Samstag, 22. Dezember - Der Zusammenstoß
‚Sometimes, fleeing our problems will make them disappear, but the truth is, you can never run far enough away to get rid of your problems, and the only way to make them disappear is to face them. Because in life, there will never be enough places to run, to get away from all your problems' – Hitesh Panwar
Nikkis Sicht
Und wieder liege ich in meinem Bett und starre an die Decke, während aus den Lautsprechern meine Liebeskummer Playlist läuft. Wieder habe ich die halbe Nacht nicht geschlafen, weil ich mir sein Verhalten einfach nicht erklären kann. Wieder spüre ich den Schmerz in meiner Brust. Aber ich verbiete es mir zu Weinen. Ich kenne ihn gerade einmal drei Wochen, da darf es noch nicht so schmerzen. Wie gut kennen wir uns denn? Fast gar nicht, denn man lernt einen Menschen nicht in drei Wochen kennen und lieben. Das, was ich für ihn empfinde, ist reine Einbildung, damit ich endlich seit drei Jahren wieder einen Freund habe. Und er hat einfach genau in mein Beuteschema gepasst, Punkt aus fertig.
Jedenfalls versuche ich mir genau das seit ungefähr vier Stunden einzureden. Gestern hatte ich keine Zeit, um über dieses Gefühl nachzudenken, da ich den ganzen Tag am Weihnachtsmarkt gearbeitet habe. Leider habe ich gestern die Früh- und die Spätschicht übernommen, wodurch ich heute befreit bin. Dabei will ich sogar arbeiten, dass ist die beste Ablenkung, die es gibt.
‚But she wears short skirts
I wear T-shirts
She's cheer captain
And I'm on the bleachers
Dreaming about the day when you wake up
And find that what you're looking for has been here the whole time'
Tönt gerade die Stimme von Taylor Swift aus den Lautsprechern. Schnell springe ich auf und schalte die Lautsprecher aus. Denn dieses Lied hat es schon in den ersten Zeilen geschafft, fast meine Mauer zu durchbrechen. Es passt einfach zu genau auf meine Lage.
Da ich jetzt so oder so schon munter bin, nehme ich seufzend irgendwelche Sachen aus meinem Kleiderschrank und begebe mich leise ins Bad. Frisch geduscht und mit noch immer feuchten Haaren verlasse ich dieses fünf Minuten später wieder und schleiche die Treppe hinunter. D es erst kurz nach sechs ist, will ich die anderen zwei nicht aufwecken, weshalb ich meine erste Idee, einen Song zu schreiben, verwerfe.
Doch auch mein zweiter Versuch, mich zu beschäftigen, scheitert, als ich den Kühlschrank öffne und ihn bis auf ein Stück Butter gähnend leer vorfinde. Also beschließe ich, meine Familie zu überraschen und frisches Gebäck beim Bäcker besorge. Selbstgemachte Marmelade und Honig haben wir so oder so immer daheim und da wir alle drei auch nur süß zum Frühstück gerne essen, geht das schon in Ordnung.
Also schnappe ich mir den Autoschlüssel und meine Brieftasche und gehe nach draußen. Über mich selbst fluchend, dass ich meine Handschuhe im Haus gelassen habe, befreie ich die Windschutzscheibe von Eis und lasse mich nach getaner Arbeit auf den Fahrersitz gleiten. Trotz Winterjacke bin ich froh, dass dieses Auto trotz seines höheren Alters eine Sitzheizung besitzt, denn so wird mir definitiv schneller warm. Ich nehme das Aux-Kabel und verbinde so mein Handy mit der Stereoanlage und lasse meine ‚Drive-Playlist' abspielen.
