Kapitel 10 / 6 Lebendig begraben

Er sah Aleena an. Der Sarg wurde in eine Kathedrale getragen.
„Es bleibt dir nicht mehr viel Zeit, dich zu entscheiden, Cousin.", meinte Henry grinsend.
Ich sah Aleena an und bemerkte, wie sie sich wand und hörte ihre verzweifelten geknebelten Schreie.
„Entscheide dich! Versprich, dass du deine Idee zurückziehst. Natürlich wird dich das unglaubwürdig machen und du wirst dich einer politischen Krise aussetzten. Stellst du den Schutz der Vampire über deine eigene Tochter? Stellst du deine gewünschte Einigkeit über Aleenas Leben?", sagte Henry und grinste gehässig.
Ich sah ihn an und knurrte.
Er hatte recht. Aber wenn ich meine eigene Idee jetzt verleugnete, würde mich niemand mehr ernst nehmen. Ich würde Vaters Auftrag verraten. Nein, dass konnte ich nicht.
Aber ich konnte Aleena auch nicht sterben lassen.
Was sollte ich tun?

Tränen traten mir ins Gesicht. Ich nahm die Zeremonie nur halb wahr. Bald würde der Sarg unter der Erde sein.
Aleena...ich will dich nicht verlieren.
Ihr Gesicht erschien vor mir. Die langen roten Haare ihrer Mutter, ihr strahlendes Lächeln.
Ihre lebendige Art. Sie hat mich immer getröstet. War mein Ausgleich von all meinen Pflichten des Blutbunds gewesen. Sollten diese Pflichten nun ihren Tod bedeuten.
Ich sah schon vor mir, wie ich den Sarg ausgrub und dann nur noch Knochen fand.
Plötzlich sah ich aus den Augenwinkeln schwarze Haare. Ich sah hin und starrte auf Adam Nossini, der neben seinem Cousin Dauphin Louis vor Juliano kniete.
Adam, mein Freund.
Würde er sie hören? Aber sie war geknebelt.
Er hatte mir so oft geholfen. Er hatte mir immer gesagt, dass es wichtig war, in einer Extremsituation nicht mit dem Herzen zu denken, sondern mit dem Verstand.

„Wirst du den Blutbundtaler abbrechen? Entscheide dich! Noch hast du die Möglichkeit Aleena zu retten. Wenn der Sarg erst mal unter der Erde ist, gibt es kein Zurück mehr.", verlangte Henry.
Marpelli grunzte in den Knebel und schüttelte den Kopf.
„Ich muss es tun!", meinte ich zu ihm. Ich wollte Aleena nicht verlieren. Niemals! Dann war meine Glaubwürdigkeit als Mond, als Herrscher, eben anfechtbar. Aber ich hatte Aleena.
Ich spürte plötzlich, dass sich eine Kälte in meinem Kopf ausbreitete.
„Alessandro! Er hat mit keinem Wort gesagt, dass er Aleena frei lässt. Selbst wenn du ihm gibst was er will, rettet das nur Aleenas Leben. Er wird so ein Druckmittel niemals einfach so hergeben. Das hat er mir selbst gesagt. Ich bin nicht nur geknebelt, weil ich sie störe. Tue es nicht! Deine eigene Ehrlichkeit wird dich zwingen dein Wort zu halten. Dafür bist du überall bekannt. Du wirst dich nicht gegen deine eigenen Prinzipien stellen. Und selbst wenn, wird er Aleena weiter verwenden um dich unter Druck zu setzen, so dass du es letztendlich tust. Wenn du ihm jetzt dein Wort gibst, wird der Blutbund scheitern. Du wirst einen Misstrauensantrag aushalten müssen. Ich glaube sein wahres Ziel ist was anderes, was mit dem Blutbund zusammenhängt. Du vergisst, dass sie nicht gleich stirbt, es dauert Tage bis sie da erstickt. Du hast Zeit sie selbst zu retten. Zeige ihm, dass er keine Macht über dich hat.", hörte ich die Stimme des Lektors in meinem Kopf.
Dann sah ich, wie Marpelli auf den Boden sank und die Augen schloss.
„Nein! Marpelli!",rief ich.
Ich lauschte auf sein Herz, es pochte noch.
Die Telepathie aufrecht zu erhalten, hatte ihn wahrscheinlich stark geschwächt.
„Marpelli!", rief ich noch einmal.
Ich starrte auf den blutenden Körper meines Freundes.
Ich machte mir Sorgen um ihn. Durch Aleena hatte ich ihn völlig vergessen.

