Die Todestagsfeier ✔

Die Todestagsfeier

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Es wurde Oktober und feuchte Kühle breitete sich über die Ländereien und das Schloss aus. Eine jähe Erkältungswelle unter den Lehrern und Schülern hielt Madam Pomfrey, die Krankenschwester, in Atem. Ihr Aufpäppel-Trank wirkte zwar sofort, aber wer ihn getrunken hatte, dem rauchten danach noch stundenlang die Ohren. Percy Weasley dränge die etwas kränklich aussehende Ginny, ein paar Schlücke zu trinken, und sofort zischte Dampf unter ihrem feuerroten Haare hervor, als stünde ihr Kopf in Flammen.

Regentropfen, groß wie Gewehrkugeln, trommelten tagelang gegen die Schlossfenster; der See schwoll an, die Blumenbeete verwandelten sich in Schlammströme und Hagrids Kürbisse quollen zur Größe von Gartenschuppen auf. Oliver Wood freilich ließ sich nicht beirren und feuerte sie begeistert zu regelmäßigem Training an. So befand sich Mona eines stürmischen Samstagnachmittags bis auf die Haut durchgeweicht und schlammbespritzt auf dem Heimweg zum Turm der Gryffindors zusammen mit Harry.

Vom Regen und Wind mal ganz abgesehen war es alles andere als ein gelungenes Training gewesen. Fred und George hatten das Slytherin Team ausgespäht und mit eigenen Augen gesehen, wie schnell sie mit ihren neuen Nimbus Zweitausendeins waren. Die Slytherins jagten durch die Luft wie Senkrechtstarter, so berichteten sie, und seien nur noch als sieben grünliche Dunstschleier auszumachen.

Als Mona und Harry den ausgestorbenen Gang entlangstampften, begegnete ihnen jemand, der genauso besorgt dreinsah wie sie beide selbst. Der Fast Kopflose Nick, der Geist des Gryffindor Turms, starrte trübselig aus einem Fenster und brummte leise vor sich hin: ,,...ich entspreche den Anforderungen nicht... zwei Zentimeter, wenn das..."

,,Hallo, Nick", sagten Mona und Harry synchron.

,,Hallo, hallo", sagte der Fast Kopflose Nick und drehte sich erschrocken um. Er trug einen eleganten Federhut auf dem langen Lockenhaar und einen Waffenrock mit Halskrause, so dass man nicht sehen konnte, dass sein Hals fast ganz durchgetrennt war. Er war blass wie Dampf und Mona sah durch ihn hindurch nach draußen auf den dunklen Himmel und die Sintflut, die sich aus ihm ergoss.

,,Er sieht besorgt aus, der junge Potter. Die junge Gaunt ebenfalls", sagte Nick, faltete einen durchsichtigen Brief zusammen und steckte ihn ein.

,,Sie ebenfalls", sagte Harry.

,,Ah", sagte der Fast Kopflose Nick mit eleganter Handbewegung, ,,eine Angelegenheit ohne Bedeutung... nicht, dass ich wirklich Mitglied werden wollte... dachte, ich bewerbe mich mal doch offenbar genüge ich »nicht den Anforderungen«." Trotz seines gelassenen Tonfalls hatte sein Gesicht einen Zug von Bitterkeit.

,,Aber, nicht wahr, sollte man doch meinen", brach es plötzlich aus ihm heraus, ,,wenn man vierzig Hiebe mit einer stumpfen Axt auf den Hals bekommen hat, wäre man gut genug für die Jagd der Kopflosen?"

,,Oh, äh, ja", sprach Mona für Harry und sich, denn offenbar war hier die Zustimmung von ihr verlangt.

,,Ich meine, keiner wünscht sich mehr als ich, dass alles schnell und sauber vonstatten gegangen und mein Kopf endlich herunter wäre, ich muss sagen, das hätte mir einiges an Schmerz und Gelächter erspart. Allerdings -" Der Fast Kopflose Nick holte den Brief wieder hervor, faltete ihn auf und las wutentbrannt vor: ,,»Wir können nur Jäger aufnehmen, deren Köpfe sich endgültig von ihren Körpern getrennt haben. Wie Sie gewiss einsehen, wäre es andernfalls unmöglich, dass dass die Mitglieder an Jagdvergnügen wie Kopfjonglieren zu Pferde und Kopfpolo teilnehmen können. Daher muss ich Ihnen mit dem größten Bedauern mitteilen, dass Sie nicht den Anforderungen entsprechen. Mit den besten Wünschen, Sir Patrick Delaney-Podmore.«"

Rauchend vor Zorn stopfte der Fast Kopflose Nick den Brief in sein Wams zurück. ,,Zwei Zentimeter Haut und Sehnen halten meinen Kopf auf dem Hals, Harry, Mona! Normale Leute würden denke, das könnte man doch als geköpft durchgehen lassen, aber nein, es reicht nicht für Sir Ordentlich Geköpfter Podmore."

