II.2

„Alles in Ordnung bei dir?", fragte er mit einem schiefen Grinsen und einem Anflug von Spott in der Stimme.

„Was machst du hier?", fragte Acia statt einer Antwort zurück, immer noch vollkommen verwirrt. Was hatte Aden aus Adamantem, die ehemalige Nummer eins auf der Rangliste, in ihrem schäbigen kleinen Wohnheim verloren? Und warum war er nicht wütend auf Acia, obwohl sie ihn in der Arena besiegt hatte?

Er zog die Augenbrauen hoch und sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. Nun war der Spott offensichtlich, als er sagte: „Na was wohl? Ich bin auf der Suche nach dem besten Wohnheim in Patria."

„Glaub ja nicht, dass ich keinen Sarkasmus verstehe", erwiderte Acia bissig. Darum war er nicht wütend, klar. Weil er trotz allem auf sie herabsah.

„Habe ich nicht behauptet." Aden zog eine Augenbraue hoch.

„Stimmt. Aber du weichst meiner Frage aus. Warum bist du hier?"

Er seufzte. „Kannst du dir das nicht vorstellen? Die haben mich aus Adamantem rausgeworfen, nachdem ich gegen dich verloren habe. Die anderen Wohnheime wollten mich nicht. Aber es ist hier gar nicht so schlimm, wie ich erwartet hätte. Auch wenn das Essen in Adamantem besser geschmeckt hat."

Die Gladiatorin widmete sich wieder ihrer Suppe und rümpfte die Nase. Zumindest in diesem Punkt musste sie Aden recht geben. Egal, wie viele wertvolle Nährstoffe dieses Essen angeblich enthielt, es schmeckte noch widerlicher als es aussah.

Von ihrer rechten Seite vernahm sie Adens leises Lachen, das sie jedoch ignorierte. Sie hatte keine Lust, ihr Wohnheim zu verteidigen. Hätte er besser gekämpft, dann wäre er jetzt gar nicht hier.

Für den Rest des Essens redete sie mit Marcius; Aden sprach sie nicht noch einmal an. Und sie war eindeutig froh darüber.

***

„Acia, kommst du?"

„Lass mich."

„Du bist schon seit einer halben Stunde da drin. So lange brauchst du doch sonst auch nicht."

Acia ignorierte Marcius' beständiges Klopfen an der Badezimmertür und schnitt eine letzte Locke ab, die ihr zuvor immer in die Stirn gefallen war. Die dunklen Haare fielen lautlos ins Waschbecken.

Ja, normalerweise brauchte sie nicht so lange. Und das Haareschneiden hätte noch einen Tag, sogar mehrere warten können. Aber sie wollte nicht zu dieser Party. Und so versuchte sie, es hinauszuzögern bis zum letztmöglichen Moment.

„Wenn du jetzt nicht rauskommst, dann komme ich rein", drohte Marcius.

„Wenn du so viel Wert darauf legst, die Badezimmertür zu zerstören, nur zu", erwiderte Acia.

„Du wirst zur Party gehen, ob du willst oder nicht. Die warten alle schon auf dich und ich habe ihnen gesagt, dass du kommst", kam es von der anderen Seite der Tür.

Acia stöhnte. „Mann, Marcius. Warum musstest du unbedingt zusagen?"

Sie hatte jetzt gerade wirklich keine Lust auf diese Party. Sie wartete noch immer auf eine Antwort von ihrer Familie und die Begegnung mit ihrem ehemaligen Gegner heute Mittag hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Nun noch eine Nacht mit einem Haufen betrunkener Gladiatoren und bezahlter Frauen, darauf konnte sie gerne verzichten. Sehr gerne.

„Nein, hätte ich nicht."

Acia öffnete die Badezimmertür, aber nur, um ihrem besten Freund ins Gesicht blicken zu können. „Seit wann kümmert es dich, was andere von dir denken?", fragte sie.

„Es kümmert mich, ob es dir nachher wieder schlecht geht, weil du einen ganzen Abend allein in deinem Zimmer gesessen und über die Gladiatoren, die du getötet hast, nachgedacht hast. Außerdem will ich deine Gratisdrinks."

Er packte sie am Arm und zog sie hinter sich her zum Aufenthaltsraum.

Laute Musik schlug ihnen entgegen, als Marcius die Tür öffnete. Der Raum war abgedunkelt und bunte Lichter flitzten umher. Acia roch den Geruch von Alkohol und Zigarettenrauch und wäre am liebsten wieder umgedreht. Aber nun war es zu spät zum Kneifen, denn in diesem Moment wurden sie bemerkt.

„Hey, da ist ja unser Gewinner!", rief eine Männerstimme und Jubel brandete auf. Acia zwang ihre Lippen zu einem Lächeln und wagte sich weiter in den Raum hinein. Sie steuerte direkt auf die Bar zu.

Marcius würde ihre Gratisdrinks heute nicht bekommen. Keinen einzigen davon.

Sie hatte sich kaum auf einen der hohen Hocker gesetzt, da stellte der Barkeeper ihr schon einen Cocktail vor die Nase. An der Bar war es etwas heller als auf der Tanzfläche und Acia betrachtete das blutrote Mischgetränk misstrauisch. Es kam ihr beinahe makaber vor, es jetzt zu trinken, bei dieser Farbe, aber sie mochte nicht darüber nachdenken.

