Kapitel 13.4
Lina verengte ihre Augen. „Was?", fragte sie überrascht darüber. Meinte er das ernst? Irgendwie konnte sie das nicht ganz glauben. Woher sollte er das wissen?
Er schien nicht mal das Interesse zu besitzen, seinen Körper nach dem Mal zu kontrollieren. Er war sich wohl wirklich sicher, keiner der Gesuchten zu sein. Stattdessen deutete er auf die Tür. „Soll ich dich hinbringen?"
Lina, die mit ihren Augen seinen Körper absuchte, aber nicht annahm, dass das Zeichen schon sichtbar wurde, nickte. Gleichzeitig war sie sich aber auch nicht sicher, ob es nicht ein Hinterhalt war, weshalb sie ihren Körper mit einer feinen Schicht an Windmagie, gepaart mit Metallmagie, überzog. Das würde einen ersten Messerangriff abwehren.
Er ging voraus und führte sie hinaus aus der Taverne, um einen Pfad zurück in die Stadt einzuschlagen. Er selbst schien recht entspannt. Vermutlich sah er in sich selbst nur den Boten und nicht jemanden der wirklich involviert war.
Lina wusste nicht genau, was sie davon halten sollte, doch sie folgte ihm. Mit Vorsicht. Seine Reaktion hatte ihr gezeigt, dass sie ihn nicht unterschätzen sollte. „Wo bringst du mich hin?", fragte sie vorsichtig.
„Zurück zum Schloss", meinte er nur kurz angebunden und neigte den Kopf ein wenig, um über seine Schulter zu ihr zu schielen. „Dieser Kompass, von dem du gesprochen hast, ich nehme mal an, der zeigt auf die Söhne von Lorian?"
Lina nickte leicht. „Ja. Aber er ist nicht genau. Wahrscheinlich, weil es hier mehrere gibt", sagte sie etwas widerwillig. Sie wusste, dass sie mit derlei Informationen nicht ganz so offen sein durfte, doch jetzt war es sowieso schon zu spät.
„Und wieso dachtest du dann, dass ich einer von ihnen wäre?", fragte er verwirrt.
„Weil du oft genug in der Nähe warst, wenn der Kompass durchgedreht ist, und mehr Anzeichen hatte ich nicht", murmelte sie ein wenig peinlich berührt. Ihr war bewusst, dass sie nicht sehr viel mehr tun konnte, als Leute nach und nach auszuschließen.
„Und wann war das genau?", fragte er ruhig und ging weiter voraus. Nur wenige Trunkenbolde und Dirnen trieben sich noch auf den Straßen herum, lungerten in den Gassen oder erledigten Dinge, die man nur unbemerkt in der Nacht tun konnte.
„Eigentlich fast immer, wenn ich im Stall war und mit dir gesprochen habe", sagte sie nachdenklich. „Den Stallmeister konnte ich mehr oder weniger ausschließen, denn er war glaube ich ein paar Mal nicht dabei." Außerdem war er auch viel zu alt.
Kivan lachte leise, was in ein ironisches Schnauben überging. „Ja, das ergibt traurigerweise sogar Sinn", murmelte er zu sich selbst.
„Wirklich?", fragte Lina überrascht. „War denn ... der Mann an deiner Seite?" Sie konnte sich nicht vorstellen, ihn übersehen zu haben.
Er schmunzelte schwach. „Könnte man so sagen", erklärte er. Den Rest des Weges schwieg er, bis sie zu den hohen Palastmauern kamen und die Wachen um Einlass baten. Als sie Lina sahen und erkannten, traten sie ohne Umschweife beiseite. Sie stellten auch keine Fragen. Vermutlich kannten sie Kivan ebenfalls.
Im Innern des großen Grundstückes angekommen, steuerte er bereits die allseits bekannten Stallungen an, welche in der Dunkelheit lagen. Alles wirkte wie ausgestorben, wenn man von den stillen Wachen absah, die hier und da ihrer Aufgabe nachgingen. Die Stallungen dagegen waren bis auf die Tiere im Innern leer.
