31.

Hae lag auf dem Rücken und betrachtete ihre Hände im Licht des Mondes.

Die kurzen Finger, der große Handteller. Hae kannte ihre Finger und hatte sie auch tausendmal gesehen und sich nichts dabei gedacht. Nichts bis zu diesem Abend.
Sie drehte ihre Hände und besah ihren Handrücken. Dann ballte sie ihre Hände zu Fäusten und entspannte sie wieder.

Warum hatte es sich so gut angefühlt, Leons Hände in ihren zu halten? Es hatte sich so richtig angefühlt.
Er hatte sich ganz schön angestellt, als sie den Schnitt gesäubert hatte und es wae beinahe niedlich anzusehen gewesen, wie er das Gesicht bei dem Anblick des Desinfektionsmittels verzogen hatte. Es hatte sich so gut angefühlt, sich um ihn zu kümmern. Ihn zu verarzten und wie ein kleines Kind zu schelten.
Diese Intimität und Vertrautheit zwischen ihnen war so einzigartig gewesen, dass Hae allein schon bei dem Gedanken an diesen Moment, Gänsehaut bekam. Besser machte es nicht, dass er sie zu seinem Geburtstag eingeladen hatte. Und aus irgendeinem Grund hatte sie sich bequatschen lassen zu kommen.
Er war so nett gewesen. So, so nett. Und so rücksichtsvoll. Und so naiv, dass es ihr wehtat.

Der Nachmittag war ganz schön gewesen, bis sie das Gespräch im Wohnzimmer mitbekommen hatten. Tristan und Svenja hatten versucht sich das alles nicht anmerken zu lassen, aber auch an ihren Blicken hatte sie ablesen können, dass das nicht Normalität im Hause der Cox-Reids war.
Ihr war es unangenehm gewesen-Leons Geschwistern genauso. Sie hatte es in Tristans Gesicht gesehen, wie er den Mund verzogen hatte. Dennoch waren weder Svenni noch Tris aufgestanden, als das Klirren von zerbrechendem Glas ertönte. Schneller als sie sich erinnern konnte, war Hae auf den Beinen gewesen und die Geschwister hatten ihr den Vortritt gelassen.
Hae wünschte, sie hätten es nicht. Denn als sie nach dem Rechten hatte sehen wollen, hatte Leons Gesicht bei ihrem Anblick sofort alle Anspannung verloren.
Hae hatte jedes Wort verstanden und ihr tat es Leid. Ihr tat es um die Beziehung von Leon und seinem Vater Leid. Leon hätte auf seinen Vater hören sollen. Mehr als ein Name auf ihrer Liste würde er nie werden. Das würde allein ihr Stolz nicht zu lassen und das wollte Leon leider noch immer nicht einsehen.
Sie hörte die Stimmen noch klar und deutlich in ihrem Kopf. Leonard hatte sicher gedacht, sie hätten es nicht gehört.

"Nur weil sie einen Haufen andere Jungen geküsst hat, bedeutet das nicht, dass sie nicht liebensfähig oder nicht liebenswert ist"

"Das ist in den ersten Wochen immer so, Leon, aber sieh klar. Sieht Hae wirklich so aus, als würde sie mit dir eine Beziehung anfangen wollen? Als wäre sie bereit für so etwas?"

"Bist du neuerdings Beziehungsberater?Wusste nicht, dass du deinen Job gewechselt hast."

"Mach die Augen auf!"

"Scheiß mache ich! Ich mag Hae, so wie sie ist. Wenn ich deinen Segen für eine Hochzeit brauche, melde ich mich schon!"

Immer und immer wieder drückte sie auf die Wiederholung-Taste. Leon war-

Eigentlich sollte sie schlafen, morgen stand wieder eine Klausur an und Hae hatte sich eigentlich auch gut vorbereitet. Wenn sie aber nicht bald einschlief, würde sie weder ein B noch ein C schreiben. Darum drehte sich Hae auf die Seite und presste ihr Gesicht in ihre Decken. Die University North Carolina hatte strikte Forderungen an ihre Aufnahme gesetzt, aber war sonst gewillt ihr das Studium bei ihnen zu gewähren. Sogar ein Stipendium könnte in Aussicht stehen...
Das war mehr, als ihre Mutter-ihre Lehrer-sie selbst von sich erwartet hatte. Mum hatte sie nichts davon erzählt und ihr war es egal. Sie würde es noch rechtzeitig erfahren, ihre Mutter würde es schließlich genauso wenig kümmern, wie sie es tat.