Der Fast Kopflose Nick holte einige Male tief Luft und sagte dann mit viel ruhigerer Stimme: ,,So, und was macht Ihnen beiden Sorgen? Kann ich etwas für Sie tun?"

,,Nein", sagte Mona.

,,Außer", sagte Harry, ,,Sie wissen, wo wir sieben Nimbus Zweitausendeins so herkriegen könnten für unser Spiel gegen Sly -"

Der Rest des Satzes ging in einem fiepsigen Miauen unter, das aus der Nähe seiner und Monas Füßen kam. Mona blickte hinunter und ein Paar gelbe Laternenaugen starrte sie an. Es war Mrs Norris, die skelettdürre graue Katze, die der Hausmeister Argus Filch als eine Art Gehilfin in seiner endlosen Schlacht gegen die Schüler einsetzte.

,,Sie verschwinden am besten von hier, Mona und Harry", sagte Nick hastig, ,,Filch hat ganz schlechte Laune - er hat einen Schnupfen, und ein paar Drittklässler haben im Kerker fünf versehentlich Froschgehirne über die ganze Decke gespritzt, er hat den ganzen Morgen geputzt, und wenn er Sie zwei hier vor Schlamm triefen sieht -"

,,Stimmt", sagte Mona, nahm Harrys Arm und wich vor dem anklagenden Starren von Mrs Norris zurück, doch nicht schnell genug.

Angezogen durch die geheimnisvolle Macht, die ihn offenbar mit seiner heimtückischen Katze verband, brach Argus Filch plötzlich durch einen Wandhang rechts von Harry. Mit rasselndem Atem sah er sich fieberhaft nach dem Regelverletzer um. Um den Kopf hatte er einen dicken Schal mit Schottenmuster gewickelt und seine Nase glänzte ungewöhnlich purpurfarben.

,,Dreck", rief er mit zitternden Wangen und seine Augen quollen beunruhigend weit vor, als er auf die Schlammlache deutete, die von Monas und Harrys Quidditch Umhängen herabgestropft war. ,,Überall Dreck und Unordnung. Mir reicht's, kann ich euch sagen! Folgt mir, Potter, Gaunt!"

Also winkten Mona und Harry mit düsterem Blick dem Fast Kopflosen Nick zum Abschied und folgten Filch nach unten, wobei sie die Zahl der schlammigen Fußabdrücke auf dem Boden verdoppelten.

Mona war noch nie in Filchs Büro gewesen; das war der Ort, um den die meisten Schüler einen weiten Bogen machten. Das schäbige und fensterlose Kabuff wurde vom Licht einer Ölfunzel an der niedrigen Decke erhellt. Ein schwacher Geruch von gebratenem Fisch hing in der Luft. An der Wand entlang standen hölzerne Aktenschränke, deren Beschriftungen Mona sagten, dass sie Einzelheiten über jeden Schüler enthielten, den Filch je bestraft hatte. Fred und George Weasley hatten ein ganzes Fach für sich allein. Ein Sammlung von auf Hochglanz polierten Ketten und Fußschellen hing an der Wand hinter Filchs Schreibtisch. Alle wussten, dass er Dumbledore ständig um Erlaubnis bat, die Schüler an den Fußgelenken gefesselt von der Decke baumeln zu lassen.

Filch nahm eine Feder aus dem Tintenfass auf seinem Schreibtisch und begann nach Pergament zu stöbern.

,,Dreck", murmelte er zornig, ,,große, glühend heiße Drachenpopel... Froschgehirne... Ratteninnereien... mir reicht's... Strafe zur Abschreckung... wo ist das Formblatt... da..."

Er hatte eine dicke Rolle Pergament aus der Schreibtischschublade gezogen und sie vor sich ausgebreitet und tunkte nun den langen schwarzen Federkiel in das Tintenfass. ,,Name... Mona Gaunt, Harry Potter. Verbrechen..."

,,War doch nur ein bisschen Schlamm!", sagte Harry.

,,Für dich ein wenig Schlamm Junge, aber für mich ist es eine Überstunde Schrubben!", schrie Filch, und an der Spitze seiner Knollennase erzitterte ein widerlicher Tropfen. ,,Verbrechen... Beschmutzung des Schlosses... vorgeschlagene Strafe..."

Filch tippte mit dem Finger gegen seine triefende Nase und äugte Unheil verkündend zu Harry und Mona hinüber, die mit angehaltenem Atem auf den Urteilsspruch warteten.

Doch gerade als Filch die Feder aufsetzte, erschütterte ein lauter KNALL die Bürodecke, der die Öllampe klirren ließ.

