren Seite, wann tue ich das nicht? Ich werfe schließlich die Eulenkekse in meinen Koffer, schließe meinen Rucksack mit meinen Büchern für die Fahrt (und meinen Keksen XD) und richte Destys Eulenkäfig her. Sie ist noch bei Benj. Ich habe ihm geschrieben, dass er sie gleich bei sich behalten soll, damit sie nicht den ganzen Weg zurückfliegen muss. Ich sehe nach draußen, wo die Schneeflocken einem wilden Reigentanz wiegen. Vor allem bei dem Wetter nicht. Ich seufze glücklich. Meine Augen brennen zwar vor nicht vorhandenem Schlaf, aber ich bin glücklich. Auch wenn Hogwarts mein Zuhause ist, ist über Weihnachten bei meiner Familie zu sein, ist das Beste. Und Benjs Arme. Ich lasse meinen Blick durch den Schlafsaal wandern, über Mena, die halb von ihrem Kasten verschluckt wird, um in ihrem Dschungel aus Gewand irgendwas zu finden, über Alice, die immer noch etwas überfordert aussieht, über Mary, die ihr Gewand sorgfältig faltet und in ihrem Koffer verstaut, über Lily, nun ja, mehr ihr Gepäck, das ordentlich und fix fertig am Fuße ihres Bettes wartet. Und Juliet platzt jetzt erst in den Raum, die Wangen pink und ihre Locken durcheinander, als wäre sie gerade in einen Sturm geraten. Oder dem Schimmern in ihren Augen zufolge von Sirius Black durchgenommen worden.
Alle Blicke liegen auf dem Mädchen, als sie wie versteinert im Türrahmen innehält, wie Wild im Scheinwerferlicht. Tief durchatmend und sich durch die Haare fahrend hastet sie auf ihr Bett zu und lässt sich darauf fallen. Ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen.
„Na? Ist da wer außer Atem?", necke ich sie.
Sie wirft mir einen amüsierten Blick zu: „Das wärst du an meiner Stelle auch."
„Ew", ich verziehe mein Gesicht, „Danke. Das Bild krieg ich nicht mehr aus meinem Kopf." Bei Merlins Bart. Gross.
Sie richtet sich schnell auf: „Fahrt ihr alle nach Hause?"
Kollektives Nicken ist ihre Antwort.
„Aja, Juliet, kommst du eigentlich schon zur Reinblüterversammlung dieses Jahr?", will ich wissen. Ihre hellbraunen Locken fliegen, als sie ihren Kopf schüttelt.
„Nein, noch nicht. Bei wem ist sie eigentlich dieses Jahr, weil du machst sie ja dieses Mal nicht?"
„Nein, das ist mir zu viel Stress mit allem hier", seufze ich, dankbar darüber, dass mir diese Last von den Schultern genommen wurde, „bei Lieselotte Körner."
„Ohh, okay. Ja, von ihr hat Dad mir schon erzählt. Er will unbedingt, dass ich sie kennenlerne", sie verzieht ihr Gesicht etwas, „Nun ja, aber da ich ja vor allem dieses Jahr nicht dabei bin, weil ich ja beim Austausch mitmache. Da wollen meine Eltern, dass ich hierbleibe, „Erfahrungen sammle und internationale Beziehungen pflege"."
„Voll, ja macht Sinn."
„Oh, die „internationale Beziehung" pflegst du sehr gut würde ich sagen", wirft Mary schelmisch ein, „was mich jetzt schon brennend interessieren würde, meine liebe Juliet. Ist er wirklich so gut wie alle sagen?"
Die Röte, die in Juliets Wangen steigt, ist Antwort genug.
Nur einige Stunden später sind wir auch schon am Weg durch die verschneite Winterlandschaft, durch die sich die scharlachrote Schlange windet. Langsam, aber stetig lässt sie Schottland hinter sich. Das rhythmische Ruckeln des Zuges vermischt sich mit dem Geplapper der Rumtreiber. Ich schmiege mich weiter in den weichen Stoff der Sitze des Hogwartsexpresses. Es ist wohlig warm, eine Blase der Ruhe und Zufriedenheit umgibt mich, während meine müden Augen die Dämmerung vor den Scheiben betrachten. Der Wald glitzert sacht im Licht der Fenster. Ich kann Weihnachten kaum erwarten. Es wird so schön. Die Wärme lässt meine Lider schwerer werden und das Funkeln des Schnees verschwimmt mit der Dunkelheit.
Es ist eine Hand auf meiner Schulter, die mich aus meinem Schlummer reißt. Meine Augen blinzeln verschlafen mein Gegenüber an, dessen Stimme durch den Schleier des Schlafes dringt.
„Emmi, wir sind gleich da."
„Hmmmm?", mache ich langsam, bevor ich meine Muskeln und Gelenke strecke. Meine Gedanken wandern zu meinen Träumen... obwohl. Ich runzle verwirrt die Stirn. Ich... ich habe nichts geträumt, oder? Ich versuche mich zurückzuerinnern, doch da ist nichts. Nichts von jetzt. Die Skepsis in meinen Zügen glättet sich zu Zufriedenheit. Ich habe vergessen, wie schön es ist einfach schlafen zu können.
„Wir sind gleich da", erwidert die Stimme erneut, die ich Rem zuordnen kann.
„Cool", grinse ich ihn an und öffne nun wirklich meine Augen. Er grinst mir zurück. Er ist seit dem letzten Vollmond so viel ausgeglichener. Wir haben ihm die Geschichte am nächsten Tag am Krankenflügelbett erzählt, jedoch haben wir einige der unschönen Details bewusst unter den Tisch fallen lassen. Was wichtig ist, dass es Mary, Remus und allen anderen gut geht.
„Jetzt siehst du gleich dein Schatzi wieder", triezt mich Krone. Ich nicke nur mit einem breiten Lächeln oder besser einem Sirius Grinser auf meinen Lippen. Ich sehe endlich Benj wieder. Eine Welle der Aufregung erfasst mich als ich die altbekannten Schemen der Backsteinhäuser in der Dunkelheit erkennen kann. Die warmen Vierecke der Fensterrahmen lächeln mir fröhlich zu. Ich kann nicht mehr stillsitzen. Wow. Fühlt es sich so an Energie zu haben? Wie kann es mir bis jetzt nicht aufgefallen sein, wie kraftlos ich bin? Mein Spiegelbild in der Scheibe blickt mir glücklich entgegen. Glitzernde Augen, leicht gerötete Augen, ein Lächeln auf meinen Lippen. So sollte ich immer aussehen. Nicht wie das Zombie, das ich so oft bin.
Schnell haben wir die Koffer vom Gepäckträger genommen und uns auf den Gang begeben. James' Rang als Schulsprecher hat eine Schneise in die drängelnde Schülermasse geschlagen und so haben wir einen Platz ganz vorne bei der Türe, als der Zug in Kings Cross einfährt. Meine Augen huschen über die Menge an wartenden Eltern und Geschwistern, die lachend und strahlend auf ihre Familienmitglieder warten. Also der Großteil jedenfalls. Der Zug kommt zu stehen und meine Füße tragen mich auf den Bahnsteig, während meine Augen aufgeregt durch die Menge schweifen, um Benj zu finden. Die kalte Abendluft kitzelt meine Wangen und lässt meinen Atem in weißen Wölkchen aufsteigen. Einzelne Schneeflocken schmelzen an meinen Brillengläsern und die Kälte lässt sie anlaufen. Ich blinzle genervt, doch ich erhasche einen hellbraunen Haarschopf. Entschlossen steuere ich darauf zu, meinen Koffer im Schlepptau. Mein Herz hämmert heftig gegen meinen Brustkorb. Endlich.