Nur zehn Minuten später parke ich direkt vor dem Bäcker. Zuerst überwältigt von der Fülle entscheide ich mich schließlich für drei Semmeln, drei Kornspitz und drei Nougatcroissants, damit wir auch morgen in der Früh noch etwas davon haben. Zudem nehme ich noch einen Laib Schwarzbrot, da wir auch keines mehr daheim haben. Ich bezahle lächelnd, wünsche der Verkäufern noch einen schönen Tag und drehe mich zur Tür, als auf einmal ein Bekannter durch die Tür tritt. Schnell lasse ich meine Haare über mein Gesicht fallen. Und wirklich, er geht einfach weiter und ich kann unbemerkt durch die Tür schlüpfen. Doch als ich schließlich im Auto sitze, schlägt mein Herz immer noch viel zu schnell. Mein Blick wendet sich noch einmal zu der gläsernen Wand der Bäckerei. Immer noch unterhält sich James angeregt mit seiner blonden Begleiterin, die mir von irgendwoher bekannt vorkommt. Just in dem Moment, als ich den Motor starten will, wendet sich James Kopf jedoch zu mir. Seine Miene wechselt von überrascht zu entschlossen und er macht einen Schritt auf die Tür zu. Okay, das ist jetzt der perfekte Moment, um abzuhauen. So schnell ich kann, starte ich den Motor und fahre aus der Parklücke. Gott sei Dank ist gerade kein Auto gekommen, denn dann hätte er mich sicher aufhalten können. Ein Blick in den Rückspiegel bestätigt meine Vermutung. Gerade läuft James auf die Straße und rauf sich mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck die Haare. Ich muss schlucken, da ich weiß, dass mein Verhalten kindisch ist. Auch das Blockieren führt doch zu nichts. Doch ich kann nicht anders. Mein Ex hat mich einfach zu sehr verletzt, als dass ich mich dieser Sache jetzt einfach hingeben könnte. Denn auch, wenn ich seine Freundin nicht kenne, will ich ihr nicht das gleiche Gefühl geben, wie Chris es mir gegeben hat: Das Gefühl des betrogen Werdens. Deshalb ziehe ich mich lieber sofort zurück und lasse es einfach sein. Denn wem bringt es schon etwas, wenn ich mich nur noch mehr in Noah verliebe, wenn es doch so oder so nur eine einseitige Liebe wäre?
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Drei Stunden später legt schließlich auch meine Mutter ihr Messer nieder und reibt sich den Bauch.
„Das war eine wundervolle Überraschung, Maus. Auch dein Vater hat uns samstags immer Gebäck vom Bäcker geholt, weißt du noch?"
Ich nicke und grinse. Ja, das war immer das Highlight am Start des Wochenendes. „Es soll wenigstens einer davon profitieren, wenn ich nicht schlafen kann."
Daraufhin verzieht meine Mutter mitleidig das Gesicht. „Immer noch so schlimm?" Ich zucke mit den Schultern. Just in dem Moment gibt mein Handy einen Ton von sich und kündigt somit eine neue Nachricht an. Ein Blick bestätigt meine Vermutung. Seufzend lösche ich die SMS und lege mein Handy zurück zum Tisch.
„Er gibt immer noch nicht auf, was? Vielleicht solltest du einfach einmal mit ihm reden, es könnte doch sein, dass er wirklich eine gute Erklärung hat.", sagt Mama und sieht mich auffordernd an.
„Welche Erklärung denn? Dass er einfach vergessen hat, mir zu sagen, dass er eine Freundin hat? Dass er so oder so vorhat, Schluss zu machen, weil ich ihm ja die Augen geöffnet habe? Nein danke, ich verzichte. Wenn er so ist, will ich gar nichts mit ihm zu tun haben. Außerdem hättest du sie sehen sollen. Wenn er mit einem Model zusammen ist, was will er dann bitteschön von mir?", sage ich viel schärfer als beabsichtigt. Sofort will ich mich für meinen Ausbruch entschuldigen, da ich kein pubertierender Teenager mehr bin, doch meine Mutter lässt mich nicht einmal soweit kommen. „Wie du meinst, aber vielleicht könnte er dich ja überraschen. Aber es ist deine Entscheidung, du bist erwachsen und deshalb lasse ich dich deinen Weg gehen. Deine Sturheit hast du einfach von deinem Vater, dem konnte ich auch nie vorschreiben, was er tun sollte. Könntest du das Frühstück bitte wegräumen? Ich gehe mich fertig machen." Mit diesen Worten lässt sie mich und Amira in der Küche zurück. Mit schuldbewusster Miene stehe ich auf und räume auf.
Gerade, als der Tisch sauber ist, steht Mama wieder hier. „Na, Amira, bist du fertig?" Diese sieht von ihrem Bild, das sie am Boden malt, auf und nickt eifrig. „Na, dann komm."
