6.

Eine typische Oberstufenparty.
Kein Alkohol=schlecht gelaunte Schüler.

Gut, es war vielleicht eine etwas subjektive Beschreibung des Geschehens.
Hae wusste, dass es vielen gefiel. In der Masse der Kostümen aber konnte sie kein einziges Gesicht erkennen, dass ihr bekannt vorkam.
Sie hatte nicht gewusst, dass ihre Schule wie eine Gothic-Junkie-Höhle aussehen konnte. Die Lampen hatten sie mit schwarzen Folien überklebt und sie konnte im dämmrigen Licht nicht das Ende der Aula erkennen. Sie saß in einem unendlichen Saal in dem die Körper sich im Beat der Musik ekstatisches Zappeln vollführte. Sie, Bella und Rob saßen auf einer Treppe und beobachteten das Getümmel von oben.

Irgendjemand stand an den Boxen und hatte den schlimmsten Beat aufgelegt, denn es gab. Es klang, wie ein Rasseln mit einem gelegentlichen, unkontrollierten Huster oder Aussetzer. Was auch immer das auch sein sollte...

Hae wusste, die Menschen um sie herum waren nicht ihrer schlechten Laune schuldig. Dennoch konnte sie nicht die Vorstellung unterdrücken, wie es wäre alle hier mit der Schule einfach nieder zu brennen.

"Willst du für immer hier sitzen?", wollte Bella wissen. Sie hatte sich heute abend dezent aber nicht besonders hübsch gemacht. Und Rob war ihr ergeben, wie ein braver Hund. Er versuchte zwar einen auf cool zu spielen, aber immer wieder wechselte sein betont gelangweilter Blick in nackte Anbetung und Zärtlichkeit um. Es war im höchsten Grade amüsant den Jungen weg schmelzen zu sehen, in den Bella schon seit der Junior verliebt war. Hae hatte sie zwar damals nicht gekannt, aber sie konnte sich vorstellen, was für eine schlimme Zeit es gewesen sein muss. Naja-im freundschaftlichen Sinne. Ganz nach voll ziehen tat sie es nicht. Außerdem hatte Bella ja Rob in der High School ein wenig zappeln lassen.

"Ihr könnt los turteln gehen"

"Ach...halt die Klappe", versetzte Rob nur, nahm kurzerhand den Arm seiner Freundin und zog sie ins Getümmel. Sie hatten sich als viktorianisches Geisterpaar verkleidet und waren relativ gut in der Menge auszumachen.
Schon süß. Keine Frage.

Sie würden vermutlich verschwinden. Zu Rob nach hause. Oder zu Bella. Und beide würden in dieser Nacht ihre Jungfräulichkeit verlieren - Hae spürte es.

Sie knüllte ihren Pappbecher zusammen und wollte ihren Freunden es nach tun, als etwas in ihrem Blickfeld sie rumfahren ließ. Also doch...

Leons langen Haare stachen aus der Menge heraus, wie ein Leuchtfeuer, dass sie die kleine Motte, anzog. Vielleicht war sie ja auch die Fledermaus, die heute die kleine Motte namens Leonard Cox-Reid fressen würde.

Sie hatte ihn lange beobachtet. Lange genug. Sie liebte die Vorbereitungsphase. Es war, wie wenn man sein Messer schleift, schon in Gedanken versunken, die die Schlachtszene eines unschuldigen Schafes geplant hatte.
Und diese Phase näherte sich ständig ihrem Ende. Sie würde es für Leon kurz machen. Ein kleiner Biss in die Kehle. Das vollständige Ende für die Gazelle, die dachte davon zu kommen. Nur dann setzte der Leopard den letzten Sprung an und nur die Götter im Himmel wissen, was ihr letzter Gedanke vor ihrem Tod war.

Leonard hatte auch sie gemerkt und hob mit einer langsamen Bewegung seine Augenbrauen. Er trug einen Umhang aus schwarzen Stoff, wenn sie sich nicht irrte und als er lachte, konnte sie die kleinen Eckzähnchen erkennen. Seine langen Haare waren ungekämmt, wie eh und je, Hae wurde schon von rätselhafter Vorfreude erfüllt, als sie aufstand und auch ihrerseits die Treppen nach unten stieg.

Und er stand endlich vor ihr. Hae wusste nicht, wie oft sie sich diesen Augenblick ausgemalt hatte. Wie oft sie nachts wach gelegen hatte, um diesen Augenblick immer und immer wieder zu inszenieren.