Lina sah sich neugierig um. Sie wusste nicht, was genau sie davon halten sollte. Wollte Kivan sie verarschen? Hier war doch niemand. „Wo ist er?"
Er zog die Stalltür auf und deutete ihr mit einem Nicken ihm zu folgen. Er ging an einigen Boxen mit schlafenden oder auch fressenden Tieren vorbei, bevor er an einer von ihnen stehenblieb und vielsagend zu dem Meloceros sah, welcher entspannt die Augen geschlossen hielt. Er klopfte gegen die Boxentür, um das Tier auf sich aufmerksam zu machen und wirkte dabei selbst alles andere als begeistert. „Tu gar nicht so. Du hast Besuch."
Lina starrte das Tier an. „Willst du mich verarschen?", fragte Lina mit belegter Stimme und starrte das Tier einfach nur an. So langsam fragte sie sich, ob Kivan nicht einen an der Waffel hatte.
Langsam öffnete das Tier die Lider und schnaubte leise, bevor es begann an Kivans Haaren zu schnuppern. Mit einem genervten Seufzen drückte er die Schnauze des Hirsches weg von sich und verschränkte die Arme vor der Brust, um sich mit dem Rück an die Box zu lehnen. „Will ich nicht", gab er nur trocken zurück und schloss unbeteiligt die Augen. „Sie sucht nach Lorians Söhnen", fügte er hinzu, als wäre das alles nicht mehr Teil seines Aufgabenbereiches.
Lina wandte sich zu Kivan. „Willst du mich eigentlich veralbern?", fragte sie. Ein Hirsch, der Sohn von Lorian war? Das konnte sie nicht glauben.
Kivan reagierte lediglich mit einem unliebsamen Brummen. Immerhin hatte er diese Frage schon beantwortet. Er hatte nichts mehr dazu zu sagen.
Plötzlich erkannte Lina im Augenwinkel ein gedimmtes Leuchten, welches begann den Hirsch zu überziehen, bis nur noch der strahlendes Umriss zu erkennen war.
Sofort zog sie sich ein paar Schritte zurück und hob die Hand, um Magie zu sammeln, mit der sie sich verteidigen konnte. War das ein Angriff?
Die Silhouette begann sich langsam zu verformen, schrumpfte, wurde menschlicher und schmaler. Mit einem Mal zersprang die goldene Schicht Licht, als würde sie aus Glas bestehen und verschwand im Äther. Zum Vorschein kam ein junger Mann mit wildem, rotbraunem, kurzem Haar, welches ihm zu allen Seiten abstand. Dass er dabei komplett nackt war, konnte man dank der Box, in welcher er stand, noch ignorieren. Orange glühende Augen blickten Lina entgegen, als er sich einmal ausgiebig streckte und locker die Arme auf dem Rand der Box verschränkte, um Kivan an den braunen Haaren rumzufummeln. „Du bist echt so ein Langweiler, weißt du das?"
Lina klappte der Mund auf. „Du bist ein Gestaltwandler? Ich habe noch nie einen in Echt gesehen", stieß sie voller Freude und Aufregung aus. Sie kam sogar auf ihn zu. Ihre Augen funkelten, denn sie war komplett in ihrem Element. Magische Tiere hatten sie schon immer fasziniert, doch Gestaltwandler waren ein Feld, das sie bisher noch nie erforschen konnte.
Der Mann grinste breit und ignorierte dabei, dass Kivan genervt seine Hand wegschlug und lehnte sich über die Box hinweg Lina entgegen. „Tja, dann ist heute wohl Euer Glückstag, verehrte Maid", lachte er amüsiert, wobei eine längere Strähne, die neben seinem Gesicht geflochten wurde ein wenig baumelte. Es war nur ein kleiner Akzent und doch gab ihm dieses kleine Extra eine noch wildere Erscheinung. Geboren aus der Natur, wenn man so wollte.
