Kapitel 22 - Bonding

Im Wohnraum der Mantis lehnte Willow ihren Besen achtlos gegen die nächstgelegene Wand. Cal stürmte auf direktem Wege ins Cockpit und Willow folgte ihm. Er war so schnell unterwegs, dass er beinahe den Türrahmen mitnahm. Geschwind fing er den Aufprall mit seinen Händen ab, ehe er sich abstieß und in das Cockpit hinein lief.
„Bring uns weg von hier!", rief Cal aufgeregt.

Wie aufs Stichwort startete Greez die Triebwerke und das Schiff hob sich augenblicklich in die Lüfte. Willow warf einen Blick durch die riesigen Glasscheiben des Cockpits. Der Fels, auf dem die Mantis noch vor wenigen Sekunden stand war gänzlich eingenommen von den leblosen Nachtschwestern. Vorsichtig trat Willow näher an die Fenster heran. Ihre Augen weiteten sich in Furcht, als sie locker ein Duzend weitere Untote an der Mantis hängen sah. Die Zombies klammerten sich mit aller Kraft an dem Schiff fest.

Der kleine Pilot war entsetzt.
„Was habt ihr getan?! Auf meinem Schiff kriechen überall tote Hexen rum!", rief er und wedelte wild mit seinen vier Händen durch die Luft.

Willow fühlte sich schuldig. Der Captain hatte recht - sie waren Schuld an dem Schlamassel. Wären sie die Sache mit Merrin, der Schwester der Nacht, bloß anders angegangen... Vielleicht hätte Willow das Gespräch mit ihr suchen müssen. Theoretisch hätten sie sogar eine Grundlage, über die Willow eine Verbindung hätte herstellen können - nämlich die Magie. Jetzt wo sie so darüber nachdachte, ärgerte sie sich, dass sie nicht früher auf diese Idee gekommen war. Sie hätte vielleicht diese katastrophale Situation vermeiden können.

Cal hingegen ging gar nicht auf den Kommentar des Piloten ein.
„Weg hier!" rief er.

Durch die Geschwindigkeit, die die Mantis nun erreicht hatte, hatten die lebenden Leichen keine Chance mehr und stürzten hinunter.
Dann stützte Cal sich gegen die Wand hinter ihm und ließ sich daran zu Boden sinken. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn und seine Haut war ungesund blass.

Cere überwand die paar Schritte, die sie von Cal trennte und hockte sich neben ihm.
„Was ist passiert? Hast du das Grab gefunden?", fragte sie.

Willow wollte nicht glauben, dass Cere ernsthaft diese Frage stellte. Die Ex-Jedi sah doch, dass Cal gerade offensichtlich andere Probleme hatte, als das bescheuerte Grab. Die Schülerin war kurz davor Cere ihre Meinung zu geigen, doch ein weiterer Blick auf Cal stoppte sie. Der Junge antwortete Cere nicht, sondern hielt ihr lediglich seine zerstörte Waffe hin. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen seine grünen Augen auf Willows. Dieser kurze Moment reichte aus, damit Willows Herz schmerzhaft sank.

Sie wollte sich gerade zu ihrem Freund bewegen, da hielt Cere sie auf: „Willow, ich denke du solltest lieber in dein Gästezimmer gehen. Ich würde gerne mit Cal alleine sprechen."

Wenn Willow dachte sie war vorhin schon entsetzt, dann war sie nun aus allen Wolken gefallen. Hatte Cere das wirklich gesagt? Sie zitierte Willow zurück in ihren Raum, damit die beiden „alleine", vor Greez, sprechen konnten? Ein privates Gespräch wäre niemals etwas, wo Willow sich in den Weg stellen würde. Doch fand sie es unfair, dass sie ihren Freund in seiner aktuellen Lage alleine lassen sollte, anstatt ihm eine Stütze zu sein.

Cal selbst sagte nichts weiter dazu und damit war es für Willow entschieden. Sie verließ schweigend das Cockpit, doch nicht ohne einmal fassungslos den Kopf zu schütteln. Auf den Weg in das Gästezimmer schnappte sie sich ihren Besen, ehe sie die Tür hinter sich verschloss. Wenn sie jetzt schon aufgefordert wurde alleine zu sein, dann wollte sie zumindest eigenmächtig darüber bestimmen können für wie lange.

