107. Kapitel
Liza war nicht naiv.
Sie apparierte nicht sofort zurück zu dem Haus, in dem sie Zuflucht gefunden hatten. Sie apparierte nicht sofort zu dem Haus, in dem eine schwangere Muggelfrau lebte.
Sie apparierte zuerst an verschiedene Orte, bis sie sich sicher waren, dass sie nicht mehr verfolgt werden konnten, bevor sie zurückkehrten und der Zustand, in dem sie ankamen, war fragwürdig für die Heilerin.
Während der Mission und des Kampfes hatte die Aufregung sie auf den Beinen gehalten, aber diese war verschwunden, nachdem sie langsam im Haus ankamen und alle waren nur noch müde und wollten schlafen, das wusste sie.
Aber Konstantin konnte sie nicht sofort ins Bett schicken, obwohl ihm selbst die Augen schon zufielen. Er bestimmte, dass sie sich sofort unterhielten über das, was passiert war. Liza bestand zwar darauf, dass im erschöpften Zustand keiner von ihnen einen klaren Gedanken fassen konnte und bestimmt einige Fehler in den Erzählungen auftreten könnten, aber gleichzeitig hatte Konstantin Recht – eine erste Erzählung, solange die Erinnerungen noch frisch waren, war wichtig.
Wenigstens versorgten Ivy, die schwangere Frau, die nicht nur eine Mutter für ihr Kind werden würde, sondern wohl auch mütterliche Gefühle den fünf Ausreißern gegenüber empfand und Tonky, die treue Hauselfe, die Agnes zu vergöttern schien alle nun müden und erschöpften Verbrecher mit Tee. Es war eine kurze Pause, die sie sich alle verdient hatten.
Als es Zeit war, Geschichten auszutauschen, begann Tia. Sie erzählte, wie sie ins Ministerium gegangen war, scheinbar ohne Probleme und ohne wirklich aufgehalten zu werden (Konstantin gab einen spöttischen Laut von sich) und wie sie erst, als sie sich beim Sicherheitsschalter erkannt worden war und von Auroren umzingelt worden war. Von dort aus ist es für sie direkt in die Gerichtsräume gegangen, während andere Muggelgeborene teilweise einige Zeit in Askaban warten mussten, bis es Zeit für ihre Verhandlung war oder sie auch zu Hause warten konnten (wohl um ihnen falsche Sicherheit vorzugaukeln). Dort hatte Tia auch eine alte Schulkameradin erkannt, die sich wohl ebenfalls mit Vielsafttrank getarnt hatte, um ins Ministerium einzubrechen und zusammen mit einer zweiten Person die dort gefangenen Muggelgeborenen zu befreien. Der Name dieser Freundin war Angelina Johnson, wie Liza erfuhr und auch Agnes schien sie zu kennen.
Tia war von Umbridge und Yaxley als erstes verhört worden und hatte sich sozusagen vorgedrängelt, während die anderen Muggelgeborenen warten mussten (Konstantin gab wieder einen amüsierten Laut von sich). Tia hatte Umbridge und Yaxley lange genug ablenken können und ihr war aufgefallen, dass wohl auch Hermine Granger mit Vielsafttrank verkleidet ins Ministerium eingebrochen war (Konstantin fragte laut, ob sich diese anderen Gruppen keinen anderen Tag hätten aussuchen können und er beschwerte sich scherzhalber darüber, dass wohl auch andere auf einen so kreativen Plan wie den seinen gekommen waren oder sie ihn einfach alle nachgemacht hatten).
Als Konstantin dann gekommen war, um sie wieder abzuholen (als hätte er sie nur zur Aufsicht bei Umbridge und Yaxley zurückgelassen wie ein Kindergartenkind), hatte er Tia, Harry, Hermine und Angelina Johnson zusammen mit Tias besten Freundin, Katie Bell (die wohl ebenfalls irgendwie da gewesen war, um Angelina Johnson zu unterstützen) geholfen, wieder ins Atrium zu kommen zusammen mit den befreiten Muggelgeborenen.