Sie störte es tatsächlich gar nicht, dass North Carolina auf der andere Seite des Kontinents lag.
Solange sie aus Utah rauskam, würde sie auch bis nach Europa ziehen. Und obwohl sie sich fest vornahm, einzuschlafen und nicht darüber nachzudenken, dass sie nächstes Jahr vielleicht in einer vollkommen anderen Stadt das Studium alleine anfangen könnte, weit weg von ihren Freunden und Leon, konnte sie die Gedanken einfach nicht aufhalten. Sie seufzte schwer und zog ihre Beine bis an die Brust, aber ihre Lider wollten einfach nicht schwer werden, stattdessen fühlte sie sich durch jede Sekunde wacher. 

Wenn sie so die Augen schloss, spüre sie die Berührung von Leons langen, dünnen Fingern noch auf ihren Armen. Hae konnte sich vorstellen, wie das Licht der müden Februarsonne seine wundervollen Haare beleuchtete und diese mit einen goldenen Schimmer zu flüssigem Gold verwandelte. Sie spürte seinen schnellen Atem an ihrer Wange und die Haut unter ihren Fingerspitzen, die sich vor Begierde und Sehnsucht in die Decke krallten.

"Schlaf ein! Schlaf ein!", wisperte Hae. Sie schloss ihre Augen mit Gewalt und versuchte sich zu beruhigen. Ihre Gedanken mussten endlich von Leonard Cox-Reid wegkommen, der sie noch in den Wahnsinn trieb. Besser machte ihre Mum es nicht, die in dem anderen Schlafzimmer gerade eine heiße Nacht mit irgendeinem bescheuerten Kollegen verbrachte, dessen Namen sie schon vergessen hatte.  

Die Geräusche, die gedämpft ihre Ohren erreichten, störten Hae ungemein. Sogar mehr als sonst und sie zog es tatsächlich in Erwägung einfach in das Zimmer zu platzen, um deren abendliche Sportsession zu unterbrechen. Aber sie blieb in ihrem Bett, mit geschlossenen Augen und angezogenen Beinen.
Hae ärgerte sich noch eine ganze Weile. Auch Leon drängte sich wieder in ihre Gedanken und löschte alles anderes aus, wie ein loderndes Feuer die trockene Savanne vollständig runterbrannte.
Schon wieder keinen Kuss.

Und mit diesem Gedanken fiel sie in einen tiefen traumlosen Schlaf.

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"Hae! Guten Morgen!" Ihre Mutter saß am Küchentisch in ihrer Arbeitskleidung. Ein gebleichtes Hemd, sauber zugeknöpft und der gebügelte Rock. Auch ihr Gesichtsausdruck wae schon der Ich-geh-arbeiten-Ausdruck. Und verdammt, Hae hasste ihn.
Der Typ von gestern Abend war anscheinend schon weg. Gut so. Hae hatte keine Lust auf einen Streit am morgen.

"Kaffee", murmelte sie wie ein Zombie und goß sich das letzte heiße Wasser in ihre Tasse.

"Hae-"

"Ich habe gestern die letzte Tiefkühlpizza in den Ofen geschoben und die angebrannte Soße weggeworfen", beendete sie schnell den Satz ihrer Mutter. Sie wollte heute einfach nicht reden, erst recht nicht mit ihrer Mutter. Darum blieb sie am Spülbecken stehen, den Rücken ihrer Mutter zugedreht. Sie hatte heute weder Lust noch Zeit noch Muse gehabt, um sich ordentlich anzuziehen.

"Nein, ich wollte dich fragen..."

"Ich habe das Shampoo zu Ende benutzt. Ich kauf' heute Nachmittag ein. Und ich zieh gleich meinen Pyjama aus"

"Hae! Ich wollte wissen, wie es dir geht!"

"Gut" Sie nippte an ihrem Kaffee um nicht weiter antworten zu müssen. Aber Mum blieb hartnäckig.

"Darf eine Mutter nicht mal nach der Laune ihrer Tochter fragen?", schnappte Mum verletzt.

"Nein" Hae holte sich eine Scheibe Brot aus der Dose und begann den Toast im Stehen zu verschlingen. Je eher sie fertig war, desto schneller war sie weg.

