Herz in Scherben
Das Hospiz ist ein gruseliger Ort, findet Sascha.
Jedes mal wenn er hier ist verfolgt ihn dieses komische Gefühl,
als würde etwas oder jemand ihn festhalten, damit er nicht weiter geht.
Es jagt ihm einen unangenehmen eiskalten Schauer über den Rücken und sorgt für eine Enge in seiner Brust.
Am liebsten würde er einfach umdrehen und nach Hause gehen, doch das würde er seiner geliebten Mutter nie antun.
Nach mehrmaligem hin und her überlegen, fasst er seinen Mut zusammen und geht auf die große metallene Tür zu, welche den Haupteingang schützt.
Je näher er dem Eingang kam, desto stärker wurde das beklemmende Gefühl in seiner Brust.
Lag es daran das er wie immer allein hier war?
Oder doch eher daran, dass er die Nächte zuvor miserabel geschlafen hatte?
Ihm fiel keine Antwort darauf ein, vielleicht war es ja beides.
Er schlich weiter in Richtung Eingangshalle, sie ist vollkommen leer und bereitet ihm noch mehr unbehagen.
Noch immer ist er sich nicht hundertprozentig sicher, ob er wirklich weitergehen sollte,
doch er tat es.
Als er die Eingangshalle hinter sich ließ, folgte ein langer Flur in dem weniger Licht zu finden war, als im lieb ist.
Auch hier war keine Menschenseele zu sehen, auch hörte man kein einziges Geräusch aus den angrenzenden Zimmern.
Langsam beschlich ihn das Gefühl, dass hier etwas sehr seltsam ist.
Jeder Schritt macht ihm mehr und mehr Angst und treibt ihn dazu an seine Schritte zu beschleunigen..
Ich muss wissen ob es Mami gut geht, schoss es ihm durch den Kopf.
Warum war er hier nur so allein?
Hatte er doch die Hoffnung gehabt, das sein Vater wenigstens dieses eine Mal mitkommt,
schließlich hatte seine geliebte Mutter heute Geburtstag.
Doch wie jedes mal, war sein Vater lieber in der Kneipe, um sich volllaufen zu lassen.
Was natürlich zur Folge haben wird, dass Sascha seinen Unmut zu spüren bekommt, so wie jedes mal wenn sein Vater am frühen Morgen den Weg aus der Kneipe nach Hause findet.
Und Sascha hofft jedes mal aufs neue, dass sein Vater ihn nicht tot schlägt.
Am Ende des Flurs erreicht er endlich das Zimmer seiner Mutter, doch betritt er es noch nicht.
Vorher kontrolliert er erst, ob er auch alle blauen Flecke gut versteckt hat, schließlich möchte er nicht das seine Mutter sich Sorgen um ihn macht.
Nur noch kurz durchatmen, denkt er sich und nimmt seinen ganzen Mut zusammen und öffnet die Tür.
Das Zimmer ist leer, niemand ist da…
Panisch schaut er sich um.
Der Schrank ist leer, keine Sachen sind mehr zu finden…
"Was? Wo ist sie? Sie kann doch nicht? Sie wird doch nicht...?" rast es in seinem Kopf.
Entsetzt und zutiefst erschüttert geht er aus dem Zimmer und schaut sich suchend um, doch niemand ist zu sehen, niemand ist zu hören.
Er ist völlig allein und verlassen, niemand der ihn tröstet, der ihn auffängt, jetzt wo er mehr als je zu fallen droht.
Verzweiflung macht sich breit und mit ihr beginnt sich die Welt um ihn herum zu drehen.
Der Gedanke, dass seine Mutter allein gestorben ist macht ihn fast wahnsinnig.
Das wenige Licht im Flur beginnt zu flackern und der Boden unter seinen Füßen zu beben.
Sein Herz krampft sich zusammen, als sein ersticktes Hilfe durch den Flur hallt, aber weder Patienten noch Ärzte, es niemand, registriert.
Heiße Tränen schießen ihm in die Augen, der Boden rast auf ihn zu.
“AAAAAAAAAAAAAAAAAAH!!!!!!!” , schreit er auf bevor er zusammenbricht und die Schwärze ihn umfängt..
Als er wieder wach wird, liegt er in einem Bett.
"War es ein Traum? Eher ein mieser Albtraum… Moment, das ist nicht mein Bett,
wo bin ich?" gerät er in Panik.
Er versucht aufzustehen, doch etwas hindert ihn. Fassungslos bemerkt er die Bänder um seinen Hand- und Fußgelenken, die ihn fixieren.
"Was zum Henker? Was ist das denn jetzt?" doch bevor er den Gedanken zu Ende führen konnte, stand aufeinmal ein Mann im weißen Kittel vor ihm.
“Guten Tag Junger Mann, wie ich sehe bist du nun endlich wach.
Du willst sicher wissen wo du hier bist, hab ich Recht?” fing der Mann an zu reden.
