Kapitel 39 - Jagd nach dem magischen Stein
»Was denkt ihr, wo könnte sich der Stein befinden?«, fragte Oscar in die Runde.
»Ich schätze in der Nähe der Grotte. Das wird dann wohl meine Aufgabe sein, schließlich bin ich die Meerjungfrau«, erwiderte ich.
»Ich würde sagen, wir fahren zur Insel und suchen alles gründlich ab. Wer sagt denn, dass sich der Stein zwingend Unterwasser befindet«, warf Zoey ein.
Oscar machte eine zustimmende Geste in Zoeys Richtung. »Klingt plausibel. Also morgen um acht am Hafen?«
Zoey und ich nickten gleichzeitig.
Oscar hob beide Hände und lachte. »Wow, das ist echt gruselig, wenn ihr das macht!«, stellte er fest.
»Hast du nicht noch was zu tun?« Zoeys Tonfall nahm eine Schärfe an, die mich alarmiert aufhorchen ließ. Mir schien es, als wollte sie ihn möglichst schnell loswerden. Meine Stirn runzelte sich, und ich ballte die Hände zu Fäusten. Musste ich jetzt schon wieder auf der Hut vor ihr sein?
Oscar erhob sich und klemmte den Laptop lässig unter seinen Arm. »Ist ja gut ... Ich geh schon.« Er umarmte mich zur Verabschiedung, und Zoey klopfte er zaghaft auf die Schulter. »Bleib noch eine Weile so«, murmelte er, bevor er mein Zimmer verließ.
»Warum musst du ihn immer gleich so rausscheuchen?«, fragte ich, die Arme vor der Brust verschränkt.
Zoey schnalzte mit der Zunge. »Weil ich noch etwas mit dir besprechen muss.« Als wäre das eine Rechtfertigung für ihr grobes Verhalten Oscar gegenüber.
»Ach ja? Und was wäre das?«
»Es geht um Moms neuen Freund.«
Ich hob eine Augenbraue. »Hast du etwa auch sein Licht gesehen?«
Sie nickte. »Seine Absichten sind nicht rein. Er hat eine dunkle Seite«, bestätigte sie meine insgeheime Vermutung.
Mir schwante schon etwas, während ich ihn mit dem Wein hatte herumhantieren sehen. Irgendetwas lief nicht ganz richtig bei ihm. »Und was sollen wir deiner Meinung nach tun?«
»Wir müssen Mom davon überzeugen, dass er nicht der Richtige für sie ist.«
Als wäre das so einfach. Wenn Mom sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann reagierte sie nicht anders wie wir: Sie war stur. Es würde verdammt schwer werden, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
Am nächsten Morgen weckte mich das Klingeln meines Weckers. Von allein kam mir nicht in den Sinn am Sonntag gegen halb acht aufzustehen. Die Sonne ging gerade erst auf. Da gab es nichts Besseres als sich noch einmal umzudrehen und erneut weg zu dämmern. Aber da uns die Zeit davonlief, wurde ich von einer Unruhe gepackt, die mich schließlich aus dem Bett zwang.
Ich wechselte meine Kleidung und machte mich frisch, bevor ich die Küche betrat, in der Zoey am Esstisch hockte und soeben ihr Frühstück beendete. Wie machte sie das, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben? Und wann stand sie eigentlich auf? Es war mir ein Rätsel. Aber vielleicht benutzte sie dafür einfach ihre Hexenfähigkeiten.
»Auch schon wach? Wir haben nur noch zehn Minuten«, drängte sie.
Ich verdrehte meine Augen. »Jetzt krieg dich mal wieder ein. Oscar ist bestimmt auch nicht überpünktlich«, brummte ich und gähnte demonstrativ.
Zehn Minuten später stand Zoey genervt an der Haustür und wartete ungeduldig auf mich. In der Zwischenzeit eilte ich durch diverse Zimmer und suchte meine Habseligkeiten zusammen. Weitere fünf verstrichene Minuten war ich endlich auch so weit. »Können wir?«, fragte ich gut gelaunt, was Zoey empört aufschnaufen ließ.