"Ich bitte dich Hae, stell dich nicht so kindisch an!"

"Ich muss los" Sie stürzte ihren Kaffee herunter und wischte sich über den Mund, aber Mum stand schnell auf und hielt sie rasch am Oberarm fest: "Warum gehst du mir so aus dem Weg? Warum musst du auch immer so sarkastisch sein? Warum? Ich habe dir nichts getan?"

"Genau-du hast nichts getan. Nichts. Dich interessiert es doch ohnehin nicht" Sie befreite sich aus dem Griff und wandte sich zum Gehen. Scheiß auf Gespräche.
Hae hatte heute und ganz sicher auch nicht morgen oder übermorgen Lust mit ihrer Mutter solche Dinge zum Frühstück auszudiskutieren.
Ihr Magen meldete sich nach dem frustrierenden Frühstück mit einem wütenden Grummeln zu recht. Ihr war nach einem deftigen

"Hae Warley, ich rede noch mit dir!", versuchte ihre Mutter so autoritär wie möglich zu verkünden. Nur blöd, dass nicht mehr so viel geblieben war von der Autorität.

"Aber ich nicht mehr mit dir!", brüllte Hae über ihre Schulter und knallte die Tür hinter sich zu. Dort ließ sie sich auf ihr Bett sinken und starrte aus dem Fenster.
Wenn ihre Mutter reinkam, dann würde sie vielleicht ein Gespräch in Erwägung ziehen.
Aber ihre Mutter kam nicht in ihr Zimmer, Hae bat, dass sie dieses Mal nur dieses eine Mal nachgeben würde. Aber nach fünf Minuten ging die Wohnungstür zu. Es war ein endgültiges Geräusch und Hae fasste einen endgültigen Beschluss.
Hae war alleine zu hause.

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"Und hast du schon ein Idee, was du Leon schenkst?", wollte Allison wissen ohne von ihrem Smartphone aufzusehen.
Zurzeit war das chatten noch schlimmer als sonst, es war als würde ihre Freundin es nicht für eine Stunde aushalten, nicht zu wissen, was ihr Schatz gerade machte.

Seit Sergio nach Redan gezogen war, hatte Hae ihn gerade einmal gesehen, nach dem Happy End auf dem Ball. Laut Allison ging es heiß zu und sie ließ ihren Freundinnen keinen Zweifel indem sie jeden morgen mit neuen aufregenden Bettgeschichten aufwartete.
Bella dagegen wurde Woche um Woche runder, ihr sah man es langsam an, dass sie schwanger war und Rob und sie machten auch keinen Hehl draus.
Ein wichtiges Thema am Esstisch war eher der Name des zukünftigen Babys.

"Sehe ich so aus? Mein Konto lässt ohnehin nichts großes zu.", murmelte Hae in ihren Salat. Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Augenblick wurden die Stühle gegenüber von Bella und ihr zurückgezogen und die Jungen ließen sich auf diese fallen.
"Sky", schlug Rob vor.

Bella schüttelte nur vehement den Kopf, anscheinend führte das Paar gerade die wichtige Diskussion über die Namenswahl weiter.
Und Hae musste gestehen, die Namen wurden um Vorschlag um Vorschlag immer schlimmer. Das arme Kind würde ein Mobbingopfer werden, mit dem Namen den ihre 18-jährigen Eltern auf die Hitlisten gesetzt hatte.

"Peaches!", rief Bella aus, wie Archimedes einst 'Heureka' gebrüllt hatte.

"Peaches?", hustete Leon und Hae verschluckte sich an dem Fischstäbchen. Sie sagte ja, die Namen wurden immer schlimmer.

"Mag ich nicht", schlug Rob in den Wind.

"Ich quetsche das Kind raus, Rob. Sollte meine Stimme nicht mehr zählen?", argumetierte Bella, überzeugt, dass sie den richtigen Namen gefunden hatte.

"Aber Hope oder Peaches muss es werden, wenn es ein Mädchen wird", bestand Bella, als Rob sich seinem Essen mit einem ablehnenden Grunzen zu wandte.

Hae beugte sich etwas zu Leon vor und wisperte ihm über das Essen zu: "Da müssen wird um des Kindes willen, hoffen, dass es ein Mädchen wird"

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