„Benj!", rufe ich, als er sich suchend umsieht und mir seinen Rücken zudreht. Ich zwänge mich rasch zwischen einer korpulenten Hexe und einem Gepäckwagen hindurch und stolpere beinahe über eine Katze, die durch die Menge huscht. Ich verdrehe genervt die Augen. Da findet er mich immer noch nicht.
„Mr. Collins!", rufe ich mit meiner besten McGonagall-Imitation über das Geschnattere hinweg.
Wie von der Tarantel gestochen, wirbelt er herum, ein verwirrter Ausdruck auf seinem Gesicht. Ich grinse ihm entgegen. Meine Mundwinkel wandern noch weiter in die Höhe, als er mir zu lächelt und die Arme ausbreitet. Der Griff um den Henkel meines Koffers löst sich und er kommt mit einem dumpfen Laut am Boden auf, als ich im wahrsten Sinne des Wortes alles liegen und - nun ja - fallen lasse und auf ihn zu laufe. Ich drücke mich fest an seine Brust und seine Arme umschlingen mich im selben Moment, um mich festzuhalten. Sein pochendes Herz lässt den Lärm um mich herum schwinden und findet Sekunden später Einklang mit dem meinen. Sein Geruch steigt in meine Nase und ich inhaliere ihn zufrieden. Er riecht nach Zuhause. Nach Geborgenheit. Ich verstecke meine kalte Nasenspitze in seinem Umhang.
„Hey", brummt er tief und zufrieden in mein Ohr. Ich kann sein Lächeln förmlich hören.
„Hey", antworte ich in den Stoff. Es ist alles gut. Solange ich in seinen Armen bin, ist alles in Ordnung. Er gluckst.
„Sind Sie etwa kuschelbedürftig, Miss Haimerl?"
Mit einem empörten Augenrollen will ich mich von ihm lösen, doch anstatt mich freizugeben, zieht er mich nur noch enger an ihn.
„Hiergeblieben", murmelt er in meine Haare.
„Ach und ich bin also so kuschelbedürftig", murmle ich trocken, doch ein Schmunzeln zieht an meinen Mundwinkeln. Er nickt nur und küsst sanft meinen Scheitel. Ich schmelze erneut in unsere Umarmung. Es waren zwei anstrengende Monate. So viel Erschöpfung. Für die beiden von uns. Das Aurorentraining fordert mehr von ihm, als er wahrhaben möchte. Nach etwas, das wie eine Ewigkeit scheint, lösen wir uns von einander und die Welt um uns darf wieder an unserem Leben teilhaben. Der Bahnhof ist der reinste Wirbelwind aus Menschen, Eltern und Kindern und Großeltern und Eulen und Katzen und Koffern. Ich ziehe meinen wieder an mich, sodass ich ihn nicht verliere. Meine andere Hand sucht nach Benjs, bevor sich unsere Finger ineinander verflechten. Destys Käfig befindet sich unter seinem Arm, wodurch meine Gedanken zu meiner geflügelten Freundin fliegen.
„Wie geht es Desty?", will ich wissen, als wir uns den Weg durch die Menge bahnen. Auf die Rumtreibergruppe zu.
„Ganz gut, die chillt derweil auf meinem Kasten und frisst alle meine Eulenkekse." Ich kichere.
„." Seine Stimme ist todernst, doch ich kann nicht anders als los zu prusten.
„Gar nicht wahr. Sie ist nicht fett. Sie ist nur dick angezogen. Es ist kalt."
Er wirft mir einen ungläubigen Blick zu. „Ja, klar. Red dir das nur ein."
Wir stoßen zu James, Mena und Pete, die uns bereits wissend angrinsen.
„Hey", begrüßt Benj sie vergnügt, „wo ist der Rest euerer Truppe?" Er blickt über James Schulter als meine er, die anderen beiden dort zu erblicken.
„Sirius und Remus sind in Hogwarts geblieben", erklärt Mena kurz.
„Ahhh, okay", verstehend nickt er. „Marlene, du apparierst mit mir zu Emmi nach Hause, richtig?"
„Jup", sie grinst ihn an, „danke nochmal."
„Kein Problem", erwidert er. Sanft drückt er meine Hand, bevor ich sie loslasse und Krone und Peter umarme.
„Passt gut auf euch auf", eindringlich sehe ich die beiden an.
„Immer noch Emmi", meint Peter, „du kennst uns doch."
„So wie ich euch kenne, landet ihr in zwei Tagen im St. Mungos."
Schallendes Lachen ist meine Antwort. Beziehungsweise meine Bestätigung.
„Mach dir keine Sorgen um uns", grinst James mich an.
„Ich? Ich mache mir nie Sorgen."
Mena rollt mit den Augen. „Du doch nicht."
Unser spielerisches Gezänk ebbt schließlich ab und ich umarme sie alle nochmals.
„Bis nach Weihnachten, Pete und bis zur Reinblüterversammlung, Krone."
„Wir sehen uns!"
„Bis dann, Madam Spes."
„Pass auf das ich dich nicht in die nächste Woche hexe, du Kotzbrocken."
Gelächter. Winken.
Schließlich sind wir beinahe die einzigen, die am kalten Bahnsteig stehen. Benj richtet seinen Mantel und sich zu seiner vollen Größe auf.
„Na dann, meine Damen. Lasst uns die Heimreise antreten." Er bietet uns galant beide Arme an, die wir ergreifen.
„Es geht gleich los, es wird wahrscheinlich etwas unangenehm, aber keine Sorge, das gehört dazu." Seine Stimme ist weich, warm, tief und lässt Sicherheit durch meinen Körper strömen. Er besitzt bereits die ruhige Ausstrahlung eines geübten Aurors. Das bringen sie ihm sicher schon bei. Das wohlige Gefühl der Geborgenheit wird jedoch von einem ekelhaften Ziehen in meiner Magengegend abgelöst, als ich durch einen Schlauch gepresst, quer durch Europa geschickt und wieder ausgespuckt werde. Ich stütze mich hilfesuchend auf Benjs Arm ab, als ich ins Schwanken komme. Mühselig öffne ich meine Lider, die sich weigern die Straße nicht um mich herum drehen zu lassen. Nachdem ich meine gesamte Tränenflüssigkeit verblinzelt haben muss, wie ich meine Augen geöffnet und geschlossen habe, fokussieren meine Linsen, um die Umgebung um mich herum zu begutachten. Die Straßenlaterne erleuchtet in sanftem, orangenem Licht die altbekannte, mit einer zarten Schneeschicht bedeckte Straße. Ich wende mich um, um mein Haus zu erkennen. Erleichterung überrollt mich in türmenden Wellen. Endlich. Ich öffne rasch die Gartentüre, haste die Stufen zum Eingang hinauf und drehe den Schlüssel im Schloss. Ein weißer Ball aus Fell fegt mich von den Beinen und beginnt mich von oben bis unten abzuschlecken. Ich lache begeistert auf. Ich kuschle mich tief in das Fell meines Hundes und atme für einen Moment ihren warmen Geruch ein, bevor diese schon wieder davon wuselt, um die anderen beiden Neuankömmlinge zu begrüßen. Mit wenigen Schritten hat meine Mutter das Vorzimmer durchquert und mich in die Arme geschlossen. Ich lehne mich vorsichtig gegen sie und genieße den Moment der Geborgenheit. Sie lässt mich beinahe nicht mehr los, doch als sie es tut, liegen ihre Hände für einen Moment auf meinen Wangen, streichen zart über meine Narben und die Wut flackert in ihren Augen auf. Die Wut auf diesen Krieg. Die Wut auf die magische Welt. Ich kann kaum Atem holen, da hat mich auch schon mein Vater umarmt und so geht es weiter. Marlenes Mutter ist ebenfalls da.
