109. Kapitel

Liza schien die einzige im Raum zu sein, die das Mädchen nicht erkannte, die den Raum betrat, aber sie beobachtete, wie dieses Mädchen von den anderen im Widerstand mit einem Blick beachtet wurde, der Liza verriet, dass sie entweder die Anführerin war oder einfach nur eine ihrer stärksten Kämpfer (Liza vermutete das Erste).

Sie hatte blondes Haar, das sie hochgesteckt hatte, als wäre sie nicht im Krieg, sondern auf einem Ball und auch ihre Kleider waren ordentlich und offenbar gebügelt. Dieses Mädchen sah nicht so aus, als würde es sie kümmern, dass sie im Krieg waren und sie gesuchte Verbrecher waren – sie behielt eine Ausstrahlung, die nur ein Mädchen mit viel Selbstbewusstsein haben konnte.

„Leanne!", Tia erkannte sie sofort und rannte zu ihr, um sie zu umarmen und das Mädchen, das offenbar Leanne hieß, umarmte sie zurück. Sie waren Freundinnen, das erkannte Liza sofort. Tia hatte überall Freunde – eine davon war wohl die Anführerin einer Widerstandsgruppe.

„Oh, bei Merlin, Tia", Leanne lachte ebenso fröhlich, wie Tia, „Ich freue mich doch auch, dich zu sehen."

„Das ist Leanne Travis", wisperte Konstantin seiner Schwester ins Ohr, „Sie ist die Tochter von Lydia und Henry Travis – die beiden, die von den Todessern ermordet worden sind – in diesem Haus."

Leanne Travis war also persönlich in diesem Krieg involviert und jetzt wunderte es Liza nicht mehr, dass dieses Mädchen offenbar beschlossen hatte, eine Anführerin zu werden. In Zeiten des Krieges wurden die seltsamsten Persönlichkeiten zu Anführern auserkoren.

„Du bist die Anführerin?", fragte Liza das Mädchen namens Leanne.

Liza hatte richtig geraten – das erkannte sie, als Leanne stolz lächelte. Es war auch ein Titel, auf den man stolz sein konnte. „So etwas ähnliches", gestand Leanne, „Ich habe diese kleine Gruppe hier nur gegründet."

„Und uns das Haus zur Verfügung gestellt", fügte das Mädchen, das sich als Katie vorgestellt hatte hinzu.

„Jetzt wäre nur noch interessant zu wissen, was diese kleine Gruppe – wie du sie genannt hast – überhaupt ist", Konstantin neben Liza wirkte misstrauisch und sah sich um, „Man kann das hier wohl kaum eine kleine Gruppe nennen, oder? Wie viele seid ihr?"

„Im Moment haben wir, mit mir, einundzwanzig Mitglieder", erzählte Leanne wieder mit einem stolzen Lächeln im Gesicht – das war ihre Gruppe und sie war stolz auf sich, „Und so ziemlich jeder hier steht auf der Liste der gesuchten Verbrecher – auch wenn unsere Plätze etwas weiter unten sind auf dieser ominösen Liste von sogenanntenVerbrechern."

„Manche von uns sind schon von Anfang an auf dieser Liste gewesen", erklärte eine junge Frau mit Dreads weiter, „andere wiederum haben sich einen Platz darauf verdient, als sie mit dieser Gruppe hier in Verbindung gebracht worden sind."

„Ihr seid also ein Haufen Wahnsinniger, die beschlossen haben, sich freiwillig zum Freiwild zu machen?", fasste Konstantin mit hochgezogener Augenbraue zusammen und Liza seufzte – konnte ihr Bruder nicht einmal in seinem Leben erkennen, wann es besser war, den Mund zu halten?

„Dasselbe wollte ich auch gerade über euch sagen", konterte die Frau schmunzelnd und Tia lachte auf, „Ich meine... seht euch an. Wenn ihr an die Geschehnisse von gestern zurückdenkt, wer von uns hat wahnsinniger ausgesehen?"

