Kapitel 6 James

Wütend packte Abi meinen Arm und schliff mich hinter sich her durch den Schulflur. Weil noch immer Learn-yourself (diese selbstlernzeit) herrschte, war kaum jemand da, um einen von ihren Ausrastern mitzuerleben.

,,Ach komm schon. Ich weiss, dass du mir nicht böse bist. Das kannst du gar nicht, dafür liebst du mich zu sehr." Und ja, anders gesagt bettelte ich gerade nur so förmlich um mein Leben aber in jeder Notlüge steckte auch ein Funken Wahrheit. Natürlich wusste ich, dass sie sauer war. Mein fast abgestorbenes Handgelenk war der Beweis dafür. Und ich wusste auch, dass Abi mir wehtun könnte. Und zwar so richtig aber sie tat es nicht. Und da ist unser Funken.

Abrupt blieb sie stehen und drehte sich um. ,,Weisst du was?",sagte sie in einem gefährlich ruhigen Ton, ,,Am Liebsten würde ich dir selbst so richtig den Arsch versohlen aber das kann auch Mom erledigen. Am Liebsten hätte ich dich auch gleich zu Hause gelassen, weil ich manchmal echt das Gefühl habe, ohne dich wäre ich viel besser dran. Du lenkst nicht nur ab und stellst mir Steine in den Weg, du bist auch noch ein wandelndes Handikap!" Gegen Ende wurde sie immer lauter.

Eine Weile schwiegen wir. Ihr Blick durchbohrte mich, während ich nicht wusste, ob ich lächeln, kontern oder einfach gehen sollte. Ich hatte bereits aufgehört zu zählen, so oft hatten wir dieses Gespräch bereits geführt hatten. Und obwohl wir beide wussten, wieso ich sie ständig ablenkte und dass es normal war, dass sie sauer wurde, tat es jedoch jedes Mal aufs Neue weh, von meiner Schwester angeschrien zu werden.

,,Du weisst, dass das sein muss.",sagte ich und versuchte so ruhig wie möglich zu wirken und keine Miene zu verziehen. Die  Wut in ihren Augen schwankte. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah kurz auf den Boden, als hätte ich ihr alles noch einmal ins Gedächnis gerufen. Doch so schnell, wie diese Miene kam, verschwand sie auch wieder. ,,Ja, das tue ich aber, Mensch, du musst aber auch in allem übertreiben. Meine letzte Panikattacke ist bereits ein Jahr her, seit dem ist nichts mehr passiert. Mir geht es gut, James!"

Ich schüttelte den Kopf. ,,Es tut nichts zur Sache, wie es dir jetzt geht. Es ist bisher nur nichts passiert, weil ich da war. Du weisst ganz genau, was Ashlyn gesagt hat. Es kann immer wieder passieren und beim letzten Mal bist du mitten im Schussfeld zusammengebrochen und hysterisch auf und ab gewippt. Das war sau gefährlich und-"

,,ACH SEI DOCH STILL!!!",schrie sie mich an. Ihre Stimme klang brüchig und ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Sofort tat es mir schrecklich leid, sie daran erinnert zu haben. Abi war nicht schwach, sie weinte auch nie. Aber jeder hatte einen wunden Punkt. Sogar sie.

,,Du bist ein Idiot, James. Ich glaube echt, du hast keine Ahnung, was für mich hier auf dem Spiel steht. Von diesem verdammten Auftrag hängt es ab, was mal aus mir werden wird. Ich will es in die Development Group schaffen. Wieso machst du es mir so schwer? Keiner weiss doch besser als du, wie sehr ich das will." Sie wischte sich die Tränen weg, drehte dich auf dem Absatz um und ging. Alles, was ich konnte, war ihr hinterher zu schauen. Es war wahr. Niemand wusste dies besser als ich und wahrscheinlich tat auch keinem dieses Wissen mehr weh als mir.

Zum ersten Mal fiel mir auf, dass meine Schwester humpelte. Sie versuchte es zu verstecken, was mehr als typisch für sie war, aber man konnte sehen, dass sie Schmerzen hatte. 

Abigail

Ich wischte mir dir Tränen weg, drehte auf dem Absatz um und ging. Ich war sauer auf James aber was mich noch wütender machte, war die tatsache, dass ich tief in mir drinne wusste, dass er recht hatte. Aber der überwiegende Teil von mir wusste auch, dass ich ihm nicht recht geben durfte. Ich konnte mir meinen Traum, die erste Sechszehnjährige in der U.S Navy S.E.A.L.S, der zweitbesten Spezialeinheit auf der ganzen Welt, zu sein, nicht abschlagen, nur weil eine Seelenklemptnerin, meine Seelenklemptnerin Ash, mich als psychisch instabil eingestuft hatte.

Schon als ich zum ersten Mal von Seals gehört hatte, wollte ich unbedingt dabei sein. Dafür hatte ich mich die letzten Jahre sowohl physisch als auch psychisch darauf eingestellt.

#Flashback

,,MOM!!", schrie James. Er stieß die Tür zu ihrem Büro auf und flitzte rüber zu ihrem Schreibtisch, heulend in ihre Arme. Mom sah ihn verwundert an und vergaß für einen kurzen Moment den jungen Mann, der auf einen der eleganten Stühle saß und gerade ein Meeting mit ihr hatte.

,,Was ist denn los?",fragte Mom und strich ihm liebevoll seine dunklen Haare aus dem Gesicht. ,,Abi hat auf mich gezielt.",flennte er. ,,Und zwar mit Absicht, Mom. Sie wird mich noch umbringen. Bitte tu doch etwas, sie macht mir Angst."