Sascha will gerade zur Antwort ansetzen, da spricht der Mann weiter.
“Du befindest dich gerade in der Kinder- und Jugend Nervenheilanstalt,
du hattest einen kleinen Nervenzusammenbruch, welcher sich äußerst negativ auf deine Psyche ausgewirkt hat. Deine Fixierung ist notwendig, da wir davon ausgehen müssen, dass du dir selbst etwas antun wirst, wenn du erfährst, dass deine Mutter leider verstorben ist.
Es wird dich aber sicherlich freuen, zu hören das sie nicht gelitten hat.
Ich weiß, dass ist ein harter Schlag für dich, aber du musst jetzt positiv in die Zukunft schauen und du hast ja immerhin noch einen Vater, der dich liebt und für dich sorgt.”
Nach diesen Worten verlässt der Kerl einfach das Zimmer und lässt Sascha völlig allein zurück.
"Ma ist wirklich??? Das darf nicht…" seine Gedanken spielen verrückt und lassen keine Klarheit durch.
Er will weg, einfach nur weg, doch die Fixierung lässt es nicht zu.
Die tränen schießen ihm die Augen und er kann sie nicht mehr zurück halten,
er verfällt in einen richtigen Heulkrampf, aus dem er eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr herausfindet.
Jeder Gedanke daran, dass seine Mutter allein verstarb, reißt sein Herz in Stücke.
“Hey du, einfach alles raus lassen… Das hilft wirklich.” spricht eine ruhige Stimme von der andere Seite des Zimmers,
Sascha sieht kurz auf und erblickt am Fenster ein Nett grinsenden Jungen, der auf seinem Bett sitzend Salzstangen futtert.
Langsam hört er auf zu weinen, er beruhigt sich, seine Augen werden schwerer und schwerer, er kann sie kaum noch offen halten und schläft vor lauter Erschöpfung einfach ein.
“Wer sind sie?” wird er unsanft geweckt.
Er öffnet die Augen und sieht einen Mann in Schwarzer Uniform, welcher von einem Pfleger angesprochen wird.
“Ich frage sie nicht nochmal!” verdeutlicht der Pfleger mit ernstem Blick.
“Mein Name ist Oberst Andrej, der Junge dort am Fenster ist mein Neffe Basti und das wissen sie genau.
Was mich eher Interessiert ist, warum ist dieser Junge hier Fixiert?” sagt der Mann in uniform.
Der Pfleger antwortet darauf nur “Das geht sie nichts an!”.
Der Oberst schaut ihn sehr Böse an und sagt “Ich möchte das sie den Jungen umgehend von der Fixierung befreien, sonst sehe ich mich gezwungen dies mit Gewalt durchzusetzen.”
Der Pfleger zögert einen kurzen Augenblick, kommt der Aufforderung aber nach und befreit Sascha aus seiner Lage.
Kaum ist Sascha seine Fesseln los, springt er auf und will zur Toilette rennen,
wird aber vom Pfleger aufgehalten.
“Flüchten ist nicht!” motzt dieser los.
Oberst Andrej zieht den Pfleger von Sascha weg und sagt freundlich zu dem Jungen “Nun flitzt schon zum Klo, bevor dir noch ein Missgeschick passiert.”
Das lässt Sascha sich kein zweites mal sagen und rennt los.
“Was wenn der Junge sich jetzt was an tut?” fragt der Pfleger entsetzt und erhält prompt die Antwort. “Sie glauben nicht ernsthaft, das der Kleine sich selbst etwas antut oder? Der muss nur dringend aufs Klo, dass hätten sie erkennen können, wenn sie ihm mal in die Augen sehen würden. Der Junge strotzt nur so vor Leben, der wird sich nichts antun. Sollte ich noch einmal sehen, dass sie diesen Jungen noch einmal in so eine Lage bringen, werde ich sie in eine Lage bringen die sie garantiert nicht Vergessen werden. Und jetzt entschuldigen sie mich einen Augenblick!”
Oberst Andrej verließ das Zimmer um nach einer halben Stunde mit einem mit Kleidung gefüllten Beutel wieder zu erscheinen.
“Was soll das werden?” fragt der Arzt entsetzt, als er das Zimmer betritt.
Dieser wird von Oberst Andrej gänzlich ignoriert, während er neben Sascha’s Bett steht und ihm sagt, das er diese Sachen anziehen soll, damit er nicht mehr dieses Hemd mit offenem Rücken tragen muss.
Da Sascha aus Angst sich nicht bewegt, stellt der Oberst den Beutel einfach aufs Bett und nimmt ein wenig Abstand von dem Jungen.
Nun wendet er sich dem Arzt zu, als dieser nach dem Beutel greift.
“Das ist Eigentum des Militärs, sollte ich sehen, das dem Jungen auch nur eines dieser Sachen fehlt, werde ich sehr ungehalten reagieren müssen.”