„Entscheide dich!", verlangte Henry.
Ich sah zum Bildschirm. Die de Nuits begannen jetzt den Sarg ins Loch zu lassen und Aure trat an das Loch heran.
Aleenas Schreie wurden deutlicher und sie klopfte mit den Füßen gegen das Holz.
Ich sah die pure Panik in Aleenas Augen. Es tat weh, sie so zu sehen.
Ich spürte, wie ich anfing zu weinen. Eine Träne rang mir die Wangen herab.
Nein! Sie kann gerettet werden!
Ich muss nur stark bleiben. Henry hat keinen Einfluss auf den Sarg. Selbst wenn sie unter der Erde ist stirbt sie nicht. Ich hielt an Marpellis Worten fest.
„Du hast eines nicht bedacht. Du hast selbst gesagt, dass ich nicht dumm bin, Henry. Dennoch hast du nicht bedacht, dass ich über meinen Gefühlen stehen könnte. Du hast keinen Einfluss auf den Sarg und Aleena erstickt nicht sofort. Also brauche ich mir um sie keine Sorgen zu machen. Du hast zwar meinen Dämon gebannt, aber ich bin immer noch ein Urvampir.", keifte ich und auch wenn ich Schmerzen durch die Silberketten hatte, würde ich ihn und seine Ritter bekämpfen können.
Ich aktivierte das D-Gen. Mein Körper kribbelte und ich verwandelte mich. Meine Augen juckten, Krallen wuchsen aus meinen Fingernägeln, meine Haut wurde bleich, ich riss den Mund auf und meine Vampirfänge wuchsen zu einer beachtlichen Größe heran.
„Du kannst mich nicht aufhalten. Dein Spielchen ist vorbei, Henry!", meinte ich mit einer monströsen Stimme.

Henry lachte.
„Du bist so naiv. Ich habe natürlich an die Möglichkeit gedacht, dass du erkennen könntest, dass der armen Aleena noch ein paar Tage bleiben, selbst wenn sie mit dem Sarg unter der Erde verschwindet. Deswegen habe ich vorgesorgt, um ihren Erstickungstod zu beschleunigen.", erklärte Henry gehässig und sah mich siegessicher an.
Ich starrte ihn erschrocken an und wandte mich Ängstlich zu Aleena um. Da schimmerte etwas Schwarzes um ihren Kopf. Ich konnte es durch die grüne Farbe nicht erkennen.
Aber ich sah die Angst in ihren Augen und wie sie versuchte, sich gegen die Fesseln zu wehren.
Ich hatte immer dafür gesorgt, dass Licht da war. Hatte sie erfolgreich von der Dunkelheit ferngehalten. Ich hatte ihr Trauma damals durch die Verschüttung und den Bunker ausgelöst. Ich hatte mir eingeredet, dass ich es so wieder gut machen konnte.
Und jetzt wurde meine Kleine von der Dunkelheit gefoltert.
„Aleena!" schluchzte ich.
„Wirst du denn Blutbundtaler aufhalten?", schrie Henry mich an.
Ich zitterte heftig. Ich konnte sie nicht sterben lassen. Warum tut er das?
„Bitte! Henry, wir finden gemeinsam eine Lösung, wir werden diese Fabrik stoppen. Du weißt, dass ich gegen so etwas bin. Wir stehen in dem Punkt auf der selben Seite.", flehte ich ihn an.
Vielleicht hatte er ja noch einen Funken Gewissen.
„Nein, nur die Verhinderung der gemeinsamen Währung verringert das Ausmaß der Züchtung. Ich zähle jetzt bis drei und dann schalte ich die Vakuummaske an. Du hast dann noch genau zehn Sekunden, deine geliebte Tochter zu retten.", sagte Henry und grinste mich an.

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