Mittlerweile waren so viele verschiedene fremde Namen vorgekommen und die Geschichte war so unübersichtlich geworden, dass Liza es einfach aufgab, wirklich zu verstehen, was passiert war (sie vermutete, dass man es selbst erlebt haben musste, um irgendetwas von dem Chaos zu verstehen). Wichtig war nur, dass Tia und Konstantin sicher wieder ins Atrium gekommen waren.
Als Tia geendet hatte, waren Liza und Konstantin an der Reihe, ihre eigene Geschichte zu erzählen und Liza bemerkte, dass Konstantin immer wieder in seine Manteltasche griff, in der sich die Akten befanden, die sie gestohlen haben, als würde er immer wieder kontrollieren wollen, ob sie überhaupt noch bei ihm waren. Liza sprach ihn nicht darauf an, aber sie wusste, dass er noch keine Zeit gehabt hatte, sie durchzulesen und er es am liebsten sofort hinter sich gebracht hätte, aber vermutlich erst nach der Besprechung.
Agnes und Sirius hatten auch eine interessante Geschichte parat, besonders da nur wenige Minuten, nachdem Liza und Konstantin sich von den beiden getrennt hatten, um ihre eigene Mission auszuführen, sie schon jemanden begegnet waren, den sie alle sehr gut kannten.
Agnes und Sirius hatten Remus Lupin gesehen, wie er gerade auf dem Weg ins Ministerium gewesen war, vermutlich um Tia zu retten. Er musste irgendwie erfahren haben, dass Tia sich ergeben hatte (vermutlich von Arthur Weasley, der Tia im Ministerium gesehen hatte, wie Tia einfiel). Agnes und Sirius hatten Remus aufgehalten und überzeugen können, nicht ins Ministerium zu stürmen und vielleicht die ganze Mission zu gefährden.
Liza bemerkte, dass Agnes überhaupt nicht glücklich darüber aussah, dass Remus sie gesehen hatte und sie verfluchte sich selbst dafür, dass sie sich lebend hatte sehen lassen und Remus sie vielleicht sogar erkannt hatte, aber Sirius strahlte, als er davon erzählte, wie er sich mit seinem besten Freund geprügelt hatte und Remus ihn auch hätte besiegen können.
Nach dieser Begegnung lief alles perfekt für Agnes und Sirius. Wie erwartet drangen sie ohne jegliche Schwierigkeiten ins Ministerium ein und niemand hinterfragte, warum Agnolia Tripe plötzlich mit einem einfachen Greifer im Schlepptau im Ministerium herumspazierte.
Mit einem Portschlüssel, der sogar von einer Ministeriumsmitarbeiterin erschaffen worden war, gelangten sie nach Askaban und konnten dort alle gefangenen Muggelgeborenen befreien, nachdem sie den einzigen, menschlichen Wächter mit einem einfachen Zauber ausschalteten und die Dementoren mit Patronen in Schach hielten.
Dort begegnete Agnes auch einer alten Schulkameradin, Janet Whol (Liza hatte noch nie von ihr gehört, aber offenbar war sie Heilerin gewesen oder Lernheilerin, nachdem sie nur wenige Monate zuvor ihre Ausbildung im St. Mungos begonnen hatte), die ihnen geholfen hatte, die Gefangenen zu befreien und dann auch noch bereit war, für Agnes zu kämpfen. Janet war die Frau gewesen, der Liza im Atrium begegnet war und die sich dann Angelina Johnson und Katie Bell angeschlossen hatte, als sie geflüchtet waren.
Liza beschloss, einfach nicht länger darüber nachzudenken, was generell passiert war und war einfach nur erleichtert, dass alle gesund und nicht tot aus dem Ministerium wieder herausgekommen waren.
„Wie sehen unsere Pläne für die Zukunft aus?", fragte Agnes, nachdem ihre eigene Geschichte endete und sie stand auf, als würde sie nicht mehr stillsitzen können (nicht nur Agnes ging es so, denn auch Konstantin zappelte schon lange auf seinem Stuhl herum und klapperte wie ein kleines Kind mit dem Besteck am Tisch, als würde er trotz seiner Müdigkeit noch keine Ruhe finden) und Agnes verschränkte die Arme vor der Brust, als würde sie sich selbst schützen wollen, obwohl sie jetzt in einer sicheren Umgebung war (aber wahrscheinlich war es für Agnes schwer, sich an diese sichere, neue Situation anzupassen, nachdem sie erst gerade einen gefährlichen Kampf hinter sich hatte).