„Oh! Ich kenne die Antwort", Sirius grinste, als er die Hand hob wie ein Schuljunge und begeistert auf und ab sprang, „Es gibt eigentlich nur eine richtige Antwort – Agnes."

„Ich hasse dich", bemerkte Agnes ausdruckslos.

„Ich habe diese Geschichte gehört", erinnerte sich der junge Mann, den Agnes Duncan genannt hatte und stupste Agnes' Wange an, worüber sie nicht sonderlich zufrieden aussah, „Anscheinend hast du im Alleingang das Ministerium angezündet – stimmt das?"

„Nein", widersprach Agnes tonlos, „Ich habe es nur versucht – hätten sie mir ein bisschen mehr Zeit gegeben, hätte ich es auch geschafft."

„Ich wäre jetzt erst einmal für eine fröhliche Vorstellungsrunde", unterbrach Konstantin die Unterhaltung, „Falls es euch noch nicht aufgefallen ist – ich kenne niemanden von euch. Wer bei Merlins pinken Unterhosen seid ihr alle?"

„Pinke Unterhosen?", wiederholte Liza (sie hatte jeden Ausdruck von ihrem Bruder erwartet, aber nicht das), aber schnell erkannte sie, dass ihr Bruder schon verstörendere Dinge gesagt hatte (besonders über Sirius) und nahm es lieber einfach so hin, wie es war, anstatt noch länger darüber nachzudenken, „Ausnahmsweise hat er Recht – wer seid ihr?"

„Wir sind der Widerstand", erklärte Leanne und hob stolz den Kopf und grinste breit.

„So viel haben wir auch schon verstanden", bemerkte Konstantin unbeeindruckt (Liza wünschte sich, er würde mehr Anerkennung Leanne gegenüber zeigen, immerhin war diese Gruppe ihr Werk, auf das sie stolz war und sein konnte), „Ich brauche Namen, Wohnorte, wenigstens Hogwartshäuser – irgendetwas, damit ich weiß, dass ich euch vertrauen kann."

„Hier drüben steht die ehemalige Quidditch-Mannschaft der Ravenclaws", Agnes deutete in eine Ecke, zu der sich auch Duncan gesellt hatte.

„Perfekt", Konstantin lächelte falsch und Liza wusste, dass Konstantin sich im Moment alles andere als wohl fühlte und er diese Situation niemals wirklich als „perfekt" beschrieben hätte, aber Konstantin war schon immer (zu) gut darin gewesen, anderen etwas vorzuspielen, „Wenn ihr mir verzeiht, ich reihe mich einmal unter die meinen ein."

Liza seufzte. Konstantin durchquerte den Raum mit großen, selbstsicheren Schritten, als wäre das hier sein zu Hause und stellte sich zu jenen, die Agnes als die ehemalige Quidditchmannschaft der Ravenclaws beschrieben hatte.

Konstantin selbst war in Ravenclaw gewesen und er hatte ebenfalls Quidditch gespielt. Liza erkannte keinen der Gruppe als einen Mitspieler von Konstantin, also waren sie alle erst Spieler geworden, nachdem Konstantin Hogwarts verlassen hatte – Konstantin kannte diese Personen nicht und das gefiel ihm ganz bestimmt nicht so sehr, wie er es sich anmerken ließ.

„Du hast seit Jahren kein Quidditch mehr gespielt", bemerkte Liza trocken und hob unbeeindruckt eine Augenbraue.

„Lizzy, ich bin von Fremden in Kriegszeiten umgeben", kurzerhand warf Konstantin den Arm um einen Mann, der nicht viel größer war, als er selbst, der sofort knallrot (so eine Wirkung hatte Konstantin auf Männer und Frauen), „Ich klammere mich an jede noch so kleine Ähnlichkeit mit ihnen."

„Ihr müsst meinen Bruder entschuldigen", seufzte Liza, die langsam keine Geduld mehr für die Spielchen ihres Bruders hatte, „Er hat irgendwo in den letzten paar Jahren sein Hirn verloren."