Ihre Ledertasche pfefferte sie in eine Ecke und den Besen lehnte sie daneben. Dann setzte sie sich auf das Bett, in dem Versuch sich zu beruhigen. Die Hilflosigkeit nach allem, was sie und Cal heute gemeinsam erlebt hatten, machte sie wahnsinnig. Ihr Bein begann aufgeregt zu wippen und die Gryffindor knetete angestrengt ihre Hände.
All das herumsitzen würde ihre Situation auch nicht verbessern. Also stand sie auf und tigerte vor dem Bett hin und her, mit den Gedanken überall, nur nicht bei sich selbst.

Je mehr Willow über Cals Situation und Ceres Aufforderung nachdachte, desto frustrierter wurde sie. Die Emotionen in ihr begannen zu brodeln. Willow wusste, dass sie es stoppen musste. Nun mischte sich auch ein Hauch von Panik in die Emotionen - sie wollte nicht wissen, was passierte, wenn sie hier die Kontrolle verlor. Also atmete sie tief ein, ein armseliger Versuch, sich zu beruhigen. Aber es funktionierte nicht - in ihrem Brustkorb breitete sich die vertraute Wärme aus und ihre Fingerspitzen begannen bläulich zu leuchten. Schnell griff Willow nach ihrem Zauberstab und wirkte Silencio! auf ihren Raum aus. Im Falle eines Ausbruchs würde es so keiner weiter mitbekommen.

Willow atmete eifrig weiter, doch das Leuchten ihrer Fingerspitzen wanderte langsam in ihre gesamte Hand und kroch die Handgelenke hoch. Nervös versuchte Willow es mit ihrem persönlichen Trick 17; sie strich sich mehrmals über die Narbe in ihrer linken Augenbraue. Allmählich glaubte Willow, dass es wirkte, da schossen ihr weitere Bilder vom heutigen Tag durch den Kopf: Malicos, die toten Nachtschwestern, das Mottenbiest und Ceres leicht abfälliger Blick, als sie Willow vorhin weggeschickt hatte. Nicht zuletzt auch Cal, wie er am Boden zerstört an der Wand kauerte und Willow nicht einmal die Chance bekam, für ihn da zu sein. All diese Bilder und Gefühle - Willow wurde förmlich von ihnen überflutet. Unbewusst ballte sie ihre Hände zu Fäusten und ihre Fingernägel bohrten sich in die Handflächen.

So wanderte sie in dem kleinen Zimmer auf und ab, das Blut in ihren Ohren rauschend, das Herz in ihrer Brust wild pochend und die glühenden Hände zu festen Fäusten geballt. Willow wusste noch einen letzten Weg, wie sie ihre gereizten Nerven beruhigen konnte. Vorsichtig zog sie aus ihrem Korsett das Bild von ihren Freunden hervor. Mit einem Schlag war das Chaos in ihrem Kopf verschwunden, dafür machte sich etwas ganz anderes in ihr breit. Trauer und Schuld begleiteten sie nun schon seit Dathomir, doch mit dem Bild waren diese Gefühle um einiges präsenter. Das Leuchten ihrer Hände ebbte ab und ihre Brust fühlte sich vertraut schwer an.

Niedergeschlagen sank sie auf den Boden. Egal was sie tat, Willow war nie in der Lage, tatsächlich zu helfen. Das einzige bei dem sie tatsächlich helfen konnte, war, wenn sie feindliche Lager ausrotten und Tierwesen retten sollte. Sie hatte sogar bereits getötet und so der magischen Welt geholfen. Doch wenn es darum ging ihren Freunden abseits von dem zu helfen, dann war sie nutzlos. Anne hatte sie für viel zu lange Zeit völlig vergessen und auch Cal hatte sie nicht wirklich geholfen. In den letzten Jahren war ihre kämpferische Hilfsbereitschaft alles, was man von ihr brauchte und damit auch alles, wodurch sie sich und ihre Erfolge definierte. Doch hier war Willows Hilfe nicht sonderlich benötigt und sie realisierte, dass sie überhaupt nicht wusste, wer sie selbst eigentlich war.