„Hey, Wisson, gefällt dir die Party?"

Lawrance hatte sich neben sie gesetzt. Sein nach Alkohol riechender Atem wehte ihr entgegen und sie musste sich beherrschen, um nicht das Gesicht zu verziehen. Acia mochte keine Gladiatoren. Und noch weniger mochte sie betrunkene Gladiatoren.

Sich selbst ausgenommen. Sie stürzte ihr Getränk geradezu herunter, bevor sie Lawrance' Frage mit einem Nicken beantwortete.

„Wie bist du eigentlich so gut geworden, sag mal", lallte Acias Freund.

„Ein guter Gladiator verrät niemandem seine Technik", antwortete Acia knapp. Sie sprach nicht gerne über sich selbst, erst recht nicht über ihre Erfolge in der Arena. Nicht einmal mit Lawrance oder Marcius.

„Komm schon, quaeso, du weißt genau, wie sehr ich hier raus will."

„Wer will das nicht." Mit einer Handbewegung bestellte Acia den nächsten Cocktail. „Es würde dir längst für Aes reichen, Lawrance. Du hattest sogar ein Angebot. Dass du den Gerüchten glaubst, die über dieses Wohnheim umgehen, ist nicht mein Problem."

Er verdrehte die Augen. „Würdest du an einen Ort gehen wollen, wo die Gladiatoren angeblich psychisch manipuliert werden und das Training ..."

„Das interessiert mich alles nicht", schnitt sie ihm das Wort ab. „Du solltest schlafen gehen, homine, du kannst dich ja kaum mehr auf den Beinen halten."

„Ich bin topfit", lallte er. „Ich kann noch die ganze Nacht hier durchfeiern."

Sie griff nach ihrem Cocktail und trank einen großen Schluck davon. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle, doch sie spürte, wie ihr Kopf leichter wurde und damit auch ihre Gedanken und Erinnerungen. Die bunten Lichter verschwammen vor ihren Augen. „Das solltest du nicht tun", sagte sie zu Lawrance, aber die Worte kamen nicht so überzeugt aus ihrem Mund wie sie geplant hatte. Vielleicht war es keine schlechte Idee, die Nacht durchzufeiern. Vielleicht war es besser als die Albträume, die sie erwarteten, sobald sie die Augen schloss.

Vielleicht.

Lawrance bestellte sich ein Bier und bezahlte. „Kannst du mir nicht wenigstens die Taktik erklären mit der du Trevisan in der Arena die Waffe entwendet hast? Das habe ich voll nicht mitbekommen."

„Wer ist Trevisan?" Gut, Acia mochte schon leicht angetrunken sein, aber sicher nicht so sehr, dass es ihr Erinnerungsvermögen beeinträchtigte.

„Ach, deine Strategie mit den Namen, sorry. Aber da er jetzt ja ohnehin hier ist, kann ich es dir auch verraten: Aden Trevisan ist der Typ aus Adamantem, den du besiegt hast", erklärte Lawrance.

„Oh. Ach so." Adens Vornamen hatte sie gekannt, aber sein Nachname war ihr neu. Eigentlich hätte sie es sich von Anfang an denken können. Lawrance hatte diese Angewohnheit, die Leute immer nur mit dem Nachnamen anzusprechen.

„Und?" Acias Freund trank einen Schluck von seinem Bier.

„Ein guter Gladiator verrät niemandem seine Technik", wiederholte sie ihre Worte von vorhin, nur dieses Mal etwas schwerfälliger. Wahrscheinlich war es wirklich am besten, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken und alles zu vergessen. Acia wusste genau, warum der Alkoholkonsum in den Wohnheimen so hoch war.

„Mann, Wisson, sei nicht so stur", lallte Lawrance. „Willst du, dass ich sterbe?"

Acia bestellte den dritten Cocktail. „Nein."

„Also."
„Okay." Schwankend stand sie auf, packte einen der wackligen hölzernen Barhocker, hob ihn über den Kopf und schmetterte ihn mit aller Kraft auf den Boden, um ihn in seine Teile zu zerschlagen. Einige Gladiatoren drehten sich zu ihr um, aber das war ihr egal. Sie wollte nicht, dass Lawrance starb. Natürlich nicht. Und noch weniger wollte sie, dass sein Blut an ihren Händen klebte, weil sie ihm nicht geholfen hatte, dass sein Gesicht in ihren Albträumen auftauchte, dass die Leute hinter ihrem Rücken redeten, sie eine Mörderin nannten ...

Die Gladiatorin hob eines der Stuhlbeine auf und warf es Lawrance zu. Dann nahm sie sich eines für sich selbst. Der Barkeeper sah sie ein wenig irritiert an, sagte aber nichts.

Es brachte einige Vorteile mit sich, ganz oben auf der Rangliste zu stehen und eine der berühmtesten Persönlichkeiten in Patria zu sein.

„Okay. Halt das Stuhlbein wie ein Schwert", befahl sie Lawrance. „Und jetzt mach einen Schritt vor ..."



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