„Könntest du bitte den Arm von meinem Freund nehmen?", fragte Duncan als er unsicher zwischen Konstantin und den Mann, um den er seinen Arm geschlungen hatte hin und her blickte, „Du bist zu attraktiv, um so nahe bei ihm zu stehen." Noch eine Wirkung, die Konstantin auf andere hatte.

Konstantin grinste. „Keine Sorge, Darling – ich bin vergeben", beruhigte er Duncan, nahm aber trotzdem den Arm weg (worüber Liza dankbar war) und stemmte sie stattdessen in seine Taille, „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Schwesterherz", wandte Konstantin sich wieder an Liza, „aber ich fühle mich jetzt schon wie zu Hause."

Liza hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen, um ihm dieses lächerliche Gesicht auszutreiben.

„Ladies und Gentlemen", wiederholte Sirius schmunzelnd Konstantins Worte, „Darf ich Ihnen Konstantin Gregorovich vorstellen – einer der meistgesuchten Personen in England."

„Setzen wir uns erst einmal und stellen uns vor", schlug Leanne vor, „Ich würde euch gerne einen Platz anbieten, aber uns steht nur der Boden zu Verfügung."

„Das ist genug", bemerkte Agnes und setzte sich zu ihren Freunden und auch Konstantin schien keine Anstalten zu machen, sich wieder von ihnen zu entfernen, also setzte er sich ebenfalls zu ihnen, obwohl er vermutlich keinen von ihnen kannte.

Liza und Sirius sahen sich einen Moment lang fragend an, bevor sie beschlossen, dass sie Konstantin lieber nicht folgen wollten und sie setzten sich einfach auf der Stelle hin, auf der sie standen.

Im Sitzkreis, der sich bildete, fand jeder einen Platz und Fremder saß neben Fremden und Freunde neben Freunden. Es war seltsam für Liza – lieber hätte sie einen Tisch zwischen sich und den anderen gehabt. Tische brachten immer einen gewissen Abstand zu jenen, denen man (noch) nicht vertraute.

„Ich habe gewusst, dass du untertauchen würdest, Tia", begann Leanne die Versammlung belustigt, „aber ich habe nicht gedacht, dass ich dich zusammen mit deinen Begleitern wiederfinden würde."

„Jaah, wir sind schon eine seltsame Gruppe", stimmte Sirius ihr zu.

„Sprich für dich selbst", schnaubte Agnes, „ich bin absolut normal."

„Wenn hier einer absolut abnormal ist, dann bist du das", bemerkte Sirius amüsiert.

„Du bist derjenige, der von den Toten auferstanden ist", erinnerte Agnes ihn.

„Du warst auch tot", verteidigte sich Sirius und zeigte auf Duncan, der an Agnes' Seite saß, „Er selbst hat es gesagt – sie haben gedacht, du wärst tot."

„Ich bin aber, im Gegensatz zu dir, nie wirklich tot gewesen", Agnes hob ihren Kopf und lächelte leicht.

„Ihr müsst die beiden entschuldigen", seufzte Liza – sie war von Kindern umgeben, „Man sollte die beiden nicht zusammen in einem Raum lassen – das endet nur in Chaos."

„Wir waren dabei, uns vorzustellen, oder?", bemerkte Konstantin amüsiert und blickte zwischen Agnes und Sirius hin und her, „Dann will ich einmal beginnen – ich bin Konstantin Gregorovich und das ist meine Schwester, Elizaveta –"

„Liza!" Liza hasste es, wenn jemand sie mit ihrem vollen Namen ansprach. Diese Angewohnheit hatte sie wohl von Nymphadora übernommen.

„– Gregorovich. Vielleicht habt ihr schon von uns gehört", beendete Konstantin seine Vorstellung lächelnd.

„Liza ist mit Charlie verlobt", wisperte Tia Leanne lächelnd zu, aber es war genau in diesem Moment so leise, dass es trotzdem jeder hören konnte. Liza runzelte verwirrt die Stirn. Warum war das wichtig? Offenbar war es ziemlich wichtig, denn Leanne wurde knallrot und sah zu Liza, als würde sie die Wut der Frau fürchten.