„Wir sind gerade erst zurückgekommen und du willst dich schon wieder in die nächste Schlacht stürzen?", fragte Sirius lachend, aber das Lachen klang besorgt und unsicher (Liza kannte Sirius nicht so – der alte Sirius hätte sich sofort ins nächste Abenteuer gestürzt, aber dann erinnerte sich Liza daran, dass Sirius gerade aus Askaban zurückgekommen war, dem Ort, an dem er zwölf Jahre lang eingesperrt gewesen war; wahrscheinlich fühlte er sich nicht sonderlich wohl, nachdem er diesen Ort gesehen hatte).
„Hast du andere Pläne? Wir können natürlich erst einmal herumsitzen und nichts tun, aber ich persönlich würde das als eine Zeitverschwendung empfinden", verteidigte sich Agnes und ihr Blick war schon beinahe herausfordernd, als würde sie nur darauf warten, dass die nächste Person einen Kampf mit ihr beginnen würde. Liza fragte sich, wann Agnes begonnen hatte, so sehr um ihr Leben zu fürchten, dass jeder in ihrer Umgebung eine Gefahr für sie darstellte.
Aber Agnes hatte Recht. Jetzt, da sie eigentlich ziemlich offen das Ministerium angegriffen hatten, konnten sie gleich fortfahren und weitermachen. Aber Liza hätte es lieber gehabt, wenn sie sich erst einmal ein paar Tage lang Zeit genommen hätten, um ihre Erlebnisse zu verdauen. Ausschlafen, essen und sich seelisch und physisch auszuruhen. Aber die dunklen Ringe unter Agnes' Augen bewiesen Liza, dass Agnes keine Ruhe fand, egal, in was für einer Situation sie sich befand.
„Ich hasse es, meine Zeit zu verschwenden", gab Liza schnaubend zu (diesen Satz hatte sie schon so oft gesagt, dass vermutlich jeder in ihrer Umgebung das schon wusste, aber sie wiederholte es trotzdem immer wieder, als würde sich selbst an ihre größte Schwäche erinnern), „aber zuerst einmal sollten wir uns ausruhen – auf jeden Fall diese Nacht. Wir schmieden keine Pläne, denken nicht nach, welches Ministerium wir als nächstes zerstören oder welchen Kampf wir als nächstes ausfechten müssen – wir ruhen uns einfach nur aus. Das ist ein Befehl von eurer Heilerin!"
„Oh...", machte Tia enttäuscht und sofort bereute Liza ihre Worte, „Ich hätte nämlich einen Vorschlag gehabt... aber... ich kann es auch Morgen in der Früh sagen."
Liza betrachtete Tia. Tia war seltsam auf ihre ganz eigene Weise, aber was erwartete man schon von dem Mädchen, das George Weasleys Herz gestohlen hatte. Liza hätte Tia auch gar nicht anders gewollt. Normal war langweilig und eine normale Person hätte nicht nur Probleme damit, mit dem Wahnsinn auszukommen (den Liza, Konstantin, Agnes und Sirius zusammen bestimmt bildeten), sondern eine normale Person wäre auch kein so wichtiges Mitglied ihrer Gruppe.
„Nein, Tia... ich hasse es, Zeit zu verschwenden. Am besten, du sagst es jetzt gleich", sagte Liza sanft. Irgendwie hatte sie Tia in der Zeit, in der sie nun schon zusammen reisten ins Herz geschlossen und Liza hatte schon lange verstanden, warum Konstantin darauf bestanden hatte, sie auf ihre Reise mitzunehmen.
Tia lächelte fröhlich und dieser Anblick allein – dieses strahlende Lächeln auf dem Gesicht dieses unschuldigen, vielleicht ein bisschen naiven Mädchens, das schon so viel mitgemacht hatte aber trotzdem noch lächeln konnte, war genug Lohn für Liza. Tia war seltsam, ja, aber trotzdem erwischte sich Liza dabei, wie sie daran dachte, dass es schön wäre, wenn vielleicht irgendwann ihre eigene Tochter so wäre, wie Tia. Schnell schob sie diesen Gedanken beiseite – sie hatte jetzt keine Zeit, an Charlies und ihre Zukunft zu denken, die noch so unsicher war.
