12. Kapitel It comes and goes in waves
Breathe in. Breathe out. This wave will recede too.
Die nächsten Wochen verstreichen. Kühl und silbern hängt der Nebel über dem See und in den Spitzen der Baumwipfel des verbotenen Waldes fest. Der Novemberwind fegt über das Schloss hinweg und lässt uns atemlos und vor Kälte bebend zurück. Scheiß Isolierung wirklich. Ich wickle meinen Umhang fester um mich, als ich zum Gryffindorturm hinauf haste, Pergamentrollen, die gerade in der Bibliothek mit ellenlangen Aufsätzen verziert wurden, unter meinen Arm geklemmt und Haarsträhnen überall, aber ja nicht in meinem Zopf. Nach Luft schnappend komme ich endlich oben an. Die Sonne ist schon lange verschwunden, sodass nur die langen Schatten der flackernden Fackeln am Gang Licht spenden. Die fette Dame öffnet das Portraitloch, sobald sie meinen finsteren Blick bemerkt. Wundervoll.
„Danke", murmle ich und husche schnell in den Gemeinschaftsraum. Die Wärme, die mir entgegenströmt, lässt mich wohlig schaudern. Die Spannung in meinen Muskeln löst sich etwas, als ich mich die vertraute Treppe hinaufbegebe, die Schlafsaaltüre aufstoße und eben jenen durchquere, um mein Zeug auf meinem Bett abzuladen. Ein erleichtertes Seufzen entfährt mir. Endlich.
„Wo sind die andren?", will ich wissen, während ich meinen Umhang von meinen Schultern gleiten lasse.
„Ausgeflogen", erwidert Mary und sieht von ihrem Buch auf, „Alice bei Frank, Marlene wollte mit Victoire noch in die Küche, Lily weiß ich nicht, aber Juliet ist bei Black." Ich muss grinsen. Die beiden sind so süß zusammen. Sie sind zwar noch in der „verliebt, aber schüchtern" - Phase (Sternchen schüchtern!), aber sie können trotzdem keine fünf Minuten voneinander getrennt sein, habe ich das Gefühl.
„Apropos ausgeflogen. Eine Eule hat einen Brief dagelassen. Ich hab ihn auf dein Nachtkästchen gelegt."
„Mh", mache ich erfreut, „Danke." Benj. Seit seinem letzten Brief sind fast eineinhalb Wochen vergangen. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, obwohl ich versucht habe mir zu sagen, dass er vermutlich nur viel für die Ausbildung zu tun hat. Ich greife nach dem Kuvert neben meinem Bett und breche mit flinken Fingern das Siegel, um das Pergament herauszuholen. Ich entfalte es hastig und beginne zu lesen.
Hey Emmi,
ich weiß, es ist viel Zeit seit meinem letzten Brief vergangen und das tut mir leid. Es war einfach so viel zu tun. Nachdem sie die Dauer der Aurorenausbildung auf ein dreiviertel Jahr gekürzt haben, wird unser Pensum immer mehr gestaucht und ich komm kaum noch mit dem ganzen Zeug nach. Es ist gerade halb eins in der Nacht und wir sind immer noch im Ministerium. Nur noch zwei Stunden, dann können wir nach Hause. Ich vermisse dich, ich bin so müde und würde gerade nichts lieber tun, als mich zu dir in ein Bett zu kuscheln und zu schlafen. Naja, ein bisschen mehr als ein Monat noch. Merlin, du fehlst mir.
Mein Mentor hat mit mir über die Möglichkeit gesprochen, ihn gegen Ende des Trainings auf einer Mission zu begleiten. Ich bin mir noch nicht sicher, aber ich denke, dass wäre eine super Gelegenheit, um Erfahrung für die folgenden Missionen zu sammeln. Ich weiß, du machst dir Sorgen, aber ich denke ich werde sein Angebot annehmen. Aber darüber reden wir zu Weihnachten, okay?
Erzähl, wie war die Woche so? Wie geht es unseren geliebten Ships? Wie siehts bei Lily und James aus? Tut mir leid, dass der Brief so kurz geworden ist, ich hab nicht lange Pause.
Ich vermisse dich.
In Liebe
Benj
Das Pergament in meiner Hand bebt. Sie haben was? Die Aurorenausbildung gekürzt? Um ein dreiviertel Jahr?? Eisig hängt ein Kloß in meiner Kehle fest, während die Schrift vor meinen Augen verschwimmt, meine Sicht verschwimmt und das Dröhnen in meinem Kopf anschwillt wie ein Gebirgsbach an einem warmen Tag im beginnenden Frühling. Ich versuche ruhig zu atmen. Das ist nicht lange genug. sie werden nicht gut genug sein. Sie würde ausgelaugt und zu wenig ausgebildet auf das Schlachtfeld geschickt werden, um dann von Todessern wie Mastschweine hingerichtet zu werden. Vor meinem inneren Auge flackern Bilder von umherwirbelnden Flüchen und spritzendem Blut auf. Und ich komme nicht umhin Benj zu sehen, wie er kämpft, wie er fällt. Der Schmerz in meiner Brust wird immer stärker, hüllt mich ein und lässt mein Denken vernebeln. Ich ringe nach Atem. Ein durch die Nase, aus durch den Mund. Ich streite mich mit meiner Panik um die Kontrolle über meinen Körper, zwinge mich zu atmen und für einen Moment an nichts andres zu denken als zu atmen. Ein durch die Nase, aus durch den Mund.