Zu Hause war sie bloß Mittel zum Zweck und hier... hier war sie lediglich dabei. Willow war unbrauchbar und diese Erkenntnis deprimierte sie. Sie dachte an ihre Freunde und ihr Herz schmerzte. Woher wusste sie, dass ihre Freunde wegen ihrer Persönlichkeit mit ihr befreundet waren? Bei Poppy und Natty war es keine Frage - die beiden Freundinnen hatten Willow oft genug gesagt, wie gern sie sie hatten. Doch die anderen... Sebastian, zum Beispiel? Mochte er sie wirklich? Oder hielt er die Freundschaft nur aufrecht, damit Willow ihm half?

Die ersten Tränen bahnten sich den Weg über Willows Wangen, hinunter zu ihrem Kinn und hinterließen eine warme Spur. Selbst Cal... er war ihr Wohl oder Übel ans Herz gewachsen und jetzt war er am Leiden. Willow wollte nicht bezweifeln, dass er sie tatsächlich für ihre Persönlichkeit mochte, schließlich bot sie in diesem Universum nicht viel Fläche um ausgenutzt zu werden. Aber... Wollte er überhaupt, dass sie ihm eine Stütze bot? Sie konnte verstehen, wenn er ihren Beistand nicht brauchen würde. Doch, was tat sie, wenn sie nicht gebraucht wurde und auch nicht ihren schulischen Pflichten nachging?

Das Mädchen bekam Kopfschmerzen. Sie stand auf und legte das Bild auf ihr Bett, bevor sie sich im Bad unter eine heiße Dusche stellte. Hunger hatte sie bei dem Trubel eh nicht, also würde sie das Abendessen heute ausfallen lassen. Willow hielt sich nicht lange unter der Dusche auf. Als sie fertig war wechselte sie direkt in ihren Pyjama und schmiss sich auf das Bett. Das Bild beförderte sie mit Hilfe ihres Zauberstabs auf den Schreibtisch, ehe sie sich in der Decke einmummelte und das Licht löschte. Ihre Augenlider fühlten sich schwer und binnen weniger Minuten sank sie in den Schlaf.

Die Nacht war unruhig. Willow plagten schreckliche Albträume, die Ereignisse auf Dathomir wollten sie einfach nicht loslassen. Die toten Nachtschwestern waren eine präsente Komponente ihrer Träume. Das zerfallenen Fleisch an den wandernden Leichen erinnerte sie an die Inferi, die sie Zuhause viel zu oft hatte bekämpfen müssen. Doch auch Victor Rookwood mit Ranrok, Riesenspinnen, Professor Fig und Sebastian kamen immer wieder in ihren Albträumen vor. Das Mädchen wachte mehrmals schweißgebadet auf und schließlich entschied sie, dass sie heute nicht mehr schlafen konnte.

Zwar war Willow todmüde, doch hatte sie genug von all diesen schrecklichen, wirren Bildern. Sie bewegte sich ein weiteres Mal in das Bad, um sich mit kaltem Wasser das blasse Gesicht zu waschen. Dann suchte sie in dem Zimmer nach ihrer Schulrobe und legte sich diese um. Der Umhang bot ihr seltsamerweise Komfort. Als Willow an dem Schreibtisch vorbei lief, erhaschte sie einen Blick auf die gläserne Phiole, die ihr in dem Licht entgegenglitzerte. Die junge Schülerin rang mit sich und steckte letztendlich die Phiole mit der zartrosa-schimmernden Flüssigkeit in eine Tasche ihrer Robe. Dann schnappte sie sich ihren Zauberstab, löste den Schweigezauber auf und öffnete ihre Zimmertür.

Vorsichtig streckte sie den Kopf nach draußen. Der Korridor war stockfinster und mucksmäuschenstill. Willow atmete tief ein, ehe sie hinaus trat und durch das Schiff irrte. Ihre Augen waren nun an die Dunkelheit gewöhnt und so konnte sie ohne Bedenken durch das Schiff schleichen, da sie die Umrisse erkannte. Sie war gerade bei der Küche und warf einen Blick in das Spülbecken. Das Geschirr von dem heutigen Abendessen wurde wohl noch nicht abgewaschen, bei dem kleinen Geschirrhaufen, der sich aus dem Spülbecken hinaus türmte. Willow nahm es den Crewmitgliedern nicht übel - die heutigen Ereignisse schienen alle aufgewühlt zu haben.