Am Hafen hatte Oscar bereits ein Boot gemietet. Wir kamen gerade rechtzeitig dort an, als er in das weiße Motorboot sprang und seinen Rucksack im Fußraum verstaute. »Ah, da seid ihr ja. Alles einsteigen!«, begrüßte Oscar uns fröhlich grinsend.
»Hast du irgendwelche Drogen genommen?«, fragte Zoey daraufhin.
Er zuckte mit den Achseln. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Hi«, sagte ich etwas lahm, weil mir plötzlich die Worte fehlten.
»Hi.« Oscar lächelte mich warm an, seine blauen Augen leuchteten geradezu, was ein seltsames Kribbeln in mir auslöste.
Gestern hatte ich es so gut wie möglich verdrängt, aber meine Gefühle für ihn waren definitiv noch da. Wenn ich mich nicht täuschte, dann waren sie sogar noch stärker als zuvor. Ich schluckte schwer, sprang nach Zoey in das Boot und nahm neben ihr Platz, während Oscar in meinem Hirn herumspukte.
Die Fahrt zur Insel verlief recht schweigsam. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Vermutlich schwang auch ein bisschen Aufregung mit, schließlich wussten wir nicht genau, wo wir mit der Suche des Steins beginnen sollten. Wir würden die Nadel im Heuhaufen suchen müssen. Und der war ziemlich groß. Die Nadel vergleichsweise winzig.
Das Boot ließen wir am Strand zurück. Als wir unsere Rucksäcke geschultert hatten, wandte sich Oscar an uns: »Irgendwelche Vorschläge?«
»Zuerst die Grotte«, warf ich ein, ohne groß darüber nachzudenken. Dieser Ort schien mir am erfolgversprechendsten.
»Irgendwelche Einwände?« Er schaute in die Runde, doch Zoey blieb stumm, die Augen nur ein klein wenig zusammengekniffen. »Gut, dann nichts wie auf zur Grotte.«
Wir marschierten in einer Reihe los. Es wurde zunehmend heißer. Die frische Morgenluft wich einer schwülen, stickigen, die sich anfühlte, als sei sie stehengeblieben. Oscar und Zoey lief der Schweiß an den Schläfen hinunter, ihre Kleidung war nass und klebrig. Obwohl ich nicht schwitzen konnte, fühlte ich mich dadurch nicht besser. Ich sehnte mich nach einer Erfrischung, die den Durst in meiner ausgedörrten Kehle löschte, und so war mein Vorrat an Trinkwasser rasch aufgebraucht. Zoey und Oscar schien es ganz ähnlich zu gehen.
»Hier gibt es nicht zufällig eine Quelle, oder?«, fragte Zoey etwa nach der Hälfte des Weges. Heute kam mir die Strecke noch länger vor wie sonst.
Oscar sah sich nachdenklich um. »Kaycie, erinnerst du dich noch daran, wie du das Wasser im Pool bewegt hast?« Überrascht fuhr mein Blick zu ihm. Nein, daran hatte ich wirklich schon länger nicht mehr gedacht. »Meinst du, du kannst das Wasser irgendwie aufspüren?«
»Ich weiß nicht ...«, stammelte ich, während ich fieberhaft überlegte, wie ich das am besten anstellen könnte. »Aber ich kann es ja mal versuchen.«
Konzentriert schloss ich die Lider, und erinnerte mich an das Gefühl, wenn ich schwerelos Unterwasser trieb. Ich bündelte meine Sinne auf diese Empfindungen, spürte die Schwingungen, die es aussandte und den Geschmack, den es in meinem Mund hinterließ. Salziges Wasser hing überall in der Luft um uns herum, doch darunter vernahm ich noch etwas anderes. Es war nur ein kleiner Hauch ... und dennoch greifbar. Ich riss die Augen auf. »Ich habe es gespürt! Es gibt hier in der Nähe Süßwasser«, rief ich triumphierend aus.
Die beiden folgten mir, während ich mich zielstrebig durch das Unterholz kämpfte. Die Bäume standen eng beieinander, die Wurzeln waren lang und miteinander verschlungen. Man musste genau aufpassen, wo man hintrat. Schließlich erreichten wir eine überschaubare Lichtung, in deren Mitte sich eine Steinformation auftat, und daraus spross eine Quelle. Das Wasser floss an dem Stein hinab und hatte einen kleinen Bach in den Boden gegraben.