Plötzlich ergab für Lina alles Sinn. Jetzt verstand sie auch, warum der Kompass ausgeschlagen hatte, als sie mit dem Prinzen unterwegs gewesen war! Da war der Meloceros auch dabei gewesen. „Ich heiße Lina", sagte sie und stellte sich damit erst einmal vor. Sie wollte wissen, mit wem sie sprach.
„Lateux", erwiderte er und deutete mit der Hand eine halbherzige Verneigung an, während er den Kopf senkte.
Lina musterte ihn nun mit neuem Interesse. „Darf ich fragen, ob du Lorian De Revier kennst?", fragte sie höflich. Immerhin hatte Kivan etwas angedeutet, daher konnte sie ruhig fragen.
Lateux' Grinsen verrutschte ein wenig, als er ein angewidertes Geräusch von sich gab. Kivan verweilte weiterhin unbeteiligt an Ort und Stelle. „Kennen kann man es wohl nicht unbedingt nennen, aber ja."
Lina legte den Kopf zur Seite. „Ist er dein Vater?", fragte sie direkt heraus.
Der Gestaltwandler schielte kurz zu Kivan, seufzte dann jedoch als dieser sich nicht regte. „Ja", antwortete er ruhig und verengte leicht die Augen als er Lina musterte. „Aber wir haben nicht wirklich eine Beziehung die man als Familie bezeichnen könnte. Wir sind nicht mal Freunde", stellte er klar. „Ich kann dir bei deinem Anliegen also nicht helfen. Ich hab keine Ahnung wo er ist. Das letzte Mal, als ich von ihm gehört habe war er hier in Windfall, aber ...", er machte eine ausschweifende Geste, welche wohl das gesamte Reich einschließen sollte. „... hier ist er nicht mehr."
„Ich suche nicht nach ihm. Ich weiß genau, wo er liegt", sagte Lina ruhig. „Ich suche nach seinen acht Söhnen, die in der Prophezeiung vom Weltuntergang genannt werden", erklärte sie und hoffte, dass er ihr glaubte. Es fühlte sich irgendwie seltsam an, mit einem Gestaltwandler zu sprechen und gleichzeitig hoffte sie auch, dass er Magie gegenüber wesentlich offener war.
Stumpf blickte er Lina einfach nur eine Weile an, als würde er auf den Witz in der Geschichte warten wollen. Als diese sich jedoch nicht regte, drehte er den Kopf zu Kivan. „Hast du sie abgefüllt, bevor du sie hergebracht hast?"
„Nein, ich bin nüchtern", meinte Lina augenverdrehend. „Hast du schon einmal vom Magierorden gehört? Dein Vater war dort Mitglied."
„Ja, aber sicher kenne ich das Pack und ich weiß auch, dass mein verehrter Herr Vater dort Mitglied war. Er ist auf den Fakt ja regelrecht steil gegangen. Ist also schwer das zu vergessen."
Diese Einstellung gefiel Lina überhaupt nicht. „Das heißt, du hast kein Interesse daran, mir zu helfen?", fragte sie zögerlich. Dass er so schlecht über den Magierorden sprach, gefiel ihr gar nicht. Für sie war er immerhin ihre geschätzte Familie. Vielleicht war sie in vielen Dingen blauäugig, doch das änderte nichts daran, dass sie dort zuhause war.
Fragend hob er eine Augenbraue und legte das Kinn auf seine Arme, die auf dem Rand der Box ruhten. „Seh ich so aus, als würde ich dem Orden helfen wollen? Ich kann diese elitäre Sippschaft nicht leiden und dass mein Vater dort Mitglied ist, macht es auch nicht gerade besser."
„War", korrigierte Lina. „Er ist tot", sagte sie versucht ruhig. „Und es geht nicht darum dem Orden zu helfen, sondern den Weltuntergang zu verhindern."
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