"Ich dachte, du wärst erpicht gewesen, dass das eine Halloweenparty wird" Leon sah sie schräg an und Hae nahm ihrerseits ihr Gebiss aus der kleinen Tasche, die sie sich umgehangen hatte: "Besser?"

Leon musterte sie und Hae klapperte ein wenig mit dem Gebiss, als sie ihn näher in Betracht zog. Er war nicht sonderlich gut aussehend-noch einige Pickel im Gesicht, er war am Ende der Pubertät, den letzten Wachstumsschub hinter sich und frisch, beinahe erwachsen. Aber auch nur beinahe. Wenn die sich nicht irrte, dann würde er dieses Schuljahr im Frühling volljährig werden. Hae war zwei Monate älter als er, wenn sie sich sicher war. Aber sie hatte schließlich auch wesentlich jüngere Typen schon geküsst.

"Kein Alkohol", sagte sie um die Stille zwischen ihnen zu überbrücken. Es war unglaublich, es konnte eine Stille zwischen ihnen herrschen, wo es doch um sie immer lauter wurde. Es erinnerte sie an die Baskteballspiele, zu denen Bella sie immer mitgeschleppt hatte, um Rob zu sehen...

"Wie schade", merkte Leon nach einem Augenblick an und zog ein halbes Lächeln. Sie dagegen hob leicht die linke Augenbraue, um ihm einen skeptischen Blick zu zuwerfen, dessen eigentlicher Sinn war, ihn ordentlich anzustarren. Seine Augen waren, wenn er lächelte, ziemlich schmal und sein ganzes Gesicht wurde scheinbar von seinem breiten Grinsen erfüllt.

"Wie lange bist du schon hier?", fragte sie ihn. Sie konnte sich diese Frage nicht verkneifen, wie lange hatte sie auf ihn gewartet?

Leonard sah nach vorne in die Menge und Hae sah zu, wie er seinen Mund öffnete: "Kein Plan. Nicht lange. Aber diese Türsteher haben ihre Spielchen gemacht"

"War bei uns auch so"

"Ach du bist mit einem Begleiter hier?"

Sie konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, war da eine Spur von Missgefallen? Aber er hatte sein Gesicht kein bisschen verzogen. In dem Moment sah er auf sie herab und hob seinerseits die Augenbrauen: "Habe ich etwas falsches gesagt?"

"Ne...ich meine, ich habe Rob und Bella begleitet", antwortete Hae und sah starr gerade aus. Sie wusste, dass er sie musterte, Hae spürte geradezu die Fragen auf ihrer Haut brennen, wie glühendes Eisen.

"Die sind doch als Geister verkleidet"

"Geisterpaar", korrigierte Hae ihn und er verdrehte die Augen im Anflug der Entnervtheit. Aber seine Mundwinkel waren leicht gehoben und sie wusste, noch war er weder überzeugt noch gelangweilt. Einfach ein kleines Gespräch unter Freunden.

"Hör mal!", wies sie Leon auf die Musik hin und er klappte rasch den Mund zu, sie war sich sicher, dass er irgendetwas hatte sagen wollen. Aber jetzt war es gerade wichtiger ihren Plan durchzuziehen. Sie musste ihn irgendwie lockerer kriegen und eindeutig ein wenig näher ran. Und das Lied kam ihr gerade recht.

"Was?", fragte er und Hae nutzte die Chance seiner vollsten Konzentration, um seine Hände zu nehmen und ihn kurzerhand auf die Tanzfläche zu ziehen. Sein Umhang fiel auseinander und sie erkannte ein weißes Hemd und wenn sie sich nicht irrte auch ein T-Shirt, das er darunter trug.

Die Luft war in der Aula viel zu kohlenstoffdioxid lastig und von allen möglichen anderen Gerüchen aufgeladen. Sie zog Leonard immer weiter zwischen die Leute und ließ seine Hände los, um sich im Takt der Musik zu bewegen. Er sah auf dem ersten Augenblick ein wenig irritiert aus, aber relativ schnell, verfiel er in den lockeren Disco Fox.

"Kannst ja tanzen!", rief sie ihm über dem Lärm zu und Leon hob kurz sein Mundwinkel, aber antwortete nicht. Es war ihr Lieblingslied, das angespielt worden war, schnell, energiegeladen und so positiv, wie die Wirklichkeit nie aussehen würde.

"Cause I'm feeling like,
dreaming by your side,
I know, there is no better place tonight.

All the people I'm looking at,
but you know, you're the only person I'm thinking at,
when I replay it in my mind,
tonight!"