In diesem Moment wurde die gewaltige Tür aufs Neue aufgerissen und ich stand schwer atmend mit seiner Paintballwaffe in der Hand und echt wütend da. ,,James, du Müllschlucker! Red' keinen Mist! Mom, ich habe nicht auf ihn gezielt. Er ist mir einfach in die Quere gekommen.",rief ich gegen James hysterisches Geheule an. Gott, ist der ne Pussy.

Mom beruhigte James, indem sie ihn in den Arm nahm. Dann funkelte sie mich böse an. ,,Abigail Carter, was fällt dir ein, deinem Bruder mit einer Waffe zu drohen?! Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gefährlich das ist? Und woher hast du das überhaupt?" Ich sah auf den Boden. ,,Dad hat sie mir geschenkt. Aber Mom, ich schwörs dir, ich wollte nicht James treffen. Ich habe eigentlich auf deinen Dutt auf dem großen Ölgemälde im Flur gezielt, weil er voll verkrüppelt aussah und perfekt als Zielscheibe...."

Bei letzteres wurde ich immer leiser, weil ich merkte, dass ich alles so nur noch schlimmer machte. Mom liebte das Ölgemälde von unserer Familie. Es war riesig und hatte sie ein Vermögen gekostet. ,,Ach weißt du was?",versuchte ich das ganze wieder gerade zu biegen, ,,Vergiss was ich gesagt habe, ich habe auf James gezielt, weil er immer wie ein Opfer aussieht."

James warf mir einen bitterbösen Blick zu, den ich nur allzu gerne erwiderte. Mom durchschaute natürlich alles. ,,Du hast ihn getroffen?!", schrie sie. Ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern aber James kam mir zuvor. ,,Ja, Mom. Am Bein. Es tut voll weh." Er zeigte ihr seinen blauen Fleck und sie seufzte. In diesem Moment wünschte ich mir, ihn am Kopf getroffen zu haben. ,,Nun gut. Geht jetzt. Abigail, gib mir die Waffe her. Du bleibst auf deinem Zimmer, bis ich hier fertig bin." Mit gesenktem Kopf ging ich zu ihr hin und legte sie auf dem Schreibtisch ab.

Lächelnd wendete sich Mom wieder dem Mann zu. ,,Entschuldigen Sie aber wie sie sehen sind meine beiden Kleinen sehr....temperamentvoll." Der junge Mann lachte kehlig. ,,Das ist doch kein Problem. Sie sollten froh sein, eine Tochter zu haben, die lieber in den eisernen Krieg zieht als in der Ecke zu sitzen und Barbie zu spielen. Sag mal, wie alt bist du denn?" Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass er mich meinte. Ich lief rot an. ,,Ähm... 9"

Er hob die Braue. ,,Neun erst? Na dann." Er nahm die Paintballwaffe und begutachtete sie. ,,Wie weit war dein Bruder denn von dir weg?" Ich dachte nach. ,,Etwa fünfzehn Meter",bemerkte James. Wenn Blicke hätten töten können, wäre James schneller in der Hölle gewesen, als er hätte ,Mom' sagen können.

Der Mann hob die Pistole in der linken Hand und zielte auf einen von Moms Porzellanhund,en. Ehe wir uns versahen, war diese schon aufgesprungen und zerbrochen. Mom und James zucken zusammen und wurden kreidebleich, während meine Augen begannen, zu glitzern. Meine Bewunderung stieg und stieg.

,,Das ist eine erstaunliche Leistung Abigail. Ich glaube, aus dir könnte mal etwas werden.", sagte er als wäre alles normal und senkte seinen Arm wieder. Er sicherte die Waffe. Ich machte der roten Farbe, die aus der Waffe gefeuert wurde Konkurenz. ,,D-danke." James verdrehte die Augen und ich stieß ihm mit voller Wucht meinen Ellenbogen in den Magen. Er sollte mir gefälligst nicht den Moment zerstören.

Der junge Mann stand auf und reichte mir die Hand. ,,Ich sollte mich vielleicht erst einmal vorstellen. Ich bin Charlie Adamson, Anführer der Development Group." Ich nahm die Hand an, legte jedoch fragend den Kopf schief. Wieder lachte er. ,,Die D.P.G ist das erste und somit auch führendeTeam der U.S Navy Seals. Kurz gefasst, ich bin der Leiter der amerikanischen Spezialeinheit." Meine Augen wurden groß. ,,Krass. Heisst das, du kämpst ständig gegen böse Menschen und rettest Amerika vor Touristen?"

,,Terroristen, heißt es.",sagte James. Ich sah ihn kühl an. ,,Fresse, Arschkriecher." Wieder strahlte ich Charlie an, der nickte. ,,Nun... wenn ich mich dich jetzt so ansehe, kann ich mir wirklich gut vorstellen, dass du auch eine von uns werden könntest. Was hälst du davon?" Eifrig nickte ich. Das war der Tag. an dem ich beschloss, die Beste Schützin meines Jahrgangs zu werden. Ich würde jeeden übertrumpfen, selbst wenn es James gewesen wäre. In einer Sache muss man doch schließlich gut sein.

#Flashback ende

Plötzlich gab mein rechtes Knie nach und ich stürzte auf den Boden. Sofort kam James angelaufen und wollte mir Hoch helfen. ,,FASS mich nicht an!",rief ich und versuchte selbst aufzustehen, doch der Schmerz war schlimmer als gedacht. Trotz meiner Drohung half mir James gegen meinen Willen hoch. ,,Jetzt stell dich nicht so an, du hast Schmerzen, wieso sagst du denn nichts?"

Ich presste die Lippen aufeinander. ,,Es ist deine Schuld."

Was er darauf hin sagte, überraschte mich ziemlich. So viel Aufrichtigkeit hatte ich niemals von meinem Bruder erwartet.

,,Ich weiss."

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