Türchen Nr. 3

Die Bürde der Krone

Geschrieben von RonjaAlsters


Und in ihrer Verzweiflung beschloss die Königin, ihren Geliebten zu töten. Die eisigen Nordwinde hatten das Reich bereits seit Wochen fest in ihrem Griff, fegten unbarmherzig über die Lande, ihre schaurigen Lieder voller Schnee, Tod und
Kälte singend.

Der dunkle Fels der Sternwarte war in eine dichte Schneeschicht gehüllt, welcher, gefährlich glatt unter den Füßen, dem unachtsamen oder unglücklichen Kletterer leicht zum Verhängnis werden konnte. Es war ein wahres Martyrium gewesen, die siebenundsechzig in den Stein gehauenen und nun von einem Eispanzer Überzogenen Stufen bis zum Plateau zu erklimmen, stets der Gefahr Ausgesetz in
die Tiefe zu stürzen.

Eiskristalle wirbelten durch die Luft und schnitten in die blasse Haut der Königin, doch diese bemerkte es kaum. Ihr Blick war starr auf die hoch aufgerichtete Gestalt
geheftet, die dort allein am Abgrund stand, umtost von den Winterwinden.

Das Mithril des Dolches schien in ihrem verkrampften Griff zu pulsieren, so fest umklammerten die schlanken Finger das Heft. Ein Geschenk ihres Gemahls, welches
nun sein Herz durchbohren würde und ihres mit ihm.

Nie zuvor war eine Bürde schwerer zu tragen gewesen, doch einen anderen Ausweg sah die Frau nicht. Sie hatte einen Eid geleistet, da sie die Krone und mit dieser die Königswürde empfangen hatte. Das Reich war ihr anvertraut worden, das Leben so vieler Menschen in ihre Hände gelegt, nichts durfte für sie von größerer Bedeutung sein. Auch nicht der Mann, den sie von ganzem Herzen liebte.

Ein Beben durchfuhr den schlanken Körper der Regentin, doch war dieses nicht allein der Kälte geschuldet. Sie hatte Angst, doch nicht um sich selbst. Es war die Furcht, was geschehen würde, wenn sie versagte, die ihr Innerstes erzittern ließ.

Dunkel hob sich die Gestalt des Königs vor dem Schneegestöber ab, als würde das Licht selbst vor dem Mann zurückschrecken, der unbewegt in die Ferne blickte. Die Kälte schien seinen Körper nicht länger berühren zu können und unwillkürlich drängte sich ihr der Gedanke auf, ob es das Eis in seinem Herzen noch kälter sein konnte als jeder irdische Schneesturm.

Auch ohne den schmalen Silberreif hätte ein jeder ihn allein anhand seiner
Ausstrahlung als den König erkannt. Nun schmückten Silberflocken das edle Haupt, hell aus dem dunklen Haar herausleuchtend.

Die Verzweiflung zwang sie beinahe in die Knie. Wie konnte sie den Mann verraten, dem ihr Herz gehörte, dem sie ihr Leben zu Füßen gelegt hatte, für den sie sterben würde?

Und doch trugen ihre Füße sie vorwärts, ihrem Schicksal entgegen.

Der König dreht sich nicht um, auch nicht, da sie direkt hinter ihn trat, dabei musste. er ihr Kommen längst bemerkt haben, schließlich waren seine Sinne die eines kampferprobten Kriegers, dem nicht einmal der Flügelschlag eines Nachtfalters entging. Er wusste, wer dort durch den Schneesturm zu ihm gekommen war.

Die Königin trat einen weiteren Schritt an ihren Gemahl heran, so dass sie nur die Hand hätte heben müssen, um die Finger über den weichen Pelzbesatz seines Mantels wandern zu lassen. Sie selbst war ebenfalls von der hohen Gestalt der Numenorer und doch verdeckte die gerade Linie seiner breiten Schultern ihr den Blick über ihr Königreich.

Der Wind heulte, biss mit spitzen Zähnen aus Eiskristallen um sich. Die Hand mit der Waffe zitterte. Gleich wäre es vorbei
vorüber jedoch noch lange nicht.

Er war nicht mehr der tugendhafte Prinz von einst, der jedem Wesen gütig und gerecht gegenüber trat und dessen eigenem Handeln die höchsten Idealen zugrunde lagen. Ein Schatten hatte Besitz ergriffen von ihm, hielt sein Herz mit gierigen Klauen umfangen und vergiftete zugleich seinen Geist.

Ohnmächtig hatte sie dabei zusehen müssen, wie die Dunkelheit Einzug hielt und ihr das Liebste im Leben nahm. Gekämpft hatte sie gegen das namenlose Grauen, welches ihr Leben wie die kaum sichtbaren Fäden eines Spinnennetzes zunehmend durchwirkt hatte doch vergebens. Immer enger waren die Spinnweben um sie geworden, hatte der Kampf ihr zusehends die Kraft geraubt bis sie keinen Ausweg mehr sah, als diese Verzweiflungstat. Es oblag ihrer Verantwortung, das Volk vor dem in ihrem König wuchernden Übel zu schützen.