Als nach einer Weile Ruhe einkehrt und Marlene und ihre Mutter sich auf den Heimweg gemacht haben, sitzen wir alle gemeinsam am Tisch und ich beginne vom Austausch zu erzählen, vom Halloweenball und dem gesamten Beziehungsdrama, das sich gerade in Hogwarts abspielt. Wir sitzen bis in die Nacht, bevor wir uns schließlich alle vom Schlaf einlullen lassen. Mit halb zugefallenen Lidern liege ich an Benjs Brust, während die Dunkelheit uns umgibt.
„Sie hasst es", murmle ich in Gedanken versunken.
„Hm?", brummt er müde. Ich kann die Vibration seines Körpers spüren und atme zufrieden seinen Geruch ein und genieße die Wärme, die er wie ein Heizkörper abgibt.
„Sie hasst es", wiederhole ich etwas lauter.
„Wer hasst was genau?"
„Meine Mum. Dass ich eine Hexe bin. Dass ich dieser Welt angehöre, die mir so viel Leid zufügt."
Er zieht mich näher an sich, als könne er mir so all den Schmerz, den ich die letzten Jahre erlitten habe, nehmen.
Ich atme zittrig ein, als mich die Erkenntnis wie ein dumpfer Schlag trifft.
„Und weißt du, manchmal", ich hole tief Luft, bevor ich mir brechender Stimme fortfahre, „manchmal hasse ich es auch."
Tränen beginnen in meinen Augen zu stechen. Brennende Wälder ziehen an meinem inneren Auge vorbei. Blut, das Korridore entlang rinnt wie ein Rinnsal nach einem Regenguss und Körper auf dem kalten Stein. So viele. Leere Augen und schwarze Augen und höhnisches Lachen. Ich gleite aus Benjs Armen zurück in meinen Polster. Licht erhellt den Raum und holt mich für einen Moment zurück. Deine Schuld. Alles deine Schuld. Die Wände rücken immer näher. Emmi. Der Tod ist immer schneller. Schmerzerfüllte Schreie. Stirb, kleines Mädchen. Menas lebloser Körper. Alles verschwimmt in einem Schleier aus Schmerz. Meine Brust. Sie tut weh. Warum tut sie so weh? Emmi. Hey. Kannst du..
„Emmi", Benjs Stimme lässt mich durch die Oberfläche des wüsten Wassers tauchen. Alles dreht sich. „Hey. Ich bin da. Okay?"
Ich nicke, meine Hand schnellt automatisch zu meinem Brustbein und massiert es, als ich mich aufrichte. Benjs Finger streichen sanft über meinen Rücken.
„Du bist hier. Es ist okay. Du bist sicher." Ich nicke erneut, hastig.
„Luft", bringe ich hervor. Meine Fingerspitzen beginnen zu kribbeln.
„Emmi, hör mir zu okay?" Nicken. Dein Ende naht, kleines Mädchen.
„Ich will, dass du einmal tief ein atmest, okay?" Ich zwinge mich meinen Mund zu öffnen und gierig nach Luft zu schnappen.
„Gut, und jetzt wieder ausatmen." Meine Hände zittern, als ich meine gesamte Willenskraft aufwende, um die Abfallprodukte meiner Atemluft aus meiner Lunge zu pressen.
„Du machst das gut", so sanft. Meine Hand presst fester gegen mein Brustbein. Schmerz.
„Ich will von dir, dass du dir fünf Dinge im Raum suchst, die du sehen kannst, okay?" Nicken. „Und dann sagst du mir die fünf Dinge. Du kannst sie mir auch beschreiben, wenn du willst." Fünf Dinge. Fünf Dinge. Ich schaff das.
„Emmi. Atmen nicht vergessen." Ich ringe erneut nach Luft. Fünf Dinge- Kleiderhaken. Weiß, fünf... fünf Dinge.
„Kleiderhaken", flüstere ich nach vorne gebeugt, „weiß, hat sechs schwarze Haken zum Aufhängen."
„Mhm, das machst du gut. Weiter", ermutigt mich seine sanfte Stimme. Meine Augen flackern zur Seite.
„Gitarre. Rote Hülle. Beatles. Ich hab sie von den Beatles bekommen. James kennt sie." Die Kreise, die seine Finger auf meinen Rücken malen, bestätigen mich. Der Druck auf meiner Brust wird weniger. Ich spüre meine Hände wieder.
„Koffer. Da ist all mein Gewand drinnen. Ich hab da ganz am Anfang, wie ich nach Hogwarts gekommen bin, ein Wappen drauf gemalt. Mit Edding." Ein Glucksen.
„Ein, ein Teppich", fahre ich leise fort, hastig, „weiß und blau. Ganz kleine Streifen. Meine Zehen. Ich hab sie noch nicht ablackiert. Blauer Nagellack. Dunkelblau."
„Das machst du super. Jetzt vier Dinge, die du fühlst. Die du spürst."
„Deine Finger", sage ich und lehne mich unwillkürlich in seine Berührung, „die Decke. Deine Beine. Mein Pyjama." Er drückt mir sanft einen Kuss auf meine Schläfe.
„Deine Lippen."
„Sehr gut. Wie geht es dir?" Ich halte inne. Ich atme. Die Bilder werden weniger und werden von der Realität verdrängt.
„Besser" Meine Stimme ist leise. Unsicher.
„Okay, wir machen dennoch weiter." Ich nicke.
„Drei Dinge, die du hörst. Du kannst das."
Ich schließe meine Augen und konzentriere mich. Meine Brust hebt und senkt sich langsam, stetig. Ich fühle seinen Atem an meinem Ohr.
„Deinen Atem. Meinen Atem." Ein Brummen dringt von draußen vor dem Fenster hinein. „Ein Auto, draußen."
„Sehr gut. Du machst das gut. Zwei Dinge, die du riechst." Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen als ich mich gegen ihn lehne und seinen vertrauten Geruch einatme.
„Dich. Mein Zuhause."
„Zählt das als eine oder zwei Sachen?", will er mit einem Anflug eines Schmunzelns wissen.
„Beides." Er beugt sich zu mir, langsam und ich recke meinen Hals, um seinen Lippen auf halber Strecke zu begegnen. Sanft liebkosen sie die meinen und die Hand, die auf meinem Rücken geruht hat, wandert zu meiner Wange. Ich seufze zufrieden in seinen Mund.
„Emmi", flüstert er leise.
„Mhm?", murmle ich, meine Gedanken ganz wo anders, als ich sanft mit meiner Zunge über seine weichen Lippen fahre und um Einlass bitte. Anstatt zu antworten, erwidert er mir, indem er sich mir öffnet und wir beide in den Kuss schmelzen. Meine Finger bahnen sich ihren Weg zu seinen Haaren und fahren fordernd durch sie hindurch. Sein Shampoo wirkt Wunder für seine Haarpracht. Es dauert eine Weile, bevor er sich wieder löst. Seine Augen glitzern leidenschaftlich und seine Wangen ziert ein zartes Rot.
„Wow", murmelt er atemlos.
„Was?", lächle ich.
„Ich", seine Augen wandern für einen Moment ins Leere, bevor sie die meinen finden, „ich hätte nie gedacht, dass ich jemanden so sehr lieben könnte wie dich."
