Epilog

Möwen kreischten am Abendhimmel, der sich zusehends orange und rosa färbte. Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, es wurde spürbar kühler und die Luft frischte merklich vom Meer her auf. Vergessen war die Anspannung der letzten Tage, die sich auch im Wetter wahrnehmbar gemacht hatte. Über uns erschienen die ersten Sterne in der Dämmerung.

Zoey und ich waren von unzähligen Menschen umgeben, die ausgelassen am Strand feierten. Es war Freitag und der Abend der alljährlichen Abschlussfeier. Im nächsten Jahr würden wir zu den Abgängern zählen, die um uns herumwuselten.

Lautes Lachen war zu hören, Gesprächsfetzen von Unterhaltungen und Musik, zu der getanzt wurde. Einige standen oder saßen in Grüppchen zusammen, Plastikbecher gefüllt mit Alkohol und Softgetränken in den Händen und amüsierten sich bei irgendwelchen Spielchen. Auf einer Bühne, aus Holzpaletten aufgestapelt, stand eine Band und rockte was das Zeug hielt. Der Bass dröhnte aus den Boxen, und ich ertappte Zoey dabei, wie sie beim Gitarrensolo den Kopf zum Takt wippte. Hände wurden in die Luft gereckt und lautes Jubeln ertönte, dann stimmte man auch schon das nächste Lied an.

In einigen Abständen brannten Feuerstellen, um die sich viele scharten, Marshmallows rösteten und den Flammen einfach dabei zusahen, wie sie knisterten und glühende Funken in die Höhe stoben ließen. Ich zog Zoey von der Band weg zu einer dieser Feuerstellen, und wir gesellten uns dort zu einer Gruppe, die gerade über ihre Pläne für die großen Ferien sprach.

Ein Mädchen, in dessen schulterlangen Haaren pinke Strähnen prangten und einer großen Hornbrille, würde mit ihrer Familie nach Russland zur Verwandtschaft reisen. Sie freute sich schon darauf, denn der anhaltende Sommer hier machte sie noch verrückt. Etwas weiter wollte ein Junge, der eine blonde Lockenpracht zur Schau stellte, eine Woche in der freien Natur wandern gehen und ganz allein ein Abenteuer erleben, wovon nicht viele sprechen könnten.

»Gerade, wenn man von einem giftigen Skorpion oder einer Schlange gebissen wird«, brummte Zoey neben mir.

Über solche Flausen schüttelte ich nur den Kopf. Denn wenn wir uns in nichts einig waren, dann in dieser Hinsicht. Wir liebten unser Zuhause und vor allem unseren Strand, den wir gegen nichts um alles in der Welt eintauschen würden.

Da tippte mir jemand auf die Schulter, und ein vertrautes Kribbeln fuhr von der Stelle aus über meinen Arm. Es machte sich zugleich in meinem Bauch breit. Ich drehte mich um, wobei ich schon wusste, wer hinter mir stand: Oscar.

Er begrüßte Zoey und mich mit einem warmen Lächeln, die Feuerzungen spiegelten sich in seinen hellen Augen wider. »Und, wie ist die Party bisher so?«, fragte er frech grinsend. Zoey und ich wechselten einen vielsagenden Blick, woraufhin Oscar belustigt schnaubte. »Das dachte ich mir schon. Zoey, würde es dir etwas ausmachen, wenn ich Kaycie für einen Moment entführen würde?«, wandte er sich an meine Schwester.

Diese schüttelte den Kopf. »Nein, solange du sie mir wieder zurückbringst, ist alles in Ordnung.«

»Super. Ich revanchiere mich dafür mit einem Abendessen, das deutlich entspannter ablaufen wird als das letzte«, versprach er.

Zoey und ich tauschen einen Blick, und es fiel mir schwer nicht in lautstarkes Gelächter auszubrechen, bei der Erinnerung an das Abendessen in Gesellschaft des Misters.

»Abgemacht.« Zoey schlug bei Oscar ein.

Nun strahlte Oscar über beide Ohren und reichte mir seine Hand. Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich auf einmal schrecklich nervös und so aufgeregt, als wäre ich das erste Mal im Begriff mit ihm allein das Weite zu suchen. Wir entfernten uns von der Party und die Musik drang nur noch gedämpft zu uns vor, dafür vernahm ich das Rauschen der Wellen deutlich an meinen Ohren und eine frische Brise wehte mir um die Nase.

Hand in Hand spazierten Oscar und ich am Wasser entlang, während der abnehmende Mond über uns schimmerte und dem dunklen Nachthimmel sowie dem Ozean einen mystischen Schein verpasste. Die Wasseroberfläche glitzerte verheißungsvoll und am liebsten würde ich in das kühle Nass springen. Jedoch begnügte ich mich damit, die salzige Luft einzuatmen, den feinen Sand zwischen meinen Zehen und schließlich das erfrischende Wasser um meine Füße schwappen zu spüren, genauso wie Oscars Nähe. Mehr brauchte ich nicht, um rundum zufrieden zu sein. Ich genoss diesen friedlichen Moment und das Gefühl von Oscars Hand in meiner.

»Es gibt da etwas, das ich dir schon lange versucht habe zu sagen ... aber irgendwie hat sich dafür nie der richtige Zeitpunkt ergeben«, brach Oscar das Schweigen zwischen uns. Sein Atem kitzelte an meinem Hals.

Mit klopfendem Herzen sah ich zu ihm auf. Alles andere rückte in den Hintergrund. Nur noch Oscar zählte, dessen Augen im Mondlicht glänzten und mich so intensiv musterten, dass ich mich in seinem Blick verlor. Gespannt wartete ich auf die Fortführung seiner Worte. Was wollte er mir sagen? War es das, was mir soeben im Kopf herumspukte, weil ich endlich genug Zeit gehabt hatte, um mir über meine Gefühle für ihn klar zu werden?

»Ich möchte am liebsten den Rest meines Lebens mit dir verbringen.« Er schien etwas außer Atem zu sein, als er das sagte. Offenbar musste er hierfür seinen gesamten Mut zusammennehmen.

Meine Hand zuckte an seine Wange und strich zärtlich darüber. »Oscar ...«, hauchte ich.

Doch er ließ mich nicht zu Wort kommen. »Ich weiß, dass es kompliziert zwischen uns war. Jetzt ist die Sache mit dem Meerjungfrauen-Ding allerdings vorbei. Wir könnten also noch einmal ganz von vorne anfangen ... Ich ...«

Diesmal ließ ich ihn nicht ausreden, sondern legte beide Hände um sein Gesicht, stellte mich auf Zehenspitzen und schenkte ihm ein Lächeln aus tiefstem Herzen. Zeigte ihm, was ich von dem ›von vorne anfangen‹ hielt. Oscar verstummte als ich ihn küsste. Seine Worte gingen in einem überraschten und gleichzeitig erleichterten Seufzer über. Er schlang die Arme fest um meine Taille und erwiderte den Kuss stürmisch.

Seine Nähe war das Einzige, das in diesem Moment zählte. Was in ein paar Stunden, Tagen, Monaten, Jahren oder Jahrzehnten sein würde, war völlig egal. Das schrieb die Zeit für uns. Aber jetzt war ich mit Oscar zusammen. Und gab es für den ersten Kuss einen noch schöneren Ort als hier am Strand, mitten in der Nacht im Mondschein?

Bis auf die Tatsache, dass es sich nicht um unseren ersten Kuss handelte, war es natürlich perfekt.

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Ende

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