„Ist das meine einzige Errungenschaft, für die ich bekannt bin?", fragte Liza verwirrt – sie hoffte, das war nicht der Fall.

„Oh, nein", lächelnd schüttelte Tia den Kopf, „Leanne war nur einmal in Charlie verliebt."

„Danke, Tia, dass du das weitererzählst", meinte Leanne und zwang sich, zu lächeln, obwohl sie knallrot im Gesicht war und ihr das eindeutig peinlich war, „Aber ich bin schon lange über ihn hinweg. Tia erinnert mich nur immer wieder gerne daran."

„Oh", machte Liza gleichgültig, aber sie lächelte, „Das wundert mich nicht."

Natürlich wunderte sie das nicht. Wenn sie nicht verstehen würde, wie jemand anderer, außer ihr Charlie attraktiv finden könnte, dann würde sie ihn wohl kaum attraktiv finden. Außerdem war Charlie ein ziemlicher Traumtyp (außer natürlich, sie waren getrennt – dann war er einfach nur nicht da und nur eine Erinnerung, nach der Liza sich sehnte).

„Niemanden wundert das!", rief Konstantin laut lachend, „Ich meine... habt ihr Charlie Weasley schon einmal gesehen? Dieser Mann hat Muskeln und dann diese Narben..."

Sirius sah verstört zu Konstantin. „Bitte was?", fragte er perplex.

Konstantin zuckte mit den Schultern. „Ich sage nur die Wahrheit und ich spreche nur das aus, was sich jeder denkt. Narben sind attraktiv – das könnt ihr Fred Weasley fragen."

Konstantin grinste in Agnes' Richtung, die überhaupt nicht zufrieden damit aussah, dass er sie in diese Unterhaltung zerrte.

„Vielleicht sollten wir uns lieber darauf konzentrieren, uns vorzustellen, anstatt uns gegenseitig bloßzustellen?", schlug Agnes mit einem gefährlich ruhigen Ton vor, „Ich bin Agnes."

„Du bist Agnes Tripe", bemerkte wohl der Jüngste in der Gruppe unschuldig, er konnte nicht älter als vierzehn oder fünfzehn sein, „Mein Bruder hat mir von dir erzählt."

„Hat er das?", fragte Agnes tonlos, aber Liza sah, dass sie unzufrieden darüber war, in welche Richtung diese Unterhaltung führte.

Der Junge nickte begeistert. „Er hat mir erzählt, dass du backen kannst! Wie Mommy!"

Agnes wirkte tatsächlich überrascht und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber sie schloss ihn wieder, bevor sie nickte und verwirrt die Stirn runzelte. Egal, was sie erwartet hatte, ihre Erwartungen waren nicht erfüllt worden.

„Ich bin Tia Fuego", stellte Tia sich lächelnd vor und legte den Kopf leicht schief.

„Und ich bin der einzig wahre Sirius Black", präsentierte Sirius grinsend, aber er schien enttäuscht, als er keine Reaktion bekam.

„Nun...", meinte Leanne und blickte zwischen den Neuankömmlingen hin und her, „Mein Name ist Leanne Travis – das ist mein Haus. Wir sind der Widerstand, wie ihr schon wisst – kleine Gruppen, die sich zusammengefunden haben und jetzt zusammenkämpfen. Das hier sind Katie, Angelina und Alicia, sowie Wood, Dennis, Colin und Parvati aus Gryffindor; Hannah, Justin, Susan und Ernie aus Hufflepuff und Grant, Duncan, Randy, Janet, Cho, Terry, Padma, Chambers und Marcus aus Ravenclaw."

„Das sind eine Menge Namen", bemerkte Sirius, „Ich bin froh, wenn ich mir meinen merken kann... nehmt es mir nicht übel."

Liza nickte zustimmend. Sie war froh, wenn sie sich ihren eigenen Namen merken konnte.

