79. Kapitel
Liza wartete mit einem Brief in der Hand in einem kleinen Café in London. Noch war sie allein, aber ihre Begleitung sollte jeden Moment auftauchen. Eigentlich war sie schon zu spät, aber damit hatte Liza schon gerechnet.
Leider gab das Liza noch mehr Zeit, die Zeilen auf dem Brief immer und immer wieder durchzulesen, diese sich einzuprägen, bis alle ihre Gedanken um diese wenigen Zeilen schwirrten.
Es war nicht der Brief, den Liza so melancholisch werden ließ. Es war auch nicht der Absender oder das Beschriebene. Es war die Art gewesen, wie er angekommen war.
Die Eule war fremd gewesen und wenn man auf das Datum auf dem Brief sah, an dem er geschrieben worden war, erkannte Liza, dass der Brief für die Zustellung länger gebraucht hatte, als jemals zuvor.
Liza hörte, wie sich zaghafte Schritte ihr näherten und sie blickte vom Brief auf, nur um ihre erste Freundin zu sehen – Nymphadora Tonks.
Aber sie sah verändert aus – so ganz anders. Ihre Haare waren nicht mehr fröhlich bunt, nicht einmal mehr kaugummirosa, sondern schlicht und normal. Sie sah bleich aus und ihre Augen traurig, aber sie hielt sich noch immer mit erhobenem Kopf und wenn man sie nicht näher kannte, hätte man nichts Ungewöhnliches an ihr gesehen. Aber Liza kannte sie schon seit Jahren und sie wusste, dass es Tonks überhaupt nicht gutging.
„Tonks", Liza stand von ihrem Platz auf und ließ den Brief für diesem Moment vergessen auf dem Tisch liegen, um ihrer Freundin entgegenzukommen und diese zu umarmen.
Tonks versteifte sich unter ihrer Umarmung für einen Moment und zögerte, bevor sie ihre Arme um Liza legte und sie fest an sich drückte, als wäre sie Umarmungen gar nicht mehr gewohnt, was vermutlich auch so war. Als wäre sie menschlichen Kontakt kaum noch gewohnt.
„Liza." Tonks nannte sie „Liza". Nicht „Marta", wie sie es eigentlich häufig tat. Sie benutzte Lizas richtigen Namen, aber das klang aus ihrem Mund irgendwie fremd und falsch, wie Liza fand (aber natürlich hätte sie das Tonks niemals gesagt).
„Setz dich doch", bot Liza sanft an, als die Freundinnen sich wieder voneinander lösten und sie setzten sich gegenüber.
Liza fragte Tonks nicht, wie es ihr ging (sie kannte die Antwort schon). „Charlie hat mir geschrieben", begann sie stattdessen und Tonks sah auf, aber sie grinste Liza nicht wie sonst vielsagend an, sie wirkte auch nicht amüsiert darüber – generell reagierte sie nicht, wie Tonks reagiert hätte.
„Das ist schön", Tonks blieb stattdessen distanziert und irgendwie... erwachsen, als würde sie ein Geschäftsgespräch führen. Sie fragte nicht einmal, was er ihr geschrieben hatte – alle Neugierde schien verschwunden zu sein.
„Tonks, hör auf", bat Liza sie leise und Tonks sah sie irritiert an.
„Mit was soll ich aufhören?", ihre Stimme blieb ruhig, aber in ihren Augen sah Liza, dass ihre Nerven angespannt waren und sie schon abwehrend reagierte.
„Mich so zu behandeln, als wären wir Fremde", bemerkte Liza ebenso angespannt.
Tonks blickte auf den Tisch auf ihre gefalteten Hände und vermied Augenkontakt mit Liza. Kurz sagte sie nichts. „Ich weiß nicht, was du meinst", murmelte sie schließlich leise, was Liza sagte, dass sie ganz genau wusste, was sie meinte.
„Rede dir das ruhig ein", seufzte Liza und beruhigte sich etwas. Ihrer Freundin ging es nicht gut, das wusste sie. Sie musste Geduld haben, immerhin waren sie beste Freunde, aber Tonks schien sie wegstoßen zu wollen und Liza wusste, dass sie das nicht verdient hatte.
Für schreckliche zehn Sekunden war es still. Keiner von beiden sagte etwas und jeder von ihnen wartete darauf, dass er andere wieder etwas sagen würde. Liza beobachtete Tonks geduldig, während diese ihre Finger viel interessanter finden zu schien, als Liza.
Aber schließlich war Tonks diejenige, die aufgab. „Was schreibt Charlie?"
Liza lächelte. „Das übliche...", meinte sie und seufzte, „Dass es ihm gutgeht, dass er uns alle vermisst – auch dich. Er hat dich erwähnt. Hat mich gebeten, dir einen schönen Gruß von ihm auszurichten, er hätte dir selbst eine Eule geschickt, aber das Sanktuarium besitzt nicht viele Eulen und er kann nur eine auf einmal verwenden."
„Er muss mir nicht schreiben", winkte Tonks ab, „Ich komme schon zurecht."