,,PEEVES", donnerte Filch zornentbrannt und warf die Feder auf den Tisch, ,,diesmal krieg ich dich, darauf kannst du Gift nehmen!"

Und ohne Mona und Harry auch nur einen Blick zuzuwerfen, hastete Filch plattfüßig aus dem Büro, Mrs Norris auf den Fersen.

Peeves war der Schul-Poltergeist, ein grinsendes, in der Luft schwebendes Übel, dessen Lebenszweck es war, Wirrsal und Verdruss zu schaffen. Mona konnte Peeves nicht ausstehen, doch diesmal konnte sie nicht anders, als ihm für seinen Auftritt zur rechten Zeit dankbar zu sein. Was Peeves angestellt hatte (und diesmal hatte es geklungen, als ob er etwas sehr Großes in Stücke geschlagen hatte), würde Filch hoffentlich von Mona und Harry ablenken.

Mona und Harry tauschten sich ohne zu reden aus, dass es besser sei zu warten, bis Filch zurückkam, und ließen sich auf den beiden mottenzerfressenen Sessel neben dem Schreibtisch sinken. Außer dem halb ausgefüllten Formblatt lag noch etwas anderes auf der Tischplatte: ein großer, glänzender, purpurfarbener Umschlag mit silberner Aufschrift auf der Vorderseite. Mona warf rasch einen Blick zur Tür, ob Filch vielleicht schon zurückkam, griff dann nach dem Umschlag und las laut vor:

,,KWIKZAUBERN
Ein Fernkurs für Zauberei
für Anfänger."

Neugierig schnippte Mona den Umschlag auf und zog einen Stoß Pergamentblätter hervor. Auf der ersten Seite, ebenfalls in Silberschrift, las Mona laut:

,,Haben Sie das Gefühl, den Anschluss an die moderne Zauberei verloren zu haben? Ertappen Sie sich beim Ausreden, um einfachste Zaubereien nicht ausführen zu müssen? Werden Sie des Öfteren wegen Ihrer kläglichen Arbeit mit dem Zauberstab getadelt? Es gibt eine Antwort darauf!
Kwikzaubern ist ein völlig neu entwickelter, garantiert erfolgreicher, einfach aufgebauter Kurs mit verblüffenden Erfolgen. Hunderte von Hexen und Zauberern sind von der Kwikzaubern-Methode begeistert!

Madam Z. aus Topsham schreibt:
»Ich konnte einfach keine Zauberformel behalten und über meine Zaubertränke hat die ganze Familie gelacht! Jetzt, nach dem Kwikzaubern-Kurs, bin ich der Mittelpunkt bei allen Partys, und Freunde bitten mich um das Rezept für meine Funken-Lösung!«

Hexenmeister D.J. Prod aus Didsbury bekennt:
»Meine Frau hat meine schwächlichen Zaubereien immer verspottet, doch nach einem Monat Training mit Ihrem fabelhaften Kwikzaubern-Kurs ist es mir gelungen, sie in einen Yak zu verwandeln! Vielen Dank, Kwikzaubern!«."

Sie reichte Harry das erste Blatt, der es sich fasziniert durchblätterte. Ein Schlurfen von draußen kündigte Filchs Rückkehr an. Harry stopfte die Pergamentblätter zurück in den Umschlag und warf ihn auf den Schreibtisch, als auch schon die Tür aufflog.

Mit siegestrunkenem Blick kam Filch herein. ,,Dieses Verschwindekabinet war äußerst wertvoll!", sagte er gehässig zu Mrs Norris. ,,Diesmal fliegt Peeves raus, meine Süße -"

Sein Blick fiel auf Harry und dann blitzschnell auf den Zauberkurs-Umschlag, der, wie Mona und Harry zu spät bemerkten, einen halben Meter zu weit von seinem ursprünglichen Platz entfernt lag.

Filchs teigiges Gesicht lief zeigelrot an. Mona wappnete sich für eine Flutwelle aus Beschimpfungen. Filch humpelte hinüber zum Schreibtisch, schnappte sich den Umschlag und warf ihn in eine Schublade.

,,Habt ihr... habt ihr gelesen -?", prustete er.

,,Nein", log Harry rasch.

Filch verschlang seine knorrigen Hände. ,,Wenn ich gewusst hätte, dass ihr meine private - nicht dass es für mich wäre - für einen Freund - sei's, wie es ist - allerdings -"

Mona sah ihn bestürzt an; noch nie hatte Filch so aufgelöst gewirkt. Seine Augapfel hüpften auf und ab, eine seiner teigigen Wangen war von einem Zucken befallen und der schottengemusterte Schal machte den Anblick auch nicht schöner.