Der Arzt überlegt kurz und überlässt dem Jungen diese Sachen, ohne etwas dazu zu sagen.
Arzt und Pfleger verlassen das Zimmer und der Oberst geht nun zu seinem Neffen rüber, welcher sich über das Erlebte ein wenig amüsiert.
“Klein Basti findet es doch nicht etwa Lustig wie ich mit dem Doc und der Pfeife umgehe oder?”
“Doch Onkel Blau Bär… Schließlich mag ich die beiden nicht… Darf ich eigentlich auch irgendwann wieder nach Hause?” fragt der Junge neugierig.
Traurig schaut der Oberst seinen kleinen Neffen an.
“Der Arzt sagt, das du gestern einen neuen Versuch gestartet hast… Entspricht es der Wahrheit?” fragt er betrübt und Basti schaut ihn mit großen Augen an.
“Es war kein Versuch, ich bin gestolpert und wollte mich am Geländer festhalten.
Ich hatte nicht vor rüber zu klettern. Ich habe dir doch versprochen das ich nicht mehr versuche mich zu töten und versprechen halte ich immer, dass hast du mir beigebracht.”
“Dann werde ich mich Morgen nochmal mit dem Arzt Unterhalten müssen.” sagte der Oberst fröhlicher.
Sascha hatte sich in der Zeit mehr oder weniger heimlich Umgezogen und war um einiges glücklicher durch die neuen Sachen geworden.
Basti schaut zu ihm rüber und sagt freudig. “Das sieht doch ganz gut aus.”
Sascha schaut ihn geschockt an und weiß nicht so recht was er jetzt tun soll.
Der Oberst unterbricht die unangenehme Stille.
“So meine Herren, ich werde mich nun wieder von euch verabschieden müssen, mein Dienst beginnt bald und es wäre durchaus fatal wenn ich ihn nicht antrete.”
Basti verabschiedet sich mit einer dicken Umarmung und Sascha steht wie angewurzelt da und starrt auf den Boden.
Nachdem der Oberst das Zimmer verlassen hat,
legt sich Sascha langsam und vorsichtig ins Bett und dreht Basti den Rücken zu, damit dieser nicht sieht wie er Weint.
Basti bemerkt die leisen kaum zu hörenden Schluchzer, sagt aber keinen Ton um Sascha nicht zu stören.
Doch nach nicht allzu langer Zeit ertönt ein schriller Gong durch die Gänge der Klinik und lassen Sasha Augenblicklich verstummen.
"Was war das…", flüstert er und versucht seine von den Schluchzern heisere stimme zu verstecken.
" Es gibt Abendessen", antwortet ihm Basti und erhebt sich aus seinem Bett. " Wir nehmen das alle im Gemeinschaftsraum ein, wir werden gleich abgeholt und dahin gebracht."
Kaum hat Basti seinen Satz beendet, steht ein Pfleger in der Tür und blafft die Jungs an.
"Warum seid ihr nicht draußen? Raus und ab in den Speisesaal!"
Die beiden springen auf und kommen der Aufforderung sofort nach.
Als sie in den überfüllten Speisesaal ankommen, suchen sie sich einen freien Platz.
Und wie es das Glück so wollte, sitzen sie nebeneinander.
Ein Tablett mit undefinierbaren Nahrungsmitteln wird ihnen vor die Nase gestellt.
"Basti? Was genau ist das?" flüstert Sascha, auf die Antwort muss er nicht lange warten.
"Das weiß hier keiner. Ich bezweifle sogar, dass der Koch wenn es denn einen gibt, weiß was es ist."
Basti hat es geschafft ein leises Kichern Sascha zu entlocken.
Was ihm wiederum ein leichtes Grinsen auf sein Gesicht zauberte.
Beide untersuchen das Zeug auf dem Tablett mit prüfenden Blicken und entscheiden zusammen, auf den Verzehr zu verzichten.
Sie warten bis sie wieder auf ihr Zimmer dürfen und unterhalten sich über die verschiedensten Dinge.
Nach einer Weile, stellt Basti interessiert die Frage. "Warum bist du eigentlich hier? Du wirkst nicht so, als würdest du hierher gehören."
Sascha setzt zu einer Antwort an, bricht diese jedoch bedrückt ab und ein Schatten huscht über sein Gesicht.
Auf diese Reaktion war Basti nicht vorbereitet und weiß nicht genau was er jetzt tun soll.
Auf der einen Seite, möchte er ihn trösten, traut sich jedoch nicht.
Auf der anderen Seite, möchte er gern eine Antwort hören, weiß aber das er diese nicht erhalten wird.
Schweigen ziert nun den Rest des Abends und ändert sich bis zur Schlafenszeit nicht.
Beide gehen zu Bett, ein freundliches "Gute Nacht, Schlaf gut." ist von Basti zu hören, eine Antwort erhält er jedoch nicht.
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