Donnerstag, 13. Dezember - Sturheit
‚Sometimes being a brother is better than being a superhero'- Marc Brown
Noahs Sicht
Ich höre die Kirchenglocken zwölf schlagen, was bedeutet, dass ich nun schon seit elf Stunden hier in der Polizeiwache den Gang auf und abgehe, ohne dass ich meine Schwester nur einmal zu Gesicht bekommen hätte.
Eigentlich wollte ich vorher im Café nur einen kurzen Blick auf mein Handy werfen, als es auf einmal ein Anruf von Bob Schaller anzeigte. Schon als ich den Namen des Anwalts auf dem Display sah, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Warum sollte er auch einfach so, mitten am Tag anrufen?
Ich habe schon das Schlimmste befürchtet, dass Claire erneut wegen exzessiven Alkoholkonsums ins Krankenhaus eingeliefert worden ist, oder noch etwas Heikleres. Dass sich eine Festnahme durch die Polizei fast noch nervenzerrender ist, merke ich erst jetzt. Schon seit Stunden warte ich auf irgendwelche Ergebnisse, aber alle Polizisten, die ich zu der Sache befragt habe, reagierten ausweichend. Selbst Bob wusste nichts Genaueres, nur dass etwas Illegales bei ihr gefunden worden ist.
Denn er selbst durfte erst vor einer halben Stunde zu ihr, da seine frühere Anwesenheit laut den Polizisten die „Ermittlungen behindert" hätten. Und durch eine kleine Formulierung eines Paragraph in der Strafprozessordnung kommen sie damit auch noch durch. [§ 59 (2) StPO, für alle, die es interessiert 😊, obwohl ich nicht 100%ig sicher bin, ob diese Norm in dem Fall zur Anwendung kommen würde, also psst xD]
Wütend spanne ich mein Kiefer an. Und da soll noch jemand sagen, dass wir in einer Demokratie leben.
Wieder einmal habe ich gemerkt, wie gute Freunde ich eigentlich habe. Denn ohne, dass ich überhaupt fragen musste, haben sie sich dazu bereit erklärt, Mia vom Kindergarten abzuholen und auch heute bei uns zu übernachten. Obwohl James am Liebsten mit mir mitgekommen wäre. Aber seine Angst um Claire hätte mich nur noch nervöser gemacht.
Seufzend setze ich mich auf einen Stuhl im Wartebereich und mache mich daran, James' und Sams Fragen, ob es denn schon etwas Neues gäbe, zu verneinen.
Da geht endlich die Tür, die zu den Verhörräumen führt, auf und ein sichtlich gestresster Bob tritt heraus. Sofort richte ich mich auf.
„Und? Weswegen haben sie Claire festgenommen?", frage ich ungeduldig und eine Spur zu laut.
Bob fährt sich durch die Haare, bevor er antwortet: „Sei ein wenig leiser, ich dürfte dir das eigentlich gar nicht sagen, dass weißt du. Sie hatte einen halben Kilo einer neuen Form von Crystal Meth in ihrer Tasche, als man sie im Einkaufszentrum kontrolliert hat." Vor Schock weiten sich meine Augen. Claire hat zwar im letzten Jahr viel falsch gemacht, aber Drogen? Nein, so schätze ich sie nicht ein. Außerdem hat sie sich doch schon ein wenig gebessert. Wie kann es sein, dass ich nichts von einem Rückfall mitbekomme habe? Meine Bedenken teile ich auch unserem Anwalt mit.
„Claire hatte auch keine Drogen im Blut, außerdem behauptet sie, dass es nicht ihre wären und sie keine Ahnung hätte, wie sie in ihre Tasche gekommen sind. Aber das Problem ist, dass die Polizei schon seit Monaten nach einer bestimmten Gruppe fahndet, die genau diese Mischung an Minderjährige verkaufen, und deshalb glauben sie ihr nicht. Einige Verdächtige sind auch in der gleichen Clique, in die sie nach dem Tod ihrer Eltern hineingerutscht ist. Vor allem nach dem Vorfall letzte Woche, scheinen sie ihr nicht abzukaufen, dass sie nichts mehr mit ihren ehemaligen Freunden zu tun hat.", erwidert er. Nach einem kurzen Stirnrunzeln fügt er hinzu: „Ich glaube, sie weiß mehr, als sie zugibt. Ich kenne Claire schon mein ganzes Leben und sie hat mindestens eine Vermutung, wer ihr die Drogen zugesteckt hat. Aber in dem Punkt ist sie so stur wie euer Vater es war. Wenn sie etwas nicht erzählen will, tut sie es auch nicht."
Erschöpft lasse ich mich wieder auf den Stuhl gleiten und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. Durch den Verdacht, dass die Drogen für eine gewerbsmäßige Verbreitung sind, steht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. [§ 27 (3) SMG – Suchtmittelgesetz]
„Und was jetzt?", frage ich schließlich.
