Kapitel 2

Der nächste Montag war wieder Schulbeginn. Insgeheim freute ich mich darauf. Denn in der Schule konnte ich den Zuhause herrschenden Problemen entfliehen, plus verbesserte die mangelnde Leistung dort vor Ort.
Denn trotz nicht zufriedenstellenden Noten, sah ich die Schule als positiver Ort. Dort hatte ich Freundinnen. Zwar nicht viele, im Grunde genommen zwei, aber das war mir mehr als genug. Vor ein paar Jahren hätte ich nie geglaubt, solche Personen zu finden, denn mein Charakter war nicht der einfachste. Meistens war ich eher ruhig und redete nicht viel. Komischerweise hat sie das nie gestört. Sie übernahmen für mich das Reden und ich hörte zu.
In Gedanken versunken packte ich mein Schulzeug in meine Schultasche und deckte den Tisch für meinen Vater. Neben sein Glas legte ich eine Aspirintablette hin, die mein Vater brauchen wird nachdem er sich Gestern wieder das Gehirn weggesoffen hatte.
Später machte ich mich pünktlich auf den Weg. Vor mir lagen nur 20 Minuten zu Fuss.

Auf dem Schulhof erblickte ich schon von weitem Sara und Celia, die mir meiner Meinung nach viel zu übertrieben zuwinkten. Leicht lächelnd über ihren Auftritt trat ich zu ihnen. „Lass dich betrachten", meinte Celia, packte mich an den Schultern und musterte mich. Anerkennend sah sie mich an. „Wow.. Der letzte blaue Fleck ist mindestens drei Tage her. Musste er sich so lange vom Alkoholrausch erholen?", ihre Frage hatte einen spöttischen Unterton. „Nein, leider nicht. Ich konnte aber fliehen.", seufzte ich. Sara sah mich mitfühlend an: „Wenigstens nicht so schlimm wie vor den Ferien." Ich nickte nur. Celia hob wieder an: „Ich habe übrigens unsere Stundenpläne verglichen. Die meisten Stunden haben wir gemeinsam. Über den Mittag wird es allerdings schwer. Du bleibst ja hier... Sara kann nach Hause gehen und ich habe jeweils Spanisch und Latein über den Mittag..." „Ist gut Celia", lächelte ich, „ich kann eine Stunde allein verbringen. Essen habe ich dabei und Sitzplätze gibt es genug." "Ok gut. Wenn du einmal zu mir essen kommen möchtest, bist du herzlich eingeladen", meinte Sara. „Danke, alles in Ordnung", lehte ich dankend ab.

Der Unterricht war nichts besonderes. Zuerst hatten wir drei Stunden lang wieder Einführungen in das anstehende Schuljahr. Zum tausendsten Mal wurde uns eigetrichtert, wie wichtig dieses sei und dass es ja kein einfaches Jahr werden würde. Dann mussten wir in unsere Klasse und der normal Unterricht begann endlich. Ich musste das erste Mal seit langem nicht meine Mathelehrerin terrorisieren, da ich das neue Thema für meine Verhältnisse recht schnell begriffen hatte. In Französisch behielt ich zum Glück noch immer Vorsprung.

Die Mittagspause war meine liebste Stunde des Tages. Ich lehnte mich an die Rinde eines alten Baumes hinter dem Schulgebäude und ass mein trockenes Sandwich, dass ich noch gestern Mittag vor meinem hungrigen Vater retten konnte.
Gerade als ich Musik hören wollte und die Kopfhörer auspackte, kamen Schritte auf mich zu. Eine grosse Person stellte sich neben den Baum. Verwirrt blickte ich hoch. Ich war doch am Mittag immer alleine.
„Hey... Darf ich mich neben dich setzen?", fragte der Junge vom Wohnheim. „Klar", meinte ich immernoch verwirrt.

„Du bist erst hergezogen richtig?", fragte ich direkt, was eher untypisch für mich war. Ich wollte jedoch nicht die unangenehne Stille eintreten lassen. „Ja.. Es war die günstigste Bleibe in de Nähe", hörte ich ihn leise sagen. Ich sah ihn lächelnd an. „Ich kenns. War bei mir auch so." Er blickte mich dankbar an. Er schien wohl das erste Mal seit langem verstanden zu werden.
Erst jetzt bemerkte ich eine violette Färbung um eines seiner Augen. Ähnliche Stelle wie bei mir, nur etwas frischer als meine. Er bemerkte meinen Blick und legte fragend den Kopf schief. „W.. Wer?", setzte ich unbeholfen an und langsam kam zum Vorschein, dass ich sonst nicht so oft ein Wort verlor.

Sein Ausdruck veränderte sich von verwirrt zu wissend. Man merkte, wie sich seine Gesichtszüge minimal verhärteten. „Meine Eltern.", grummelte er nur, „Sie haben psychische Probleme und brauchen einen Sündenbock." Ich verzog das Gesicht. „Bei dir? Du scheinst auch ein blaues Auge bekommen zu haben.", fragte er und ich sah aufsteigende Hoffnung in seinen Augen. Er schien jemanden zu brauchen, der das gleiche erlebt hatte, wie er es tat. Ich senkte meinen Blick „Mein Vater ist Alkoholiker, weswegen meine Mutter ihn verlassen und darauf verschwunden ist. Seitdem trinkt er noch mehr. Ich glaube er möchte sich ablenken. Nur muss ich dafür herhalten. Er hat seit kurzem das Flaschenwerfen für sich entdeckt und trifft mit jedem Mal besser.", seufzte ich etwas bedrückter als sonst. Jetzt hatte ich definitiv meine sonstige Gesprächsdauer überschritten, denn in den letzten Sätzen stotterte ich automatisch.

Er nickte: „Mein Vater hatte in der Kindheit schlimme Zeiten. Sein Vater hat ihn bei jeglichen Fehlern grün und blau geschlagen. Ich kann nur dankbar sein, dass er nicht so stark zuschlägt wie mein Opa.", er hielt kurz Inne, „Meine Familie will nicht eingestehen, dass sie seelisch komplett am Boden ist." Ich hörte ihm aufmerksam zu. Zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich bei einer Person wohl, die ich seit drei Tagen "kannte". Es tat gut sich so auzutauschen, wie man es nie sonst getan hatte. Meine Stimme gewöhnte sich lustigerweise schnell an meinen Redeschwall und das Gestottere hörte man plötzlich weniger gut heraus. Wir redeten noch einige Zeit miteinander, bis die Klingel zur Ankündigung erklang, dass in fünf Minuten die erste Nachmittagsstunde begann.
Erschocken schnellte ich hoch, so tat es auch der Junge.
„Heute Abend wieder etwa um ein Uhr, gleicher Ort wie vor drei Tagen?", fragte er und ich nickte lächelnd. Wir liefen stumm auf den Schulhof und entfernten und langsam in verschiedene Richtungen. Dann drehte er sich nochmal um.
„Wie heisst du eigentlich?", rief er mir entgegen.
„Regen", schrie ich zurück, da wir schon eine grössere Distanz aufgebaut hatten, „Du?"

„Maurice"

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