,,Von mir aus - geht - und kein Wort davon - nicht dass - allerdings, wenn ihr es nicht gelesen habt - geht jetzt, ich muss den Bericht über Peeves schreiben - geht -"

Fassungslos über ihr Glück rannten Mona und Harry zur Tür hinaus, den Gang entlang und den Turm hoch. Ohne Bestrafung aus Filchs Stube zu entkommen, war vermutlich eine Art Schulrekord.

,,Mona! Harry! Hat es geklappt?"

Der Fast Kopflose Nick kam aus einem Klassenzimmer geglitten. Hinter ihm sah Mona die Trümmer eines großes schwarz-goldenen Schranks, der offenbar aus großer Höhe herabgefallen war.

,,Ich hab Peeves dazu überredet, ihn direkt über Filchs Büro zu zertrümmern", sagte Nick beflissen, ,,dachte, es würde ihn ablenken -"

,,Sie waren das?", erwiderte Mona dankbar.

,,Ja", sagte Harry, ,,es hat geklappt, wir haben nicht einmal eine Strafarbeit bekommen, danke, Nick!"

Sie machten sich auf den Weg den Gang entlang. Der Fast Kopflose Nick hielt schon wieder Sir Patricks Ablehnungsbrief in der Hand.

,,Ich wünschte, wir könnten etwas für Sie tun wegen dieser Kopflosenjagd", sagte Mona.

Der Fast Kopflose Nick blieb wie angewurzelt stehen und Mona ging geradewegs durch ihn hindurch. Das bereute sie, denn es war wie ein Schritt durch eine eiskalte Dusche.

,,Aber es gibt tatsächlich etwas, das Sie beide für mich tun können", sagte Nick aufgeregt. ,,Mona, Harry - wäre es zu viel verlangt - aber nein, Sie wollen bestimmt nicht -"

,,Was denn?", sagte Harry.

,,Nun, an diesem Halloween ist mein fünfhundertster Todestag", sagte der Fast Kopflose Nick mit schwellender Brust und würdevollem Blick.

,,Oh", sagte Mona, nicht ganz sicher,  ob sie eine mitleidsvolle oder eine glückliche Miene aufsetzen sollte; fragend blickte sie zu Harry, der lediglich mit den Schultern zuckte. ,,Verstehe."

,,Ich gebe unten in einem der geräumigen Kerker ein Fest. Aus dem ganzen Land werden Freunde kommen. Es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie beide dabei wären. Mr Weasley und Miss Granger wären natürlich ebenfalls willkommen - aber ich fürchte, Sie gehen lieber zum Schulfest?" Wie auf die Folter gespannt musterte er Mona und Harry.

,,Nein", sagte Harry rasch.

,,Wir kommen -", erwiderte Mona.

,,Meine Lieben! Harry Potter und Mona Gaunt auf meiner Todestagsfeier! Und -", sagte er zögernd und aufgeregt ,,wäre es Ihnen vielleicht möglich, gegenüber Sir Patrick zu erwähnen, wie furchtbar ansteinflößend und beeindruckend Sie mich finden?"

,,Na... natürlich", sagte Mona.

Der Fast Kopflose Nick strahlte beide an.

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,,Eine Todestagsfeier", sagte Hermine begeistert. Mona und Harry hatten sich endlich umgezogen und Hermine und Ron im Gemeinschaftsraum getroffen. ,,Ich wette, es gibt nicht viele Lebende, die von sich behaupten können, auf einer gewesen zu sein - das wird sicher faszinierend!"

,,Warum sollte jemand den Tag feiern, an dem er gestorben ist?", fragte Ron,  der erst mit der Hälfte seiner Zaubertrank-Hausaufgaben fertig war und schlechte Laune hatte. ,,Das hört sich ja niederschmetternd an..."

Noch immer peitschte Regen gegen die Fenster, die nun tintenschwarz waren; drinnen war es jedoch hell und behaglich. Das Feuer warf flackerndes Licht auf die weichen Sessel im Umkreis. Die anderen Schüler lasen, unterhielten sich oder machten Hausaufgaben. Oder aber sie waren wie Fred und George Weasley mit dem Versuch beschäftigt herauszufinden, was geschehen würde, wenn man einen Salamander mit einem Filibuster-Feuerwerkskörper fütterte. Fred hatte die orangerot leuchtende, im Feuer lebende Echse auf dem Unterricht für die Pflege magischer Geschöpfe »gerettet«, und von einer Schar Neugieriger umgeben schmorte sie nun ruhig auf einem Tisch vor sich hin.

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Halloween kam und so gingen Mona, Harry, Ron und Hermine um sieben Uhr geradewegs an der Tür zu der voll besetzten Großen Halle vorbei, in der goldene Teller und Kerzen einladend schimmerten, und stiegen hinab in die Kerker.