„Emmi?", eine vertraute Stimme dringt dumpf durch den Nebel zu mir, „Hey, ich bin da." Mena. Ich ringe immer noch nach Luft. Das Papier entschwindet dem Griff meiner Finger. Das Bett neben mir senkt sich, bevor sich zwei dünne Arme um mich legen. Immer noch drehen sich meine Gedanken wie ein Karussell auf einem Jahrmarkt, mit immer schneller blinkenden und blitzenden Lichtern und lautem Gegacker und Gejohle und es dreht sich immer weiter. Luft.
Mit einem Mal überkommt mich Ruhe wie eine Welle, die sanft an das Ufer des schwarzen Sees schwappt. Luft strömt durch meine Lunge, sanft und kühl. Meine Sicht wird klarer, der Schmerz ebbt ab.
„Besser?", will sie sanft wissen. Ich nicke.
„Danke", flüstere ich heiser.
„Was ist los?"
„Benj", ich atme tief ein, um die Angst zu verdrängen, die erneut in mir aufzusteigen droht. Marl Augen weiten sich erschrocken. Schnell spreche ich weiter, um ihr keine Zeit zu lassen sich schlimmste Szenarien auszumalen: „Sie haben das Aurorentraining um die Hälfte gekürzt. Er wird vielleicht ab, weiß ich nicht März oder April, an Missionen teilnehmen." Meine Stimme klingt rau als sei es ein ausgetrocknetes Flussbett.
„Was?"
Ich nicke und lehne mich an sie. Ihre Wärme bringt mir Ruhe. Sie ist noch da. Alles ist gut. Sie ist noch da.
„Fuck."
„Ich hab Angst, Mena", wimmere ich, „Was wenn er nicht zurückkommt. Was wenn er – was wenn sie jetzt schon in Gefahr sind oder – oder ich weiß nicht. Was wenn", meine Gedanken beginnen wieder zu rasen. Ich zwinge mich ruhig zu atmen. Schließe kurz die Augen und als ich sie wieder öffne, bringe ich hervor: „Was ist, wenn er es nicht schafft? Was ist, wenn wir's nicht schaffen?"
„Nein, so denken wir gar nicht erst", unterbricht sie streng meinen Gedankengang. Ihr Daumen malt vorsichtige Kreise auf meine Schulter. „Wir schaffen das. Wir alle. Benj ist ein verdammt guter Zauberer und wird ein umso besserer Auror sein. Er ist stark. Er wird das meistern und den ganzen Todessern in den Arsch treten. Und wir genau so. Wir sind super, wir schaffen das. Und in einem Monat, zu Weihnachten, werden wir nach Hause fahren und am Bahnhof wird Benj stehen und dich in die Arme nehmen. Es wird alles gut, weißt du?"
Ich nicke nur, mein Kopf auf ihrer Schulter abgelegt und versuche ihr zu glauben.
„Ich vermisse ihn", sage ich leise.
„Ich weiß", murmelt Marl, „Ich weiß. Bald Emmi."
oOo
Schnee beginnt zuerst leicht - wie segelnde Diamanten im Wind - und dann stärker - als sei der Schaum der stürmenden See in den Himmel gestiegen - zu fallen. Meine Augen sind rot und verschwollen, was nicht nur an der Erkältung liegt, die ich mir eingefangen habe. Vollmond kommt und geht, Kratzer kommen und werden zu Narben, Alpträume kommen und Nächte vergehen. Immer wieder sehe ich die Moire, sehe Blut, sehe meine Freunde, Mena, sehe Benj sterben. Und ich weiß nicht, was ich tun soll. Die starke Spes Erbin wird schwächer. Ich sage Zoe Fink, dass sie die Reinblüterversammlung an eine andere Familie abgeben soll. Ich kann nicht. Ich versuche einfach nur es durch die Tage zu schaffen, zu atmen, die Angst und Panik in mir unter Kontrolle zu behalten. Ich versuche verbissen mit dem Stoff mitzuhalten und weiter am Edelsteinorchester zu arbeiten. Ich weigere mich, die Dunkelheit gewinnen zu lassen. Ich weiß, was mit mir passiert, aber ich weigere mich es geschehen zu lassen. There is still a fight left in me.