Leise trat das Mädchen in den Wohnbereich, da stutzte sie. Auf dem großen runden Tisch beim Sofa tanzte die Flamme einer Kerze in einem sanften Rhythmus vor sich hin. Willow drehte sich im Kreis und suchte mit ihren Augen die Gegend ab. Sie spähte in den dunklen Flur, auf der Suche nach jemandem, der für die Kerze verantwortlich war. Da hörte sie ein leises Rascheln und aus Reflex umklammerte sie ihren Zauberstab - dabei war ihr bewusst, dass hier keine Gefahr herrschen konnte.

„Willow?", hörte sie jemanden leise fragen.

Das Mädchen erschrak und wirbelte herum. Aus dem Cockpit trat die schlanke Figur Cals in das warme Licht der Kerze. Er sah noch immer ganz furchtbar aus. Seine Haare waren völlig durch den Wind und auf seiner blassen Haut zeichneten sich dunkle Augenringe ab. Seine Augen waren noch leicht glasig, was Willow vermuten ließ, dass er bis vor kurzem noch geweint haben musste. Mit ihrem Zauberstab umklammert kam sich Willow dämlich vor. Schnell verstaute sie ihn, die Aufmerksamkeit nicht von ihrem Freund abwendend.

Cal kam noch ein bisschen näher zu ihr. Dann fragte er: „Kannst du auch nicht schlafen?"

Willow schüttelte lediglich ihren Kopf, ehe sie bloß: „Albträume", sagte. Für einen kurzen Augenblick breitete sich eine angespannte Stille zwischen den beiden aus und Willow war klar, dass sie reden mussten. Ohne es vorher kommuniziert zu haben rutschten beide auf das Sofa. Der Abstand zwischen ihnen war nicht groß und das erfreute Willow ein wenig. Sie überlegte angestrengt, was sie am besten zu ihm sagen konnte. Nichts schien sinnvoll oder gut genug, also wollte sie einfach drauf los reden.

„Cal, ich-"

„Willow, hör zu."

Ihre Blicke schossen zueinander und bei Cals Blick schloss Willow augenblicklich ihren Mund. Gut, sie würde ihm den Vortritt lassen. Der Junge richtete seine Augen auf die Flamme der Kerze, bevor er zu sprechen begann.

„Es tut mir leid, dass Cere dich vorhin so forsch weggeschickt hat", fing er an und Willow sah, wie er schluckte.

„Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn du bei mir geblieben wärst. Aber Cere... sie hat sich mir gegenüber geöffnet in einer Art und Weise bei der ich glaube, dass es ihr vielleicht zu privat wäre, wenn du es mitbekommen hättest. Auch wenn ich selbst nicht ganz verstehe wieso. Schließlich haben wir vor ein paar Tagen noch ganz offen über dieses Thema gesprochen, als du deine Pflanzen gebündelt hast."

„Cal, ich..." setzte Willow an und knetete ihre Hände. „Du musst dich dafür nicht entschuldigen. Und auch Cere muss das nicht. Ich hab mich in diesem Moment einfach nutzlos gefühlt, weil ich dir helfen wollte und es dann doch nicht konnte. Ich war mir nicht einmal sicher, ob du meine Anwesenheit überhaupt wolltest."
Den letzten Teil hatte sie so leise wie möglich geflüstert, denn eigentlich war er nicht für Cals Ohren bestimmt.

Sie fuhr fort, doch sie zögerte, als sie sprach.
„Also, alles gut. Doch, ich habe eine Frage. Und du musst sie mir nicht beantworten. Es ist okay, wenn du es nicht möchtest. Aber... was ist in dem Grab passiert? Du warst so in dich gekehrt... Ich habe mir sorgen gemacht."

Willow sah ihren Gegenüber an. Sein Blick schien in der Flamme festzuhängen und zunächst antwortete er nicht. Dann flackerten seine grünen Augen einmal zu Willow, ehe er wieder zur Kerze sah. Cal nahm einen tiefen Atemzug.
„Als ich meditiert habe, da... Da war es plötzlich anders, als sonst. Das Meditieren hilft mir, meine Verbindung zur Macht zu stärken und manchmal kommen Erinnerungen hoch von meiner Zeit als Padawan. Nach... Nach der Order 66 war meine Bindung zur Macht gestört. Cere hilft mir, sie wieder zu stärken."