Der Gang, der zur Feier des Fast Kopflosen Nicks führte, war ebenfalls mit Kerzen beleuchtet, wenn auch diese nicht gerade eine aufmunternde Wirkung hatten: es waren lange, dünne, kohlschwarze Kerzen mit hellblauen Flammen, die sogar ihre lebendigen Gesichter leicht geisterhaft aussehen ließen. Mit jedem Schritt, den sie gingen, wurde es kälter. Mona zitterte und zog ihren Umhang fest zu, und da hörte sie etwas, das klang wie tausend Fingernägel, die über eine riesige Tafel kratzten.

,,Soll das etwa Musik sein?", flüsterte Ron.

Sie bogen um eine Ecke und sahen den Fast Kopflosen Nick vor einer Tür stehen, die mit schwarzem Samt bespannt war.

,,Meine lieben Freunde", sagte er von Trauer erfüllt, ,,willkommen, willkommen... so erfreut, dass Sie kommen konnten..."

Er riss sich den Federhut vom Kopf und bat sie mit einer Verbeugung herein.

Ein unglaublicher Anblick bot sich ihnen. Der Kerker war voll mit hunderten perlenweißer, durchscheinender Gestalten. Die meisten schwebten dicht gedrängt über einem Tanzboden und walzten zu dem fürchterlichen Kreischen von dreißig Musiksägen eines Orchesters, das auf einer schwarz gespannten Bühne spielte. Über ihn verströmten weitere tausend Kerzen auf einem Kronleuchter mitternachtsblaues Licht. Ihr Atem stieg als Nebelwolke vor ihnen auf; es war, als würden sie einen Eisschrank betreten.

,,Sollen wir uns ein wenig umsehen?", schlug Harry vor; er musste nämlich dringend seine Füße aufwärmen.

,,Passt auf, dass ihr durch keinen hindurchgeht", sagte Mona nervös und sie machten sich auf den Weg um die Tanzfläche.

Sie kamen an einer Gruppe düsterer Nonnen vorbei, an einem zerlumpten und mit Ketten gefesselten Mann und an dem Fetten Mönch, einem gut gelaunten Geist aus dem Hause Hufflepuff, der in ein Gespräch mit einem Ritter vertieft war, aus dessen Stirn ein Pfeil ragte. Mona erkannte auch den Blutigen Baron, einen ausgemergelten, stierenden Slytherin-Geist voll silberner Blutflecke, und es wunderte sie nicht, dass die anderen Geister einen weiten Bogen um ihn schlugen.

,,Oh nein", sagte Hermine und blieb schlagartig stehen. ,,Umdrehen, umdrehen, ich will nicht mit der Maulenden Myrte sprechen -"

,,Mit wem?", sagte Harry, während sie rasch kehrtmachten.

,,Sie spukt in der Mädchentoilette in ersten Stock herum", sagte Mona.

,,Sie spukt in einem Klo herum?"

,,Ja", erwiderte Hermine. ,,War fast das ganze Jahr über geschlossen, weil sie ständig Anfälle hat und alles unter Wasser setzt. Ich bin da sowieso nicht hingegangen, wenn ich's vermeiden konnte, es ist bescheuert, wenn du aufs Klo gehen willst und sie jammert dich voll -"

,,Seht mal, da gibt's was zu essen!", sagte Ron.

Auf der anderen Seite des Kerkers stand ein langer Tisch, ebenfalls mit schwarzem Samt bedeckt. Hungrig traten sie näher, doch nach einigen Schritten blieben sie entsetzt stehen. Der Gestank war Ekel erregend. Auf schönen Silberplatten lagen riesige verdorbene Fische, rabenschwarze verbrannte Kuchen häuften sich auf den Tellern; es gab große Mengen Schafsinnereien, auf denen sich fröhlich Maden tummelten, einen Käselaib, überzogen mit flaumigem grünen Moderne und, der Stolz der Küche, einen gewaltigen grauen Kuchen in der Form eines Grabsteins, verziert mit einer Art Teer, der die Worte bildete:

SIR NICHOLAS DE MIMSY-PORPINGTON
gestorben am 31. Oktober 1492

Mona sag erstaunt zu, wie ein fülliger Geist sich dem Tisch näherte, in die Knie ging und mit offenem Mund durch einen stinkenden Lachs watschelte.

,,Können Sie es schmecken, wenn Sie hindurchgehen?", fragte ihn Mona.

,,Beinahe", sagte der Geist traurig und entschwebte.

,,Ich denke mal, sie lassen es verroten,  damit es einen stärkeren Geschmack annimmt", wusste Hermine beizutragen, kniff sich die Nase zu und beugte sich vor, um die verwesenen Innereien zu begutachten.

,,Lasst uns gehen, mir ist schlecht", sagte Ron.

Kaum hatten sie sich umgedreht, huschte ein kleiner Mann unter dem Tisch hervor und schwebte ihnen in den Weg.