Am liebsten würde sie mit ihm ihr Leben aushauchen, im Tode vereint statt im Leben
getrennt.

Doch ihre Pflicht lag anderswo. Angmar brauchte seine Königin. „Es wirkt so friedlich, wenn die Welt all ihr Böses und Schlechtes hinter dieser weißen Wand aus Schnee verbirgt. Mir scheint, als schrumpfe unsere Welt in sich
zusammen und alles, was übrig bleibt, sind wir Zwei in diesem Moment."

Seine Stimme knirschte wie gefrorener Reif unter den Stiefeln, wenn man die
unberührte Landschaft nach einem Sturm mit den ersten Spuren zeichnet. Lange musste er dort bereits im Schweigen geharrt haben, einsam der Kälte trotzend.

Ein Schauer rann ihr den Rücken hinab, trieb die scharfe Dolchspitze sehnsüchtiger Erinnerungen durch ihr Herz. Einst hatte es eine Zeit gegeben, da sie gemeinsam hier oben gestanden und zum leuchtenden Firmament emporgeblickt hatten, ihre Finger miteinander verwoben.

Als er sich umdrehte, glomm in seinen grauen Augen ein Funken, den sie schon lange sehnlichst vermisst hatte, ein Hauch des edlen Mannes, dem sie vor so vielen Jahren den Eid geschworen hatte. In guten wie in schlechten Zeiten, ganz gleich was. kommen mochte, sie würden einander die Treue halten, dies hatten sie einander
gelobt, sich gegenseitig zu lieben und zu dienen mit all ihren Sein.

Der winzige Funken Leben erlosch, da sein Blick den Dolch in ihrer Hand fand und in diesem Moment wusste sie, dass sie verloren hatte. Ihn. Ihr Königreich. Alles.

Es war nur ein kurzes Weiten der Pupillen, ein Hauch ehrlicher Überraschung, der über sein Gesicht zog, es für einen Sekundenbruchteil weich und verletzlich erscheinen ließ. Dieser Blick brach ihr Herz, denn sie erkannte, dass ihr Geliebter tief in seinem erkalteten Herzen noch immer auf ihre Loyalität, ihre Liebe zu ihm vertraut
hatte.

Mit der Erkenntnis ihres Verrates kehrte der Stahl in seine Augen zurück, verdrängte
jegliche Menschlichkeit. Die Enttäuschung in dem so geliebten Antlitz war mehr, als die Königin zu ertragen vermochte. In einem Akt purer Verzweiflung riss sie den Dolch in die Höhe, den
Streich auf seine ungeschützte Kehle zielend.

Die langen, harten Jahre als ihr treuer Krieger hatten unsichtbare Spuren an ihm hinterlassen; seine Reflexe, geschult, um ihr Leben zu beschützen, wurden der
Königin nun zum Verhängnis.

Hart traf die Faust des Königs sie ins Gesicht, während seine andere Hand die schmale Klinge mit Leichtigkeit abfing.

Dies alles schien im Bruchteil eines Wimpernschlages zu geschehen und ohne
wirklich zu begreifen, wie ihr geschah, taumelte die Frau zurück, strauchelte auf dem
gefrorenen Untergrund.

Ihre Fingernägel kratzten haltsuchend über den Fels, doch fanden in dem verräterischen Schnee keinen und so stürzte die Königin rücklings in die Tiefe. Der überraschte Schreckenslauf wurde ihr von den Lippen gerissen, verhallte
ungehört im Brausen des Windes, während ihre Gestalt vom Schneesturm verschluckt wurde.

Die Königin hatte versagt.

Keine Regung zeigte sich im Gesicht des Mannes, da der Körper der Frau, die er einst über alles geliebt hatte, an den schroffen Felsen unterhalb zerschmettert wurde. In seinem Inneren jedoch, starb in diesem Augenblick auch der verbliebene letzte Rest Menschlichkeit mit ihr.

Was zurück blieb, war lediglich eine seelenlose Hülle, bis an den Rand gefüllt mit Schmerz und Verzweiflung, keinen Widerstand mehr gegen den Willen Saurons leistend.

Der Blick stummer Verzweiflung, die ihn aus den dunklen, weit aufgerissenen Augen. angeschrien hatte, war unauslöschlich in seine Seele gebrannt.

Und so wurde der Hexenmeister von Angmar geschaffen, der oberste der Neun, Saurons treuester Diener. Seine eigene Schuld die endlose Qual, die sein Meister ihn bis zu ihrem gemeinsamen Ende erdulden ließ.

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