Dann wendet sie sich zu mir. „Könntest du bitte einkaufen gehen? Ich habe dir das Geld und die Liste auf den Tresen in der Garderobe gelegt. Wir sollten so in drei Stunden wieder da sein." Mit diesen Worten nimmt sie meine Schwester auf den Arm und geht aus dem Raum. Ich will schon fragen, wie ich denn zum Supermarkt kommen soll, wenn sie mit dem Auto weg ist, doch ich verkneife mir die Frage. Denn wie ich Mama kenne, gibt es dann eine schlimmere ‚Strafe' als die öffentlichen Verkehrsmittel. Dann darf ich wohl Bus fahren.
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„Hach, ich liebe deine Mutter. Meine hätte mir einen dreißig minütigen Vortrag gehalten, warum man so nicht mit den Eltern redet und mich dann auf mein Zimmer geschickt. Und du darfst einfach nur Busfahren.", lacht Phi mir ins Ohr. Ich grummle und verdrehe die Augen. Gerade habe ich meine beste Freundin angerufen, um ihr den Vorfall von heute früh zu schildern und ihr mein Leid zu berichten, in der Hoffnung, dass sie zu mir steht. Doch stattdessen lacht sie mich aus.
„Du weißt genau, dass ich Busfahren einfach nicht mag.", jammere ich wieder, um sie zum Verstummen zu bringen. Doch das funktioniert leider nicht wirklich. Als Phi sich endlich wieder beruhigt hat, meint sie jedoch ernst: „Du weißt genau Schnuckelchen, dass sie dich nicht wegen deines Tones mit den Öffis schickt. Sie macht das, weil sie genauso wie ich dich dazu erziehen will, dich nicht selbst immer nieder zu machen und alle anderen auf ein Podest zu heben. Denn mal im Ernst, eine Tussi, die nur in Unterwäsche in einem fremden Haus rumläuft und groß rumposaunt, dass du kleines Mauerblümchen dich von ihrem Freund fernhalten soll, kann gar nicht schöner sein, als du. Denn selbst wenn sie aussieht, wie Mila Kunis persönlich, ist sie innen einfach hässlich. Du dagegen bist einer der nettesten, freundlichsten, hilfsbereitesten, selbstlosesten Menschen der Welt, wodurch du sie schon einmal um Längen schlägst. Die Liste könnte ich noch tagelang ausführen, aber Sandra hat mir gerade einen bösen Blick zugeworfen. Also, wie hören uns Süße, und denk an meine Worte." Nur Sekunden später hat sie aufgelegt. Mein Herz wird warm, wenn ich an ihre Worte denke. Wie habe ich so eine gute Freundin nur verdient? Schnell schreibe ich ihr ein ‚Danke <3' und stecke mein Handy dann in meine Tasche, denn ich bin an meinem Ziel angekommen.
Eine halbe Stunde später ist der Einkaufswagen prall gefüllt und ich stelle mich an der langen Warteschlange vor der Kasse an. Wie immer bekommen alle den großen Drang, einen riesen Einkauf zu machen, weil die Geschäfte ja für vier Tage schließen. Weil wir ja alle verhungern, wenn man vier Tage nicht einkaufen kann. Ich verdrehe die Augen über meine Gedanken, doch blicke auf meinen Einkaufswagen. Irgendwie bin ich im Moment ja nicht besser, auch, wenn wir samstags eigentlich immer unseren Haupteinkauf für die kommende Woche machen. Unter der Woche gehen wir nur einzelne Sachen holen. Doch dementsprechend lang ist die Schlange auch. Geschlagene zehn Minuten später ist nur mehr eine Kundin vor mir. Mein Blick geht zu der nächsten Kasse und ich erstarre. Denn dort steht das Mädchen von heute früh. Und jetzt, da sie mich mit einem überraschten Blick ansieht und ich die Möglichkeit habe, sie näher zu betrachten, weiß ich auch, woher sie mir bekannt vorkommt. Denn auf einigen Bildern in Noahs Haus sieht man sie deutlich. Vor mir steht seine Schwester Claire. Ich schlucke schwer und lasse meine Haare über mein Gesicht fallen. Gott sei Dank bin ich jetzt dran, denn mein Fluchtkomplex drängt mich zur Eile. Mit zitternden Händen verstaue ich die Einkäufe in zwei Sackerl und bezahle anschließend. Schnell bedanke ich mich und gehe mit schnellen Schritten zur Tür, als mich kurz davor eine Hand zurückhält.
„Nikki, bitte warte.", sagt eine weibliche Stimme flehend. Geschlagen drehe ich mich um und sehe in zwei blaue Augen, die mich bittend ansehen.