,,Hallo, Peeves", sagte Harry behutsam.

Im Gegensatz zu den Geistern um sie herum war Peeves, der Poltergeist, überhaupt nicht blass und durchscheinend. Er trug einen hellorangenen Papierhut, eine sich drehende Fliege und grinste arglistig über das ganze breite Gesicht.

,,Was zu knabbern?", sagte er schmeichlerisch und bot ihnen eine Schale mit pilzüberwucherten Erdnüssen an.

,,Nein, danke", sagte Hermine.

,,Hab gehört, wie ihr über die arme Myrte gesprochen habt", sagte Peeves mit tanzenden Augäpfeln. ,,Unverschämte Dinge habt ihr über die arme Myrte gesagt." Er holte tief Luft und rief mit donnernder Stimme: ,,OY! MYRTE!"

,,Oh nein, Peeves, erzähl ihr nicht, was ich gesagt hab, das wird sie sicher ganz durcheinander bringen", flüsterte Hermine aufgeregt. ,,Ich hab's nicht so gemeint, ich hab nichts gegen sie - ah, hallo, Myrte."

Der Geist eines plumpen Mädchens war zu ihnen herübergeglitten. Sie hatte das trübseligste Gesicht, das Mona je gesehen hatte, halb verborgen hinter glattem Haar und einer dicken Perlmuttbrille.

,,Was ist?", sagte sie schmollend.

,,Wie geht es dir, Myrte?", fragte Hermine mit gekünstelt munterer Stimme, ,,schön, dass du mal aus der Toilette rauskommst."

Myrte schniefte.

,,Miss Granger hat gerade über dich gesprochen", sagte Peeves heimtückisch in Myrtes Ohr.

,,Hab nur gesagt - wie - wie hübsch du heute Abend aussiehst", sagte Hermine und starrte Peeves mit wütendem Blick an.

Myrte beäugte Hermine misstrauisch. ,,Du machst dich über mich lustig", sagte sie, und silberne Tränen schossen in ihre kleinen durchsichtigen Augen.

,,Nein, ehrlich, hat Hermine nicht gerade gesagt, wie hübsch Myrte aussieht?", fragte Mona und stieß Harry und Ron schmerzhaft in die Rippen.

,,O ja -"

,,Das hat sie -"

,,Lügt mich nicht an", stöhnte Myrte, und jetzt kullerten Tränen ihr Gesicht hinunter, während Peeves glücklich über ihre Schulter hinweg gluckste. ,,Meint ihr, ich weiß nicht, wie mich die Leute hinter meinem Rücken nennen? Fette Myrte! Hässliche Myrte! Elende, maulende, trübselige Myrte!"

,,Gutes Aussehen übersieht niemand", sagte Mona bedrückt und versuchte Myrte aufzuheitern, ,,ein gutes Herz leider sehr viele... Myrte, es ist egal, was andere über dich sagen. Das, worauf es später ankommt, ist das hier." Sie deutete auf ihr Herz und schaffte es tatsächlich, Myrte einen Moment lang aufzuheitern.

,,Du hast »picklig« vergessen", zischte Peeves Myrte ins Ohr.

Die Maulende Myrte brach in verzweifeltes Schluchzen aus und floh aus dem Kerker. Peeves schoss ihr nach, bewarf sie mit pilzigen Erdnüssen und rief: ,,Picklig! Picklig!"

,,Ach je", sagte Hermine traurig. ,,Schöne Rede, Mona."

Ehe Mona sich für das Kompliment bedanken konnte, schwebte der Fast Kopflose Nick ihnen durch die Gästeschar entgegen. ,,Macht's Spaß?"

,,O ja", logen sie.

,,Es sind doch einige gekommen", sagte der Fast Kopflose Nick stolz. ,,Die Klagende Witwe ist immerhin aus Kent angereist... es ist Zeit für meine Rede, ich geh lieber und sag dem Orchester Bescheid..."

Das Orchester hörte jedoch in diesem Moment zu spielen auf. Und auch alle anderen im Kerker verstummten und drehten sich entgeistert um, als das Jagdhorn ertönte.

,,Oh, da sind sie", sagte der Fast Kopflose Nick verbittert.

Durch die Kerkerwände brachen ein Dutzend Geisterpferde, jedes geritten von einem kopflosen Reiter. Die Versammelten klatschten begeistert, auch Mona begann zu klatschen, hielt beim Anblick von Nicks Gesicht jedoch rasch inne.

Die Pferde galoppieren in die Mitte der Tanzfläche, wo sie aufbäumend und ausschlagend Halt machten; ein großer Geist an der Spitze, der seinen bärtigen Kopf unter dem Arm trug, sprang herab und hob den Kopf in die Luft, um über die Menge sehen zu können (alles lachte). Er setzte den Kopf auf den Hals und schritt auf den Fast Kopflosen Nick zu.

