"Bist du dir wirklich sicher, dass du das machen willst?", fragte ich noch einmal. Dad nickte nur. Ich betrachtete ihn, wie er in dem vornehmen Stuhl, vor dem riesigen Schreibtisch sahs. Er ließ den Blick durch das große Büro schweifen. Wir waren immer noch in Custer, genauer gesagt in der Bank. Dad möchte das Haus verkaufen um mit Liza und mir in New Orleans ein neues Leben zu beginnen. Vor ein paar Tagen war ein Gutachter da, der unser Haus in Augenschein genommen hat. Es war ein komischer Typ gewesen. Die ganze Zeit hatte er mich schief angestarrt. Ich hatte mich dann in mein Zimmer verzogen und hatte weitere Kisten befüllt.
Plötzlich ging die Tür neben uns auf und der Chef der Bank, Mister Walker kam hereinstolziert. Mit schnellen Schritten kam er auf uns zu und streckte uns die Hand entgegen. "Mister Weeks freut mich das Sie es einrichten konnten. Grace, es tut mir leid was dir passiert ist", sagte er und sah mir kurz und tief in die Augen. "Danke", murmelte ich. Ganz tief drinnen wussten wir beide das er es nicht aufrichtig gemeint hatte. Dann ließ er meine blasse Hand los und setzte sich hinter den Schreibtisch, der viel zu wuchtig für unsere unbedeutende Stadt war. Unauffällig seufzte ich und überschlug die Beine. Seitdem ich mit Liza zusammen war, hatte ich mir das angewöhnt. Sie sahs immer da wie ein Engel, aufmerksam und aufrecht. Ich dagegen hatte nie viel darauf geachtet wie ich da sahs. Doch neben ihr wollte ich eine gute Figur machen.
"Mister Weeks, Sie wollen also Ihr Haus verkaufen", begann er das Gespräch und sah meinen Vater gründlich an. "Ja", sagte Dad knapp. "Okay also ich jetzt einfach ehrlich zu ihnen. Nachdem ich das Haus in die Anzeigen gestellt habe, hat sofort jemand ein Angebot gemacht."
Ich schluckte. Jetzt kam es auf den Preis drauf an.
"Wie viel?", fragte Dad zögerlich.
"380.000". Mir blieb das Herz stehen.
"Wow", machte Dad leise und fuhr sich mit der Hand über das Kinn.
"Das ist viel Geld". Ich lehnte mich im Stuhl zurück und musste das erst einmal schlucken. Wir hätten nie und nimmer gedacht das unser Haus noch so viel wert ist.
"Ich nehme, an das sie das Haus verkaufen möchten", sagte Mister Walker. Dad nickte heftig.
"Ja natürlich", meinte er und atmete tief durch. Jetzt stand unserem neuen Leben nichts mehr im Wege.
"Ich werde die nötigen Schritte einleiten und sie bekommen das Geld zum ersten Januar".
"Danke", sagte Dad und grinste.
Zu Hause begannen wir im Wohnzimmer die Schränke auszuräumen. Langsam aber sicher mussten wir ein bisschen Gas geben, da wir auf Weihnachten unten sein wollten. Über die alte Stereoanlage hörten wir Weihnachtslieder und auf dem Couchtisch wartete Tee auf uns. Um sechs kam Liza vorbei. Im Flur stapelten sich schon die Kartons und ich stolperte fast über einen als ich die Tür öffnen wollte. Durch die offene Tür blies ein eiskalter Wind in die Wohnung hinein und ließ mich frösteln. Strahlend kam sie herein. In ihren Haaren hingen lauter Schneeflocken und ihre Wangen waren rot.
"Hi", sagte sie und zog ihre Jacke aus.
"Wie geht's dir heute?".
"Besser als gestern", meinte ich und ging ins Wohnzimmer.
"Hallo Liza, darf ich dir einen Tee anbieten?", fragte Dad freundlich.
"Gerne, draußen ist es verdammt kalt".
Dad stand von der Couch auf und ging in die Küche.
"Ihr wart heute ziemlich fleißig", bemerkte sie.
"Wir sind nicht so weit gekommen, wir waren ja noch bei der Bank", erzählte ich und rührte in meinem Tee.