„Er will dir aber schreiben", widersprach Liza ihr, „Er ist einer deiner besten Freunde. Natürlich will er Kontakt mit dir und allen anderen halten. Das nächste Mal (das schreibt er zumindest) wird er mehrere Briefe auf einmal schicken und ich kann sie verteilen. Er ist sich nur nicht sicher gewesen, ob diese fremde Eule auch wirklich bis nach London kommt."
„Das tut sie, oder?", fragte Tonks, aber sie führte nur Smalltalk und interessierte sich nicht wirklich dafür. Tonks schien generell wenig zu interessieren, aber Liza beschloss, darüber hinweg zu blicken.
„Ja, aber die Eule hat drei Wochen gebraucht", seufzte Liza, „Mir ist nie aufgefallen, was für eine treue und effiziente Eule Pictor gewesen ist, bis..."
Sie musste den Satz nicht beenden und endlich schien sie Tonks Aufmerksamkeit zu haben. Tonks blickte Liza entschuldigend an und zögernd griff sie mit ihren Händen nach denen von Liza und drückte sie fest. „Das tut mir leid", meinte Tonks ehrlich, „Ich weiß, du kannst es wahrscheinlich gar nicht mehr hören, aber... Ich habe Pictor genauso lange gekannt, wie ihr beide. Ich bin dabei gewesen, als du ihn gefunden hast und ich habe mir mit ihm auch einen Turm geteilt, als du ihn aufgezogen hast. Mir fehlt er auch."
„Er ist doch nur eine Eule gewesen", meinte Liza leise (und dieses Mal war sie es, die log), „Eigentlich nichts Besonderes."
„Sag das nicht", fuhr Tonks sie an, „Pictor ist mehr, als nur eine Eule gewesen. Er ist ein Gefährte gewesen, ein Freund... ihr habt ihn aufgezogen und ihr habt auch jedes Recht dazu, um ihn zu trauern."
„Ich habe nur nicht gedacht, dass sich so viel verändern würde", plötzlich waren Tränen in Lizas Augen (sie weinte doch nie), „Es... als ich Charlies Brief bekommen habe, ist es so fremd gewesen, ihn nicht von Pictor zu bekommen. Als wäre er gar nicht von Charlie." Liza fuhr sich mit der Hand über die Augen und lachte trocken auf. „Es tut mir leid, ich weiß nicht, warum ich weine... Es sind einfach..."
„Es ist einfach alles zu viel", beruhigte Tonks sie verständnisvoll, „Ich verstehe das."
„Ich sollte nicht weinen", meinte Liza streng, aber sie sprach eher mit sich selbst, als mit Tonks, als sie tief Luft holte, um sich wieder zu beruhigen, „Ich bin eine Gregorovich. Ich weine nicht!"
„Du darfst weinen", versprach Tonks ihr sanft, „Glaub mir – das tun alle."
„Ich nicht. Ich bin Heilerin – Leute vertrauen darauf, dass ich ihnen mit ihren Problemen helfe! Da kann ich mir eigene Probleme nicht leisten."
„Das ist dein Beruf", widersprach Tonks ihr, „Nicht dein Leben. Du solltest Leben und Beruf trennen."
„Wir wissen beide, dass ich das nicht kann", schnaubte Liza, „Mein Beruf ist mein Leben geworden."
„Und deswegen staut sich alles in dir drin – du lässt es nicht hinaus und irgendwann findet es schon einen Weg", schimpfte Tonks sie, aber sie war nicht wütend, nur besorgt, „Du musst endlich deine Dämme einreißen und alles hinauslassen, bevor es dich zerstört."
„Ich halte das schon aus", versprach Liza, „ich bin eine Gregorovich."
Tonks musterte ihre Freundin, aber sie wusste, dass sie Liza nicht einreden konnte, auch auf sich selbst zu achten. Immerhin kannte sie ihre Freundin schon einige Jahre lang.
„Was hat Charlie noch geschrieben?", fragte Tonks und deutete auf den Brief, der noch vor ihnen auf dem Tisch lag – er war lang und ausführlicher, als das, was Liza erzählt hatte.
„Er hat geschrieben, dass er es zu Weihnachten nicht nach England schafft", meinte Liza leise und sie wirkte so klein und verloren, dass Tonks sich fragte, ob sie noch immer der Meinung sei, dass sie eine unzerstörbare Gregorovich sei (aber sie fragte nicht nach). „Er schreibt, dass sie im Sanktuarium einige Probleme haben, aber er versucht, so schnell wie möglich einmal vorbeizuschauen."
„Charlie ist wie du", zeigte Tonks auf, „Sein Beruf ist sein Leben."
„Da passen wir beide wohl gut zusammen", seufzte Liza, „Ich bin eigentlich ganz froh darüber, dass er nicht in dieses Irrenhaus kommt. Es ist zu gefährlich für alle. Das habe ich meinen Eltern auch geschrieben."
„Sie wollten kommen?", fragte Tonks überrascht. Normalerweise besuchten Noah und Iwana ihre Kinder immer zu Weihnachten.
