Kapitel 15

Lina hatte den Tag damit verbracht, mit Arabella spazieren zu gehen und ihre Rolle zu spielen. Sie hatte viel mit Madam Filtrin zu tun gehabt, um Vorbereitungen für ihren Mann zu treffen. Daher war es jetzt auch schon dunkel.

Obwohl Lina müde war, hatte sie ihren Kompass ausgepackt und schlich durch das Schloss. Sie musste unbedingt herausfinden, ob es noch ein Sohn oder vielleicht zwei waren. Es war wichtig, dass sie keine Zeit mehr verlor.

Überraschenderweise musste sie feststellen, dass der Kompass nun wesentlich genauere Richtungen zeigte. Das war doch verwunderlich. Zwar schwang die Nadel hin und wieder noch immer wild herum, doch zum Großteil, schien er diesmal wirklich zu wissen, wo sie hinsollte. Vielleicht hatte es ja wirklich etwas damit zu tun, wie viele Söhne in ihrer Umgebung waren. Wenn sie von zwei Söhnen, Lateux und Rathan umgeben war, würde der Kompass natürlich nicht wissen, wohin sie gehen sollte. Doch da die beiden ausgeschlossen waren ... womöglich hatte sie nun wesentlich besser Chancen an ihr Ziel zu kommen.

Das beruhigte sie ein kleines bisschen. So wäre es nicht mehr ganz so schwer, herauszufinden, ob die Person nun der Gesuchte war oder nicht.

Lina folgte der Kompassnadel so gut es ging. Manchmal konnte sie nicht abbiegen, wenn die Nadel es zeigte, weil sich dort eine Wand oder ein Zimmer befand. Da sie dieses Mal wirklich sicher sein wollte, lief sie beim nächsten Gang in die Richtung und versuchte herauszufinden, ob der Kompass wirklich ins Zimmer zeigte.

Als sie jedoch am Gang zu den königlichen Gemächern ankam, stockte sie und huschte hinter eine der Säulen an den Wänden, damit die Wachen nicht auf die aufmerksam wurden.

Linas Herz klopfte heftig. Wie war sie denn hierhergekommen? Als der Kompass beim Prinzen ausgeschlagen hatte, war das doch nur, weil Lateux in der Nähe gewesen war. Zudem war er ganz klar der Sohn des Königs!

Lina schüttelte leicht den Kopf. Vielleicht ging es um eine private Wache, die hier patrouillierte?

Vielleicht wussten ja Lateux und Rathan etwas darüber. Letzterer hatte immerhin erwähnt, dass Lorian dereinst am windfällischen Hof gearbeitet hatte. Für ein Jahr ... konnte das wirklich sein? Wenn das wirklich der Wahrheit entsprach, würde es bedeuten, dass der Prinz wahlweise adoptiert war, oder die werte Königin hatte eine Affäre gehabt. So oder so, konnte der König unmöglich der Vater sein und Marel somit unmöglich der Erbe des Thrones von Windfall.

Die Erkenntnis traf Lina so sehr, dass ihre Beine weich wurden. Sie konnte doch dem Königin von Windfall nicht sagen, dass seine Frau ihm fremd gegangen war! Wie würde Marel reagieren, wenn er davon erfuhr? Wahrscheinlich würde man sie einsperren.

Egal, wie es laufen würde. Sollte es wirklich Marel sein, konnte sie nicht auf die Art herangehen, wie bei Lateux und Rathan. Sie musste sehr, sehr vorsichtig sein.

Es wäre ein Pfad auf dünnem Eis, doch nötig. Sie musste wissen, ob er der Gesuchte war und da gab es nur einen Weg dies herauszufinden. Sie musste ihn allein erwischen und einen Blick auf ihren Kompass werfen.

Nun da ihr vermeintlicher Ehemann sich angekündigt hatte, würde sie sich keine weiteren wilden Expeditionen mehr leisten können. Vermutlich waren aktuell mehr Augen als üblich auf sie gerichtet. Auch weil sie aus dem Osten kam, wo sich derweil eine Epidemie ausbreitete. Linas Karten sahen wirklich nicht sonderlich gut aus.

Sie atmete tief aus. Wenn der Kompass wirklich in die Richtung der königlichen Gemächer zeigte, konnte sie hier nichts mehr tun. Sie würde sich zurückziehen und am Tag kontrollieren müssen, wer in Frage kam. Im Grunde konnte es nur Marel sein. Oder aber in den Räumen waren noch Diener anwesend. Da die Wachen den Weg blockierten und sie nicht auffallen wollte, konnte sie das nicht abschätzen.

An der Wand entlangschleichend, im Schatten der tragenden Säulen, begab sie sich zurück in den Korridor, um in ihr Zimmer zu gelangen. Fürs erste hatte sie was sie brauchte. Morgen würde sie den neuen Hinweisen nachgehen.

Lina schaffte es nicht, die Nacht wirklich Ruhe zu finden. Immer wieder drehten sich ihre Gedanken darum, dass sie kaum Zeit hatte. Dass sie bald wegmusste und endlich den letzten Sohn finden musste.

Daher war sie entsprechend erschöpft, als es am Morgen hell wurde und Zeit zum Aufstehen war.

Müde rieb sie sich mit dem Handballen über die Augen, nachdem sie sich angezogen und das schwarze Haar gerichtet hatte. Ihr Körper flehte sie regelrecht an, sich wieder ins Bett zu legen, doch sie blieb standhaft.