Mein Atem stockt in meinem Hals und ich fühle, wie ich blinzeln muss, um meine Sicht vorm Verschwimmen zu bewahren. Ich lehne mich zu ihm und meine Stirn an seine, als das überwältigende Gefühl in mir Oberhand nimmt und mich ausfüllt, sodass ich beinahe überschwappe.
„Ich liebe dich", hauche ich, „so sehr."
„Mehr als alles andere." Unsere Finger verflechten sich ineinander, wie die beiden Bänder unserer Seelen, die ihr Gegenstück gefunden haben.
oOo
Die Weihnachtsferien scheinen wie im Flug zu vergehen. Die wenigen Tage, die wir lachend und sorgenfrei im Schnee verbringen, eilen nur so an uns vorbei und die Nächte, in denen wir aneinander gekuschelt liegen, liegen bald hinter uns. Benj muss zurück ins Ministerium, zu seinem Mentor und am Tag seiner Abreise spüre ich die Panik wieder in mir hochkriechen, wie ein Insekt in den Schächten eines Kellers. Der Zauber, den ich mit der magischen Welt verbunden habe, weicht der Angst. Krieg. Ich zwinge meine Gedanken in eine fröhlichere Richtung, zumindest versuche ich es, doch die Muggelwelt bedeutet Sicherheit, Geborgenheit, während am Ende der Ferien wieder der Tod auf mich wartet. Meine Finger stopfen schnell das Shirt, das Benj mir dagelassen hat, in meine Tasche. Ich werde nach der Reinblüterversammlung nach Spes Manor zurückkehren, um mich um organisatorische Fragen zu kümmern, bevor ich wieder nach Hause zurückkann. Ein Schauer läuft meinen Rücken entlang. Die Gefahr liegt mir im Nacken. Hör auf zu melodramatisch zu sein, danke sehr. Es wird schon werden. Ich schultere meine den ledernen Riemen meiner Tasche und greife nach der Türklinke. Ich werfe einen bedauernden Blick zurück auf mein Zimmer. Geborgenheit. Aber ich komme zurück. Es ist nur eine Nacht, die ich fort bin. Ich komme zurück. Ich ziehe mein Tor zur Sicherheit hinter mir zu. James Mutter wartet bestimmt schon auf mich. Ich trabe schnell die Treppe hinunter, um den dunkelblauen Stoff von Claries Umhang zu erhaschen, der meiner Mum in die Küche folgt.
„Hey!", begrüße ich sie quer durch den ganzen Raum, während ich mein Gepäck zu Boden fallen lasse, meinem Hund über den Kopf streichle und schließlich den beiden in die Küche folge. Claries warme Augen liegen auf mir, als sie von ihrem Kaffee aufblickt.
„Hallo, wie schön dich zu sehen, Kleines, wie geht es dir?"
„Ganz gut, danke", lächle ich, als ich die Kücheninsel umrunde und mir ebenfalls ein Häferl hole. Sanft berühre ich den Arm meiner Mutter, die die Frau ihr gegenüber freundlich, aber auch mit den Augen einer Löwenmutter, die ihre Jungen bewacht, betrachtet.
„Wie geht es euch?"
„Es ist etwas viel los in letzter Zeit, wir sind nicht viel Zuhause." Eine bedeutungsschwere Pause. Wieder steigt Blei in mir auf. Schwer, träge. Brennend. „Aber ansonsten ganz gut."
„Das ist gut zu hören." Ich nehme die Kaffeekanne entgegen, die mir meine Mum hinhält. „Danke."
Sie schenkt mir ein Lächeln. Ich sehe der braunen Flüssigkeit zu, die langsam in meine Tasse fließt. Hellbraune Wirbel verflechten sich mit weißen, als die Milch die dunkle Flüssigkeit berührt. Die Schwaden, die vor meinem Gesicht aufsteigen, liebkosen sanft meine Haut und ich verliere mich im Moment. Der Schnee vor den Glasfronten ist zu einer dünnen, schwachen Schicht hinabgeschmolzen und die nassen Halme des Grases lugt zwischen weißen Flecken hervor. Es ist zu warm, als dass er liegen bleiben würde.
„Bist du bereit für heute?" Claries Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich nicke rasch.
„Ich freu mich, Liselotte wieder zu sehen."
„Sie ist eine reizende Frau", stimmt sie mir zu.
„Wer ist diese ... Lieslotte?", will meine Mum neugierig wissen. Ein Hauch von Misstrauen schwingt in ihrer Stimme mit, doch das Verlangen nach Wissen siegt.
„Ich hab sie auf der ersten Reinblüterversammlung kennengelernt", erkläre ich, „Sie vertritt eine der mächtigsten Zaubererfamilien Deutschlands. In der Nähe von Hamburg. Sie hat eine weitreichende Familie, aber sie vertritt sie als ihr Oberhaupt jedes Jahr. Ihr Mann war bis vor einigen Jahren an ihrer Seite, aber er ist an Drachenpocken gestorben."
„Mhmm", sie nickt verstehend.
Clarie setzt ihre Tasse ab: „Sie ist eine faszinierende Frau. Sie hat bereits so viel in jungen Jahren durchgemacht, wurde unterdrückt von ihres gleichen, aber sie hat sich tapfer und entschlossen gegen alle durchgesetzt" Sie mustert mich wohlwollend. „Sie erinnert mich an dich, Emmi."
Ich schenke ihr ein halbherziges Lächeln, doch als ich den feurigen, stolzen Ausdruck in den Augen meiner Mutter sehe, kann ich nicht anders als die Wärme in meinem Inneren an meine Oberfläche zu tragen.
„Sie ist unglaublich stark", bestätigt sie, „Ich bin sehr stolz auf sie, auch wenn mir die Umstände sehr missfallen."
Claries Gesicht verdunkelt sich. „Nicht nur dir."
Wenig später habe ich mich verabschiedet und finde mich, nach dem unangenehmen Gefühl des Apparierens in der hellen Vorhalle Spes Manors. (Spei Manor?) Eine Welle der Vertrautheit überkommt mich, als ich den Geruch von Stein und Blüten einatme. Kein Fitzelchen Staub ist zu sehen und alles hat seinen Platz und Ort. Meine Hauselfen sind super.
„Alles in Ordnung, Emily?"
Ich nicke rasch. „Alles super. Ich werde mich noch ein bisschen zurückziehen, bevor ich mich zum Ankleiden begebe. Es beginnt um sieben Uhr?"
„Ja, genau. Fantastisch. Wir treffen dich dann dort."
„Passt", lächle ich, „Danke, Clarie und bis später!"
Mit einem kleinen Winken ist sie verschwunden und ich kann nur zufrieden seufzen. Elly taucht mit einem sanften Ploppen neben mir auf.
„Hey, Elly", begrüße ich sie warm.
„Mad- Emily", sie verbeugt sich rasch, „Elly freut sehr Dich wieder willkommen heißen zu können. Elly hat von Deinen Plänen mitbekommen. Sollen die Elfen Dich alleine lassen?"
„Das wäre toll, aber lasst mich wissen, sollte irgendetwas Wichtiges passieren."
Elly nickt rasch. „Sehr wohl, Madam."
