Kapitel 5
„Hi Leute", sprach ich Sara, Celia und Maurice, der seit kurzem auch zu unserer Gruppe gehörte, an. Ich hatte meine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Das war eigentlich gar nicht unnormal für mich, denn ich tat es öfters, um andere Blicke auf mir nicht sehen zu können.
Doch heute merkten sie, dass etwas nicht stimmte.
„Kapuze runter!", befahl Celia, was eigentlich schon nach einer Drohnung klang. Ich schüttelte den Kopf. Maurices Schritte näherten sich mir und ich spürte, wie die Kapuze nach hinten gestrichen wurde.
Ein markerschütternder Schrei liess das ganze Schulareal erschüttern. Alle drei sahen mehr als nur geschockt aus. Celia taumelte zurück und Sara versuchte sie etwas aufzufangen.
Meine Wunde hatte ich in der Nacht versucht zu säubern, nachdem mein Vater eigeschlafen war. Heute hatte ich weder einen Verband, der übrigens beinahe unmöglich zu erschaffen war, noch ein Plaster angebracht, da ich nicht solch eines in der Größe Zuhause gefunden hatte.
Entrüstet seufzte ich, blickte auf den Boden und versuchte krampfhaft meine Tränen zurückzuhalten, die in meine Augen schossen. Maurice schien es zu bemerken. Er schritt vor mich, schloss seine Arme um meinen Körper und flüsterte leise: „Lass es ruhig raus. Oft ist weinen befreiend." Ein Schluchzer entfuhr mir. „Es sieht schrecklich aus, stimmts?", murmelte ich gegen sein Shirt. Es war still. Er schien nach Worten zu suchen, was mir eigentlich schon die Antwort gab: „Sagen wir's so.." „Sags einfach.", unterbrach ich ihn. Er schaute beschämt zu Boden. „Ja, die Narbe sieht nicht schön aus." Sara trat neben Maurice und hob leise die Stimme an: „Aber irgendwie steht es dir... Also nicht, dass es nötig wäre. Aber es macht dich nicht so zierlich sondern kämpferisch.."
Um ehrlich zu sein, wollte ich In diesem Moment den Unterschied der beiden Sätze nicht verstehen. Denn beide ergaben irgendwie, dass dieses Teil in meinem Gesicht grässlich anzusehen war.
Und so begann die Diskussionsrunde zwischen Sara und Maurice, die beide irgendwie fanden, dass es zu mir passen würde und dass man sie, fragt mich nicht, wie die drauf kamen, an Halloween blau färben könnte und wie toll das aussehen würde.
Was sie vergassen: Ich war noch immer die Person, die diese tragen musste. Ich hätte ihnen diesen Schnitt in meiner Fresse gerne geschenkt, wenn sie den so unglaublich gerne für absurde Zwecke benutzen wollten. Aber niemand interessierte sich mehr dafür, warum ich sie ab jetzt tragen musste. Es ging ihnen nicht darum, wie diese dort hin hekommen war und wie die Geschichte dahinter aussah. Ihnen war es egal... Und aus irgendeinem Grund schmerzte das. Würde dieses Scheissteil ohne Grund mein Gesicht zieren oder hätte ich es mir ausgesucht, hätte ich jetzt mitgelacht, diskutiert und darüber Witze gerissen.
Aber auch diese Narbe hatte eine Geschichte. Jede Narbe hat sie. Bis jetzt waren diese in mir. Tief in meinem Herzen. Als hätte man mir mit jedem Streit ein weiteres Messer hinein gerammt. Das Gute aber daran war, es hatte bisher nie Äusserliche Auswirkungen gehabt. Ich konnte es verstecken. Das hier war unmöglich zu umgehen. Ich konnte es nicht ignorieren. Ich sah es im Spiegel, wenn ich im Zimmer oder im Bad vorbei lief, fühlte es, wenn ich eine Strähne aus meinem Gesicht strich, spührte es am Schmerz, der immer wieder durch mein ganzes Gesicht zuckte und roch sogar manchmal den Blutgeruch, wenn ich mich darauf achtete. Alle meine Sinne werden mich ab jetzt an dieses Ereignis erinnern. Alle Sinne der anderen werden mich ab jetzt immer darauf hinweisen und auslöchern mit den allerdümmsten Fragen wie „Was hast du gemacht?", „Was ist passiert" oder „Wie hast du das hingekriegt."
Meine Sicht verschwamm und meine Tränendrüsen fanden, es müsse mehr salzige Flüssigkeit produziert werden. Ich drehte mich um und liess die drei stehen, wobei wahrscheinlich nur Celia mitbekam, dass ich das Schulareal verliess.
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