"Und wie viel?".
"380 Riesen", sagte ich und blickte von meiner Tasse hoch.
"Boar".
"Hmm".
Ich nahm noch einen Schluck vom Tee und stellte meine Tasse weg.
Liza legte ihren Arm auf die Lehne und streichelte mit der Hand über meine Wange. Die Berührung tat gut. Ich schmiegte mein Gesicht an sie und schloss die Augen. Der Moment war schön, bis Dad reinkam.
Liza ließ mich los und nahm die Tasse strahlend und dankend entgegen.
"Ich finde wir sollten einen Plan schreiben", schlug Liza vor und nahm einen kleinen Schluck.
"Wie einen Plan?", fragte mein Vater nach.
"Wie wir vorgehen. Wir können ja nicht alles durcheinander machen. Zum Beispiel morgen, da machen wir das Wohnzimmer fertig und fangen mit dem Arbeitszimmer an", erklärte sie und stellte die Tasse weg.
"Ach jetzt verstehe ich", meinte Dad und lächelte.
"Keine schlechte Idee".
"Ich hole schnell mal einen Stift und Papier", sagte ich und stand auf. Schnell lief ich die Treppenstufen hoch und schnappte mir von meinem chaotischen Schreibtisch einen Kugelschreiber und einen Block. Damit ging ich wieder nach unten.
Ich setzte mich vor dem Sofatisch auf den Boden und wartete auf Anweisungen. Und so stellten wir einen Plan bis Weihnachten hin auf. Ich freute mich kein bisschen auf Weihnachten. Es war zwar unser erstes Weihnachten zusammen, aber mir war die ganze Freude an diesem fest verloren gegangen. Zum Glück war Dad dann bei uns. Ohne ihn hätte ich das bestimmt nicht überlebt.
Vorerst würde Dad bei uns schlafen, bis er eine Wohnung gefunden hatte.
Morgen würde er den Versetzung-bescheide in die Arbeit bringen. Mit ganz vor Glück würde er im French Quater arbeiten. Dort hatte er dann mal mehr zu tun als hier. In Custer lag die Kriminalitätsrate bei 0,3 Prozent. Hin und wieder klaute ein Teenager was, aber das war's dann auch schon. Bis auf das in der Schule, war noch nie etwas Großes passiert.
Später warf mein Vater ein paar Pizzen in den Ofen und hing, während diese ausbackten vor dem Computer. Liza und ich waren im Wohnzimmer und besprachen die Aufteilung in der Wohnung.
"Und wenn das hier das Arbeitszimmer wird? Ich meine es wäre viel größer und mein Bett passt ins kleinere Zimmer auch rein", meinte sie und kritzelte auf dem Grundriss der Wohnung herum. Gebannt sah ich ihr zu, wie sie konzentriert ein Konzept erarbeitete.
"Glaubst Du Lucy hat gewusst das sie...", begann ich denn Satz, konnte ihn aber nicht beenden. In mir war wieder diese Leere. Das Wissen, das sie nie wieder zurückkommen würde, zerfetzte mich innerlich.
"Wie kommst du jetzt darauf?", fragte Liza und sah mich an.
"Wegen der Kisten", flüstere ich und lasse den Blick auf meinen Ring sinken. Abwesend drehe ich ihn an meinem Finger herum.
"Nein, ich habe mit ihrer Mutter gesprochen. Sie haben die Kisten in einer Schreibtischschublade gefunden und dann befüllt, wie es drin stand".
Lucy, durchorganisiert bis zum letzten Atemzug. Ich schüttle den Kopf und ziehe die Augenbrauen zusammen.
"Wir haben oft darüber geredet, wie es sein würde wenn der andere stirbt", beginne ich leise. Liza legte den Stift weg und drehte sich zu mir.
"Wir haben immer geschworen, das wir nicht aufhören zu leben. Es soll für den anderen immer weitergehen. Auch wenn der andere nicht mitgeht." Ich versuche die Tränen wegzublinzeln. Meine Liebste nickt verständnisvoll. Doch ich ließ die Tränen laufen. Langsam kullerten sie über meine Wangen.