„Ich weiß, mich geht das eigentlich nichts an, aber mein Bruder geht mich sehr wohl etwas an. Er ist wirklich fertig, weil er nicht weiß, was passiert ist, und... ich mache mir wirklich Sorgen um ihn. Also bitte, schreibe ihm einfach, warum du gegangen bist, damit er abschließen kann." Ich schlucke die Tränen hinunter, bevor ich mit fester Stimme antworte: „Es tut mir leid, aber nein. Ich will ihm und seiner Freundin einfach nicht im Weg stehen. Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss meinen Bus erwischen."
Schnell drehe ich mich um und gehe mit eiligen Schritten auf die Bushaltestelle zu. Und ich habe Glück, just in dem Moment, als ich ankomme, bleibt der Bus vor mir stehen. Ein dicker Kloß hat sich in meinem Hals gebildet und er lässt sich einfach nicht runterschlucken. Warum geht er mir bloß so nahe?
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Zwei Stunden später koste ich gerade die Sauce, die ich als Abendessen zusammengerührt habe, als die Haustür sich öffnet und ein Kinderlachen zu mir in die Küche schallt. Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Nur Sekunden später steht Amira bei mir in der Küche und strahlt mich an. „Ni, wir haben soooo einen großen Christbaum geholt. Ich habe ihn ganz allein ausgesucht."
„Wow, das ist ja toll, meine Kleine. Na, willst du ihn mir zeigen?" Begeistert nickt sie und zieht mich ins Wohnzimmer, wo ich durch die Glastür meine Mutter auf der Terrasse sehe, die die Tanne gerade in die Halterung steckt.
„Der ist wirklich schön. Du hast wirklich einen guten Geschmack.", lobe ich meine Schwester. Deren Grinsen wird noch breiter vor Stolz.
Wenig später betritt auch meine Mutter das Haus. Sofort gehe ich auf sie zu und umarme sie. „Es tut mir wirklich leid, Mama, das war nicht so gemeint. Ich weiß, dass du mir nur helfen wolltest. Zudem habe ich schlecht geschlafen." Auch sie legt ihre Arme um mich, was mich erleichtert ausatmen lässt. „Ist schon gut mein Schatz, dass weiß ich doch." Ich merke, dass ihr noch etwas auf der Zunge liegt, aber sie schweigt. Doch ich kenne sie gut genug, dass ich ungefähr weiß, worum es geht. Da ich mich jedoch nicht noch einmal rechtfertigen will, belasse ich es einfach dabei.
Nach dem Essen schalten wir Weihnachtsmusik ein und beginnen, den Baum zu schmücken. Es ist das erste Jahr, an dem Amira mithilft. Dementsprechend aufgeregt ist sie auch und hüpft energiegeladen um uns herum. Das bringt unsere Mutter und mich wirklich zum Lachen und das erste Mal seit Stunden wird mein Herz wieder leichter. Was gibt es auch Schöneres in der Weihnachtszeit, als ein unbeschwertes Kinderlachen? Denn auch, wenn ich Weihnachten liebe, es ist einfach magischer, da ich in Amiras strahlende Augen sehen kann. Sie glaubt einfach mit Herzblut ans Christkind und das macht es einfach zu etwas Besonderem.
Da der Baum – auch wenn meine Schwester anderes behauptet - um ein ganzes Stück kleiner ist, als die, die wir in unserem alten Haus hatten, bleibt viel Schmuck übrig, den ich schnell wieder im Keller verstaue. Da heute der Film ‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel' ab halb sieben im Fernsehen läuft und Amira das Märchen wirklich gern hat, beschließen wir uns zu dritt auf die Couch zu kuscheln und den Film zu schauen. Schnell gehen wir uns alle nacheinander duschen, doch dann liegen wir alle in unseren Pyjamas in Decken gehüllt am Sofa und genießen den Weihnachtsfilm. Doch schon nach einer halben Stunde spüre ich den Schlafmangel der letzten Nächte. Und mit den Gedanken an die Begegnung heute im Supermarkt lasse ich meine Kopf an die Schulter sinken und schließe meine Augen, in der Hoffnung, einmal einen erholsamen Schlaf zu bekommen.
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Hey Leute!
Neuer Teil, ich hoffe er gefällt euch :)
Habt ihr Anregungen, Kritik, Verbesserungsvorschläge für die Geschichte? Schreibt sie doch in die Kommentare :)
Habt noch einen schönen Abend :)
Liebe Grüße :)
Lene217
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