»Wow, das sieht ja voll magisch aus«, rief Oscar staunend aus.
Wir füllten unsere Flaschen mit dem klaren Wasser und setzten unseren Weg nach einer kurzen Pause fort. Irgendwann stolperten wir beinahe über die Höhle, deren Eingang sich perfekt in der Umgebung tarnte. Erleichtert krochen wir in das kühle Innere. Wir stellten unsere Taschen an der Felswand ab.
Den Mund sperrangelweit geöffnet sah sich Zoey um. »Hier hast du also die ganze Zeit gesteckt.«
Ich nickte.
»Dieser Ort ist wirklich etwas ganz Besonderes.«
Oscar klatschte in die Hände. »Wollen wir dann loslegen? Ich sage es nur ungern, aber nach diesem Tag haben wir nur noch zwei – und das ist echt nicht viel Zeit«, trieb er uns samt einem zerknirschten Gesichtsausdruck an.
»Du hast recht. Ich sehe mich gleich mal um.« Damit sprang ich in das Wasser des Mondsees. Meine Kleidung legte ich nach der Verwandlung an den Rand des Sees ab.
»Viel Glück«, wünschte mir Zoey.
Aufmunternd zwinkerte ich ihr zu. »Ebenfalls.«
Unterwasser tastete ich mich Stück für Stück voran, inspizierte jeden Stein und jeden Felsen genau. Ich wusste, dass der Stein bläulich schimmerte. Er war nicht groß, also musste ich umso penibler bei der Suche sein. Die Steinformationen unterhalb der Insel waren gigantisch. Es wirkte, als sei die Insel aus genau einem Punkt hervorgebrochen. Ich schwamm näher an diesen Punkt heran, wo sich der Grund etwa dreißig oder vierzig Meter unterhalb der Wasseroberfläche befand. Ich verspürte nicht das geringste Gefühl atmen zu müssen, auch hatte ich keinen Druck auf den Ohren. Hier unten fühlte ich mich pudelwohl.
Wie bei dem Stein, zogen sich in der gleichen Farbe vereinzelt elektrisch blaue Adern durch die Felsen. Ich folgte ihnen, und je weiter ich nach unten zum Grund gelangte, desto stärker leuchteten sie zwischen dem grauen Gestein hervor. Der Ursprung dieser Adern stammte ziemlich sicher von dem Stein, den Mackenzie einst ins Wasser geworfen hatte, nachdem der Fluch ausgesprochen war.
Jedoch stand ich nun vor einem Problem: Er war vollkommen von Felsen umschlossen. Wie sollte ich ihn da rausbekommen? Da fiel mir wieder ein, wie ich das Trinkwasser auf der Insel aufgespürt hatte, wie ich vor wenigen Wochen daraus eine Kugel geformt und Zoey damit zu Boden gerissen hatte. Das Element, mit dem mir all das möglich gewesen war, befand sich in Massen um mich herum. Ich musste es lediglich nutzen, es für mich arbeiten lassen. Nur so kam ich an den Stein.
Entschlossen schwamm ich die letzten Meter darauf zu und legte meine Hand an den Felsen, der am bläulichsten schimmerte. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich darauf. Zuerst passierte nichts. Enttäuscht wollte ich die Lider wieder öffnen, fühlte aber plötzlich ein starkes Pulsieren, wie einen Herzschlag unter meiner Haut. Als hätte meine Berührung den Stein in der Formation aktiviert, zum Leben erweckt.
Ein wahres Glücksgefühl durchströmte meinen Körper. Ich ließ meine Kraft auf diesen Punkt, der am stärksten pulsierte, fließen. Das raue Gestein unter meiner Hand begann zu glühen. Es wurde heiß, und erst als ich mir beinahe die Finger daran verbrannte, zog ich sie weg. Der Fels zersprang und legte ein grelles Leuchten frei. Es tauchte die Umgebung in ein magisches Licht. Ich hatte den Stein gefunden. Nun war er zum Greifen nah.
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