Kapitel 17 - Das Ritual
Fluch der Vergangenheit - Teil 2
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Am Sonntagmorgen verließ ich beizeiten das Haus, während Mom und Zoey noch schliefen. Mir wurde bewusst, wie selten ich seit dem Ausflug zur Insel noch Zuhause war. Davor hatte ich, wenn es hochkam, nur etwas mit Oscar unternommen, sonst hatte ich mich lieber mit Zoey gestritten. Jetzt trauten wir uns gegenseitig kaum noch über den Weg, und mieden die Gegenwart der anderen.
Dann schweiften meine Gedanken zu etwas ganz anderem ab. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Kribbeln im Bauch musste ich an den vergangenen Abend denken. Warum hatte ich so lange gewartet? Oscar war stets an meiner Seite gewesen, und das zwischen uns fühlte sich richtig an. Wie Mom es vorausgesagt hatte – er war es wert. Woher wusste sie das? Ich musste unbedingt mit ihr reden. Sie musste mehr wissen, es musste einfach so sein.
Um meine Theorie von gestern zu testen, schwamm ich zur Insel. Ich wollte wissen, ob ich wirklich mit dem Gestein in Berührung etwas gesehen hatte. Etwas, das uns weiterhelfen konnte. Und ich wollte herausfinden, ob es noch mehr zu sehen gab.
Das Wasser war an diesem Morgen herrlich erfrischend. Die Sonnenstrahlen der aufgehenden Sonne tauchten unterhalb der Oberfläche alles in ein rosafarbenes Licht.
In der Höhle nahm ich die gleiche Haltung ein, wie beim letzten Mal. Als meine Haut die Wand berührte, sprühten Funken zwischen den Fingerspitzen und dem Gestein auf. Erstaunt betrachtete ich das elektrisierte blaue Licht, dann legte ich meine gesamte Handfläche dagegen. Wieder überkam mich ein Schwindelgefühl. Doch diesmal wurde mir nicht schwarz vor Augen. Die Szenen von gestern gingen nahtlos mit neuen ineinander über ...
Den ganzen Tag verbrachte sie in den nahen Wäldern. Sie wollte weder ihre Schwester noch ihre Mutter sehen. Auch nur ein Antlitz hätte sie nicht ertragen. Und wäre sie William noch einmal über den Weg gelaufen, hätte sie wohl vollkommen die Kontrolle verloren, ihn mit ihrer Kraft getötet und somit den Zorn ihrer Schwester auf sich gezogen.
Erst am Abend, als sich die Sonne dem Horizont neigte, wagte sie sich zurück. Bei dem Ritual, das Giselle ein normales Leben als Mensch ohne magische Fähigkeiten ermöglichte, Mackenzie jedoch dazu verdammte es ihr gleichzutun, musste sie dabei sein. Nach dem Motto beide oder keine. Aber gleichzeitig bedeutete es auch Freiheit und die einzige Chance auf Rache.
Giselle und ihre Mutter waren schon am vereinbarten Ort: eine kleine Lichtung, nicht weit von ihrer Hütte am Waldrand entfernt. Um den weniger dicht bewachsenen Platz brannte ein Feuerkreis, den nur befugte Hexen unbeschadet überwinden konnten.
Ihre Mutter stand in seiner Mitte, und vor ihr auf dem Boden lag ein kleiner Stein. Giselle befand sich direkt neben ihr. Beide Gesichter hellten sich bei Mackenzies Anblick auf. Giselle wollte auf ihre Schwester zugehen, doch diese hob nur warnend einen Arm und schüttelte den Kopf. »Bringen wir es hinter uns«, meinte sie mit monotoner Stimme.
Giselle wich zurück und rieb sich über die Arme. Tränen glitzerten in ihren blauen Iriden.
»Also gut«, nahm ihre Mutter das Wort an sich. Eindringlich fixierte sie ihre Kinder. »Seid ihr bereit, eure Verbindung zu trennen, damit Giselle ein normales Leben an der Seite eines Menschen führen kann?« Schmerz loderte in ihren Augen auf. Sie hatte selbst ihre Schwester bei diesem Ritual verloren, wie Mackenzie wusste.
Giselle nickte ehrfürchtig. »Ja, Mutter. Ich bin bereit.« Ihr Blick streifte Mackenzies. Reue lag darin.
Mackenzie nickte ebenfalls, sagte jedoch nichts und wandte den Kopf ab, um beide nicht ansehen zu müssen. In ihren Gedanken herrschte ein einziges Chaos. Giselle und sie waren zusammen groß geworden. Immer konnten sie sich auf die andere verlassen. Sie waren ein Herz und eine Seele – und nun wurde dieses Band für immer getrennt ...
Würde sie niemals Liebe finden, würde sie an diesem Verlust zugrunde gehen, auch das wusste Mackenzie. So erging es einst ihrer Tante. Die hatte sich das Leben genommen, da sie den Verlust ihrer Schwester nie überwunden hatte ... Vielleicht war die Liebe ja kein Segen, sondern ein Fluch. Es schien die Hexen jedenfalls nach und nach zu schwächen, bis sie irgendwann ganz ausgelöscht sein würden ...
Nach der kurzen Bedenkzeit schloss ihre Mutter die Augen und griff nach den Händen ihrer Sprösslinge. Nun floss die Magie beider durch sie hindurch. Anschließend leitete sie die Kraft in den Stein am Boden. Funkelnde Lichtpunkte stoben durch die Luft. Sie tanzten um die drei Frauen herum, bis sie nur noch den Stein umkreisten. Bevor die Magie ganz darin eingeschlossen wurde, leuchtete er ein letztes Mal hell auf, dann war es vorbei.
Die Mutter und Giselle atmeten erleichtert auf, Mackenzie hingegen starrte mit verkniffener Miene auf den Stein, der plötzlich so gewöhnlich im trockenen Gras lag. Er war klein, glänzte im Licht der Flammen um sie herum leicht bläulich und wäre als Anhänger perfekt geeignet.
»Es ist vollbracht«, verkündete ihre Mutter. »Um das Leben einer Schwester menschlich zu machen, müssen beide ihre Kraft aufgeben. Aber vergesst nicht, Kinder – ihr tragt sie weiter in euch und schenkt sie euren Nachkommen«, erklärte sie.
Giselle nickte. »Ich werde dich nicht enttäuschen, Mutter«, flüsterte sie, ihre Augen schimmerten im Schein des Feuerkreises.
Mackenzie wollte sich abwenden, doch ihre Mutter packte ihren Arm und hielt sie zurück. »Mackenzie!«, rief sie und fasste grob unter das Kinn ihrer Tochter, damit diese gezwungen war, sie anzusehen. »Auch du kannst dein Glück finden – dein Schicksal ist nicht vorherbestimmt. Vergiss das nicht«, sagte sie nachdrücklich. Erst als Mackenzie ein gemurmeltes »Gewiss doch, Mutter.« von sich gab, lockerte sich der Griff.
Zuletzt überreichte sie Giselle den Stein, die ihn dem Ozean übergeben sollte. Es gehörte zum Ritual, damit alles bei seiner Ordnung blieb. Doch Mackenzie hatte nicht vor, es dabei zu belassen.
Die Schwestern blickten noch lange hinaus auf das Meer, während der Stein tiefer und tiefer auf den Grund sank ...
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