Ich öffne meinen Mund, um sie zu korrigieren, doch da ist sie schon verschwunden. Nur der zarte Duft von frischgepflückter Minze bleibt zurück. Ich schüttle schmunzelnd den Kopf, bevor ich nach meiner Tasche greife- nun ja, greifen will, aber meine Finger erhaschen nur das Leere. Ich seufze mit einem Lächeln auf den Lippen. War klar, dass sie sich schon darum gekümmert haben. Mit raschen Schritten erklimme ich die breiten Marmorstufen ins nächste Stockwerk und husche den ersten Gang entlang, um zum Bad zu gelangen. Ich stoße die breite Türe auf und trete ins lichtdurchflutete Bad. Die weißen Fliesen schimmern fröhlich in den warmen Strahlen der Sonne. Meine Füße tragen mich zu der großen Wanne, die in der Mitte des großen Raumes steht und mich einladend anblickt. Die kupfernen Hähne strahlen mir entgegen und ich kann nicht anders als meine Finger über den breiten Rand der Wanne streifen zu lassen. Sie spielen mit den Hebeln der Hähne und lassen sprudelndes Wasser in das Becken laufen. Heiß steigt mir der Dampf entgegen und ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. Ich fische ein Handtuch von einem der Stapel und Badesalz und Seife aus einem der Kabinette. Dann entledige ich mich Schicht für Schicht meiner Kleidung und lasse meine Füße in die schon gut gefüllte Wanne sinken. Die Wärme, die meine Haut liebkost, unterscheidet sich so sehr von den kühlen Fliesen unter meinen Oberschenkeln, doch nach wenigen Sekunden werde ich komplett vom Wasser umschlossen. Der Duft von Rosen und Magnolien umhüllt mich und ich kann nicht anders, als dankbar auszuatmen. Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm.
"Madam!", Mikeys Stimme reißt mich aus meinem Schlummer. Ich öffne erschrocken die Lider und sehe ihn verdattert an.
„Ja?"
„Madam, es wird Zeit, sich in das Ankleidezimmer zu begeben."
„Was schon?", murmle ich verwirrt, als ich mich orientiere. Die Sonne ist schon lange verschwunden, denn die Fenster schimmern pechschwarz. Wie lange war ich im Wasser? Und noch wichtiger, warum ist das Wasser immer noch warm? Oh, ja. Magie.
„Es ist halb sechs."
„Oh", mache ich. Wie ich es kenne, wird das Ankleiden wieder eine Ewigkeit dauern. Also gut, dann sollte ich mich mal aus der Wanne begeben. Bedauernd richte ich mich auf, sodass das Wasser um mich herum gluckernd zusammenläuft, während ich nach dem weichen Handtuch greife und mich, sobald ich meinen Körper komplett aus dem warmen Nass erhoben habe, in dieses einwickle. Der weiche Stoff liebkost meine schon schrumpelige Haut. Der Kontakt mit den kühlen Fliesen lässt einen Schauer meine Beine hinauflaufen, also beeile ich mich auf Zehenspitzen durch das Bad zu huschen und in meine Patschen zu schlüpfen. Ich ziehe das Handtuch fester um meinen Körper und greife nach meinem Zauberstab. Ich verlasse die angenehme Wärme des Bades, als ich in die Kühle des Korridors trete. Kerzen erhellen die Wände und das Geräusch meiner nackten Füße auf dem Steinboden hallt an ihnen wider.
Mikey hat sich abgewandt, doch jetzt winkt er mich aufgeregt den Gang entlang. Ich folge ihm, eine Gänsehaut ziert meinen gesamten Körper, als die frische Luft meine Arme entlang streift. Ist hier irgendwo ein Fenster offen?
„Das Ensemble wird Ihnen gut gefallen, Madam", erklärt der Elf begeistert. Ich wende ihm meine Aufmerksamkeit zu. Neugierig spähe ich zur großen Flügeltüre zum Ankleideraum.
„Das ist gewiss. Ihr gebt euch immer außerordentliche Mühe. Kannst du mir schon ein bisschen etwas verraten?"
Mikey grinst mich an, bevor er zu besagter Türe huscht und sie aufzieht, um mich hinein zu lotsen. „Die Wappenfarben werden natürlich wieder vertreten sein", beginnt er und ich komme nicht umhin innerlich zu stöhnen. „Außerdem ist das Kleid aus sehr feinem Stoff, der die Illusion von Wind und Wellen im Zusammenspiel erzeugt." Seine Worte malen das Bild des Meeres, das an der Küste entlangläuft und sich an ihr bricht. Weiße Schaumkronen.
Ich trete in den vorgeheizten Raum und erblicke bereits den tiefblauen Stoff. „Kann ich eigentlich auch eine andere Fabre als das Blau hier anziehen?" Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme etwas zu hoffnungsvoll klingt. Ein Klicken.
„Madam, Sie können natürlich bei allem Veto einlegen, das wir Ihnen anbieten, jedoch ist es auf den Versammlungen üblich, dass die Farbe der Familie getragen wird." Er sieht mich groß und verunsichert an.
„Ich weiß, Mikey", beschwichtige ich ihn, „ich wollte es nur wissen. Wenn es gewünscht wird, werde ich dem Vorhaben keineswegs einen Stein in den Weg rollen. Ich kann ein andermal eine andere Farbe anziehen."
Seine zusammengefallene Haltung richtet sich wieder auf und mit vor Elan glänzenden Augen wuselt er zur aufstellbaren Kabine, die er mithilfe seines gesamten Körpergewichts zu mir zieht.
„Sie können sich dahinter ankleiden, Madam", piepst er, „Mikey holt Serafina und Joy, damit Sie beim Make up und Umhang und Kleid unterstützt werden." Ich will mich gerade bedanken, doch da ist er schon verschwunden. Ich fahre mir durch meine feuchten Haare, bevor ich seufzend meinen Blick vom meinem Festumhang losreiße und hinter den Sichtschutz eile, um zu beginne mich anzuziehen. Die Elfen müssen mir nicht unbedingt bei meiner Unterwäsche helfen, das schaffe ich schon selbst. Gerade in dem Moment, als ich den Verschluss meines BHs schließe, zieht ein leidender Schmerz sich meinen Rücken und meine Schenkel entlang. Ich stöhne genervt auf. Warum gerade am heutigen Abend? Warum muss es genau an einem der wichtigsten Tage im Jahr stattfinden? Ich suche hastig in der Lade der Kommode nach einer Binde, die ich immer zur Sicherheit ganz am Anfang verwende. Großartig. Aber nun ja, besser als in „Teenager werden Mütter" auftreten zu müssen. Ich kann nur hoffen, dass sich die Schmerzen in Grenzen halten. Als Mikey mit Serafina und Joy im Schlepptau zurückkehrt, bin ich gerade dabei die kleinen Häkchen am Rücken des Kleides zu öffnen.
„Madam!", beginnt Serafina mich schon zu schimpfen, durchquert mit schnellen, kleinen Schritten den Raum und nimmt mir empört den Stoff aus der Hand. Ich kann nicht anders als schmunzeln mit den Augen zu rollen.
