Kapitel 6

Ich schloss leise hinter mir die Tür. Kaum stand ich in der Wohnung erblickte ich leere Flaschen und leichter Alkoholgeruch schwebte mir entgegen. Etwas angewidert begann ich diese zu sammeln und packte sie in eine leere Tüte, die irgendwo herumlag. Heute Abend würde ich sie noch wegbringen, aber jetzt hatte ich definitiv nicht genügend Energie unter die Leute zu treten. Was heute passiert war hatte mir einfach zu viel Energie und Motivation geraubt. Als ich im Esszimmer die Flaschen der letzten Tagen aufgesammelt hatte, öffnete ich zögerlich die Schiebetür zum Wohnzimmer.

Ich merkte, ich war lange nicht mehr im in diesem Raum gewesen, da der Wohnzimmertisch von halbvollen Flaschen vollgestellt war. Die Luft war abgestanden. Das Zimmer unheimlich düster. Ich hörte unregelmässiges Atmen, was darauf hinwies, dass sich hier mein Vater befand. In der Dunkelheit nahm ich eine Bewegung wahr. „Aman?", fragte ich leise. Ich erkannte die Umrisse des Sofas, worauf mein Vater lag. Es war ihm viel zu Klein, denn es war ursprünglich nicht einmal für zwei Personen und ich fragte mich noch heute, wie man das im Möbelladen als Sofa hatte ausschreiben können. Seine Beine hingen über die Sofalehnen und sein Kopf wurde nur noch knapp von der der anderen Seite gestützt.
Seine Hände verdeckten sein Gesicht, für den Moment meinte ich ein Schluchzen zu hören. Als ich ihn nochmal beim Namen ansprach und ihn warnte, dass ich das Licht anschalten werde, sah ich, wie er zwischen den Fingern hervorlugte. Das warme Licht durchflutete den Raum, mein Vater und ich zuckten zusammen. Für kurze Zeit nahm er die Hände vom Gesicht, bevor er sich direkt wieder hinter ihnen versteckte. Seine Augen waren Blutunterlaufen und ich meinte auch Trauer und Scham in seinen Augen aufblitzen zu sehe . „Piove, du bist wieder gekommen... Ich dachte du..", seine Stimme brach. Er sah meine grosse Narben und die Kratzer in meinem Gesicht. „Oh Gott", wimmerte und man sah ihm an, wie er in sich zusammensank. Er vergrub das Gesicht wieder in den Händen.

Mein Vater wurde oft sentimental, wenn er aus einem Alkoholrausch erwachte. „Piove..", hörte man dumpf hinter den Händen hervorklingen, „...bitte glaube mir... Ich wollte das nicht."
„Aman... Ich wollte auch nicht heute die Schule frühzeitig verlassen. Es ist einfach so passiert.", meinte ich kühl. „Nein wirklich...", murmelte er schuldbewusst und sackte noch mehr in sich zusammen.

„Weisst du... Ich weiss langsam echt nicht mehr, welche deiner Taten und Worte echt gemeint sind. Weisst du überhaupt, was du mir immer antust? Ist das alles ernst gemeint? Ich habe immer geglaubt, du liebst mich. Aber seitdem das alles angefangen hat, bist du nicht mehr zu erkennen. So auch weder deine Aussagen noch die Handlungen deinerseits. Wie soll ich da noch unterscheiden, was ernst gemeint ist und was nicht. Wir sind verdammt noch einmal knapp bei Kasse und du saufst dich zu Hause voll und denkst weder daran, dir endlich wenigstens für einige Monate wieder eine gute Stelle zu besorgen, noch irgendwelche Dinge zu erledigen, wie den Müll an die Strasse zu stellen oder einzukaufen. Aber klar, ich meine, Alkohol wäre mir da auch wichtiger als der finanzielle Zustand der Familie. Und klar, wenn du dich so bewirbst, nehmen sie dich nicht mehr an. Würde ich auch nicht.
Aber stattdessen du dich zu ändern versuchst, damit WIR eine Chance haben, machst du weiter. Kaufst weiter ein und vergisst dabei den Kontostand, begibst weiter in deine Alkoholräusche, vergisst deine früheren Charaktereigenschaften, rastest aus und vefällst dann in Selbstmitleid, sobald du wieder bei Verstand bist. Ich hab's satt."

Ich habe bis jetzt vor ihm gestanden. Auch wenn ich vorhin Mitleid mit ihm gehabt hatte, war es für mich jetzt zuviel geworden. Tränen konnte ich nicht mehr aufhalten. Ich drehte mich um, rannte aus der Tür und schmiss mich auf mein Bett, nicht ohne vorhin meine Zimmertür geschlossen zu haben. Ich starrte an die Decke, wimmerte leise und spürte einen dicken Kloss im Hals.

Ich kann nicht mehr.. Es geht einfach nicht mehr..

...Ich gebe auf...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top