IV.1
„Wie war dein Wochenende?"
Marcius zögerte.
„Es war super, aber du willst es mir nicht sagen." Acia stieß ihn freundschaftlich in die Seite. „Dass dein Wochenende gut war, macht meines auch nicht schlechter. Komm, erzähl."
„Gut." Ihr Freund lächelte. „Du hast recht, es war gut. Sie haben mich empfangen, als wäre ich ein hochrangiger Gladiator. Dabei war ich in meinen Briefen immer ehrlich mit ihnen. Und sie haben es sogar verstanden, dass ich das Angebot aus Aes abgelehnt habe."
Acia verschluckte sich beinahe an ihrem Kaffee. „Du hattest ein Angebot aus Aes?"
Schuldbewusst sah ihr bester Freund zu Boden.
„Aber warum hast du mir nichts davon erzählt?"
„Es kam für mich ohnehin nicht in Frage", verteidigte er sich.
„Marcius Octavia ..."
„Ich habe dir schon einmal gesagt, dass es nicht sonderlich männlich ist, Menschen mit ihrem vollen Namen anzusprechen", zischte er.
„Ist mir doch egal", fauchte Acia. „Warum hast du das Angebot abgelehnt? Wegen mir?"
„Acia, die Leute schauen uns schon alle an."
Die Gladiatorin schloss die Augen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. „Du hättest gehen sollen", sagte sie dann in etwas ruhigerem, männlicherem Tonfall.
„Und du?", fragte er mit eindringlicher Stimme. „Was wird aus dir, wenn ich weg bin?"
Sie wusste keine Antwort auf diese Frage, und so sah sie gespielt fasziniert auf den großen, altmodischen Bildschirm an der Wand ihr gegenüber, statt die Unterhaltung fortzuführen. Eine Nachrichtensendung lief. Die Nachrichtensprecherin war eine jung aussehende Frau mit blonden Haaren, die sie als komplizierte Flechtfrisur trug, und für das Klima in Patria außergewöhnlich heller Haut.
Acia wusste, dass die blonden Haare der Frau gefärbt waren und eigentlich das gleiche dunkle Braun wie ihre eigenen hatten, nur durchzogen von grauen Strähnen. Sie wusste auch, dass die helle Haut das Ergebnis von einer extradicken Schicht Sonnencreme war, die die Nachrichtensprecherin auftrug, wann immer sie das Haus verließ, und dass sie in Wahrheit gar nicht mehr so jung war wie sie aussah. Und dass sie trotz ihres stilsicheren Auftretens, das beinahe davon schrie, dass sie reich war, kaum genug verdiente, um ihre Familie über Wasser zu halten.
In einer Welt wo alle Informationen über das Internet bezogen wurden und der Fernseher nur noch im Hintergrund lief, hatte man als Nachrichtensprecherin keine glamourösen Zukunftsaussichten.
Erst recht nicht als ehemalige Frau eines Kriminellen, der wegen Diebstahl und unerlaubtem Waffenbesitz in der Arena hatte kämpfen müssen – und verloren hatte.
Acia wandte den Blick ab, weil sie ihre Mutter nicht länger ansehen konnte. Sie hielt es nicht aus, an zu Hause erinnert zu werden, jetzt wo sie sich endlich eingestanden hatte, dass sie so bald wahrscheinlich nicht würde zurückkehren können. Nicht so lange sie ein Gladiator war.
Eine Arzthelferin öffnete die Tür zum Wartezimmer und rief Acias Namen auf. Froh über die Ablenkung stand diese auf und folgte der jungen Frau in den Nebenraum.
„Hallo, Acia", begrüßte die Ärztin sie. „Setz dich doch."
Acia setzte sich auf die Liege, die in der Mitte des Raumes stand, und entspannte sich ein wenig, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Dr. Luna gehörte ebenfalls zu den Leuten, die über ihr Geheimnis Bescheid wussten; bei einer Ärztin, die für die allmonatliche Untersuchung der Gladiatoren zuständig war, ließ sich das kaum vermeiden.
„Wie geht es dir?", fragte sie.
„Wie immer", antwortete Acia ehrlich. „Ein Gesicht mehr in meinen Albträumen seit dem letzten Mal, aber das ist es wohl nicht, was Sie wissen wollten."
Dr. Luna seufzte mitfühlend und notierte sich etwas in ihrem kleinen Notizbuch. „Oh ja, der Kampf vor drei Wochen. Deine Schlafstörungen haben sich seitdem wieder verschlechtert?"
Acia lachte trocken auf. „Nein. Ich wüsste gar nicht, inwiefern die sich noch verschlechtern sollten."