„Wie habt ihr euch gefunden?", fragte Katie.

„Konstantin, Tia und ich sind schon zusammen unterwegs, seit das Ministerium gefallen ist", erklärte Liza ernst, „Agnes und Sirius sind erst vor kurzem zu uns gestoßen."

„Ihr habt eure ganz eigene Widerstandsgruppe gegründet", bemerkte die Frau mit den Dreads, die sich als Angelina vorgestellt hatte, amüsiert.

„Nein, nein", lehnte Sirius sofort ab, „Wir sind mehr wie... wie ein Rudel, das versucht, zu überleben und wir hinterlassen Chaos, wo auch immer wir hingehen."

„Wir sind kein Rudel", widersprach Agnes ihm sofort scharf – offenbar hatte Sirius nicht die richtigen Worte gefunden, um die Beziehung der Gruppe zu beschreiben, „Den Mitgliedern eines Rudels kann man nicht vertrauen. Du willst damit doch nicht andeuten, dass ich jemanden umbringen muss, um meine Würde zu bewahren, oder?"

„Wir sind das, was ein Rudel sein sollte", meinte Tia locker, „Eine Familie, die aufeinander achtet."

Egal, was sie jetzt waren, sie waren auf jeden Fall mehr, als eine einfache Gruppe. Sie waren wirklich mehr wie eine Familie oder ein Rudel, wie Sirius es beschrieben hatte. Sie waren mehr als Fremde, die zusammen reisten und kämpften – sie waren ein Rudel.

„Also seid ihr doch irgendwie eine Widerstandsgruppe", bemerkte Grant (oder war es Chambers? Vermutlich war sein Name Chambers). „Ihr kämpft gegen das Ministerium, gegen die Ungerechtigkeit und gegen diesen Todesser-Abschaum."

Agnes zuckte zusammen – Liza konnte es von ihrem Platz aus sehen und sie erbleichte.

Zu spät erinnerte sich Liza an das eine Wort, das Agnolia Tripe ihrer Tochter in der Zeit deren Gefangenschaft eingeprägt hatte. Abschaum. Chambers hatte das Wort gesagt und Liza hatte noch nie Agnes' Reaktion auf dieses Wort gesehen – sie waren irgendwie zu dem stummen Einverständnis gekommen, dieses Wort einfach nicht zu benutzen und das Wort nicht einmal zu erwähnen, aber davon hatte dieser Grant (oder nein, Chambers) nichts gewusst.

Plötzlich sprang Agnes auf – Wahnsinn in ihren Augen – und richtete ihren Zauberstab gegen ihren Verbündeten – den Jungen namens Chambers (vermutlich war es Chambers), der zu überrascht war, um sich zu wehren. Wer vermutete schon, dass sie ein Freund gegen ihn stellte?

„Ich bin kein Abschaum!", kreischte Agnes und sie zitterte am ganzen Körper, „Ich bin kein Abschaum! Ich bin kein Abschaum!" Immer wieder. Ich bin kein Abschaum.

Liza wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie war Heilerin, aber in diesem Moment setzte für einen kurzen Moment ihr Hirn aus und sie wusste schlichtweg nicht, was sie tun sollte.

Sirius schien es entweder schon erwartet zu haben oder er war nicht so paralysiert, wie Liza, jedenfalls sprang er sofort auf und eilte an Agnes Seite, riss sie von Chambers (oder Grant... vielleicht auch Randy) weg und drehte sie zu sich, um ihr in die Augen zu sehen.

„Agnes, es ist alles in Ordnung", beruhigte Sirius sie sanft und legte seine Hände auf ihre Schultern, aber Liza wusste, dass er log und er wusste es selbst, aber Agnes musste das nicht wissen.

„Tu mir nicht weh!", kreischte Agnes und hatte offensichtlich Angst – Angst vor Sirius, aber sie griff ihn nicht an, „Bitte! Tu mir nicht weh! Bitte!"