Bob seufzt. „Sie wollen sie über Nacht in einer Zelle behalten, morgen in der Früh kann sie aber auf Kaution freigelassen werden. Der Staatsanwalt wird noch entscheiden, ob gegen sie Anklage erhoben werden wird, oder nicht."
Ich nicke und bedanke mich mit einem festen Handschlag bei Bob, der mir eine gute Nacht wünscht und geht. Da es mittlerweile schon eins ist und ich so früh wie möglich Claire aus der Zelle holen will, was ab halb sieben möglich ist, beschließe ich, nicht mehr heimzufahren, sondern im Auto auf der Rückbank zu schlafen.
Wer das schon einmal probiert hat, weiß, wie unbequem der Rücksitz ist. Und so versuche ich die restlichen der Stunden der Nacht eigentlich nur, nicht auf den Boden zu fallen. Gott sei Dank hat das Polizeirevier wenigstens eine Tiefgarage, sodass das Auto nicht auf Minusgrade abkühlt. Und glücklicherweise habe ich eine wirklich dicke Decke im Auto, die mich jedoch nur halbwegs wärmt.
Um mich abzulenken, lasse ich mir den Vormittag des vergangenen Tages noch einmal an mir vorüber ziehen. Niemals hätte ich gedacht, dass mich eine Person so faszinieren kann, wie Nikki. Es war wirklich schön, sie näher kennenzulernen. Klar, am Anfang war ich echt verärgert, dass Sam und James sich nicht davon abbringen haben lassen, einfach mitzukommen, doch da Phi anscheinend den gleichen Starrsinn wie meine Freunde besitzt, hat es irgendwie auch wieder gepasst. Und ich hatte auch das Gefühl, dass Nikki sich mit ihnen gut verstanden hat, was mir wirklich wichtig ist. Denn wenn ich in Zukunft mehr Zeit mir ihr verbringen will, werden auch meine Freunde zwangsläufig manchmal dabei sein.
Trotz der ganzen stressigen Situation des vergangen Tages kann ich nicht anders, als bei der Erinnerung an ihr Lachen, an das scheue Wegschauen und die rot angelaufenen Wangen und an ihre ganze fürsorgliche, nette Art zu dämlich zu lächeln. Aber habe ich es mir durch mein schnelles Abhauen mit ihr verspielt?
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Gott sei Dank habe ich eine unbegrenzte Kreditkarte. Da die Kaution, wie mir um sieben mitgeteilt wird, 4500€ beträgt, hätte ich auf die Öffnungszeiten meiner Bank warten müssen, wenn ich den Betrag abheben hätte wollen und Claire hätte noch zwei Stunden in der Zelle ausharren müssen. Doch so kann ich einfach zu einem Bankomaten gehen und das Geld mit meiner Kreditkarte beheben.
Als ich die Kaution schließlich hinterlegt habe, warte ich wie auf heißen Kohlen, dass ich meine Schwester endlich sehen kann. Als sich die Tür zu den Verhörräumen endlich öffnet, sehe ich, wie Claire einem Ermittler in Anzug noch die Hand schüttelt, bevor sie, als sie mich hier stehen sieht, auf mich zu rennt und fest umarmt. Auch ich schließe die Arme fest um sie.
Schließlich gehen wir zusammen hinaus. Die Autofahrt verläuft zunächst schweigend.
Doch als wir schließlich vor unserem Haus stehen, kann ich mich nicht mehr zurückhalten. „Willst du mir nicht vielleicht auch erklären, was los war?"
„Wieso? Bob hat dir doch sicher alles erklärt. Jemand hat mir Drogen in die Tasche gesteckt und ich bin erwischt worden. Und nein, ich habe keine Ahnung wer das war.", erwidert sie ein wenig zu scharf, steigt aus dem Auto und schlägt die Tür ein wenig zu fest zu.
Langsam erfasst mich auch Wut. Auch ich steige aus und rufe, kurz bevor sie an der Haustür angekommen ist: „Ist das jetzt dein Ernst? Ich habe achtzehn Stunden in der Polizeiwache gesessen, habe mir schreckliche Sorgen gemacht und du fertigst mich jetzt mit dieser Erklärung ab? Gib mir doch bitte eine vernünftige Antwort!"
Daraufhin dreht sich Claire um und sieht mich so eisig an, wie sie es schon seit dem Krankenhaus nicht mehr getan hat. „Du bist nicht mein Vater, also hör auf, dich wie einer aufzuführen." Mit diesen Worten dreht sie sich um und verschwindet im Haus. Ich bleibe geschockt zurück, unfähig, mich zu bewegen.
Wieder spüre ich die Wut in mit aufwallen und bin froh, dass Mia schon von Sam in den Kindergarten gebracht worden ist.
Mit schnellen Schritten gehe ich ins Haus und suche Claire, damit ich sie noch einmal zur Rede stellen kann. Doch sie hat sich schnell ins Bad geflüchtet, denn ich höre das Wasser rauschen.