Mein Körper bebt. Im Schneidersitz befinde ich mich am Boden, lasse die Kraft, die Energie der Zukunft durch mich strömen. Ich befinde mich an so vielen Orten zugleich. Meine Muskeln fühlen sich an, als brenne ein Feuer in ihnen, mein Kopf scheint zu bersten und Sterne, flimmernde Farben flackern vor meinem inneren Auge auf. Zeitpunkte am Strahl der Geschichte und der Zukunft. Ich versuche zu wandern. Zu einem Vollmond zu wandern, einem bestimmten Punkt. Einem Geschehnis. Dunkelheit umgibt mich. Kälte. Schnee unter meinen Knien. Morast und Rinde umgeben mich. Der Geruch von nassem Fell, nassem Boden, nassem Wald strömt zusammen mit der Nachtluft in meine Lungen. Schnee wird zu Wasser, als er schmilzt. Wind zerzaust mein Haar. Gleisend hängt der Vollmond am Nachthimmel. Warmes, orangenes Flackern wirft Schatten auf die hohen, breiten Stämme des verbotenen Waldes. Eine kleine Gestalt sitzt zusammengekauert an der Feuerstelle als warte sie. Es ist still, nichts als das Rauschen der Baumkronen und das Knistern der Flammen zu vernehmen. Bevor meine Gedanken weiterziehen können, zu einem anderen Punkt der Zeit, zerreißt ein lautes Jaulen die Ruhe. Blut scheint in meinen Adern zu gefrieren, doch das Mädchen ist nicht vor Angst versteinert. Es richtet sich auf und sieht dem Wolf entgegen, der sich aus den Schatten erhebt. Dunkle Gestalten positionieren sich hinter dem Werwolf, hinter dem Mädchen. Mit wenigen Sätzen überquert das Tier die Distanz zwischen ihnen. Die junge Frau weicht zurück, doch dann hält sie inne. Der Wolf erreicht sie und schneller als ich sehen oder irgendeine der dunklen Gestalten eingreifen kann, versenkt er seine Zähne in ihrem Fleisch. Ein Kreischen entfährt ihr, ein Hirsch stößt den Angreifer von ihr weg. Die Wucht des Aufpralls der beiden Tiere lässt sie stolpern. Direkt in die Flammen. Die Schreie sind markerschütternd. Sie hallen im Wald wider, werden vom Schnee verschluckt.
Angst lähmt mich und nimmt mir den Atem. Nun rangelt eine weiße Gestalt den Wolf nieder. Ich. Ich ringe ihn nieder. Mary windet sich in den Flammen. Ein Hund hechtet ihr hinterher und zerrt den Körper aus dem Feuer, während sein eigenes Fell zu brennen beginnt. Sobald das Mädchen auf dem Waldboden zu liegen kommt, beginnt Tatze sich jaulend und winselnd im Schnee zu wälzen. Verbanntes Fell und erlöschende Flammen steigen meine Nase. Was haben wir getan? Warum haben wir das getan? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wie kann ich so etwas zu gelassen haben? Bevor ich noch meine Gedanken sortieren und meine Fragen beantworten kann, reißt ein gleisendes Licht meine Aufmerksamkeit an sich. Marys Körper umgibt ein Strahlen und in glühendem Weiß beginnt ihre Verwandlung. Ich kann nur starren. Das nächste Bild vor meinen Augen ist ein mächtiger, weißer Wolf am Rande des Waldes.
Ich reiße meine Augen auf. Mein Herz, das noch vor wenigen Sekunden gerast hat, schlägt ruhig und kraftvoll. Ich versuche mir jedes Fitzelchen der Erinnerung vor Augen zu halten, als ich mein Notizbuch aufschlage und zu schreiben beginne. Es wird funktionieren. Mary hat das Gen. Erleichterung und Tatendrang durchströmt mich wie die Flut einen ausgehöhlten Felsen. Ich halte inne. Das letzte Mal, das ich mich so... lebendig gefühlt habe, war Halloween. Danke, flüstere ich dem Universum in Gedanken zu. Für alles. Dafür, dass die Freunde, die ich jetzt gerade habe, noch am Leben sind, dass Benj noch am Leben ist, dass die Prophezeiung recht behalten wird, dafür dass ich endlich wieder etwas fühle. Traurigkeit und Verzweiflung tun weh, aber ich ziehe es immer noch der Leere vor, die mich verschlungen hat. Sarah, Cassy, Jackson. Ich versuche meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Mena, leblos am Boden. Paulinas Leere Augen. Der brennende Junge. Es ist alles gut. Marl ist am Leben, sie sitzt gleich unten im Schlafsaal. Morsiras schwarzes Blut. Feuer. Lilys kraftlose Gestalt in James Armen. Ruhig. Es ist vorbei. Es ist alles gut, sie sind sicher. Sirius am Turm, an der Kante im strömenden Regen. Wahnsinnige Augen. Ich richte mich auf, Tränen verschleiern meine Sicht. Ich stolpere am großen, langen Tisch im Aufenthaltsraum entlang, zur Leiter nach unten. Irgendwie schaffe ich es nach unten. Alice sieht auf, erblickt mich und ehe ich etwas sagen kann, sind ihre Arme um mich geschlungen. Ich atme zittrig aus.
„Es ist alles gut", murmelt Alices sanfte Stimme in mein Ohr. Ihre Wärme durchflutet mich wie Sonne einen Raum an einem klaren Herbsttag. „Wir sind da. Es geht uns gut. Du bist in Sicherheit. Es ist alles gut."
Ich versuche ihr zu glauben, meinen Gedanken zu entkommen, die sich stetig weiter nach unten schrauben. Wir stehen da und warten. Warten bis die Angst in mir zur Ruhe kommt.
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