Cal machte eine kurze Pause und Willow gab ihm die Zeit, die er brauchte.
„Als ich im Grab meditiert habe, fand ich mich in einer Erinnerung wieder. Es war der Tag, an dem die Auslöschung begann. Ich...", er brach mitten im Satz ab und schüttelte einmal mit dem Kopf. Willow verstand, dass es ihm schwerfiel über dieses Thema zu reden. Doch sie wollte ihm versichern, dass er ihr vertrauen konnte. Also schloss sie die kleine Lücke zwischen ihnen und rückte näher an Cal heran. Dann legte sie ohne zu zögern ihre Hand auf seine. Cal drehte seine Hand so, dass er Willows umschloss und die Schülerin malte mit ihrem Daumen Kreise auf seinen Handrücken.

Cal setzte wieder an.
„Ich habe meinen Meister sterben sehen", sprach er so leise, dass Willow es fast nicht hörte.
Bei seinem Geständnis zog sich ihr Herz zusammen. Sie drückte seine Hand einmal fest - Worte konnten bei diesem Schmerz nicht helfen.

„Nicht nur das, Lills. Es ist meine Schuld", hauchte er. Willow sah ihn verständnislos an. Cal hatte seinen Blick noch immer auf die Flamme fixiert.
„Mein Meister... Er ist gestorben, weil ich nicht gut genug war", Cal atmete zitternd aus. „Aber ich habe meine Strafe direkt bekommen, als ich von einem Schuss der Klone getroffen wurde."
Geistesgegenwärtig hob er eine Hand und strich über die Narbe an seinem Nacken, die sich bis in seine Wange zog.

Willows Hals fühlte sich wie zugeschnürt an. Sie wollte so viel sagen, doch kam kein Wort raus. Cal senkte den Blick auf ihre verflochtenen Hände und Willow sah, wie eine kleine glitzernde Träne seine Nasenspitze hinab kullerte. Er wischte sie schnell weg und sah zurück zur Kerze. Willow musste etwas sagen. Mitleidsfloskeln wären nicht hilfreich und sie war sich sicher, dass Cere schon versucht hatte auf Cal einzureden, dass er nicht Schuld an dem Tod seines Meisters war. Das wäre auch Willows erster Versuch, wenn sie nicht so langsam wüsste, wie er tickte. Also probierte sie es anders und konnte nur hoffen, dass Cal es nicht falsch aufnehmen würde.

„Ich habe auch meinen Mentor sterben sehen", war alles, was sie zunächst sagte. Jetzt war sie es, die der Kerze beim brennen zusah und es war Cal, der Willow all seine Aufmerksamkeit schenkte.

Ein wenig unsicher überlegte sie, wie sie es am besten formulieren sollte. Unter keinen Umständen wollte sie, dass er denkt sie würde ihm sein Erlebnis und Trauma absprechen.
„Professor Fig hat mich damals aus dem Waisenhaus geholt und mich nach Hogwarts begleitet, als klar wurde, dass ich magisches Blut habe. Er war die erste Bezugsperson, die ich hatte und er war wundervoll. Fig hat mir viel beigebracht und mich auf die Grundlagen vorbereitet. Aber er hat oft seinen Unterricht ausfallen lassen, er war ein grauenhafter Professor", gestand sie und musste leise Lachen. Auch Cal hob einen Mundwinkel. „Dafür war er ein umso besserer Freund. Er hat mich das ganze fünfte Jahr über begleitet und war immer für mich da. In einem Kampf der, wenn wir verloren hätten, zu einem Krieg geführt hätte, starb Professor Fig einen grausamen Tod."
Willow machte keine Pause beim Sprechen. Sie hatte nie so ausführlich über den Tod ihres Mentors gesprochen. Es war erleichternd, das Erlebte jemandem zu erzählen, der unvoreingenommen war.
„Ich war unachtsam und habe nicht gesehen, dass ein massiver Felsen geradewegs auf ihn zustürzte. Fig wurde von dem Felsbrocken in die Tiefe gerissen. Später fand ich ihn und er atmete noch. Ich war dabei als... Als er seinen letzten Atemzug tag. Sein Tod verfolgt mich bis heute. Und bis heute habe ich mir nicht für meine Unachtsamkeit vergeben", endete sie und bemerkte erst jetzt, wie fest sie Cals Hand drückte. Schnell löste sie den Druck.

„Aber sein Tod war nicht deine Schuld, Willow. Du hättest nichts dagegen tun können", sagte Cal und sah ihr aufrichtig in die Augen.