Also ändere ich meinen Plan und beschließe, mich mit Laufen abzureagieren.
Als ich nach einer Stunde, keuchend und verschwitzt, aber immer noch nicht ganz ruhig wieder zu Hause bin, suche ich Claire erneut. Doch meine Wut verschwindet sofort, als ich sehe, wie sie zusammengerollt auf der Couch liegt und wie ein Engel schläft. Auch ihre Nacht war sicher nicht sehr erholsam.
Leise lege ich eine Decke über sie. Auch, wenn mein Zorn weg ist, ist die Sorge immer noch da. Denn auch ich glaube, dass sie mehr weiß, als sie zugibt. Auf der anderen Seite hat Bob jedoch auch recht: Sie ist stur und wird nichts sagen, wenn ich sie dazu dränge.
Seufzend drehe ich mich um, springe unter die Dusche und mache mich dann fertig für die Uni, auch, wenn ich viel lieber schlafen gegangen wäre. Aber nein, genau heute muss ich bis sechs Vorlesungen haben.
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Geschafft und hundemüde parke ich meinen Audi um sieben wieder vor unserem Haus. Gott sei Dank hat Claire mir geschrieben, dass sie mit ihrem Auto Mia vom Kindergarten abgeholt hat, denn heute wäre ich wirklich extrem spät gewesen. So konnte ich wenigstens in Ruhe einkaufen gehen.
Als ich die Haustüre öffne, schlägt mir ein unverkennbarer Duft nach Essen entgegen.
Als Mia das Geräusch der zufallendes Tür hört, kommt sie vom Wohnzimmer her auf mich zu gerannt und springt mir, nachdem ich das Sackerl mit den Lebensmitteln auf den Boden gestellt habe, in die Arme.
„Endlich bist du da, Ni. Clee hat mich heute gaaanz früh nach dem Mittagessen geholt und wir haben sooo viele Kekse gebacken.", ruft sie aufgeregt.
„Ach ja, da wart ihr aber brav. Hört sich an, als hättet ihr einen schönen Nachmittag gehabt.", entgegne ich und lasse meine Schwester wieder auf den Boden.
„Ja. Und jetzt ist James da und die zwei kochen. Aber da bin ich ins Wohnzimmer spielen gegangen, weil die zwei komisch sind. Die ganze Zeit lachen sie komisch, über unlustige Sachen.", stellt sie fest und verzieht das Gesicht. Ich verkneife mir ein Lachen. Tja, was Liebe mit Menschen anstellt, sie werden sogar für Kleinkinder zu anstrengend.
Ich nehme meine Taschen wieder in die Hand und gehe Richtung Küche, um die Einkäufe auszuräumen. Dort finde ich James, wie er meine Schwester, die am Herd steht, von hinten umarmt und ihr etwas ins Ohr flüstert. Doch als sie mich kommen hören, springen sie fast auseinander. Synchron breitet sich auf ihren Wangen eine verdächtige Röte aus.
„Hey.", sage ich grinsend. Ich kenne meine Schwester gut genug, um zu wissen, dass alles, was sie hier veranstaltet nur eine Ablenkung ist, damit ich nicht noch einmal mit ihr über den Vorfall rede. Aber mir wird es einfach warm ums Herz, wenn ich sehe, wie Claire glücklich ist, weswegen das restliche Fitzelchen an Wut in mir verfliegt. Außerdem zeigt sie mir durch ihre Taten von heute, dass ihr es wirklich leid tut. Noch vor einer Woche wäre das unmöglich gewesen, und das Gefühl, Teil dieser Verbesserung zu werden ist stärker als die Wut.
Peinlich berührt geben die beiden meine Begrüßung zurück. „Es gibt Spaghetti Carbonara, ich hoffe das ist okay. Wir hatten nicht so viel zu Hause und da...", fängt sie an, doch ich unterbreche sie. „Carbonara sind in Ordnung. Soll ich schon einmal den Tisch decken?"
Wenig später sitzen wir zu viert am Esstisch und unterhalten uns über dieses und jenes. Und es schmeckt wirklich gut, was ich meiner Schwester auch mitteile. Man sieht ihr an, dass sie sich über dieses Lob wirklich freut. Da James und Claire sich auch noch dazu bereit erklären, den Abwasch zu machen, kümmere ich mich um Mia. Schon nach wenigen Minuten schläft sie friedlich ein. Danach stelle auch ich mich noch einmal unter die Dusche. Eigentlich will ich mich nur kurz aufs Bett legen, um meine Nachrichten zu checken, und dann wieder zu meinem besten Freund und meiner Schwester hinunter gehen, da wir einen Film sehen wollen. Doch kaum hat mein Kopf das Kissen berührt, schlafe ich vor lauter Müdigkeit ein.
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Hey Leute!
Neues Kapitel, ich hoffe es gefällt euch :)
Freue mich immer über Rückmeldungen :)
Lg :)
Lene 217
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