„Das ist ganz klar als Serafinas und Joys Aufgabe definiert", piepst sie und deutet mir, mich auf den kleinen Podest vor dem Spiegel Stellung zu nehmen. Ihre flinken Finger haben den Rest der Häkchen schnell geöffnet und schneller als ich schauen kann, bin ich schon im Kleid und werde an den Schminktisch gesetzt. Die beiden Elfen berichten mir eifrig von den neuesten Geschehnissen in der Welt der Reinblüter. Offenbar haben die Stones eine heftige Auseinandersetzung mit den Moodys in Hinblick auf die Ausbildung und Einsetzung von Jungauroren gehabt, während sich das Familiendrama der Winterfields in vollen Zügen entfaltet und sich die Wogen nach einer Supernova, in der pulsierend verheerende Kräfte freigesetzt wurden, wieder geglättet haben sollen. Ich bin froh, dass es sich bei ihnen wieder eingependelt hat. Nur weil Toby letztes Jahr ein Arsch zu mir war, heißt das nicht, dass ich mich nicht um seine Familie oder ihn sorge. Sorgen. Davon mach ich mir wie immer viel zu viele. Obwohl meine Gedanken sich auch um meinen Auftritt bei der Versammlung drehen, schaffe ich es nicht mich von der Nervosität den besagten Winterfield Sprössling wiederzusehen loszureißen. Ich erinnere mich an seinen Blick, als er Benj und mich im Krankenflügel überrascht hat, seine sonst so strahlenden Augen verdunkelt und seine Stimme scharf. Doch ich erinnere mich auch an seine ruhigen, so vertrauten Worte, als Nushkins uns überwältigt hat. Shhh, Ems, es ist okay. Ich hab dich. Was will er eigentlich von mir? Hatte er noch Gefühle für mich, als er mich letzten Winter von sich weggestoßen hat? Sein hasserfüllter Ton lässt anders vermuten, doch ich weiß noch, wie ich nur Tage zuvor in seinen Armen gelegen habe. Das kann man doch nicht täuschen, oder? Oder wurde ich von ihm die ganze Zeit nur benutzt? Nein. Das würde er nicht tun. Ich habe ihm aus einem bestimmten Grund vertraut und ich denke, ein Teil von mir tut das immer noch. Außerdem war ich nicht gerade die einfachste Freundin. So zerbrechlich und in Dunkelheit gefangen.
Wir haben nie mit einander geschlafen. Ein weiterer Beweis, dafür dass er mich nicht ausgenutzt haben kann, dass da nicht nichts gewesen sein kann. Wieso sonst hätte er mich so nah bei sich haben wollen, obwohl unsere Beziehung nicht auf dieser Ebene basiert hat? Vielleicht hebt er sich bis zu Ehe auf. Ich kann das Prusten, das mir entkommt, nicht verhindern. Benj taucht vor meinem inneren Auge auf. Entblößt mit geröteten Wangen, halbgeschlossenen Augen und halbgeöffnetem Mund. Ich spüre wie das Blut in mein Gesicht schießt, doch ich schüttle nur meine weniger jugendfreien Gedanken ab und schmunzle. Ich vermisse ihn und das obwohl wir uns zuletzt gestern gesehen haben. Ich werde schon noch herausfinden, was das mit Toby damals war. Ich will endlich damit abschließen und weiter machen können.
„Madam", Joys entnervte Stimme holt mich in die Realität zurück, „wenn Sie bitte stillhalten würden." Sie wedelt mit einem Lippenstift vor mir herum. Ich will nicken, doch besinne mich eines Besseren und gebe einen zustimmenden Laut von mir. Die restlichen Minuten verharre ich vorbildlich in meiner Position und folge den Anweisungen der Elfen, bevor mir Mikey in den Festumhang hilft und ich mich endlich in den Spiegel sehen darf. Meine Haare krönen mich zu einem goldenen Kranz geflochten, während die schimmernden Spangen wie Diamanten strahlen. Meinen Hals ziert eine Kette, die mein Schüsselbein betont, die von tiefblauem Stoff liebkost werden. Der fließende Schnitt meines dunklen, schlichten Umhangs betont meine schmale Figur und nur der Saum ist mit glitzerndem Garn bestickt. Über meiner Brust ziert die Brosche des Hähers meinen Mantel. Das Zeichen der Spei. Das Kleid fällt wie Wellen ab meiner Taille hinab und tanzt um meine Knöchel. Das Oberhaupt der ältesten Reinblutfamilie blickt mir entgegen, die Lippen pink und die Augen betont, sodass sie leuchten. Meine Narben prominent auf meiner Wange. Sie sind jedoch verblasst im Gegensatz zu... ein Schauer läuft meinen gesamten Körper entlang als die pechschwarzen Striemen meine Gedanken durchkreuzen. Nein. Daran denke ich heute nicht.
„Danke", sage ich warm, ehrlich, „Serafina, Joy, Mikey, ihr habt das wundervoll gemacht, ich danke euch."
Die drei grinsen mich an, bevor sie sich altmodisch vor mir verbeugen und mich mit einem leisen Ploppen allein lassen. Mein Blick fällt auf die Standuhr neben der Tür. Es ist bald Zeit. Krämpfe melden sich erneut zu Wort. Meine Gebärmutter scheint diese Meinung durchaus zu teilen.
Um zehn vor sieben ist es also soweit. Ich finde mich im Herrensalon, der mir der liebste der beiden ist, neben dem ausladenden Kamin wieder, greife mit vor Vorfreude kribbelnden Fingern nach dem Flohpulver in der Kristallschale und steige auf den Rost.
„Körner Anwesen, Büsenbachtal."
Die grün glühenden Flammen reißen mich mit sich, schleudern mich umher, sodass ich meine Lider und Mund zusammenkneifen muss, um weder Asche in meine Augen zu bekommen, noch sie einatmen. Ich hoffe dieser Preservationszauber hält und ich sehe danach nicht aus, als wäre ich geradewegs aus dem Vesuv gekrochen, denn das wäre eine eher unangenehme Begebenheit unter all den wichtigen Vertretern. Meine Arme umklammern mich beschützend, als die engen Schlote an ihnen streifen. Nicht mehr lang versuche ich mir zu sagen, aber verdammt. Ich flohe von England nach Deutschland hinunter. Es ist ein weiter Weg, auch wenn sich Hamburg ganz im Norden des Landes befindet. Ein Ende scheint nicht in Sicht, doch mit einem Ruck gewinnen meine Füße wieder festen Boden unter sich, als sie hart auf dem Rost des Anwesens aufkommen. Das Rauschen in meinen Ohren verstummt. Ich öffne zögerlich ein Auge nach dem anderen, um die Umrisse auszumachen. Ich muss mich in einem Art Foyer befinden, denn zu beiden Seite erstreckt sich ein hell erleuchteter Gang. Ich trete aus dem Kamin, um ihn für den nächsten freizuhalten. Aber die Herrschaften kommen vermutlich appariert. Bald. Ich muss mich nur noch etwas gedulden. Das Geräusch einer Glocke lässt mich aufhorchen. Eine Türe zu meiner Seite öffnet sich und Lieselotte eilt durchs Bild.
„Madam Spes, Emily, ich bin gleich bei Dir", ruft sie über ihre Schulter, bevor sie mit wehendem, flaschengrünem Mantel auf die Eingangstüre zusteuert.
„In Ordnung!"
Ich streiche zum erneuten Male meinen makellos gebliebenen Umhang glatt. Ich freue mich, sie zu sehen. Sie stellt eine der wenigen Personen in diesem Reinblutverein dar, mit der ich mich wirklich verstehe. Sie wirkt ausgeglichen und in einem angenehmen Maße aufgeregt, als freue sie sich wirklich, ihre Gäste begrüßen zu dürfen. Die Stimmen am Anfang des Korridors plaudern freundlich, plätschern wie ein Gebirgsbach im Frühling. Ich richte mich auf, rolle meine Schultern zurück und mache gemächlich einen Schritt auf das Gemälde am anderen Ende des Flures zu. Eine junge Frau mit goldenen Locken und wissenden Augen lächelt herab, ihre Finger umschließen den Zauberstab etwas fester, bevor sie rasch ihre Haare sammelt und mit dem Zauberstab in ihren Haaren befestigt. Ich grinse. Ich weiß nicht, wie oft ich das immer mache, wenn ich kein Zopfgummi habe. Die Hexe kichert, zwinkert mir zu und hält einen Finger vor ihre Lippen.
