Kapitel 4 - Trautes Heim
Nachdem wir unsere Sachen gepackt hatten, liefen wir durch den Wald zurück zum Strand. Es war wie am Tag zuvor so feuchtwarm, dass ich schnell ins Schwitzen kam. Wobei »schwitzen« das falsche Wort war, für das, was wirklich bei mir passierte. Mir war nur verdammt heiß, nass oder klebrig fühlte sich die Kleidung und auch meine Haut überraschenderweise nicht an. Es hatte ein bisschen was von einem Fisch auf dem Trockenen.
Am Strand stiegen wir in das schlichte weiße Motorboot, das wir uns am Hafen gemietet hatten, und das noch an genau der gleichen Stelle im Sand steckte, wo wir es gestern zurückgelassen hatten.
»Was meinst du, war es den Ausflug wert?«, fragte Zoey, als der Hafen immer deutlichere Umrisse annahm.
Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht, aber die Insel ist schon was Besonderes. Ich verstehe Dad in dieser Hinsicht.«
Und während ich so auf das klare, blaue Wasser unter uns starrte, blitzte eine winzige Erinnerung vor meinem geistigen Auge auf. Ein unterirdischer See bei Nacht. Der Vollmond. Lichtpartikel, die in die Höhe aufstiegen – und ich mittendrin. Vielleicht wusste Dad von dieser Grotte, in der ich aufgewacht war und wollte, dass wir sie mit eigenen Augen sahen. Aber wozu?
Es war noch Vormittag, als wir endlich Zuhause ankamen. Mom begrüßte uns herzlich. Strahlend führte sie uns in die Küche, wo ein reichliches Frühstück auf uns wartete. Trotz ihrer Fröhlichkeit wusste ich, wie sehr sie sich um uns gesorgt hatte. »Setzt euch, ihr müsst hungrig sein nach diesem Ausflug!«, forderte sie uns auf.
Ich ließ mir das kein zweites Mal sagen und lud meinen Teller mit so ziemlich allem voll: Rührei, Speck, Pfannkuchen mit Kakaocreme und Erdnussbutter. Und auch ein bisschen Obst, damit sowohl Mom als auch Zoey nicht sagen konnten, ich würde mich nur ungesund ernähren.
Nachdem sie in ihrem Zimmer verschwunden war, um sich umzuziehen, belud Zoey ihren Teller mit einer überschaubaren Portion an Rührei. Mom hatte Zoeys verdreckte Kleidung nur mit dem Heben ihrer Augenbraue in meine Richtung quittiert. Sie wusste, was passiert wäre, hätte sie Zoey darauf angesprochen. Ich zuckte mit den Achseln und wagte einen vorsichtigen Blick in Zoeys Richtung. Mom nickte. Sie verstand, was ich ihr mitteilen wollte. So hatten wir uns kurz und ohne Worte verständigt.
Als wir nun alle gemütlich am Esstisch saßen, sah uns Mom erwartungsvoll an. »Und? Erzählt schon! Wie war es?« Ihre Augen glitzerten aufgeregt. Augen, die so blau wie der tiefste Ozean leuchteten, und die sie uns beiden, Zoey und mir, vererbt hatte.
Bildete ich mir das nur ein, oder wusste sie etwas, was wir nicht wussten, und hängte das alles mit der Insel zusammen?
Zoeys Kopf fuhr in die Höhe. »Es ist nichts passiert, Mom«, meinte sie mit gerunzelter Stirn. Anscheinend verstand sie Moms Neugierde ebenso wenig wie ich. »Wir haben uns nur ein bisschen umgesehen, uns einen Schlafplatz ausgesucht und die Nacht durchgeschlafen. Dann sind wir wieder zurück«, erzählte sie anschließend.
»Aber es war doch Vollmond?«, fragte Mom weiter und sah uns beide wieder abwechselnd mit diesem seltsamen Blick an. Bei dieser Frage kribbelte plötzlich meine Kopfhaut. Irgendwie war ich alarmiert, aber ich hatte keine Ahnung warum. Nun fixierte Mom mich durchdringend.
»Was?«, fragte ich mit meiner besten Unschuldsmiene, nicht nur um die Situation zu entschärfen. Was auch immer hier gerade passierte. »Ehrlich, ich habe Zoey schlafen lassen. Und ihr keine ekligen Krabbelviecher in den Schlafsack gelegt, ich schwöre es!« Beschwichtigend hob ich die Hände.
Mom lächelte leicht, der seltsame Blick verschwand.
Zoey hob dafür empört den Kopf und starrte mich mit offenem Mund an. »Du. Hast. Was?«, kreischte sie fast. Ich musste mich beherrschen, nicht die Augen zu verdrehen. Sie verstand natürlich wieder nur das, was sie hören wollte – typisch. »Das war's, Kaycie. Mit dir werde ich nirgendwo mehr hingehen. Nie wieder!«, keifte sie aufgebracht. Ruckartig stand sie vom Tisch auf, bevor sie polternd in ihr Zimmer stürmte und mit lautem Krach die Tür zuschlug.
Mom und ich sahen uns verdutzt an. »Was hat sie denn?«, fragte sie und runzelte die Stirn.
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ihre Tage«, vermutete ich ratlos. »Ich hab doch deutlich gesagt, dass ich sie in Ruhe gelassen habe«, fügte ich murmelnd hinzu. Meine Schwester war ein Mysterium für sich. Egal, was man machte, in ihren Augen stellte man es grundsätzlich falsch an.
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