Agnes bettelte. Liza hatte Agnes noch nie betteln sehen. Agnes war nicht der Typ, der um sein Leben bettelte. Sie behielt immer ihren Stolz, aber dieses eine Wort „Abschaum", hatte etwas in ihr ausgelöst, das tief in ihrem Inneren geschlafen hatte. Der Wahnsinn kam ans Tageslicht.

Liza hatte schon Erfahrung mit Wahnsinn, immerhin war sie Heilerin, aber Agnes in diesem Zustand zu sehen, was anders.

Agnes' Knie gaben nach und sie fiel beinahe auf den Boden, aber Sirius fing sie auf und setzte sie sanft ab, damit sie sich nicht verletzte. Sirius ließ sie danach nicht los, sondern zog sie in eine Umarmung und wiegte sie sanft vor und zurück, wie eine Mutter. Es war seltsam, sich Sirius (ausgerechnet Sirius) als Mutter vorzustellen, aber egal, was Sirius und Agnes miteinander durchgemacht hatten, bevor sie sie gefunden hatten, es hatte die beiden vereint.

„Alles ist gut", hörte Liza Sirius leise zu Agnes sagen, „Sie ist nicht hier. Niemand tut dir weh. Alles ist gut."

Agnes weinte.

„Komm, gehen wir hinaus", Sirius half Agnes auf die Beine und führte sie aus dem Raum hinaus. Die Tür schloss sich hinter ihnen und es herrschte eine seltsame Stimmung im Raum. Es lagen unausgesprochene Fragen in der Luft, aber noch traute sich niemand, etwas zu sagen.

Liza und Konstantin blickten beide zu Tia – die Geschwister hatten gelernt, sich auf Tias Gehör zu verlassen und als sie nickte, wusste Liza, dass Agnes sie hoffentlich auch nicht mehr hören konnte. Das Mädchen brauchte jetzt Abstand und Ruhe. Sirius würde sich um sie kümmern.

„Wir benutzen dieses Wort nicht", erklärte Konstantin ruhig und sah alle in der Runde eindringlich an, „Abschaum... es..."

Konstantin blickte zu Liza, um sie stumm zu bitten, die Worte richtig zu formen, aber Liza wusste selbst nicht so genau, wie man das sagen konnte, ohne Agnes bloßzustellen. Sie mussten nicht sofort alle von Agnes' Geheimnissen ausplaudern.

„Einigen wir uns einfach darauf, dass wir dieses Wort nicht benutzen", schlug Liza vor und wartete nur darauf, dass ihr jemand widersprach oder eine weitere unangebrachte Frage stelle, aber das passierte zum Glück nicht, „Wir benutzen es nicht, um Todesser zu beschreiben, noch Freunde und auf gar keinen Fall Agnes."

„Es geht Agnes überhaupt nicht gut, oder?", fragte Grant (oder nein – das war Randy).

Konstantin blickte zuerst zu Liza und dann zu Tia, um deren Einverständnis zu bekommen für seine nächsten Worte. Sein Blick blieb einen Moment länger Tia haften, bevor er sich an Randy (vermutlich Randy) und die anderen in der Runde wandte.

„Was habt ihr erwartet?", schnaubte Konstantin, „Ihr denkt doch nicht ernsthaft, dass Agnes die Monate, in denen sie totgeglaubt war einfach herumspaziert ist, oder? Agnolia Tripe weiß, wie man einen schlechten Eindruck hinterlässt – das hat sie doch schon ein paar Mal bewiesen, oder?"

Liza wusste selbst nicht genau, was mit Agnes passiert war, aber sie wusste ganz genau, dass es schlimm genug war, um Narben an ihr zu hinterlassen. Keine Narben auf ihrer Haut, sondern welche in ihrem Inneren.

„Agnes ist entkommen, aber sie ist nicht unbeschadet entkommen", erklärte Konstantin, „Es ist ein Wunder, dass sie noch die Kraft findet, jeden Tag aufzustehen und weiterzukämpfen. Vertraut mir – wir werden noch mehr von dem Wahnsinn Agnes Tripes sehen."

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