Kapitel 22 - Unter Beobachtung
Kaycie
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»Kaycie!«
Ich brummte im Schlaf. In meinem Traum probierte ich gerade eine Sonnenbrille nach der nächsten aus, und die Modelle waren alle so toll, dass ich mich nicht recht für eines entscheiden konnte.
»Wie wäre es mit diesem hier? Es passt perfekt zu Ihrem Teint.« Die Verkäuferin, die etwas zu stark geschminkt war, hielt mir das nächste Gestell entgegen. Es hatte ein Leopardenmuster.
»Kaycie!«, vernahm ich erneut die tiefe Stimme, gefolgt von einem eigenartigen Geräusch. Genervt zog ich mir das Kissen über den Kopf. Wer störte hier meinen Kauftraum?
Und dann hörte ich noch einmal dieses dumpfe Geräusch. Senkrecht fuhr ich in meinem Bett hoch. Was war das? Ich zog die Bettdecke mit mir, als ich zum Fenster stolperte. Kurz bevor ich den Rahmen entriegelte, folg ein kleiner Ball gegen die Glasscheibe. Ein dumpfes Plonk ertönte. Das war also die Lärmquelle, die mich geweckt hatte. Ich riss das Fenster nach oben. Auf unserem Rasen stand Oscar und hielt den Ball gerade noch fest, bevor er direkt in meinem Gesicht landete.
»Spinnst du? Es ist mitten in der Nacht!«, zischte ich.
Entschuldigend sah er zu mir hoch. »Ich muss mit dir reden. Es ist dringend!«, zischte er zurück und grinste ziemlich breit. »Also kommst du jetzt runter, oder soll ich zu dir raufkommen?«
Seufzend öffnete ich ihm die Haustür. »Ich hoffe für dich, dass es wirklich wichtig ist.«
Er huschte an mir vorbei, dann schlichen wir uns in mein Zimmer. Als ich die Tür hinter mir schloss, sprudelte es nur so aus Oscar heraus. Ich verstand jedoch kein Wort, nur sinnloses Gelaber.
»Stopp!« Ächzend hielt ich mir den Kopf. »Ich bin noch nicht ganz da, bitte erklär es mir nochmal. Langsam«, forderte ich ihn mit zusammengekniffenen Augen auf. Ich war definitiv nicht dafür gemacht, einfach so aus dem Schlaf gerissen zu werden und dann voll konzentriert zu sein.
»Ich habe es mit eigenen Augen gesehen!«
»Was?« Ich setzte mich zu ihm auf mein zerknautschtes Bett.
»Zoey ist eine Hexe! Sie hat einen Busch in Brand gesetzt.« Oscars Augen leuchteten aufgeregt.
»Wie ist das denn passiert?« Nun hing ich gespannt an seinen Lippen.
»Sie hat sich offensichtlich vor Schmerzen zusammengekrümmt, und als sie den Arm gehoben hat, ging das Gebüsch vor ihr in Flammen auf. Genau wie bei dir – nur, dass du Wasser in Bewegung gesetzt hast.«
»Und was hast du gemacht, dass du das überhaupt sehen konntest?«, fragte ich. Ich dachte, er wollte nach Hause gehen.
»Ich bin auf dem Rückweg am Hafen entlanggekommen, und da habe ich Zoey ein Boot mieten sehen.«
»Moment! So spät? Ein Boot?« Verwirrt blinzelte ich in Oscars Richtung. »Aber warum?« Ich raufte mir die Haare, die davor schon recht zerzaust gewesen waren.
Oscar zuckte mit den Schultern. »Sie möchte der Insel anscheinend einen Besuch abstatten.«
»Oh, nein! Sie sucht doch nicht etwa nach der Grotte?«, rief ich etwas zu laut und hielt mir erschrocken eine Hand vor den Mund.
»Wenn du so laut bist, bestimmt!«, tadelte Oscar.
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Sorry, was machen wir jetzt?«
»Wir werden sie besser im Auge behalten müssen«, meinte er.
Keine Ahnung, warum ich das tat, aber mir fiel es einfach auf. »Was ist denn mit deiner Hose passiert?«, fragte ich schockiert. Am linken Bein war der Stoff bis über die Knöchel zerfetzt.
Oscar grinste müde und fuhr sich über die Augen. »Lange Geschichte«, waren seine eher unzufriedenstellenden Worte dazu. Er streckte sich auf meiner Matratze aus, ganz so, als wollte er sich schlafen legen. »Ich bin unendlich müde.« Er gähnte.
»Hey, du kannst hier nicht schlafen!« Ich rüttelte an seiner Schulter. Doch Oscar zog mich an sich und schloss mich in seine Arme. Sein herrlicher Duft nach Erde und Lavendel lullte mich schließlich ein, und so schliefen wir beide ziemlich schnell tief und fest, und bekamen nicht mit, wie meine Zimmertür beim Aufgehen und wieder Schließen leise vor sich hin quietschte ...
Am nächsten Morgen schlug ich die Augen auf und prompt raste mein Herz vor Aufregung. Denn erstens lag Oscar neben mir in meinem Bett und hatte einen Arm um mich geschlungen, und zweitens rief Mom gerade, dass das Frühstück fertig sei. Verdammt.