Wie von selbst passten sich ihre Schritte an seine an und im Takt tanzten sie das Lied bis zur Bridge durch. Die Melodie wurde weniger laut, fast ein wenig wehmütig und sie nahm seine Hände. Leonard sah sie überrascht an, ihr war heiß und als sie näher an ihn heran tanzte, wurde es noch wärmer. Langsam ließ sie ihre Hände bis hoch zu seinen breiten Schultern wandern. Ganz vorsichtig legte sie letztendlich ihre Hände auf seine Schultern. Sie spürte seine Muskeln sich unter dem Umhang bewegen und bei jedem Schritt, den sie nun zusammen machten, trat sie näher an ihn heran. Und Leonard wich nicht aus, wie hypnotisiert starrten sie sich in die Augen und ihre Umgebung verschwamm immer mehr zu einem undeutlichen Brei aus Bildern und Farben, nur Leon blieb scharf.

Sie konnte im Licht und wechselnden Schatten jeden einzelnen Quadratmillimeter seines Gesichtes erkennen. Die hellen Flecken, die die Stellen der letzten, schlecht verheilten Pickel, verrieten. Dann seinen Mund mit seinem wundervollen Lächeln, diesem Lächeln, das sie so gerne für immer einfrieren würde.
Und jeden einzelnen grün-blauen Sprenkel in seinen warmen Augen.

Das Lied war zu Ende und es wurde von den schweren, weichen Klängen eines Schnulzenliedes abgelöst. Haes Hände wandertem von selbst immer näher zu seinem Hals und schlossen sich um seine weichen, blondbraunen Haare, die ihre Handflächen kitzelten. Jetzt standen sie sich so nah, sodass ihr Nacken sich protestierend zu Wort meldete und sie kurzerhand ihren Kopf einfach an seine Brust lehnte.

"Du bist viel zu groß", wisperte sie leise. Sie hörte das unregelmäßige Pochen seines Herzens an ihrem Ohr und Hae genoß die beinahe tröstliche Wärme, die sie umgab.

"Du bist klein", stellte Leon nach einem Augenblick heiser fest. Sie war sich sicher gewesen, Leon hatte ganz sicher noch keine Freundin gehabt. So linkisch und unerfahren er sich anstellte, wie eine unbeholfene, junge Gazelle auf ihren zu langen Beinen umherstakste. Eine leichte Beute für den erfahrenen Leoparden.

Sie sah zu ihm auf, wissend, dass er in dem Moment lächeln würde, um seine Nervosität zu überbrücken. Nun standen sie ganz still in der sich langsam wiegenden Menge aus Paaren. Leons Pupillen waren ein schwarzer Sog, der seine Iriden fast verschlang und sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Griff um seinen Nacken langsam zu festigen und seinen Kopf bestimmt aber sanft zu sich runter zu ziehen.

So viel musste sie gar nicht machen-wie ein Schlafwandler folgte er dem sanften Druck, aber dann spürte sie einen heftigen Ruck und Leon richtete sich schnell auf. Seine Pupillen wurden wieder kleiner und er war heftig zusammen gezuckt.

Hae war noch lange nicht zu Ende, rasch zog sie seinen Kopf runter, aber Leonard war vorbereitet und drehte seinen Kopf weg: "Lass das"

"Was?"

Er befreite sich aus seinem Griff und als das nächste Lied, ein Popsong startete, lächelte sie nur verbindlich, obwohl eine Wut in ihr brodelte, die Wörter gar nicht ausmessen konnten.

"Ich glaube, ich muss mal Bella und Rob suchen-am Ende zeugen sie noch eine Menge kleiner Bellas und Robs!", brüllte sie über das Lied hin weg. Sie wollte nicht, dass Leonard-ein gewöhnlicher Junge-sie, ausgerechnet sie abservierte. Leon war ein Junge wie die anderen und jeder andere hatte sich auch von ihr küssen lassen. Nur er nicht und er würde niemals der erste Junge sein, der sie abgelehnt hatte. Es würde niemals so einen Jungen geben-niemals.

Hae lächelte und sie sah, wie Leonard sichtlich mit den Gedanken kämpfte. Seine Augen zuckten durch die Menge, über sie hinweg. Dann wieder zu ihrem Gesicht und sie drehte dich um, niemals. Niemals würde ein Junge sie abservieren. Und sie würde sich das holen was ihr auch zu stand.

Sie kämpfte sich rasch durch die Menge-ein Rückschlag. Ein Rückschlag, aber sie würde sich wieder aufrichten und ihn schlagen. Diesen blöden ersten Kuss dem blöden, unerfahrenen Jungen-der unerfahrenen Gazelle-abluchsen. Komme was wolle.

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