Kapitel 1 / 1 Adam und die Erinnerung an den Lequahof (1793)


Rückblick

21. Januar 1793

Frankreich, Grafschaft Artois, Hof der Familie Lequa

Die Sonne ging schon langsam hinter der Stadt Arras unter, als ich aus dem Haupthaus heraus trat und nach meinen Vater suchte. Ich sah ihn über den Hof zum Speicher gehen und lief auf ihn zu. Mein Vater trug ein einfaches Leinenhemd und eine braune Hose, die ihn bei der Feldarbeit wenig behinderten. Ich hatte meinen Justaucorp, ein mit Rüschen besetztes Oberteil, an und trug den Aufzug des Adels mit samt der Cúllote, einer Hose, die nur über das Knie ging, am Bein. Die Strumpfhose hatte ich weggelassen und trug meinen saubersten Schuhe. Auch hing meine Waffe, wie es sich für einen Mann des Adels gehörte an meiner Hüfte.

„Adrien bring die Pferde in den Stall und komm dann zum Essen!", befahl mein Vater Cómte Húgo Lequa, als er mich bemerkte. Ich blieb stehen und seufzte. Eigentlich hatte ich was anders vor. Es war heute immerhin ein großer Tag für Frankreich.

„Ich wollte nach Paris und zur Hinrichtung des Königs", widersprach ich enttäuscht.

„König Ludwig wird von uns gehen. Er wird, durch die neue Tötungsmaschine, geköpft werden.", meinte mein Vater

„Welche Tötungsmaschine?", fragte ich nach.

„Na die Guillotine! Du hast das Fallbeil noch nie gesehen und ich hoffe, dass du es nie musst. Du bist mein Sohn, Adrien. Der Sohn eines Vasallen und Dieners von Prinz Karl Philippe de Bourbone. Nach dem Tuileriensturm missbilligt das französische Volk allen, die treu zum Königshaus stehen. Ich will nicht, dass man dich verhaftet.", sagte Vater.

„Warum sollte man mich verhaften?", hakte ich nach.

„ Sohn, Bitte sei vernünftig! Ich habe bei der Kommunikation seiner Majestät mit Preußen und Österreich geholfen. Sie verhaften alle treuen Anhänger des Ancien Regimes, der alten Ordnung, und auch ihre Familien werden als Verräter getötet. Ich habe mich aus Treue zum Prinzen bereit erklärt nach Hannover zu reiten, damit Preußen die Briefe erhält. Ich will nicht, dass du und deine Mutter dafür mit dem Leben bezahlt.Ein einziger Fehler und sie werden mich verhaften.Über all sagt man, dass dem König weitere Opfer folgen werden. Sie nennen es la Terreur, der Terror.", sagte Vater bestimmt.

„Aber es wird doch alles wieder wie früher, oder? Die Alliierten werden doch in Paris einmarschieren? Österreich muss uns helfen. Die Prinzen werden doch den Thron besteigen?", fragte ich und musterte meinen Vater ängstlich. Tief im inneren wusste ich, dass die Revolution nicht mehr zu stoppen war.

„Ich glaube nicht, mein Sohn", sagte Húgo niedergeschlagen und schlurfte mit dem Sack Mehl zum Haupthaus unseres Hofes.

Ich machte mich auf den Weg zur Weide und sah über den Besitz meiner Familie.

Ich hatte Angst, dass man uns diesen wegnehmen würde, da es schon mehreren Jakobinern, den Anhängern Robespierres, eingefallen war, die Landgute von Adligen zu besetzten und dessen Besitzer zu vertreiben. Mein Degen baumelte schwer an meiner Hüfte. Ich hatte es eigentlich in dem Gedanken erworben, Musketier zu werden. Aber diese Zeit schien lange zurück zu liegen. Sehr lange vor dem Ausbruch der Revolution hatte ich einst diesen Degen mit einem guten Freund zusammen geschmiedet.