„Wir haben Angelina und Katie getroffen und nach dem, was sie zu mir gesagt haben, sind sie noch mehr – noch mehr Leute, die sich gegen Ihr-Wisst-Schon-Wen stellen. Sie haben mich eingeladen, sie morgen zu Mittag zu treffen – sie haben mir einen Zettel mit einer Adresse gegeben", erzählte Tia und Liza wusste ungefähr, von wem sie sprach, obwohl sie nicht wirklich Gesichter mit den Namen verbinden konnte. Auf jeden Fall vertraute Tia ihnen, also war das wohl Grund genug, ihnen ebenfalls zu vertrauen.
„Und du willst sie sehen?", fragte Konstantin nachdenklich und Liza vermutete, dass ihr Bruder in seinem Kopf unendlich viele Berechnungen und Gedanken kombinierte, als er jede einzelne Möglichkeit abwog.
Tia nickte eilig. „Ich habe das Gefühl, als könnten wir ihnen trauen und es kann nicht schaden, sie zu treffen, oder?", Tia blickte sich mit deutlicher Unsicherheit um, „Ich meine... sie verfolgen dasselbe Ziel, wie wir. Vielleicht können wir ihnen helfen... vielleicht können sie uns helfen... Vielleicht könnten sie uns auch nur Sachen sagen, die wir noch nicht gewusst haben. Aber... wir müssen nicht hingehen, wenn ihr nicht wollt. Ich... ich würde sie nur sehr gerne wiedersehen..."
Liza begegnete Konstantins Blick und sie verstand, dass er es beinahe schon zu riskant fand.
Es war eine Sache, mit Vielsafttrank getarnt ins Ministerium zu gehen, aber eine andere, wenn man ohne jegliche Verkleidung Leute traf, von denen sie noch nicht wussten, ob man ihnen vertrauen konnte. Aber Tia vertraute ihnen und obwohl sie manchmal ein bisschen naiv wirkte, so vertraute Liza auf ihre Menschenkenntnisse und es schien ihr wirklich wichtig zu sein, diese Leute zu treffen.
„Ich werde dich begleiten", sagte Agnes plötzlich und Liza und Konstantin blickten beide zu ihr, „Ich hab es zwar nicht gerne, dass andere erfahren, dass ich noch lebe, aber wenn es dir wirklich so viel bedeutet, dann begleite ich dich dorthin, damit du nicht alleine gehen musst."
Tia strahlte noch mehr, als sie vom Stuhl aufstand und Agnes fest umarmte. Die beiden waren Schwestern, obwohl Blut sie nicht verband. Aber Remus Lupin, Tias Vater hatte die beiden verbunden, als er Agnes unter seine Fittiche genommen hatte, als diese von einem Werwolf gebissen worden war. Remus Lupin, der plötzlich aus dem Nichts begonnen hatte, Agnes seine Tochter zu nennen, obwohl sie sich kaum gekannt hatten. Remus Lupin, der wohl verstanden hatte, dass Agnes keine Familie hatte und es zu seiner Aufgabe gemacht hatte, das zu ändern und einfach so ihr Vater geworden war.
Agnes' eigene Familie war schrecklich, das wusste Liza. Mit Eltern wie Agnolia Tripe und ihrem verstorbenen Vater, Tristus Tripe hatte Agnes noch nie wirklich so etwas wie Eltern gehabt. Remus hatte das geändert und hatte Agnes damit nicht nur einen Vater gegeben, sondern auch eine Schwester und Tia und Agnes waren wirklich Schwestern, obwohl sie sich überhaupt nicht ähnlich sahen (wie Konstantin und Liza es taten) oder auch nur annähernd sich eine Familie teilten (außer der Tatsache, dass Remus Agnes' Cousine Tonks geheiratet hatte). Aber sie würden füreinander sterben (wie Liza es für Konstantin tun würde, wobei sie sich nicht sicher war, ob Konstantin auch für sie sterben würde, aber sie nahm ihm das nicht übel).