Vorsichtig befreite ich mich aus Oscars Griff und schlüpfte aus den Laken. Da vernahm ich auch schon Schritte auf der Treppe. Scheiße. Wenn Mom sah, dass Oscar hier geschlafen hatte, würde sie das nicht gut aufnehmen. Sie mochte ihn zwar, aber das sah sie nicht gern.
Hektisch blickte ich mich um. Die einzige Möglichkeit war Oscar aus dem Fenster nach draußen zu schicken. Er könnte sich an der Dachrinne zur Garage des Nachbarhauses hangeln, von dort aus auf die Wiese klettern und über den Garten verschwinden.
Ich stupste Oscar an. »Hey! Wach auf«, flüsterte ich.
Mom hatte mein Zimmer erreicht, sie klopfte an der Tür.
»Oscar!« Ich schüttelte ihn nachdrücklicher.
»Mhh?«, grunzte er verpennt. Als er meinen gehetzten Gesichtsausdruck bemerkte, war er um einiges wacher. »Was ...?« Weiter kam er nicht zu fragen, da deutete ich schon auf das Fenster.
»Meine Mom darf dich nicht erwischen! Du kannst von dort aus auf die Garage der Nachbarn springen und dann runterklettern – mach schnell!«, zischte ich.
»Kaycie? Bist du wach?« Mom klopfte erneut an die Tür. Ein drittes Mal würde sie das sicher nicht tun.
Ich drängte Oscar zum Fenster. »Schnell!«
»Okay, wir sehen uns später!« Oscar drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn, dann schob er den Rahmen hoch und kletterte nach draußen.
Eine Weile blieb ich noch vor dem Fenster stehen, um sicher zu gehen, dass er sich nicht verletzte. Als er heil auf dem Rasen der Nachbarn landete, wandte ich mich ab und öffnete erleichtert meine Zimmertür. »Mom! Ich komme gleich runter«, begrüßte ich sie mit einem strahlenden Lächeln.
Sie warf mir einen irritierten Blick zu und spähte über meine Schulter in mein Zimmer. Offensichtlich verwirrt schüttelte sie den Kopf und drehte sich um. »Komisch, ich hätte schwören können, dass du mit jemandem geredet hast«, murmelte sie vor sich hin.
Kurze Zeit später trudelte auch ich in die Küche ein. Zoey saß bereits fertig angezogen und zurechtgemacht auf ihrem Platz und biss herzhaft in ihren Toast. Sie schien mehr als zufrieden mit sich zu sein, was mich misstrauisch machte. »Und? Gut geschlafen?« Sie grinste breit, während ich mich gegenüber von ihr auf meinen Stuhl fallen ließ.
Ich hob eine Augenbraue. »Warum?«, fragte ich gedehnt.
Verschwörerisch zwinkerte sie mir zu. »Nur so. Ich bin deine Schwester, da darf ich dich doch mal nach deinem Wohlbefinden fragen.« Ich kniff meine Augen zusammen. Sie ahnte etwas, anders war ihr Verhalten nicht zu deuten. Gerade wollte ich mir einen Schluck aus meiner Tasse genehmigen, setzte den Mund am Rand an, aber offenbar konnte Zoey mich nicht in Ruhe trinken sehen. »Du hattest aber einen ziemlich lebhaften Traum.«
»Was willst du mir damit sagen?«, knurrte ich. Gezwungenermaßen ließ ich das warme Gefäß ein Stück nach unten sinken. Beinahe konnte ich mich nicht mehr beherrschen: dieser Blick und dieses verschmitzte Lächeln brachten mich zur Weißglut.
»Du hast ziemlich laut im Schlaf gesprochen«, meinte sie schließlich in einem Unschuldston, bei dem sämtliche Allarmglocken in mir läuteten.
Meine Hand zuckte, und prompt landete ein Schwapp heißen Kaffees auf meine Haut, der mir bis zum Saum meines Shirts lief. »Verdammt!«, fluchte ich, knallte die Tasse unsanft auf den Tisch und schüttelte meinen Arm aus. »Heiß!« Augenblicklich sprang ich auf und wischte die Tropfen hastig mit einem Tuch beiseite, bevor ich mich gleich hier in der Küche in eine Meerjungfrau verwandelte. Mein Herz schlug doppelt so schnell und kalt war mir auf einmal auch nicht mehr.
»Warum denn so schreckhaft? Hast du etwas zu verbergen?« Zoey quittierte meine Hektik durch ein spöttisches Grinsen.
Ich holte tief Luft, doch bevor ich etwas erwidern konnte, kam Mom in die Küche. »Ihr solltet euch langsam fertig machen«, sagte sie und räumte unsere Teller ab, dabei hatte ich mein Frühstück noch gar nicht begonnen.
»Mom!«, beschwerte ich mich.
»Nimm dir etwas in die Schule mit. Ich muss auch bald los«, sagte diese nur.
Schnaubend lief ich nach oben, um mein Oberteil zu wechseln. Zoey sah mir amüsiert hinterher. Na warte, das wird noch ein Nachspiel geben, Bitch. Darauf kannst du dich verlassen!, dachte ich.
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