,,Nick", dröhnte er. ,,Wie geht's? Hängt der Kopf immer noch dran?" Unter schallendem Gelächter klopfte er Nick auf die Schulter.

,,Willkommen, Patrick", sagte Nick steif.

,,Lebendige!", rief Sir Patrick, als er Mona, Harry, Ron und Hermine erblickte, und zuckte mit gespieltem Entsetzen zusammen, so dass sein Kopf wieder herunterkullerte (die Menge johlte auf).

,,Sehr amüsant", sagte der Fast Kopflose Nick mit düsterer Miene.

,,Stört euch nicht an Nick!", rief Sir Patricks Kopf vom Fußboden hoch, ,,der ist immer noch sauer, weil er nicht an der Jagd teilnehmen darf! Aber ich würde meinen - schaut euch den Kerl doch mal an -"

,,Ich denke", sagte Harry rasch auf einen bedeutungsvollen Blick von Nick hin, ,,Nick ist sehr - furchteinflößend und - ähm -"

,,Ha!", rief Sir Patricks Kopf, ,,wette, er hat Sie gebeten, mir das zu sagen!"

,,Na und?", sagte Mona enzürnt. ,,Vielleicht hat er das sogar! Aber das ist doch egal. Wenn jemand es verdient hat, bei dieser Kopflosenjagd teilzunehmen, dann ist es Nick! Er ist der beste Geist den es gibt! Zwei Zentimeter hin oder her - das macht doch nichts aus! Und ich wäre, an Ihrer Stelle, Sir Patrick, ganz ruhig, weil Nick im Gegensatz zu Ihnen mehrere Axthiebe durchleiden musste. Alleine das macht ihn schon zu etwas Besonderem, vor allem, weil er nicht seinen Kopf als Hilfsmittel zur Unterhaltung braucht, den er auf den Boden fallen lässt und denkt, es wäre eine Sensation!"

,,Wie heißt du, dass du es wagst, so mit mir zu reden?", zischte Sir Patricks Kopf eine Spur aufgebracht.

,,Mona Gaunt - nach Ihrem vollen Namen will ich gar nicht fragen, weil ich ihn erstens schon kenne, und zweitens eigentlich auch nicht wissen will."

,,Danke, Mona, für die schönen Worte. Dürfte ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten, es ist Zeit für meine Rede!", sagte der Fast Kopflose Nick laut, schritt auf das Podium zu und trat in das eisblaue Licht einer Kerze. ,,Meine beklagenswerten verstorbenen Lords, Ladys und Gentleman, es ist mir ein großes Missvergnügen..."

Doch niemand mochte mehr zuhören. Sir Patrick und der Rest der Kopflosen Jäger hatten eine Partie Kopfhockey begonnen und die Gäste wandten sich dem Spiel zu. Der Fast Kopflose Nick bemühte sich, die Aufmerksamkeit seines Publikums zurückzugewinnen, gab jedoch auf, als Sir Patricks Kopf unter lautem Johlen an ihm vorbeisegelte.

Mona war inzwischen sehr kalt, ganz zu schweigen von ihrem Hunger.

,,Ich halt's hier nicht mehr lange aus", knurrte Ron mit klappernden Zähnen, als das Orchester wieder zu sägen begann und die Geister auf den Tanzboden zurückschwebten.

,,Gehen wir", stimmte Harry ihm zu.

Mona lächelte Nick noch einmal leicht an, was er erwiderte, schenkte Peeves und Sir Patrick jeweils einen bösen Blick und machte sich mit ihren drei besten Freunden auf den Weg in Richtung Tür, und kurze Zeit später hasteten sie zurück durch den mit schwarzen Kerzen gesäumten Gang.

,,Vielleicht sind sie mit dem Nachtisch noch nicht fertig", sagte Ron hoffnungsvoll und betrat als Erster die Stufen zur Eingangshalle.

Und dann hörte Mona es.

,,Reißen... zerfetzen... töten..."

Es war dieselbe Stimme, dieselbe kalte, mörderische Stimme, die sie schon bei dem Nachsitzen bei Professor Snape gehört hatte.

Stolpern hielt sie inne und tauschte mit Harry einen Blick, der so viel sagte wie »Du hörst es auch«. Sie legte die Hände auf die steinerne Wand, blickte gangauf und gangab und lauschte zusammen mit Harry mit aller Kraft.

,,Harry, Mona, was -?"

,,Da ist wieder diese Stimme - sei mal still -"

,,...so hungrig... schon so lange..."

,,Hört!", sagte Mona eindringlich, und Ron und Hermine erstarrten und richteten die Augen auf sie und Harry.

,,...töten... Zeit zu töten..."