„Emily!", Lieselottes Stimme eilt den Gang entlang, „Wie schön dich zu sehen!" Sie begrüßt mich mit weit geöffneten Armen und den Moodys im Schlepptau, die mir freundlich zu nicken. Ich erwidere ihre Geste, bevor ich meine liebste Reinbluterbin umarme. Ein Küsschen links, ein Küsschen rechts und ein entspanntes Lachen.
„Wie geht es dir?", will sie neugierig wissen, „Ihr seid die ersten heute", sie wendet sich zu den Moodys, „Wenn ihr mir folgen würdet und mich in den Festsaal begleitet, könnt ihr es euch bereits bequem machen." Unsere kleine Traube schlüpft durch die große Flügeltüre, die die Hauselfen bereits aufmerksam geöffnet haben.
„Mir geht es gut", erwidere ich, während mein Blick durch den ausladenden Raum und über das Fischgrätenparkett huscht, „Und dir?"
„Ach, was soll ich sagen", seufzt sie, bevor sie die Moodys einem Hauselfen übergibt, „Es waren ein paar anstrengende Monate."
Sie manövriert uns zu einem der Tische, an dem wir Platz nehmen. Ein Glas Elfenwein taucht auf zauberhafte Weise in meiner Hand auf. Wundervoll. Besser kann der Abend nicht werden.
„Erzähl mir, was ist passiert?", helfe ich ihr auf die Sprünge, als sie ihre Stirn runzelt, als habe sie ihren roten Faden verloren.
„Du weißt, die Situation in letzter Zeit ist recht angespannt, in England vermutlich noch mehr als hier, aber die Lage spitzt sich zunehmend zu. Ich bin des Öfteren im Ministerium und muss mit ihnen diskutieren. Ihre Ignoranz raubt mir den letzten Nerv." Ihre Augen blitzen vor Frustration auf. Ich nicke nur und nippe an meinem Elfenwein, während sie mein Blick nie verlässt.
„Diese Idioten aus der Abteilung für Sicherheit und Strafverfolgung, also eigentlich die Gruppe unter den Auroren, ist ja der Meinung, dass noch keine speziellen Maßnahmen getätigt werden müssen. Es ist ja nicht so, als „ob irgendwer in Gefahr ist"."
Ich hebe meine Augenbraue. „Nein, überhaupt nicht, Lieselotte, wie kommst du nur auf diese absurde Idee?", meine Stimme trieft vor Sarkasmus.
Ein amüsiertes Schnauben entfährt ihr und Belustigung ziert ihre Züge. „Aber nun zu dir, Madam Spes, was gibt es Neues?"
Gerade als ich zu einer Antwort ansetzen will, läutet es an der Türe. Sie seufzt theatralisch. „Meine Aufmerksamkeit wird benötigt, es sei mir verziehen."
Ich kichere, als sie mit einem Zwinkern davon rauscht. In ihrer Abwesenheit nippe ich an meinem Wein. Süß und ander-weltlich, wie reiner Nektar rinnt er meine Kehle hinab. Ich lasse meine Augen durch den Raum wandern. Ein barocker Ballsaal erstreckt sich erhaben von der einen Seite bis zu anderen, der weiße Stuck verziert mit goldenen Ranken, die sich an den Säulen hinab winden. Die hohen Fenster glitzern im Kerzenlicht und man kann die Wälder darum nur erahnen. Ein Flügel nimmt zusammen mit einem Streichquartett eine Ecke ein, während eine andere eine Sitzgruppe besetzt. Elfen begrüßen die neuen Ankömmlinge und helfen ihnen aus den schweren Reiseumhängen. Ich sitze zufrieden auf meinem Platz, nippe an meinem Glas und beobachte interessiert die neuen Ankömmlinge. Leider kann ich nicht mehr so gut im Hintergrund verschwinden, indem ich still sitzen bleibe, sodass mich die Browns bereits entdeckt haben. Nun gut. Dann muss ich jetzt mal Menschen begrüßen gehen. Ich mache einen letzten Schluck, versuche gedanklich meine Gebärmutter zu beschwichtigen, bevor ich mich leise ächzend aufrichte und auf die beiden zusteuere. Freundliches Geplänkel, das kaum an der Oberfläche kratzt, beschäftigt mich, als ich Familienvertreter um Familienvertreter begrüße. Mit den Weasleys führe ich sogar eine längere Unterhaltung, bevor sie sich einen Platz suchen. Ein Blick auf die Uhr offenbart mir, dass die Versammlung jetzt schon seit einer halben Stunde am Laufen ist. Die Potters scheinen spät dran zu sein. Ich wende mich mit einem Lächeln um, um die nächsten Ankömmlinge zu begrüßen. Eben dieses Lächeln gefriert auf meinen Lippen, als ich in grüne Augen sehe. Scheiße. Ich hole mich so gut es geht aus meinem Schock.
„Mr. und Mrs. Winterfield", meine Stimme bewahrt Distanz, doch die Wärme, die mit meinen Worten mitschwingt, ist unüberhörbar, „Wie schön Sie zu sehen!" Knickse und Handküsse werden ausgetauscht und ich bin stolz auf mich, als ich bei Tobys Handkuss nicht zurückzucke.
„Mr. Winterfield", sage ich freundlich, doch am liebsten hätte ich ihm einen funkelnden Blick zu geworfen. Für wahr und voller Anmut. Sein Lächeln ist genauso gekünstelt.
„Es ist ebenfalls eine Freude Sie zu sehen, Madam Spes." Am liebsten hätte ich ihm sein dämliches Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Kühle huscht für einen Moment über meine Züge, bevor ich sie wieder hinter meiner Maske verstecke. Ich nicke ihm zu, begegne seinen Augen für eine Sekunde. Dunkle Ringe, Leere, Schmerz. Hoffnung? Mein Herz zieht sich vor Mitleid in meiner Brust zusammen. Was ist nur mit ihm passiert? Er wendet seinen Blick ab, als habe er bemerkt, wie der meine weich wird. Es ist besser so.
Als die drei zu einem der Tische wandern und an mir vorbeigehen, sieht mich Mark kurz entschuldigend an. Er kann nichts dafür, dass sein Sohn teilweise ein Arsch ist. Die Familie Potter erscheint fünf Minuten später auch und ich kann nicht anders als zu grinsen, als Clarie versucht James Haare zu glätten.
„Mum!", höre ich ihn genervt zischen.
„Diese unmöglichen Haare", grummelt sie leise, während sie in ihrer Handtasche kramt. Eine Hand auf ihrem Unterarm lässt sie innehalten.
„Schatz, lass es gut sein", Charlus' Glucksen ist warm, „die bekommst du nicht klein."
Mit einem misstrauischen Blick auf die ihres Mannes antwortet sie, „Da muss ich dir leider zustimmen." Ihr Gesicht hellt auf, als sie mich erblickt. „Emily! Wie schön, wie lange bist du schon hier?" Ich grinse ihr zu und komme nicht umhin mit den Augen zu rollen, als die drei mich förmlich begrüßen.
„Madam Spes", James Augen funkeln schelmisch hinter seinen Brillengläsern, während diese unmöglichen Haare in sein Gesicht fallen.
„Idiot", sage ich aus dem Mundwinkel. Er lacht auf, als er sich wieder aufrichtet. Ich führe sie zu meinem Platz, den mein verwaistes Weinglas für mich freigehalten hat. Sie positionieren sich jedoch etwas weiter unten an der Tafel, da schwere Festumhänge kunstvoll über den Lehnen der Sessel neben mir drapiert wurden. Ich setze mich, erleichtert, dass ich nicht mehr diese absurden Begrüßungen entgegennehmen muss. Wir sind doch keine Monarchie mehr. Okay, nicht ganz, vielleicht Muggelengland noch, aber ansonsten? Wir haben ein Ministerium! Meine Finger spielen mit dem Stiel des neuangefüllten Glases vor mir. Stühle neben mir werden gerückt. Ich vermisse Benj. Er meinte, er hat heute wieder bis spät in die Nacht Ausbildung, aber er würde nach Spes Manor kommen, sobald seine Einheit aus ist. Vorfreude steigt kribbelnd in mir auf. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als heute Abend wieder in seinen Armen einzuschlafen. Das Klingen von Glas holt mich aus meiner Welt zurück. Der Ton schwebt über die Menge hinweg und lässt die Gespräche abebben.
