IV.2
In ihrem Zimmer angekommen, legte sie sich ins Bett, starrte die Decke an und dachte nach, drehte ihre beiden Möglichkeiten im Kopf hin und her, immer wieder, bis ihre Zukunft ihr nahezu wie eine Geschichte erschien, die gar nicht wirklich der Realität entsprach.
„Worüber denkst du nach?" Marcius ließ sich neben ihr aufs Bett fallen.
„Alles. Nichts."
„Klingt interessant."
Sie seufzte nur – und japste nach Luft, als Marcius ihr ein Kissen aufs Gesicht drückte. „Ich kann dieses ewige Seufzen nicht mehr hören", kritisierte er scherzhaft.
Unter lautem Protest strampelte Acia sich frei, riss ihm das Kissen aus der Hand und warf es ihm an den Kopf.
Lachend hob ihr bester Freund es auf und warf zurück, aber er verfehlte sie.
„Also Marcius, an dem müssen wir arbeiten. Du bist seit fast zwei Jahren ein Gladiator und schaffst es noch nicht einmal, mich mit einem Kissen zu treffen?", lachte Acia. Sie konnte gar nicht anders, als zu lachen. Es tat gut, war besser, als die ganze Zeit Gedanken, Vorstellungen und Ängste hin und her zu wälzen.
„He, das Werfen von Kissen gehört nicht zur Ausbildung eines Gladiators!", verteidigte ihr Freund sich ebenfalls lachend und schubste sie vom Bett runter.
„Aber das schon, oder wie?"
„Rohe Gewalt. Das ist es, was man braucht, wenn man in der Arena gewinnen will."
Acia prustete los. „Rohe Gewalt. Klingt irgendwie lächerlich, wenn man bedenkt, dass du soeben nicht mehr gemacht hast als mich von meinem Bett zu stoßen."
„Ach, keine Lektion über Taktik und Schnelligkeit?", spottete er.
„Ich bin es leid, das hier immer wieder zu ..." Mitten im Satz sprang sie auf und stieß ihren Freund so zur Seite, dass er am Fußende des Bettes auf den ausgetretenen Teppich fiel.
„Das war Taktik." Sie grinste. „Wenn du doch einmal Interesse an einer Trainingsstunde mit mir hast, lass es mich wissen."
Sie hätte diesen Moment gerne festgehalten. Es war keiner dieser Momente, in denen alles perfekt zu sein schien; diese gab es in Acias Leben schon lange nicht mehr. Aber es war ein Moment, in dem die Dinge zumindest ansatzweise gut zu sein schienen, und das war genug.
***
An diesem Abend versuchte Acia, ohne die Schlafmittel einzuschlafen.
Aber wenig überraschend hatte es keinen Zweck. Die Gladiatorin lag stundenlang wach und dachte über alles nach, was sie getan hatte.
Über die Kämpfe, die sie gewonnen hatte.
Über die Gladiatoren, die sie verletzt hatte.
Über die Menschen, die sie getötet hatte.
Immer wieder wiederholte sie in Gedanken, dass sie das Richtige tat, sagte es vor sich hin, wieder und wieder. Sie tat das Richtige. Sie musste ihre Schwester retten, ihre Schwester, deren Leben tausendmal wichtiger war als das der drei Gladiatoren und fünf Verbrecher, gegen die sie in der Arena gewonnen hatte.
Aber ganz konnte sie damit die Gedanken, die sie wachhielten, nicht zum Schweigen bringen. Die Gedanken daran, dass sie eine Mörderin und Betrügerin war.
Und dass sie nicht aufhören konnte, zu kämpfen, denn sonst würde sie auch Cecelia töten, wenn auch nicht direkt.
Doch möglicherweise würde das alles bald keine Rolle mehr spielen. Möglicherweise würde Cecelia sterben, zumindest wenn man den Briefen ihrer Mutter Glauben schenken wollte, nach denen sich der Zustand von Acias Schwester noch immer nicht gebessert hatte.
Es war gegen vier Uhr morgens, als Acia resigniert zu der kleinen Packung auf ihrem Nachttisch griff, eine Tablette herausdrückte und sie ohne Wasser schluckte.
Als die Wirkung einsetzte und ihre Erinnerungen in der gewohnten Schwere ertränkte, fragte Acia sich, wie viele Kämpfe sie wohl noch würde gewinnen müssen, um genügend Geld zu verdienen.
Eigentlich wollte sie die Antwort gar nicht wissen, denn jede Zahl, selbst die Eins, erschien ihr riesig und verstörend.
Und nicht zum ersten Mal kam bei ihr die Frage auf, ob all ihre Bemühungen schlussendlich nicht nur dazu führen würden, dass sie noch vor ihrer kleinen Schwester starb.
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