Die Stimme wurde schwächer. Sie bewegte sich fort von ihnen, da war sich Mona sicher - nach oben - und nach Harrys Blick zu urteilen, dachte er dasselbe. Sie starrte an die Decke, und eine Mischung aus Angst und Erregung erfüllte sie; wie konnte die Stimme sich nach oben bewegen? War sie ein Phantom, dem die steinerne Decken nichts ausmachten?

,,Hier lang", riefen Mona und Harry gleichzeitig und liefen nebeneinander die Stufen zur Eingangshalle hoch. Doch hier war gewiss nichts mehr zu hören, denn Stimmengewirr vom Halloween-Fest drang aus der Großen Halle. Ron und Hermine dicht auf den Fersen rannten Mona und Harry die Marmortreppe zum ersten Stock hoch.

,,Mona, Harry, was tun wir -"

,,SCHHH!'

Mona spitzte die Ohren. Aus dem nächsten Stockwerk, aus weiter Ferne, hörte sie die verblassende Stimme: ,,... ich rieche Blut... ICH RIECHE BLUT!"

Mona drehte sich der Magen um -

,,Es wird jemanden umbringen!", rief Harry, packte Mona an der Hand und rannte los.

Ohne auf Rons und Hermines Gesichter zu achten, nahmen beide drei Stufen der nächsten Treppe auf einmal und versuchten über das Getrappel der eigenen Schuhe hinweg zu lauschen -

Mona und Harry jagten durch alle Gänge im zweiten Stock und Ron und Hermine keuchten ihnen hinterher. Erst, als sie in den letzten, verlassenen Korridor eingebogen waren, hielten sie an.

,,Harry, Mona, was ist eigentlich los?", fragte Ron, während er sich den Schweiß vom Gesicht wischte. ,,Ich hab nichts gehört..."

Da stieß Hermine einen kurzen Seufzer aus und deutete den Gang hinunter. ,,Seht mal!"

An der Wand vor ihnen leuchtete etwas. Sie spähnten in die Dunkelheit und traten vorsichtig näher. An die Wand zwischen zwei Fenstern waren halbmeterhohe Wörter geschmiert, die im flackernden Licht der Fackeln schimmerten.

DIE KAMMER DES SCHRECKENS WURDE GEÖFFNET.
FEINDE DES ERBEN, NEHMT EUCH IN ACHT

,,Was hängt - dadrunter?", fragte Ron mit leichtem Zittern in der Stimme.

Zögernd gingen sie vor.  Mona rutschte beinahe aus - auf dem Boden war eine große Wasserlache; Ron und Hermine hielten sie fest und alle vier näherten sich der Schrift an der Wand, die Augen auf den dunklen Schatten darunter gerichtet. Alle vier erkannten im selben Augenblick, was es war, und zuckten zurück.

Mrs Norris, die Katze des Hausmeisters, hing am Schwanz festgebunden vom Fackelhalter herab. Sie war steif wie ein Brett, und in ihren weit aufgerissenen Augen lag ein starrer Blick.

Einige Atemzüge lang standen sie da wie angefroren. Dann sagte Ron: ,,Lasst uns von hier verschwinden."

,,Sollten wir nicht versuchen ihr zu helfen -", begann Mona verlegen.

,,Glaub mir", sagte Ron, ,,es ist besser, wenn uns hier niemand sieht."

Doch es war zu spät. Ein Dröhnen, wie von fernem Donner, sagte ihnen, dass das Fest gerade zu Ende war. Von beiden Enden des Korridors näherte sich das Trappeln hunderter treppensteigernden Füße und das laute, muntere Geredr wohlgenährter Schüler: und schon drangen sie von den Seiten herein.

Das Geschnatter und Gekicher und der Lärm starben jäh ab, als die Ersten von ihnen die aufgehängte Katze erblickten. Mona, Harry, Ron und Hermine standen allein inmitten des Durchgangs, und allmählich verstummte die ganze Schar und drängte vorwärts, um die grauenvolle Stätte zu sehen.

Dann durchbrach ein Ruf die Stille.

,,Feinde des Erben, nehmt euch in Acht! Ihr seid die nächsten, Schlammblüter!"

Es war Draco Malfoy. Er hatte sich ganz nach vorn gedrängt. Mit einem Funkeln in den kalten Augen, das sonst blutleere Gesicht gerötet, grinste er beim Anblick der starren Katze.

Mona klappte geschockt der Mund auf.

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Wow, das ist das längste Kapitel, das ich je geschrieben habe.😂 Ganz genau 4700 Wörter.

Ich hätte da mal eine Frage, undzwar: wie würdet ihr den Ship zwischen Mona und Draco nennen?

Ja! Ich werde die beiden shipen! Das dauert aber noch bisschen...⏳

LG Moona❤

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