Kapitel 11.1

Kivan lebte außerhalb der Stadt und zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass er nicht einmal allein wohnte. Vor ihr baute sich eine kleine, lauschige Wassermühle auf, welche logischerweise neben einem rauschenden Fluss lag. Ein Stück weiter unten hockte ein kleines Mädchen mit schwarzem, kurzen Haar. Diese warf den schwimmenden Enten kleine Brotkrumen zu.

Lina blieb überrascht stehen und sah die Szenerie an. War das seine Schwester? Hatte Kivan nicht gesagt, dass er seine Eltern verloren hatte und als Waise lebte? Warum fand sie jetzt hier eine Art ... Familie vor? Hatten sie den Jungen aufgenommen?

Dabei sah Kivan doch schon alt genug aus, um für sich selbst sorgen zu können. Wenn sie das Mädchen so musterte, wäre sie sogar jung genug um als Kivans Tochter durchzugehen.

Lina stockte. Was, wenn er schon eine eigene Familie hatte? Dann wäre es wirklich kompliziert, ihn für ihre Sache zu begeistern, sollte er der Gesuchte sein.

Nervosität packte sie, doch sie ging weiter. Sie musste einfach erfahren, was hier los war, um dann vielleicht entsprechend handeln zu können. Frau und Kinder wären ein Hindernis, mit dem sie irgendwie umgehen musste. Sie hätte sich dafür ohrfeigen können, dass sie nicht schon früher an sowas gedacht hatte.

In der Entfernung erkannte sie eine junge Frau schwere Mehlsäcke ins Haus tragen, als das kleine Mädchen zu ihnen sah. Mit einem Mahl warf es den Rest Krümel ins Wasser, was die Enten wild zum Schnattern brachte, als sie auch schon auf die beiden Neuankömmlinge zu rannte und Kivan in die Arme sprang. „Kivan!", rief sie freudig aus und hüpfte aufgeregt auf und ab. „Hast du mir was mitgebracht? Hast du? Hast du? Hast du?"

Sie hatte ihn nicht Vater genannt! Lina hatte das Gefühl vor Erleichterung zu zittern. Das Mädchen war wohl wirklich nicht seine Tochter, oder doch? „Hallo", grüßte sie vorsichtig, um die beiden nicht aus dem Konzept zu bringen. Sie war zu neugierig, was Kivan nun tun würde.

Er lachte ein wenig unbehaglich. „Red' doch keinen Unsinn. Als würde ich Sachen von der Arbeit mitgehen lassen." Mit Daumen und Zeigefinger drückte er die Lippen des Mädchens aufeinander, um es zum Schweigen zu bringen. „Mach den Schnabel nicht so weit auf, wenn ich Besuch mitbringe", fügte er mit einem Flüstern hinzu, doch war offensichtlich, dass er nicht wirklich einen Groll gegen das kleine Plappermaul hegte.

Lina musste leise lachen. Es war schon niedlich, wie die beiden miteinander umgingen.

Sie griff in ihre kleine, versteckte Tasche und zog ein Säckchen hervor, das aus fein verzierter Seide war. Mit Stickereien, die Monde aller Art zeigten. Darin trug sie immer ein paar kleine, feste Süßspeisen mit sich. Eine davon nahm sie heraus und hielt sie dem Mädchen hin. Als Willkommensgeschenk.

Mit großen, dunklen Augen musterte das Mädchen Lina und befreite sich mit einem Kopfschütteln aus Kivans Griff, bevor sie strahlend das Gebäck entgegennahm. „Woah! Da ist ja sogar Zuckerguss drauf!", rief sie begeistert aus und leckte testweise an der Süßspeise, bevor sie zu Kivan sah. „Wer ist das?"

Kivan erhob sich wieder aus seiner Hocke und schien selbst ein wenig zu hadern, wie er Lina denn nun vorstellen sollte. „Das ist ..."

„Der Einfachheit halber darfst du mich Lina nennen", sagte sie schmunzelnd. Der Name, der Person, für die sie sich ausgab, würde für das Mädchen wohl zu schwer sein. „Ich bin eine Bekannte aus dem Schloss."

„Genau ... Lina, aus dem Schloss. Also sei ja nett zu ihr, verstanden?", warnte Kivan das Mädchen, welche damit begonnen hatte den Zuckerguss abzupulen und zu knabbern.

„Jaha, bin ich doch immer", beschwerte sich das Mädchen und sah nochmal zu Lina. „Ich bin Maari."

„Hallo Maari", erwiderte Lina lächelnd und kam nicht umhin sie sehr süß zu finden. Gerade, wie sie die Süßspeise verputzte, ließ sie noch niedlicher wirken. Am liebsten hätte sie Kivan gefragt, wie dieser zu Maari stand, doch nicht, solange das Mädchen dabei war.

„Da du jetzt deine Bezahlung bekommen hast, geh los und gib deiner Mutter was ab. Ich komme ihr gleich helfen." Mit einem sanften Schubser deutete er ihr zu der Frau zu gehen. Mit eifrigem Nicken und hüpfenden Schritten machte sie sich auch schon auf den Weg und ließ Kivan mit einem Seufzen zurück. „Ihr habt Glück, dass sie sehr leicht bestechlich ist."

Lina lachte leise. „Deine Schwester?", fragte sie, wobei sie versuchte nicht zu hoffnungsvoll zu klingen. Tochter wäre alles andere als gut.

Überrascht hob er die Augenbrauen und setzte sich wieder langsam in Bewegung, um zur Mühle zu gelangen. „Nein, nein. Wir sind nicht verwandt. Ich helfe hier nur aus und bekomme dafür eine Unterkunft plus Verpflegung. Maaris Vater arbeitet als Bäcker in der Stadt, um ein zusätzliches Einkommen zu haben."

„Also haben sie dich auch nicht adoptiert?", fragte sie neugierig nach. Dass beruhigte Lina ungemein. Es machte vieles einfacher.

Amüsiert sah er zu ihr und hob vielsagend eine Augenbraue. „Wäre ganz schön komisch. Sie sind im gleichen Alter wie ich."

„Oh", gab Lina leise lachend von sich. „Nun, das macht das natürlich schwierig. Reicht denn dein Geld aus der Arbeit im Schloss nicht?", fragte sie neugierig

„Es reicht, um mich zu ernähren ..., aber nicht für eine Bleibe und ich habe auch nicht wirklich Erfahrung was das Kochen angeht", gestand er und trat über die knarzende Brücke, um auf die andere Seite des Flusses zu gelangen.

Lina verzog etwas den Mund. „Ich kann nicht nachvollziehen, warum Adlige ihren Angestellten so wenig zahlen", gestand sie. „Diese paar Groschen mehr fehlen nun wirklich nicht."

„So ungern wie ich die Hoheiten auch in Schutz nehme, aber ... das ist nicht ihre Schuld. Alles andere ist einfach viel teurer geworden. Vor einigen Jahren hätte ich mir noch eine Unterkunft in der Herberge leisten können, doch da weniger Reisende vorbeikommen, weil sie Angst haben überfallen zu werden, machen sie weniger Umsatz und das muss dann mit höheren Preisen kompensiert werden."

Lina blickte ihn überrascht an. „Tatsächlich? Das erklärt natürlich, warum es so viele Obdachlose gibt. Wenn die Preise enorm gestiegen sind, weil die Sharakan Probleme machen, ist das Leben hier natürlich nicht so einfach."

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