Eine weitere Notiz in Dr. Lunas Büchlein, ein weiterer mitleidiger Blick. „Dann schieben wir dich mal in den Scanner", sagte sie freundlich.
Acia legte sich auf die Liege, die in der Mitte des Raumes stand. Kaum lag sie, drückte Dr. Luna ein paar Knöpfe und Acia fuhr in eine enge Röhre hinein. Als die weißen Wände sie umgaben, musste die Gladiatorin sich zum Atmen zwingen. Sie mochte keine engen Räume.
Als es endlich vorbei war und ihre Liege wieder aus der Röhre hinausfuhr, setzte Acia sich erleichtert auf. Ein weiterer Scan war überstanden. Dass der nächste schon in einem Monat anstand, verdrängte sie gekonnt.
Ihre Erleichterung hielt jedoch nicht lange an. Dr. Luna sah besorgt auf den großen Bildschirm an der Wand.
Eine Weile sagte keine der beiden etwas. Die Ärztin schien in ihre Gedanken versunken zu sein und Acia wollte nicht nachfragen. Am liebsten wäre sie weggerannt.
Schließlich seufzte Dr. Luna. „Acia, wir müssen über den Zustand deines Gehirns sprechen."
Acia stöhnte. „Nicht schon wieder."
„Doch. Schon wieder. Warum hast du das Altasomnum nicht abgesetzt? Ich habe dir ein Rezept für ein anderes Schlafmittel gegeben."
„Weil ich eine kleine Schwester zu Hause habe, die auf Medikamente angewiesen ist. Und diese Medikamente kosten Geld. Wenn ich einen Großteil meines Geldes für teure Schlafmittel ausgebe, dann ..." Acia brauchte den Satz nicht zu beenden. Beide wussten, wovon sie sprach.
„Aber dadurch, dass du dein Gehirn weiterhin mit abhängig machenden, altmodischen Schlafmitteln zerstörst, kannst du sie retten? Acia, deine Aufmerksamkeit und deine Konzentration leiden enorm darunter. Und diese Dinge sind wichtig, wenn du in der Arena stehst. Ich habe dich kämpfen sehen. Deine größten Stärken sind Taktik und Schnelligkeit. Wenn das Altasomnum die noch weiter beeinträchtigt, kann es sein, dass du irgendwann in naher Zukunft verlieren wirst", erklärte Dr. Luna.
Acia schloss die Augen. Vielleicht würde es reichen. Vielleicht würde Cecelia zu diesem Zeitpunkt schon vollständig gesund sein. Oder zumindest auf dem Weg zur Besserung. Aber so lange Acia es nicht wusste, konnte sie das Risiko nicht eingehen.
„Ich kann dir die billigen Schlafmittel nicht wegnehmen", sagte Dr. Luna. „Und ich kann dich nicht dazu zwingen, Geld auszugeben, das deine Schwester brauchen würde. Aber als deine Ärztin kann ich dich bitten, zumindest darüber nachzudenken."
Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Acia tatsächlich darüber nach.
Aber sie konnte nicht aufhören, selbst wenn sie es gewollt hätte. Sie konnte das Altasomnum nicht absetzen, egal, wie gut das andere Schlafmittel sein mochte. Sie hatte es schon versucht, mit günstigen Alternativen, und immer war sie zurückgekehrt, immer hatte die Sucht ihre Fänge nach ihr ausgestreckt und sie dazu gezwungen, eine dieser kleinen weißen Tabletten zu schlucken, die alles in watteweicher Dunkelheit versinken ließen.
„Du kannst gehen", sagte Dr. Luna leise.
Mit zitternden Beinen stand Acia auf und verließ das Behandlungszimmer.
Welche Wahl hatte sie? Entweder sie nahm weiterhin ihre alten Schlafmittel, hatte mehr Geld für Cecelia übrig und erhöhte damit die Chancen, dass ihre kleine Schwester überlebte – und riskierte, dass sie in der Arena zunehmend schlechter wurde.
Oder sie besorgte sich die Schlafmittel, die Dr. Luna ihr verschrieben hatte, gab viel zu viel Geld dafür aus und hoffte, dass es trotzdem für Cecelias Medikamente reichte. Das bedeutete auch, gegen ihre Sucht anzukämpfen, etwas, was sie schon früher hätte tun sollen.
Bei dem Gedanken daran hätte sie beinahe laut aufgelacht. Sie besiegte einen Gladiator nach dem anderen in der Arena, aber unterlag der Wirkung kleiner Tabletten.
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