Willow zuckte leicht die Schultern.
„Vielleicht. Und vielleicht sehe ich das auch irgendwann mal so, wie du. Aber Cal. Als dein Meister verstarb warst du noch ein Kind. Du hattest genauso wenig Einfluss auf sein Leben wie ich auf das meines Mentors. Wenn ich unschuldig bin, dann bist du es auch."

Die Schülerin sah ihm an, dass er nachdachte. Mehrmals presste er seinen Kiefer zusammen, ehe er leicht nickte.
„Vielleicht", sagte er bloß.

„Darf ich dich dazu was fragen?"

Cal nickte und fuhr sich mit einer Hand durch seine leicht zerzausten Haare.

„Was hast du danach gemacht? Bist du ganz alleine geflohen?"

„Naja ich... habe mich und den durchlöcherten Körper meines Meisters in eine Rettungskapsel geschleppt. Die Explosion des Schiffs war so kräftig, dass sie die kleine Kapsel zum Beben gebracht hat. Irgendwann ist die Kapsel auf Bracca abgestürzt. Dort bin ich dann geblieben und seither verfolgen mich diese elendigen Schuldgefühle. Ich habe mich unter das Volk gemischt, hab mich versteckt. Und ich habe mich der Schrottsammlergilde angeschlossen", erklärte er ruhig und schielte zu einem Tattoo auf seinem rechten Unterarm. Es sah aus wie eine Art Code.

„Kommt das Tattoo da her?" fragte Willow ihn.

Cal nickte.
„Es ist quasi sowas wie ein Erkennungsmerkmal, dass man tatsächlich dazu gehört."
Cal schien für einen Moment in Gedanken versunken, ehe er wieder zum Sprechen ansetzte.
„Auf Bracca habe ich aufgehört, die Macht zu nutzen. Ich hielt mich an drei simple Regeln um zu Überleben", sagte er und zählte mit einer Hand ab, „Erstens, fall nicht auf. Zweitens, akzeptiere die Vergangenheit. Und drittens, vertraue niemanden außer der Macht."

Willow nickte. Das war ein kluger Schachzug von ihm gewesen. Cal fuhr fort.
„Das ging fünf Jahre lang gut, bis... Bis ich vor ein paar Tagen einen Freund vor einem tödlichen Sturz retten wollte. Es gab keinen anderen Weg, ich musste die Macht benutzen. Doch das war mein Fehler. Damit hab ich die Inquisition auf mich aufmerksam gemacht. Zu meinem Glück habe ich damit auch Cere und Greez angelockt. Sie haben mich vor meinem Tod gerettet."

„Ich verstehe. Jetzt ergibt das alles so viel mehr Sinn", gab Willow zu.
Müde lehnte sie ihren Kopf an seiner Schulter an.

„Ja, jetzt kennst du meine Geschichte."
Cal schien zu zögern, bevor er seine nächste Frage stellte.
„Aber Lills, wieso konntest du heut nicht schlafen?"

Das Mädchen schloss ihre Augen. Cals Nähe machte sie schläfrig, doch war ihr Kopf noch hellwach.
„Was auf Dathomir passiert ist heute, das hat mir einfach keine Ruhe gelassen. Die Zombie-Schwestern haben mich noch dazu an Gestalten von Zuhause erinnert, die ähnlich aussehen. Es hat sich einfach vieles addiert und mich im Schlaf verfolgt", erklärte sie.

Cal machte ein Geräusch der Zustimmung, als Willow etwas einfiel.
„Das ist jetzt ein ziemlicher Sprung von unserem eigentlichen Thema, aber zuhause gibt es Wesen, die nur eine bestimmte Art von Leuten sehen können. Wir nennen sie Thestrale. Sagen dir Pferde etwas?" fragte sie.

Sie spürte, wie Cal verneinend den Kopf schüttelte.
„Pferde sind quasi Reittiere. Und Thestrale sehen Pferden sehr ähnlich. Sie sind schwarz, geflügelt und ihre Haut ist ledernd. Es sind super friedliche Tierwesen, doch viele haben Angst vor ihnen."

„Warum? Wer kann sie sehen?" fragte Cal neugierig.