Kurz dachte ich an jenen Abend, an dem ich diesen guten Freund kennenlernte. Das Bordell in Paris war mein beliebter Ort zum Entspannen gewesen. Ich war von der schweren Lehre als Schneider immer sehr geschafft. Mein Vater hatte mir diesen Wunsch erfüllt, weil ich versprach auf dem Hof mitzuhelfen.
An diesem Abend trieb sich der Sohn eines Marquis in diesem Schankraum herum. Als ich Antoine de Sang sah, war ich sofort hin und weg. Ich hatte bereits schreckliche Geschichten über den de Sang Erben gehört. Geschichten die von Auspeitschungen und der Wollust handelten. Ich wollte wissen ob er wirklich so war, wie in die Pariser Gesellschaft beschrieb. Deswegen hielt ich mich im Hintergrund und wartete auf eine Gelegenheit zum Gespräch. Er feierte ausgiebig und ich sprach ihn schließlich an. Da erfuhr ich, dass es seine letzte Nacht, vor einem erneuten Gefängnisaufenthalt war. Er war offensichtlich frisch aus Italien gekommen und hatte sich einer Verhaftung durch Gewalt entzogen. Er war Übersetzter und auch Schriftsteller und hatte unzulässige Schriften verfasst. Schriften, die selbst den Mitgliedern der Nationalversammlung aufstießen, da sie vulgär waren. Deswegen saß er bereits einmal im Gefängnis, wie ich gehört hatte. Und das erste Mal sollte aufgrund einer Anschuldigung einer Dame gewesen, sein, dass sie von ihm zu unsittlichen Handlungen gezwungen worden war.
Ich hielt dies alles für völliger Unsinn.
Ich war damals gerade erst 17. Doch mein Alter störte ihn nicht, als ich ihn ansprach. Wir unterhielten uns über die aktuelle politische Lage und dem kürzlich eingekehrten Schriftsteller, den Antione so bewunderte und denn dieser als Vorbild hatte. Er fragte, wo ich wohnte und versprach mich wiederzusehen, als er ging. Danach sah ich ihn wieder, als ich ein Buch von ihm entdeckte und drei Monate später bei ihm vor der Tür stand. Er wurde meine erste große Liebe und ich riskierte sogar mein Leben, um ihn während des Sturms auf die Bastille aus dem Staatsgefängnis zu hohlen. Danach hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Mein Vater wollte nicht, dass ich mit dem Marquis verkehrte. Deshalb hatten wir oft Streit.

Das Schnauben der Pferde auf der Weide riss mich aus meinen Gedanken.
Mit einem Pfiff machte ich die Pferde auf mich aufmerksam. Dann trieb ich sie rasch in ihre Boxen, bevor ich zum Haupthaus rannte und reintrat.
„Adrien! Da bist du ja, wir warten schon", meinte meine Mutter, Marinette Lequa.
Sie trug lange schwarze Haare und ihre Schönheit übertraf manche Marquise des alten Königs.
„Hast du wieder geträumt, mein Sohn?", fragte Vater und stand plötzlich in der Tür zum Esszimmer.
„Nein, mein Großer hat nur gebockt", log ich und schob meine Verspätung auf mein Pferd.

„Er sitzt wieder ein und ich will nicht, dass du dich mit ihm triffst", sagte er mit wütendem Blick.

Wie konnte er wissen, dass ich an de Sang gedacht hatte?

„Er ist momentan verschwunden! Ich habe kein Lebenszeichen von ihm! Höre auf ihn zu verurteilen!", schrie ich meinen Vater an und ging an ihm vorbei zum Tisch.

Ich hatte diese ewigen Diskussionen über meinen Liebhaber satt.

Rasch setzte ich mich hin und nahm mir eine Brotscheibe.

„Sohn, ich halte deine Unzucht zwar geheim, aber ich kann dies jeder Zeit offenlegen", drohte Hugo mir.

„Es ist legal, Vater! Auch wenn es nicht gern gesehen wird", schnauzte ich ihn an und nahm mir Käse. Wir setzten uns und ich begann schweigend zu essen.

Das Essen fand in bedrückter Stimmung statt. Wir redeten kein Wort miteinander und dann klopfte es plötzlich. Ich fragte mich, wer dies so spät noch sein könnte.

Mein Vater stand auf und ging zur Tür.

„Marquis! Wenn sie zu meinem Sohn wollen, er ist nicht da und wer ist ihre Begleitung?", knurrte Vater unfreundlich.

„Cómte Lequa! Ich bitte darum, dass meine Beziehung zu ihrem Sohn dem hier nicht im Wege steht. Wir kommen auf Anraten des Freundes ihres Lehnsherren Karl Philippe, Graf von Artois", meinte eine mir völlig unbekannte Stimme.

„Sie sind nicht De Sang!", stammelte Vater, „Aber gerade eben noch, sahen sie so aus."

„Dies sind die Kräfte meines Bruders. Keine Angst, Monsieur. Wir brauchen ihre Hilfe", erklärte die unbekannte Stimme.

Mein Vater stammelte etwas und ich hörte, wie er sein Schwert zog.

Ich stand auf und ging zum Gang.

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