Die Zeit drängte und ausruhen konnte sie sich auch später. Am liebsten hätte sie einen Tee mit Magie versetzt, der sie aufputschte, doch sie war mittlerweile unsicher, ob das nicht doch auffallen würde.

Lina atmete tief durch und verließ ihren Raum. Ein schneller Blick auf ihren Kompass zeigte ihr, wo sie entlang musste.

Der Weg führte sie hinab, entlang der Eingangshalle, wo sie sogleich die Stimme der Madam vernahm. „Lady Zaratus! Habt Ihr einen Moment?", rief Madam Filtrin ihr nach und winkte Lina zu sich.

Diese musste sich ein Seufzen verkneifen. Für sowas hatte sie nun wirklich keine Zeit, aber der Schein musste gewahrt werden, solange sie noch hier war.

Also straffte sie die Schulter und machte sich auf den Weg, um zu Madam Filtrin zu gehen. Sie schenkte ihr ein vorsichtiges Lächeln. „Guten Morgen. Womit kann ich helfen?", fragte sie direkt, wollte sie es doch nicht extra in die Länge ziehen.

Kurz ließ sie den Blick über die beiden Dienstmädchen schweifen, welche neben der Madam standen, welche dicke Stoffbahnen in allen möglichen Blautönen trugen. „Ich hatte mir überlegt, den Hof in den Farben Eures Familienwappens zu dekorieren. Welchen Blauton bevorzugt Ihr?", fragte sie und zog dabei demonstrativ einen der Stoffbahnen von den Armen der Mädchen.

Für einen Moment hatte Lina ein Problem, das Wappen überhaupt vor Augen zu haben. Da es jedoch nur um den Blauton ging, lächelte sie leicht, bevor sie die Stoffe betrachtete. „Das hier gefällt mir sehr", sagte sie und deutete auf einen sehr dunklen, blauen Stoff. „Auch die Idee ist wundervoll. Es wird meinem Mann sicher gefallen."

Hoffentlich würde das die Madam zufriedenstellen. Diese nahm den Stoff entgegen und legte ihn oben auf den Stapel. „Ihr habt die Lady gehört. Gebt der Schneiderin Bescheid." Die Madam klatschte zweimal schnell in die Hände, als wolle sie die Dienstmädchen verscheuchen, welche darauf einen kurzen Knicks machten und eilig den Befehlen folgten. „Bevor ich es vergesse, die Köchin", sie spuckte das Wort förmlich aus, „wollte gerne eine Liste der Lieblingsspeisen Eures Gatten, wenn Ihr Zeit habt."

Lina nickte. „Wann braucht ihr sie?", fragte sie und hoffte, die Liste vielleicht verschieben zu können.

„Wenn Ihr sie bis morgen fertigstellen könntet, wäre das ganz wunderbar", erklärte die Madam und machte eine Handgeste, während sie einige der Mädchen herumdirigierte.

Lina nickte. „Das sollte ich schaffen", sagte sie lächelnd. „Soll ich sie Euch oder gleich der Köchin übergeben?", wollte sie wissen. Wenn sie ehrlich war, würde sie nicht zwingend mit der Köchin sprechen wollen.

„Überreicht die Liste einfach einem meiner Mädchen. Ich werde sie dann in die Küche schicken", informierte die Madam, als sie schon eines der Dienstmädchen im strengen Ton zu sich rief, weil sie einen Riss im Teller entdeckt hatte. Ein guter Moment, um die Flucht zu ergreifen.

Lina nickte noch, bevor wie sich abwandte und den Weg fortsetzte. Sie musste unbedingt herausfinden, wohin der Kompass zeigte.

Daher trat sie schließlich auch hinaus in den Innenhof.

Langsam pendelte sich die Kompassnadel wieder ein, während sie in einer leeren Nische wartete. Tatsächlich wurde sie verdächtig ruhig und zum ersten Mal seit langem, zeigte sie einen klaren Pfad an.

Als sie hinaufschielte erstarrte sie kurz und schluckte dann. Er zeigte geradewegs auf Prinz Marel, welcher mit seiner Schwester, Prinzessin Arabella an einem kleinen Tisch saß und Tee trank.

Lina blickte den Kompass genau an, bevor sie ihn wegsteckte und zu einem anderen Ort ging. Vielleicht zeigte der Kompass auf jemanden hinter ihnen. Daher wollte sie testen, ob auch aus einer anderen Perspektive der Kompass noch auf Marel zeigte.

Leider war dem so, was dafür sorgte, dass ihr Herz heftig klopfte. Es war wirklich der Prinz!

Egal aus welchem Winkel sie es auch versuchte, oder aus welcher Entfernung. Selbst wenn sie den Kompass seitlich hielt, zeigte er noch immer auf den Prinzen. Dieses Artefakt wollte ihr ein eindeutiges Zeichen senden. Prinz Marel von Windfall, Erbe des windfällischen Throns, war zweifellos ein Sohn von Lorian De Revier.

Lina rieb sich den Nacken. Kam sie irgendwie an sein Blut, dann könnte sie es testen.

Oder vielleicht konnte sie mit Rathan oder Lateux darüber sprechen. Würden sie ihr überhaupt glauben?

Vermutlich würden die beiden sie für bescheuert halten ... Nicht unbedingt überzeugend, wenn sie daran dachte, dass sie diesen Ort bald mit beiden würde verlassen müssen.

Es wäre vielleicht gut, sie darüber zu informieren. Jetzt hatte sie immerhin ein Datum, an dem sie weg sein musste.

Lina hatte das Gefühl, der Stress erdrückte sie. Es war so viel, was sie tun musste und die Zeit entglitt ihren Fingern.

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