„Man kann Thestrale nur sehen, wenn man den Tod gesehen hat. Du zum Beispiel könntest sie auch sehen, leider. Doch ich finde, Thestrale haben etwas beruhigendes an sich. Sie sind wunderschöne Wesen und es ist eine Art Trost, den man in dem Verlust finden kann. Es ist ein bisschen schade, dass du sie vermutlich nie sehen wirst", endete sie und Cal gab einen nachdenklichen Laut von sich.

Nach einem Moment der Stille fing er wieder an zu sprechen.
„Hey, Lills."

„Hm?" machte sie nur. Im Moment hatte sie das Gefühl, dass sie Jahrtausende ohne auch nur einen schlechten Traum schlafen könnte. Cals Wärme und Geruch hatten so eine beruhigende Wirkung, dass Willow sich nie wieder von ihm entfernen wollte.

„Danke. Für dieses Gespräch. Es hat tatsächlich geholfen und ich fühle mich ein wenig besser."

„Ich danke dir, Cal. Dein Vertrauen bedeutet mir viel und ich werde deine Lasten mit ins Grab nehmen. Das schwöre ich dir."

Cal verstärkte noch einmal den Druck um ihrer Hand, ehe er sie leicht schüttelte.
„Na komm, Lills. Du solltest noch etwas schlafen."

„Sagt der richtige", schnaubte sie nur.

Die beiden Teenager erhoben sich und Cal pustete die Kerze aus. Dann schlichen sie auf leisen Solen zurück in den Flur der Schlafzimmer. Vor Willows Tür blieben sie stehen und Cal wandte sich mit einem Winken um zum Gehen. Willows Körper handelte schneller als ihr Verstand, als sie nach seinem Handgelenk griff. Fragend sah er sie an und Willow kroch augenblicklich die Röte in die Wangen. Sie war kurz davor abzuwinken und einfach zu gehen, doch dann würde sie nicht schlafen können. Also kratzte sie all ihren Mut zusammen. Verlegen mied sie seinen Blick und sagte: „Ich glaube, ich kann nicht mehr schlafen heut. Ich habe... Angst vor neuen Albträumen, Cal."

Der Junge sah verblüfft aus. Dann griff nach ihrer Hand und trat einen Schritt auf sie zu.
„Aber du musst schlafen, Lills", sagte er und wirkte, als würde er angestrengt nachdenken. Nach einem kurzem Augenblick, in dem Willow sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte, hellte sich sein Gesicht auf. „Würde es dir helfen, wenn du nicht alleine schläfst? Also, quasi eine Übernachtung?"

Das Mädchen fühlte sich, als stünden ihre Wangen in Flammen. Sie zögerte. Wenn sie ablehnen würde, dann wäre sie morgen zu nichts zu gebrauchen durch den Schlafmangel. Doch wenn sie annahm, dann könnte es auch super unangenehm werden. Sie war unentschlossen und bevor sie sich abermals in ihren unsicheren Gedanken verlieren konnte nickte sie langsam.

„Okay", sagte Cal und trat als erstes in ihr Zimmer. Leicht zog er sie hinterher und Willows Hirn war nun auf Standby geschaltet. Sie begriff nicht ganz, was hier passierte, doch sie ließ es geschehen. Cal nahm auf ihrem Bett platz. Wie ferngesteuert ließ Willow die warme Schulrobe auf den Boden fallen und legte ihren Zauberstab beiseite, ehe auch sie auf der weichen Matratze platz nahm. Willow schmiss die Decke über sich und Cal und beide lehnten sich mit dem Rücken an die Wand. Wie schon auf dem Sofa griff Cal nach ihrer Hand und Willow lehnte ihren Kopf auf seine Schulter. Binnen weniger Sekunden wurde sie von der Müdigkeit gepackt und mit einem letzten „Gute Nacht, Lills", von Cal driftete in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
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4.042 Wörter,

ich warne euch mal, gut gemeint, vor. wir begeben uns in den kommenden Kapiteln in den Bereich der emotionalen Achterbahnfahrt. unsere liebe Willow wird emotional und gedanklich viel erleben, was den Fokus der kommenden Kapitel ein bisschen mehr auf ihre eigene Entwicklung legt und die eigentliche Handlung ein wenig verlangsamt.

wie fandet ihr dieses Kapitel? zwei traurige Seelen, die sich in der Einsamkeit der Nacht das Privileg auf Zweisamkeit nehmen :)

bis zum nächsten Mal
~Alice

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