„Meine Lieben", Lieselotte hebt ihre Stimme, sodass sie laut und klar durch den Raum schwebt, „Ich darf euch ganz herzlich zur 794. Reinblüterversammlung im Hause Körner begrüßen." Ich höre ihr gerne zu, doch nach den ersten paar Sätzen wandern meine Gedanken und meine Augen bereits wieder. Magier und Hexe sitzen sie aneinandergereiht, die Damen und Herren. Ich fange James Blick auf, der prüfend auf mir liegt. Ich lege meinen Kopf kurz schief, sende ihm die deutliche Frage, doch er sieht durch mich hindurch. Wenn er mich überhaupt ansieht. Ich folge ihm und als ich mich zur Seite drehe, stolpert mein Herz abermals. Was. Zu. Merlins. Unterhose. Wieso sitzt er hier? Mit einem Mal ist der Raum zu klein und er zu nahe. Was denkt er sich dabei? Sengend verbrennt mich seine Nähe. Auch wenn ich über ihn hinweg bin, schmerzt sein Verrat immer noch. Ich richte mich so unauffällig wie möglich auf, wodurch ich ein paar Zentimeter Abstand mehr zwischen uns bringen kann. Wieso, Merlin? Ich sammle all meine mentale Kraft und atme innerlich tief durch. Es ist nur dieser Abend. Ich kann durch diesen Abend kommen. Nunquam amitte Spem. Beinahe entkommt mir ein belustigtes Schnauben. Jaja, nunquam amitte Spem.
Das Essen zieht sich eine Ewigkeit und so gut auch die Speisen und Gespräche sind, ist Tobys Nähe dennoch unangenehm. Hat er nicht letztes Jahr mehr oder weniger gesagt, dass er nicht mehr bei solch einer Versammlung anwesend sein will? Oder war es sein Plan mich loszuwerden? Ich tue mein Bestes nicht zu ihm hinüber zu sehen. All diese Fragen machen mich noch fertig. Ich kann endlich erleichtert aufatmen, als sich die Mitglieder der Versammlung, eingeschlossen eines dunkelhaarigen, angehenden Heilers im Raum verstreuen und das Quartett ein Stück ansetzt. Ich unterhalte mich bei meinem dritten Glas Elfenwein mit Helena Flatland, die nun in Norwegen die ersten Auswirkungen des Muggelhasses mitbekommt. Es fasziniert mich auf eine groteske Art und Weise, wie in Großbritannien bereits ein Krieg am Wachsen ist, während sich in anderen Ländern erst beginnende Unruhen erheben.
„Das ist wirklich besorgniserregend, weil – Oh! Bär, hörst du das? Wie wundervoll unser Hochzeitstanz!" Sie ist flink auf ihren Beinen und zieht ihren schmunzelnden Gatten mit sich auf die Tanzfläche, als das Klavier anstimmt. Ich gluckse. Wie süß. Ich betrachte das rege Treiben der Tänzer, als sich James neben mich fallen lässt.
„Und? Fandest du das Essen auch so... entspannend wie ich?" Ich kann das schiefe Grinsen schon aus seiner Stimme heraushören.
„Haha, Krone", ich rolle mit den Augen, „ich bin vor Anspannung halb gestorben." Ich kneife meine Augen zusammen, als sie dem jungen Mann folgen „Was hat er nur vor? Ich meine, man sollte dich denken, dass ein ehemaliger Ravenclaw kapieren sollte, dass man sowas nicht macht."
„Du kennst meine Meinung", erklärt James düster, „Benj ist gut für dich. Er hilft dir wieder Hoffnung zu fassen. Toby. Da war so viel Dunkelheit." Rührung wärmt mich aus meinem Innersten heraus, doch ich fühle wieder die spitzen Zähne der Schuld an mir nagen.
„Es war nicht seine Schuld", werfe ich heiser ein, „Und ich denke, das weißt du auch irgendwo, James."
„Er hätte mehr tun können."
„Es ist vorbei."
„Ich weiß."
Die Röcke der Tänzerinnen wirbeln zwischen Umhängen umher und verschwimmen mit der Melodie des Klaviers.
„Lily hat mir ein Weihnachtsgeschenk geschickt."
Ich wende mich so schnell zu ihm, dass mein Wein beinahe überschwappt.
„Was?? Wirklich?" James geröteten Wangen sprechen Bände.
„Wieso erfahre ich das erst jetzt? Was ist es?" Neugier übertönt all die unguten Gefühle.
„Ein Kamm", gluckst er. Bei meinem verständnislosen Blick fügt er an: „Es ist ein Insider, weil ich bei den Schulsprechersitzungen immer noch schlimmer aussehe als sonst, aber das liegt einfach an den Dingen, die wir klären müssen."
„Die ‚Dinge, die ihr klären müsst' ..."
„Emmi!", rote Flecken klettern seinen Nacken hinauf, „Das machen wir ganz sicher nicht, bei den Sitzungen
Ich gluckse. „Jaja, schwache Verteidigungsrede. Daran musst du noch arbeiten."
Er schenkt mir nur ein gernevtes, wenn auch amüsiertes Lächeln.
Wir sitzen also da und unterhalten uns über Merlin und die Welt, bis Clarie ihren Sohn aufgeregt mit sich zieht, denn Mr. Brown kennt den Captain der Harpies und er muss ihn unbedingt kennenlernen. Die Atmosphäre hüllt mich ein, weich, sicher, doch eine angebotene, flache Hand reißt mich aus meiner Trance.
„Darf ich um diesen Tanz bitten?" Ich würde die Stimme unter tausenden erkennen. Mein Blut stockt in meinen Adern, nein mein gesamter Körper scheint vergessen zu haben, wie man richtig funktioniert. Abgesehen von meinem Unterleib, der sich mit einem Mal schmerzhaft zusammenzieht. Meine Gesichtszüge entgleisen für einen Moment, während mein Blick hilfesuchend durch den Raum huscht, bevor er schließlich die grünen Augen findet, die ich einmal so gut gekannt habe. Doch jetzt kann ich kein einziges Wort in ihnen lesen. Meine Lippen öffnen und schließen sich. Kann ich das überhaupt? Oder ... ist das Benj fair gegenüber? Aber ich kann auch schlecht ablehnen, oder?
„Uhm, meine Füße..."
Ein sanftes Lachen entfährt ihm und da ist es wieder, in seinen Augen. „Madam-"
Ich schnaube. Meine ohnehin schon etwas dünnen Nerven zu spannen, ist wahrlich keine gute Idee. „Bitte, verschone mich mit dem „Madam Spes" Gelaber."
Sein Lächeln wird breiter. „Em... Emily, das Argument hatten wir schon einmal. Es zählt immer noch nicht."
Sein selbstgefälliger Ausdruck bringt mein Blut zum Kochen, doch ich kann mich am meisten über mich selbst ärgern. Das habe ich gut eingefädelt. Innerlich über mich jammernd, ergreife ich also seine Hand und lasse mich von ihm auf die Beine ziehen.
„Na schön."
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