Türchen Nr. 11
Carandrian
Geschrieben von Annaeru07
Carandrian blinzelte langsam in die Düsternis des Waldes. Irgendetwas hatte ihn aufgeweckt, und nun wollte er herausfinden, was das war. Er spürte, dass etwas an seinen Armen entlanglief, doch das war nicht so ungewöhnlich, dass es ihn hätte aufwecken können. Mäuse, Eichhörnchen oder Vögel kletterten häufig an ihm herum. Oder konnte es sein, dass er mehr Dinge wahrnahm, seit die Ents aufgerüttelt wonden waren? Es knackte in seiner Borke, als er die Augen vollständig öffnete. Sie hatten sich mittlerweile an das
Zwielicht gewöhnt, doch Carandrian konnte noch immer nichts Ungewöhnliches feststellen. Langsam bewegte er seine Arme und hörte das helle Quieken der Mäuse, die versuchten, nicht herunterzufallen. Als er seine Arme ausgeschüttelt hatte, löste er zuerst den einen Fuß vom Boden und bewegte ihn krachend, und dann den anderen. Schließlich streckte er sich und schüttelte sein. Haupt. Und dann spürte er die Kälte an seinen obersten Ästen, und er sah, dass etwas Weißes an seinen Augen vorbei auf den Boden fiel. Carandrian staunte. Er hatte das, was von seinen Ästen gestürzt war, schon einmal gesehen, aber es war lange her, bevor er so lange geschlafen hatte. Vorsichtig beugte er sich nach vorne und griff nach dem Weiß. Es war kalt und weich und körnig, und langsam rieselte die Erinnerung in seinen Geist zurück. Schnee! Das war Schnee! Ein grollendes Lachen stieg in Carandrians Kehle auf, als er sich daran erinnerte, wie er als kleiner Ent das erste Mal gespürt hatte, wie sich die kalten Flocken auf seinen Zweigen niedergelassen hatten. Auch damals wiederum hatte der Schnee ihn aufgeweckt, und er hatte Bregalad aufgeweckt. Bregalad hatte sich über den Schnee gefreut und sie hatten Schneebälle aufeinander geworfen. Und Bregalad hatte viel gelacht, so wie er es immer noch tat. Ob er wohl auch wach war? Carandrian beschloss, es herauszufinden. Er wusste zwar nicht, wo sich sein Freund gerade aufhielt, aber gegen eine Wanderung durch den Wald war ja nichts einzuwenden, und wenn sie ein wenig länger dauerte und ihn ein wenig weiter führte, konnte er unterwegs auch mehr Bäume besuchen und vielleicht begegnete er auch dem ein oder anderen Baumhirten.
Langsam, wie es in seiner Natur lag, setzte er sich in Bewegung, darauf bedacht, die Tiere, die auf ihm saßen, nicht zu sehr durchzuschütteln. Es war im Winter schon schwer genug für sie, da mussten sie nicht auch von seinen Armen geworfen werden. Der Geruch von feuchter Erde stieg ihm in die Nase, mit kalten Fingern strich die Luft über seinen Körper und machte ihn mit jedem Schritt wacher. Er sah das braune Laub auf dem Boden des Fangorn, das langsam, aber beständig von. den weißen Flocken bedeckt wurde, die an den kahlen Ästen vorbei fielen und sich langsam, leicht und bautlos zu Boden senkten. Die Bäume schliefen, wie sie es im Winter tun sollten, und Carandrian lächelte. Es war so ruhig, und zum ersten Mal seit Jahren war es eine Ruhe, die nicht. angesponnt auf Unheil wartete, sondern eine friedliche Winterruhe. Carandrians Weg führte ihn nach Osten, weg von den Bergen und in Richtung der Ebene, denn er
wusste, dass sich Flinkbaum gern in der Nähe des Waldrandes aufhielt. Es war eine Wanderung von
vielen Meilen, die er durch den immer weißer werdenden Wald machte, er kam an schlafenden
Baumhirten vorbei, beobachtete die kleinen Vögel, die auf dem Boden nach Futter suchten, und
genoss die Strahlen der Sonne, die sich später am Tag den Weg durch das lichte Geäst des Waldes
suchten und ihn trotz der Kälte in der Luft wärmten. Am Nachmittag hatte er den Waldrand erreicht. Auf der Ebene lag der Schnee schon fast einen halben Fuß hoch. Und endlich hörte Carandrian das helle Lachen von Bregalad. Noch bevor er sich umdrehen konnte, um zu sehen, woher es kam, traf ihn eine kalte Kugel am Rücken. Carandrian, mein Freund!«, rief Flinkbaum, und als sich Carandrian zu ihm gewandt hatte, sah er,
dass Bregalad ihm munter zuwinkte und gleichzeitig in der anderen Hand schon wieder einen Schneeball hielt. Carandrian grinste und winkte zurück. Der Schnee hat auch dich aufgeweckt!, rief er freudig. Anstatt etwas zu antworten, warf
Flinkbaum den zweiten Schneeball, der an Carandrians Wange zerplatzte. Er schüttelte den Kopf und der Großteil des Schnees fiel zu Boden, bevor er sich hinunterbeugte und in den Schnee griff. Schon im Aufrichten warf er seinen Schneeball auf Bregalad, und als dieser getroffen wurde, lachte er hell. So war er, der gute Bregalad. Er konnte sich schnell begeistern und er freute sich über die kleinsten Dinge. Carandrian schmunzelte, doch viel Zeit zum Luftholen blieb ihm nicht. Die Schneebälle flogen hin und her zwischen den beiden jungen Ents, ihr Atem bildete weiße Wölkchen und ihr Lachen grollte über die Ebene und durch den Wald. Die Tierchen auf Carandrian hatten sich bald auf seinen Kopf zurückgezogen, der im Gegensatz zu seinen Armen wenig
durchgeschüttelt wurde, und kitzelten ihn nun, wenn sie umhertrippelten. Als Carandrian daran dachte, was für Gedanken ihnen gerade durch den Kopf gehen mochten, musste er lachen, und ohne zu wissen warum, stieg Bregalad in das Lachen mit ein, und die Schneeballschlacht war zu Ende. Vom Waldrand her hörten sie ein tiefes Grollen, das langsame, knarrende Lachen eines alten Ents. Sie liefen aufeinander zu, so schnell, dass der alte Ent, der sie beobachtete, es vielleicht als stürmen. beschrieben hätte, doch er sagte nichts, und als Carandrian und Bregalad beieinander standen, plauderten sie darauf los, dass es dem alten Ent schwindelig geworden wäre, und ihre Stimmen raschelten und brummten und knarrten die ganze Nacht lang über die Ebene und in den Wald hinein.
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