Kapitel 18.2

Eine laute Explosion erklang über ihr, was das gesamte Schloss leicht zum Beben brachte. Sie musste nicht nachsehen, um zu wissen, dass die Türen zu den königlichen Gemächern aufgesprengt wurden. Jetzt gab es keine Zeit mehr über Möglichkeiten und Risiken nachzudenken. Die Verzweiflung packte Lina wie ein Jagdtier seine Beute. Ihr Blick heftete sich auf den schrägen Dachpfad, vorbei an den unteren Stockwerken. Für Reue und Überlegungen hatte sie später noch Zeit.

Sie ließ Marel erneut schweben, bevor sie losrannte. Dabei immer darauf bedacht, die Magie so zu nutzen, dass weder sie fiel noch Marel irgendwo dagegen schlug.

Ihre Schritte waren schnell und panisch. Man schien sie noch nicht entdeckt zu haben, doch das würde wohl nicht lange so bleiben. Sie selbst empfand ihre Schritte als viel zu laut und glaubte, jeden Moment die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, während sie über die Dächer lief und versuchte, in die Nähe der Stallungen zu kommen.

Sie hatte keine Zeit, vorsichtige Blicke in die Fenster neben sich zu werfen, auch wenn sie nicht nur einmal über die Dachziegel schlitterte und drohte das Gleichgewicht zu verlieren.

Metallisches Klirren wurde laut, gemeinsam mit einer Horde von rennenden, schweren Schritten. „Verriegelt die Tore!", hallte es in einem befehlerischen Brüllen über den Hof. Stimmen wurden laut und immer mehr Wachen wuselten über das Gelände. „Dort! Südöstlich!", schallte es über das Gelände, als Lina ein leises, doch bedrohliches Surren hörte.

Ein Geschoss.

Ein Pfeil.

Man hatte sie entdeckt.

Lina bremste, während sie magisch einen Schild um sich legte. Dennoch schlug der Pfeil direkt ein. Der Schild schützte sie zwar, dass sie nicht durchbohrt wurde, doch Schmerzen machten sich in ihrer Seite breit. Zudem verlor sie das Gleichgewicht und rutschte ab, sodass sie über das Dach schlitterte, bevor sie es schaffte, sich zu fangen.

Linas Beine schmerzten, als sie auf dem schrägen Dach liegend an einer kleinen Erhöhung in den Ziegeln, ihr Schlittern bremste. Es brauchte nur einen kurzen Moment, bis sie das dutzend Wachen auf dem Boden erblickte, welche bereits ihre Bögen angelegt hatten. Das Ziel war ganz klar Lina. Sie lag hier quasi auf dem Präsentierteller. Ein dumpfer Aufschlag erklang, als sie merkte, dass sie die Konzentration auf den Prinzen fallengelassen hatte. Er fiel auf das Dach und drohte gleich über den Rand hinab auf den Boden zu rutschen.

Lina streckte ihre Hand aus, um ihn zu fangen. Wenn er fiel, war er tot. Das konnte sie nicht riskieren.

Als sie sah, dass die Wachen noch immer zielten, ließ sie Marel in die Schussbahn schweben, sodass dieser ihr als Schild diente. Sie ging nicht davon aus, dass die Wachen auf den Mann schießen würden, den sie für ihren Prinzen hielten.

„Halt!", schallte es über den Hof, während weitere bewaffnete Wachen sich rund um den Boden vor Lina platzierten, doch es geschah nichts. Vorerst. Lina war jedoch nicht dumm. Sie war sich bewusst, dass sich hinter ihr Fenster befanden. Und da die Wachen nun wussten, wo sie sich befand, war es nur eine Frage der Zeit, bis sie hinter ihr auftauchen würden.

Lina sah sich um, bevor sie sich entschied, die Dinge anders angehen zu lassen. Es wurde Zeit, dass sie so viel Verwirrung stiftete, dass sie entkommen konnte.

„Schimmerndes Licht, leuchte hell. Hülle mich ein und gib mir einen himmlischen Schein", flüsterte sie, während sich die Magie des Lichts um sie sammelte und begann so hell zu strahlen, dass es die Anwesenden zumindest einige Zeit lang blenden würde. Sie selbst konnte noch recht gut sehen, auch wenn es in ihren Augen schmerzte.

Sie achtete kaum darauf, dass einige der Soldaten genervt zischten und den Blick abwandten. Sie musste hier weg.

Weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, setzte sie ihren Weg über das Dach fort. Ihr Blick dabei suchend umher huschend, in der Hoffnung etwas zu entdecken, das ihr helfen konnte.

Als ihr das nicht gelang, nutzte sie einen weiteren Zauber. „Oh Wind der Meere, stürmisch und kraftvoll. Fahre herab, sammel dich zu meinen Füßen und hebe sie hinweg", murmelte sie, wobei sie selbst nicht ganz so zufrieden mit dieser Rezitation war. Dennoch hörte der Wind auf sie, sammelte sich innerhalb der Schlossmauern und wehte so heftig, dass Pfeil und selbst Wachen von ihrem Weg abkamen.

Ihr Haar peitschte wild umher, während sie den bewusstlosen Prinzen über das Dach hinter sich herzog. Auch wenn er hinter ihr schwebte, so wagte sie es nun nicht mehr, ihn loszulassen. Es war, als würde der Wind nicht nur Pfeile und Steingeschosse durch die Luft wirbeln, sondern ihr noch dazu Antrieb geben immer weiter und schneller zu laufen.

Mit schnellem Tempo schlitterte sie um eine Ecke und musste feststellen, dass das Dach hier zu Ende war. Gerade so konnte sie sich davon abhalten, nicht geradewegs in den garantierten Tod zu rennen. Doch nun saß sie in der Sackgasse.

Sie hörte bereits die Wachen, die ihr auf den Versen waren.

„Kein Weg zurück", dachte sie sich und versuchte ihren Atem zu beruhigen.

Es gab nur noch vorwärts.

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