„Oh, nein, ich lasse euch beiden Ladies sicher nicht alleine", bestimmte Sirius lächelnd, „Remus würde mich umbringen, wenn ich nicht ein Auge auf seine beiden behalten würde."
„Wir sollten die Gruppe nicht auflösen", meinte Konstantin zu Lizas Überraschung (aber vermutlich dachte er wirklich nur an die taktischen Vorteile, die eine so mächtige und große Gruppe bedeuteten (aber auch das nahm Liza ihm nicht übel)).
„Wir kommen auch mit euch", versprach Liza, „Im Moment haben wir sowieso keine anderen Pläne."
„Also werden wir zu diesem Treffen gehen und mal sehen, ob wir ihnen vertrauen können", sagte Konstantin, „Wenn es funktioniert, dann... super – wenn nicht, dann hinterlassen wir eben noch mehr Chaos und ziehen weiter."
„Klingt nach einem Plan", lächelte Tia, „Danke."
„Packen wir unsere Sachen – morgen in der Früh reisen wir ab", schlug Liza vor und die kleine Versammlung löste sich auf.
Konstantin hatte nur darauf gewartet, obwohl er derjenige gewesen war, der auf diese sofortige Versammlung bestanden hatte.
Er war der erste, der den Raum verließ und die Treppen hoch in den oberen Stock nahm, in dem sich die Schlafzimmer befanden.
Ivy, die schwangere Frau lebte alleine, seit ihr Freund Roger Davies gestorben war, aber sie hatte dieses Haus wohl von Familie geerbt, wie Konstantin irgendwann erfahren hatte und nachdem es eine so zentrale Lage in London hatte, behielt Ivy es, obwohl es wahrscheinlich viel zu groß für eine alleinstehende Frau war.
Dementsprechend viele Schlafzimmer gab es in diesem Haus und neben dem von Ivy, gab es noch drei weitere eingerichtete Gästezimmer. Liza und Tia teilten sich eines, während Konstantin mit Sirius zusammenlebte (und er genoss diese Zeit mit ihm, nachdem sie so lange voneinander getrennt gewesen waren). Agnes hatte es zwar nie laut ausgesprochen, aber sie war vermutlich ganz froh darüber, dass ihr das letzte Zimmer allein blieb. Agnes hatte erzählt, was in der Zeit, in der sie von ihrer Mutter gefangen gehalten worden war passiert war, aber Konstantin bezweifelte, dass ihre Erzählungen wirklich dem Gerecht worden waren, das Agnes passiert war und welche bleibenden Schäden sie davongetragen hatte.
Agnes hatte schon vor ihrer Gefangenschaft immer müde und erschöpft ausgesehen (wie auch Remus, also kam Schlaflosigkeit wohl in dem Paket, das ein Werwolf zu tragen hatte), aber Konstantin konnte sich noch daran erinnern, dass Agnes wenigstens genug gegessen hatte.
Als er Agnes das nächste Mal vor wenigen Wochen gesehen hatte, war sie noch dünner gewesen, als sie es sowieso schon gewesen war. Konstantin hätte ihr das niemals ins Gesicht gesagt, aber Agnes war schon so dünn geworden, dass sie überhaupt nicht hübsch aussah. Sie hatte nicht diese perfekte Figur, die Models hatten und die von der Gesellschaft lächerlicher Weise als „perfekt" bezeichnet wurde. Sie war über dieses Ziel schon lange hinausgeschossen und das bewiesen ihre eingefallenen Wangen und ihre Gliedmaßen, die kaum mehr als Haut und Knochen waren.