„Ich habe ihnen geschrieben, dass sie in Amerika bleiben sollen", gab Liza zu, „Es wäre zu gefährlich für sie."
„Warum fliegen Kon und du nicht über Weihnachten nach Amerika?", schlug Tonks hoffnungsvoll vor, aber Liza schüttelte den Kopf.
„Die Arbeit, Tonks."
„Das Krankenhaus und das Ministerium werden es wohl ein paar Tage – vielleicht auch Wochen ohne euch aushalten oder?", fragte Tonks, obwohl sie die Antwort, die Liza ihr geben würde schon kannte.
„Oh, nein, das funktioniert zurzeit gar nicht", widersprach Liza ihr eilig, „Jeden Tag kommen neue Patienten in allen Abteilungen und dann muss ich auch noch die neue Lernheilerin ausbilden und der Orden –"
„Okay, ich hab's verstanden", unterbrach Tonks sie seufzend, „Ein Gregorovich kann sich nicht wie jeder andere Arbeitende auch Urlaub nehmen, oder?"
Liza wusste zwar, dass Tonks sarkastisch war, aber sie beschloss, das zu ignorieren. „Ganz genau!", stimmte sie ihrer Freundin zu, „Außerdem würde ich wahnsinnig werden."
„Aber du würdest auch wahnsinnig werden, wenn du nicht eine Pause machst und schließlich vollkommen übermüdet einfach umkippst", versuchte Tonks auf sie einzureden. Sie zögerte. Tonks wollte ihre nächsten Worte eigentlich nicht aussprechen, aber sie wusste, dass sie das musste. Immerhin kannte jeder von ihnen die Gefahr, die wie dicke Luft auf ihnen lag. Leute vom Orden waren angegriffen und ermordet worden und insgeheim wusste jedes Ordensmitglied, dass jeder Tag sein letzter sein konnte, aber die meisten ignorierten diese Gefahr. So auch Liza und Konstantin, wie Tonks wusste. „Außerdem könnte es das letzte Mal sein, dass ihr sie seht."
Liza sah erschrocken auf und starrte ihre Freundin ungläubig an, die ihrem Blick nicht auswich, sondern hoffte, dass ihr ernster Blick Liza zeigte, wie ernst die Gefahr war.
„Das ist lächerlich, Tonks", Liza stand ruckartig auf und schob ihren Stuhl zurück. Sie überragte die sitzende Tonks, aber diese war überhaupt nicht eingeschüchtert von dem bösen Blick ihrer besten Freundin. Immerhin waren sie beste Freunde und Tonks wusste, was gesagt werden musste und insgeheim hatte auch Liza schon daran gedacht.
Die beiden Frauen starrten sich in die Augen und warteten darauf, dass die jeweils andere aufgab und nachgab, aber dieses Mal war es Liza, die plötzlich ihre Schultern erschöpft sinken ließ und sich langsam wieder auf ihren Platz Tonks gegenüber setzte.
„Ich will nicht, Tonks", meinte Liza quengelig, wie ein kleines Kind, „ich will das alles nicht."
„Ich weiß", Tonks legte wieder eine Hand behutsam auf die ihrer Freundin, „Aber du weißt, dass es stimmt, oder?"
Liza zögerte, bevor sie nickte. „Ja."
„Dann weißt du auch, dass ihr über Weihnachten nach Amerika gehen solltet – nur für ein paar Tage. Ihr seid Zauberer, ihr müsst darauf keinen Monatsausflug machen. Ihr fliegt hin, verbringt ein paar Tage mit euren Eltern und kommt wieder zurück."
„Ja."
„Es wird euch beiden guttun und eure Eltern werden sich freuen."
„Ja."
Tonks seufzte und drückte Lizas Hand. „Es ist nur ein Gedanke", beruhigte Tonks sie, „Ihr werdet beide überleben, es überstehen und eure Eltern wiedersehen, aber die Frage ist auch, wann das sein wird. Wenn Dumbledore Recht hat und Du-weißt-schon-wer wirklich irgendwann das Ministerium unterjocht, dann bin ich mir nicht sicher, ob irgendjemand von uns das Land verlassen kann."
„Ich will das nicht", wiederholte Liza ihre Worte, „Ich will diesen ganzen... ganzen Krieg nicht, ich will die Gefahr nicht, ich will nicht daran denken, dass jeder Tag mein letzter sein könnte."
„Wer will das schon?", schnaubte Tonks, „Aber wir müssen uns darauf vorbereiten, oder nicht? Wir müssen bereit für alles sein. England wird ein paar Tage ohne euch zurechtkommen müssen, auch wenn es vermutlich schwer sein wird."
„England wird untergehen, sobald wir das Land verlassen", schnaubte Liza, „Wie soll denn irgendjemand ohne uns zurechtkommen?"
„Ich bin mir sicher, wir überleben diese kurze Apokalypse ohne euch", Tonks schmunzelte, „Aber es wird hart werden."
„Da bin ich mir sicher", nun lächelte auch Liza verschmitzt, „Ihr könnt euch nicht einmal selbst die Schuhe binden, ohne die Gregoroviches!"
„Übertreib nicht, Marta."
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