"Ich vermisse sie, Liza", hauchte ich und wischte die Tränen weg.
Liza zog mich in eine Umarmung.
"Ich auch, Grace. Ich auch". Zärtlich streichelte sie über meine Haare.
Ich versuchte die Gefühle so sanft wie möglich herauszulassen. In den letzten Wochen hatte ich viel an Selbstkontrolle gewonnen, worauf ich trotz der Umstände ein bisschen stolz war.
Beim Abendessen redeten wir hauptsächlich über den Umzug und wie wir uns die erste Zeit dort vorstellten. Dad meinte ich sollte eventuell meinen Abschluss in New Orleans machen. Er würde mich zu nichts zwingen, aber ich wusste nicht ob ich jemals wieder ein Schule betreten konnte. Liza schlug vor das ich mir erstmal einen Therapeuten suchen sollte und dann vielleicht einen kleinen Job in einem Cafe oder so. Damit war ich eher einverstanden. Obwohl einem fremden alle meine Probleme aufs Auge zu drücken, war jetzt nicht unbedingt mein Vorsatz fürs nächste Jahr . Aber wir hatten ja noch ein bisschen Zeit bis dahin.
"Glaubt ihr wirklich, dass ich noch zu retten bin?", sagte ich dann plötzlich ohne Zusammenhang. Dad sah mich ungläubig an. "Wieso denn nicht?", setzte er entgegen. Liza legte unter dem Tisch ihre Hand auf mein Bein. Ich zuckte zusammen. Ihre Hand lag genau da wo meine Narben begannen. Ich bleibe kurz stumm. "Weil es mir schon immer Scheiße geht, Dad", meine ich etwas gereizt. Verwirrt mustert er mich. "Seitdem ich auf die High School gehe... habe ich ziemlich starke Depressionen".
Stille.
Dann versucht er die richtigen Worte zu finden. "Aber... Aber, warum hast du denn nichts gesagt", wirft er mir vor. Ich versuche ruhig zu atmen. "Ihr wart so auf eure Arbeit konzentriert und habt mich seit dem ich dort auf der Schule war wie Luft behandelt. Mum hat das eigentlich seit der Vorschule getan", erkläre ich und bemühe mich um Haltung. "Grace", sagte er leise und fährt sich mit den Händen über das Kinn. "Ja wenn du das gewusst hättest". Wütend stehe ich auf und renne in mein Zimmer. Hinter mir schließe ich die Tür ab. Meine plötzliche Wut überrascht mich selber total. Aber in letzter Zeit bin ich das reinste Nervenbündel.
Mein Atmen geht schnell und meine Brust hebt und senkt sich schnell. Ich gehe zu meinem Nachttisch wo mein Songbuch liegt. Mit einem Stift setzte ich mich vor mein Bett und schreibe die Worte, die durch meinen Kopf schwirren in das Buch. In diesen paar Minuten fällt mir so viel Text ein, das es für zwei Songs reicht. Dann lege ich das Buch weg und setze mich an mein Klavier. Auf dem Instrument liegen ein paar alte Blätter, die ich noch aussortieren wollte. Darunter finde ich eins das ich damals im Musiksaal dabei hatte. Darauf ist die kleine Melodie, die ich aufgeschrieben habe. Langsam und leise spiele ich sie vor mich hin. Fünf Minuten später klopft es an der Tür. "Grace, darf ich reinkommen?", fragte Dad sanft. Zuerst rühre ich mich kein Stück.
"Es geht um deine Brüder".
Etwas verspätet kommt das neue Kapitel. Ich hoffe es gefällt euch und ihr seid gespannt für den nächsten Teil. Ich würde mich sehr über Votes und Kommentare freuen! Und schaut auch gerne auf meinem Wattpad-Instagram Account vorbei. Unter klosterfrau_milisengeist findet ihr Hintergrund Storys und könnt beim Entstehungsprozess der folgenden Kapitel beteiligen. #Dasistschleichwerbung/Eigenwerbung #Sorrynotsorry
Ach ja, was sagt ihr zum neuen Cover? Ich dachte wir könnten mal was freshes Brauchen^^
LG todeskind <3
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