Aber trotzdem aß Agnes nicht mehr, als ein paar Bissen, obwohl das Essen, das Ivy und Tonky, die Hauselfe ihnen jeden Tag zauberten himmlisch war. Konstantin wusste, dass Agnes nicht in Ordnung war, aber er wusste auch nicht, wie er ihr helfen konnte. Der einzige Weg, der Agnes wohl etwas Ruhe geben würde (außer dem Tod) wäre wohl, wenn sie diesen Krieg beenden würden. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg, aber Konstantin war gewillt, diesen Weg zu gehen. Nicht nur für Agnes, sondern auch für seine Schwester (die ebenfalls weniger sichtbar aber für ihren Bruder bemerkbar litt, nachdem sie so lange schon von Charlie getrennt war), für Sirius (der sich noch immer versteckt hielt und nicht seinen Patensohn, Harry oder seine besten Freunde sehen konnte) und auch für Tia (die scheinbar überhaupt nicht unzufrieden mit ihrer derzeitigen Situation war und glücklich war, obwohl Krieg um sie herum herrschte, die aber ebenfalls von ihrer Familie getrennt war). Am allerwenigsten wollte Konstantin diesen Krieg für sich selbst gewinnen.
Er hatte gedacht, dass seine innere Unruhe verschwinden würde, nachdem er Sirius wiedersah, aber das tat sie nicht. Das einzige, das ihn noch vorantrieb und ihn jeden Tag aufstehen ließ, war der Krieg.
Aber wer war Konstantin Gregorovich ohne Krieg? Wer würde Konstantin Gregorovich sein, wenn er seinen außerordentlichen Verstand nicht dafür nutzen würde, um ein Regime zu stürzen und zu rebellieren? Konstantin war sich nicht sicher, ob er das überhaupt herausfinden wollte.
Als er in dem Zimmer verschwand, das Sirius und er sich teilten, fischte er schon die Akten aus seiner tiefen Manteltasche. Er hatte sie nicht abgelegt, wohl ein bisschen aus Angst, dass er sie verlieren könnte und war erleichtert, als er sie endlich ansehen konnte. Dieses Geheimnis konnte er endlich lüften. Das Geheimnis, warum Rufus Scrimgeour sterben musste.
Seine Hände zitterten nicht, als er die erste Seite aufschlug, aber seine Augen glänzten schon beinahe begierig darauf, was er erfahren würde. Konstantin liebte Geheimnisse und er wusste am liebsten alles. Wissen war Macht – das hatte er gelernt, nachdem er in Hogwarts nach Ravenclaw gekommen war und Konstantin wusste, dass seine Fähigkeiten im Duellieren ihn weit gebracht hatten, aber trotzdem reihte Konstantin sein Wissen noch immer als seine wichtigste Fähigkeit ein. Manchmal war er wohl intelligenter, als gut für ihn war, aber Konstantin genoss nichts so sehr, wie seine Intelligenz anderen gegenüber, außer er war wieder einmal in seinem eigenen Kopf eingesperrt und konnte seinen eigenen Gedanken nicht entkommen.
13. Juli, 1996
Konstantin erkannte das Datum sofort. Es war kurz nach Rufus' Amtsantritt als Zaubereiminister.
Ich habe mit Albus Dumbledore gesprochen, aber er scheint unwillig zu sein, mich Harry Potter vorzustellen. Großbritannien braucht Sicherheit und das Volk muss wieder Vertrauen in das Ministerium gewinnen. Der Junge wäre ein außerordentlich nützlicher Verbündeter, aber Dumbledore hat verneint. Es scheint mehr dahinter zu stecken, als die väterlichen Gefühle eines alten Mannes diesem Jungen gegenüber.
Konstantin runzelte verwirrt die Stirn. Das war ein Tagebucheintrag. Konstantin blätterte vor und bemerkte, dass jede Zeile handgeschrieben (wohl von Rufus) war und mit einem Datum versehen – das war ein Tagebuch. Das Tagebuch von Rufus Scrimgeour. Aber Konstantin ließ sich noch nicht davon beeindrucken. Rufus' musste dieses Tagebuch wichtig genug gefunden haben, um sein Leben dafür zu opfern und Konstantin bezweifelte, dass er nicht einfach nur peinliche Einträge über seine Teenager-Liebe oder seinen körperlichen Veränderungen in der Jugend schützen wollte, die er vermutlich nicht einmal in diesem Tagebuch eingetragen hatte. Scrimgeour musste irgendetwas da hineingeschrieben haben, das sein Leben wert gewesen war. Also las Konstantin weiter.
21. Juli, 1996
Ich denke nicht, dass Dumbledore töricht genug ist, um einen einfachen, dahergelaufenen Jungen als seinen persönlichen Schützling auszunehmen. Harry Potter ist ein Mysterium – noch mehr, als bisher gedacht. Dumbledore muss irgendetwas in Potter sehen, das sonst noch niemand gesehen hat. Der Junge hat den Todesfluch überlebt, aber das scheint nicht alles zu sein, das geheimnisvoll an diesem Jungen ist. Dumbledore scheint in ihm eine Waffe zu sehen – eine Waffe, die vielleicht den Ausgang dieses Krieges bestimmen könnte.
Konstantin schnaubte und blätterte unzufrieden weiter, aber alle diese Einträge waren wie diese beiden. Seite um Seite las Konstantin weiter, in der Hoffnung, irgendetwas wichtiges zu bemerken – vielleicht einen Code, den Rufus hinterlassen hatte oder irgendein Stichwort, das Konstantin verriet, aber die Seiten waren gefüllt mit Rufus Gedanken, was Dumbledore an Harry sah und warum Dumbledore nicht bereit war, dieses Wissen mit ihm zu teilen.
Konstantins Wut stieg. Er hatte sein Leben für dieses Tagebuch geopfert – er hatte das Leben seiner Schwester geopfert und Rufus war dafür gestorben. Und alles für Seiten voller Gedanken über eine lächerliche Theorie.
Natürlich war Dumbledore Harry gegenüber weich gewesen. Dumbledore hatte zu viel Zeit mit Harry verbracht und Harry war ein liebenswerter Junge, den man einfach ins Herz schließen musste. Natürlich wollte Dumbledore Harry beschützen, immerhin hatte der Junge schon viel zu viel durchmachen müssen und seit Rufus' Tod war noch mehr passiert. Harry war keine Waffe – nicht direkt, jedenfalls.
Konstantin wusste aber, dass Harry ein Symbol war und seine Wirkung als Symbol war noch viel wichtiger, als alle seine Taten zusammen. Er war ein Symbol der Hoffnung für alle, die gegen das derzeitige Regime und Voldemort ankämpften. Wenn Harry starb, starb die Hoffnung mit ihm und der Widerstand würde sich langsam auflösen. Hoffnung war alles, was sie brauchten – keinen Jungen, der ihnen half. Er musste nur überleben und Konstantin hoffte, dass Harry das auch wusste.
Konstantin verspürte Wut und ausnahmsweise ließ er sich das auch anmerken. Seine Augen hatten diese ungewöhnliche, wütende Kühle in sich, die man nur selten auf dem ausdruckslosen, lächelnden Gesicht von Konstantin Gregorovich sehen konnte.
Konstantin deutete mit seinem Zauberstab auf die Akten und führte den letzten Wunsch von Rufus Scrimgeour aus, obwohl Konstantin ihm gegenüber so viel Wut verspürte, dass er diesem Mann im Moment lieber keinen Wunsch erfüllt hätte, aber als er den stummen Zauber ausführte und die Akten durch ein kurzes, hell leuchtendes Feuer zu Staub zerfielen, fühlte Konstantin sich wenigstens ein bisschen besser.
Diese Akten hatten ihn nicht weitergebracht und hätten sie nicht zeitgleich im Ministerium auch noch die Muggelgeborenen befreit, dann wäre die ganze Mission umsonst gewesen. Konstantin hatte einen Fehler gemacht, als das hätte er sich niemals selbst eingestanden.
Die Tür öffnete sich und Sirius blickte ins Zimmer und sah Konstantin in seinem wütenden Zustand und auch für Sirius war das ein ungewohnter Anblick.
„Ist alles okay, Konstantin?", fragte Sirius ihn vorsichtig.
Konstantin sah ihn nicht an, sondern behielt seinen Blick auf den nun zu Staub zerfallenen Akten.
„Nein", sagte Konstantin kühl.
Wer war Konstantin Gregorovich ohne Krieg? Wer würde Konstantin Gregorovich sein, wenn der Krieg vorbei war? Vermutlich ein niemand, wie in seiner Schulzeit. Aber Konstantin wusste, er würde dieses Schicksal abwenden, was auch immer es ihn kosten würde.
Was auch immer er dafür opfern musste.
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